Reisen Ab in die Blaue Zone!
Ab in die Blaue Zone!
Ab in die Blaue Zone!
Text: Michael Eckert
Täglich berichten die Nachrichten von Pandemie, Krieg, Klimawandel, Umweltverschmutzung. Aber wo auf der Welt können Menschen noch möglichst lange und unbeschadet leben? Der US-Journalist Dan Buettner hat dazu umfangreiche Recherchen angestellt und nennt fünf Landstriche unseres Planeten, in denen die Leute statistisch am ältesten werden – die sogenannten „Blue Zones“.
HEUREKA – Reisen heißt entdecken!
In dieser Rubrik stellen wir in jeder Ausgabe einzigartige Reiseziele vor, die eine Entdeckung lohnen. Abenteuer gesucht? Gefunden!
Wie die meisten Menschen träumen wohl auch wir von einem langen und gesunden Leben. Die schlechte Nachricht lautet: Der Lebensraum im Nordwesten Deutschlands bietet dafür nicht unbedingt die beste Voraussetzung. Jedenfalls findet man die Region nicht unter den sogenannten „Blue Zones“ der Erde. So bezeichnet der amerikanische Journalist Dan Buettner im Magazin „National Geographic“ die Gegenden und Orte unseres Planeten, in denen die Menschen eine besonders hohe Lebenserwartung haben. Fünf Orte, die über verschiedene Kontinente verteilt sind. Zufall – oder gibt es Gemeinsamkeiten?
Gemeinsam mit Wissenschaftlern ist Buettner vor einigen Jahren um die Welt gereist, hat sich Orte angeschaut, Bedingungen gecheckt und mit den dort lebenden Menschen gesprochen. Am Ende hatte er fünf Blaue Zonen identifiziert. Eine davon bildet die griechische Insel Ikaria in der nördlichen Ägäis. Etwa 40 Kilometer lang und zwischen fünf und acht Kilometern breit, beherbergt sie etwa 8.000 Bewohner. Das Klima ist hier typisch mediterran, mit einer etwa fünfmonatigen Trockenperiode zwischen April und August und gelegentlichen Niederschlägen im Winter. Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt bei 18,9° Celsius. Das ist sicher angenehm, aber nicht einzigartig. Trotzdem zeichnet sich gerade das kleine Ikarus durch die Tatsache aus, dass hier im weltweiten Vergleich extrem wenige Menschen mittleren Alters einen vorzeitigen Tod erleiden.
Buettner meint, das liege vor allem an der gesunden mediterranen Ernährung mit viel Gemüse, Olivenöl und Fisch. Aber auch das hat Ikarus nicht exklusiv. Bewohner nennen zudem die ökologische Landwirtschaft, das saubere Wasser und den stetigen Wind von der See als mögliche Ursachen. Vor allem aber heben sie den Gemeinschaftssinn und die besondere Herzlichkeit der hiesigen Menschen hervor. Ist mangelnder sozialer Stress der Grund für ein gesundes Leben?
Dass man jedoch auch auf Ikaria jung sterben kann, erzählt schon die griechische Mythologie. Der Name der Insel geht auf die Sage von Daedalus zurück, dessen Sohn Ikarus auf der gemeinsamen Flucht mit selbst gebastelten Flügeln hier ins Meer gestürzt und auf der Insel begraben worden sein soll. Ein Unfall. Kann überall passieren. Wahrscheinlich sogar in Buettners zweiter Blue Zone, der japanischen Inselgruppe Okinawa.
Südlich von Japans Hauptinsel Honshū gelegen, ist die Okinawa-Inselgruppe um ein Vielfaches größer als das beschauliche Ikaria. Allein die größte Insel Okinawa Hontō ist von 1,23 Millionen Menschen bevölkert. Aber auch hier ernährt man sich überwiegend von pflanzlicher Kost. Das könnte ein Grund dafür sein, dass auch hier unter den Bedingungen eines subtropischen Klimas die ältesten Frauen leben. Süßkartoffeln, Soja und viele andere Gemüsesorten werden auf Okinawa maßvoll genossen. In Japan nennt man diese Kultur „Ikigai“, was so viel wie „lebenswert“ heißt. Buettner traf auf eine über 80-jährige Frau, die noch täglich ihr Training für den Zehnkampf absolviert.
Auf der Suche nach den ältesten Männern der Welt ist man dagegen auf Sardinien in der Region Ogliastra fündig geworden. Viele arbeiten hier bis in hohe Alter als Hirten. Auch sie glauben an gesunde Ernährung als Erfolgsrezept, konsumieren Kartoffeln, Bohnen, Getreide und Gemüse. Neben pflanzlichen Lebensmitteln nehmen sie Milchprodukte von Weidetieren zu sich, die besonders viele Omega-4-Fettsäuren enthalten. Außerdem bleiben sie ihr Leben lang in der Familie, und ihr Ansehen wächst mit zunehmendem Alter. Kontinuität und gegenseitiger Respekt scheinen sich auszuzahlen.
Von diesen Werten profitiert man möglicherweise auch in der Kleinstadt Loma Linda im US-Bundesstaat Kalifornien. Der Ort ist geprägt von der christlichen Religionsgemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, und hier lebt man statistisch vier bis zehn Jahre länger als ein durchschnittlicher Kalifornier. Die Wissenschaftler führen das – wenig überraschend – auf die pflanzliche und natürliche Ernährung der Adventisten zurück. Sie leiden deshalb weniger unter Herz-Kreislauferkrankungen, und auch Krebs tritt seltener auf. Die Adventisten selbst sind der Überzeugung, dass ihnen der Glaube hilft, ein langes und gottgefälliges Leben zu führen. Tatsächlich wurde in einigen Studien nachgewiesen, dass Menschen im Schnitt etwas älter werden, wenn sie einen festen Glauben haben und regelmäßig in die Kirche gehen. Dass zu viel nachdenken und weniger glauben ungesund sein könnte, ahnte schließlich schon Shakespeares Hamlet, als er klagte, er sei „von des Gedankens Blässe angekränkelt“.
Die fünfte und letzte Blue Zone auf Buettners Liste liegt in Südamerika. Auf der Halbinsel Nicoya in Costa Rica ist die Sterblichkeitsrate im mittleren Alter am niedrigsten, außerdem leben hier nach der sardischen Region Ogliastra die meisten hundertjährigen Männer. Der Journalist führt das vor allem auf die starke soziale, generationsübergreifende Bindung in der Gemeinschaft zurück. Außerdem gehört hier regelmäßige Bewegung zum Alltag. Eine hilfreiche Rolle spielt wohl auch der hohe Kalzium- und Magnesiumgehalt des Wassers, und man registrierte wohlwollend den hohen, ganzjährigen Obstkonsum auf der Halbinsel.
Welches Fazit lässt sich daraus ziehen? Wer lange und gesund leben will, ist auf einer Insel sicher nicht schlecht aufgehoben. Allen fünf Blauen Zonen ist gemein, dass sie relativ isoliert auf Inseln, Halbinseln, in gebirgigen Regionen oder in kleinen Gemeinden liegen. Die Menschen dort leben vergleichsweise traditionell, verzehren Lebensmittel, die in ihrer Region wachsen und suchen regelmäßig Bewegung an frischer Luft. Sie sind bis ins hohe Alter in die soziale Gemeinschaft eingebunden und gestalten sie aktiv mit. Auch verfügen alle Zonen über eine moderne Gesundheitsversorgung, und sie liegen in klimatischen Gebieten, die mit viel Sonne gesegnet sind. Ein Mangel an Vitamin D ist somit weitgehend ausgeschlossen. Die Wissenschaft vermutet, dass sich zu wenig Vitamin D lebensverkürzend auswirken kann.
Bleibt die Frage nach dem Fleischkonsum. Den Vertretern der reinen Obst- und Gemüse-Lehre kann man entgegenhalten, dass die Menschen in Nicoya durchschnittlich mehr Fleisch verzehren als in anderen Zonen, aber ein wirklich zugkräftiges Argument ist das wohl nicht. Zum Trost seien Fleischesser an den ewigen Stadtneurotiker Woody Allen erinnert. Der war immer schon überzeugt, dass diese Welt ein grundsätzlich ungesunder Platz sei – aber auch der einzige Ort, an dem man ein gutes Steak bekommt. Und Allen ist immerhin auch schon 86 Jahre alt.