Menschen Aber so was von Vollblutjournalistin…
Aber so was von Vollblutjournalistin…
Interview mit Natalie Amiri
Interview mit Natalie Amiri
Interview: Michael Eckert / Fotos: Markus Konvalin, Mariam Samii
Natalie Amiri leitete von 2015 bis 2020 das ARD-Korrespondentenbüro in Teheran. Sie berichtete von dort auch über Themen, die im Iran tabu sind – Drogenkonsum, Hinrichtungen, Frauen, die mutig für ihre Rechte eintreten oder iranische Söldner in Syrien. In ihrem Buch „Zwischen den Welten“ erzählt Natalie Amiri von den Erfahrungen im Herkunftsland ihres Vaters, und im CHAPEAU-Interview plädiert sie für einen offenen Umgang mit den Menschen im Iran – dem repressiven Mullah-Regime zum Trotz.
Info – Die TV-Journalistin Natalie Amiri ist 1978 als Tochter einer Deutschen und eines Iraners in München geboren. Für den BR moderiert sie seit 2014 die Sendung „Weltspiegel“, und bis 2020 leitete sie fünf Jahre lang das ARD-Studio in Teheran. Wegen ihrer kritischen Berichte beim iranischen Regime unbeliebt, hat sie dort jetzt Einreiseverbot. In ihrem Buch „Zwischen zwei Welten. Von Macht und Ohnmacht im Iran“ (AufbauVerlag, 22 Euro) beschreibt Natali Amiri die politische und soziale Situation in der Islamischen Republik.
CHAPEAU — Dein Vater ist in den sechziger Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen, du bist in einer deutsch-iranischen Familie groß geworden. Hattest du in deiner Kindheit mit Ressentiments zu kämpfen, die über das übliche Gezänk unter Kindern hinausgingen?
NATALIE AMIRI – Nein, nie. Nicht einmal Gezänk. Wir waren ja teilweise auch sehr „deutsch“. Getauft, im Kinderkirchenchor, ich war sogar Ministrantin. Ich hatte das Glück, sehr behütet in München aufzuwachsen. Mein Vater war bereits über 20 Jahre in Deutschland, als ich auf die Welt kam. Er war ein angesehener Geschäftsmann, auch er wurde nie angefeindet. Zumindest hat er mir das so erzählt, als ich ihn während meiner Recherchen für mein Buch fragte. Er hat auch nie mit uns Persisch gesprochen. Ich habe ohnehin das Gefühl, dass es vielen Iranerinnen und Iranern sehr wichtig ist, sich möglichst schnell in die Gesellschaft ihrer Gastgeber zu integrieren.
Was ist für dich „typisch deutsch“?
Ehrlich gesagt, bei „typisch deutsch“ denke ich eher an negative Dinge. Zum Beispiel, wenn ein Passant stehenbleibt und mir beim Einparken mit gefühlt gezücktem Stift zusieht. Also kontrolliert, ob ich auch nicht anstoße. Oder wenn man den Urlaub minutiös durchplant. Gerhard Polt hat da nicht übertrieben. Wenn man mich aber fragt, was ich mit Deutschland verbinde, dann fällt meine Antwort wesentlich positiver aus. Gerade weil ich so viel Erfahrung in Ländern machen musste, in denen Menschen unterdrückt werden, sich nicht frei äußern dürfen und ständig Angst haben müssen, eingesperrt zu werden. Deutschland ist für mich Sinnbild für Freiheit. Du kannst dich auf die Gesetze verlassen, auf die Gewaltenteilung, hast Rechte, Meinungsfreiheit und Sicherheit. Jeder, der auf Deutschland schimpft, soll für ein paar Wochen in einen Staat gehen, in dem es dies alles nicht gibt. Vielleicht lernt er es dann hier wieder zu schätzen.
„Deutschland ist für mich Sinnbild für Freiheit.“
Du bist studierte Diplom-Orientalisten, hast fünf Jahre lang das ARD-Auslandsstudio in Teheran geleitet. Was hast du dort über das Land deines Vaters gelernt?
Dass nichts so ist wie hier in Deutschland viele denken. Überhaupt ist es wichtig, vom Schwarz-Weiß-Denken wegzukommen. Die Wirklichkeit ist so viel komplexer. Gerade im Iran. Das enge religiöse politische Korsett hat die Menschen in eine Art Parallelgesellschaft gedrängt, aber ein großer Teil der Gesellschaft ist säkular eingestellt. Viele führen ein Leben wie wir hier im Westen, dürfen es aber nicht. Das macht einen auf Dauer krank, müde und depressiv. Das Regime wird nur noch von ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung unterstützt, das hat die Präsidentschaftswahl im Juni gezeigt. Die Wahlbeteiligung fiel historisch gering aus, die Menschen hatten zum Boykott der Wahl aufgerufen. Als 2015 das Atomabkommen JCPOA mit dem Iran abgeschlossen wurde, gab es ein kurzes Zeitfenster, in dem Iran von Touristen aus der ganzen Welt überschwemmt wurde. Ich konnte in unglaublich berührenden Momenten beobachten, wie entzückt Iranerinnen und Iraner auf Ausländer zugingen, sie zu sich nach Hause einluden. Und wie entzückt wiederum die Touristen von den Menschen im Iran waren und dann beseelt von der Reise das Land verließen.
Welche falschen Vorstellungen vom Iran und Vorurteile stören dich hierzulande am meisten?
Dass es ein hinterwäldlerisches Land sei. Mit Menschen, die auf Kamelen und Eseln reiten, und die Frauen von oben bis unten schwarz bedeckt wären; nicht emanzipiert, am Herd stehend. Ich bin selten auf eine Gesellschaft getroffen, die so viel Ahnung von Politik hatte und sich bewusst war, wie perfide globale Machtpolitik ist. Sicher auch deshalb, weil Iran oft zum Spielball der Weltmächte wurde. Auch in Bezug auf Frauen in der Islamischen Republik gibt es oft eine falsche Einschätzung. Ja, sie werden durch das islamische Recht, der Scharia, systematisch diskriminiert. Ihre Zeugenaussage ist vor Gericht nur halb so viel wert wie die eines Mannes. Sie haben kein Recht auf Scheidung, das Sorgerecht bekommt der Mann. Der Ehemann kann die Ausreise verweigern, die Ausweise sperren lassen. Diese Liste könnte ich leider noch sehr lange fortführen. Aber die Frauen im Iran sind auch mutig, widerspenstig, geben kontra, kämpfen. Auf einem Clip, den ich neulich auf Twitter gepostet habe, war zu sehen, wie Frauen Mullahs ihre Meinung sagten, die sie dumm angemacht hatten. Auf der Straße, in der Metro, im Park. Das Video wurde extrem gefeiert, und so manch einer hat seine Meinung über iranische Frauen revidiert.
Hast du die Hoffnung, dass sich die Beziehungen zwischen dem Iran und dem Westen nach dem Abgang von Trump wieder verbessern können?
Nein. Nicht wirklich. Die Regierung Biden möchte zwar zurück zum Atomabkommen, und seit Wochen laufen die Verhandlungen in Wien. Doch langfristig wollen die USA aus dieser Region raus, sie haben kein Interesse mehr am Nahen und Mittleren Osten. Und die Islamische Republik hat mit Ebrahim Raisi gerade einen erzkonservativen Präsidenten bekommen. Er steht für eine anti-amerikanische Politik. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er den Amerikanern nun hinterherrennen wird.
Hoffen die Menschen im Iran darauf, dass der mögliche Status einer Atommacht ihre Situation im Land verbessern kann?
Sie haben eher Angst, dass sie dieses Regime nie wieder loswerden, wenn die Mullahs – ich sage es jetzt mal so plakativ – die Bombe in der Hand haben. Zumindest ein großer Teil der Bevölkerung denkt so.
Wie beurteilst du die Lage der politischen Opposition im Iran?
Die gibt es nicht. Die letzte wirkliche Oppositionsbewegung war 2009 die Grüne Bewegung mit den Anführern Mir Hossein Musawi und Mehdi Karrubi. Die stehen bis heute unter Hausarrest. Und sie stammten auch aus dem System der Islamischen Republik. Ob sie wirklich eine Opposition zum Regime gewesen wären, bezweifle ich. Inzwischen gibt es im Iran eine Cyber-Armee. Sie hat 80.000 Mitglieder, das ist die offizielle Zahl. Die durchforsten jeden Tag das Internet. Wer sich irgendwo verabredet, kritische Inhalte postet, zu Protesten aufruft, wird identifiziert, abgeholt, inhaftiert. Wie soll unter diesen Bedingungen eine Opposition entstehen?
Wie nimmt man dort deutsche Politik wahr?
Historisch begründet ist Deutschland der Lieblingspartner des Iran. Vor allem vor der Islamischen Republik war Deutschland der wichtigste Handelspartner. Die Deutsche Botschaftsschule in Teheran war vor der Islamischen Revolution 1979 die größte deutsche Schule weltweit. Die Wirtschaftsbeziehungen blühten. Allein bei Siemens arbeiteten 20.000 Mitarbeiter. Heute ist „Made in Germany“ zwar immer noch das beliebteste Siegel, doch man ist enttäuscht von der schwachen Performance Europas – ergo Deutschlands – in Bezug auf das Atomabkommen. In den letzten Jahren wurde viel Vertrauen verspielt.
Wie schwierig war die Arbeit dort für dich als Journalistin?
„If I can make it there, I’ll make it anywhere“, dachte ich mir oft. Es ist verdammt anstrengend. Ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden, den Geheimdiensten, der Polizei. Man will uns westliche Journalisten nicht haben, und wenn wir dann vor Ort sind, versucht man uns ständig an der Berichterstattung zu hindern. Als Journalistin, die nicht die politische Linie der Islamischen Republik vertritt, bin ich in den Augen der Machthaber keine objektive Berichterstatterin, die es zu schützen gilt. Wir sind der Feind. Auf jeder Pressekonferenz, jeder Demonstration oder beim Dreh auf der Straße hat man uns das spüren lassen. Für das Regime sind Journalisten aus dem Westen Teil einer Verschwörung gegen die Islamische Republik. Für sie sind wir Spione, die Unruhen schüren und Demonstranten auf der Straße anstacheln, sich gegen das Regime aufzulehnen. Im Iran ist es wahrscheinlicher, dass du von Sicherheitskräften angegriffen wirst, als dass sie dich beschützen. Wir flohen bei Demonstrationen jedes Mal vor den Sicherheitskräften. Die Zivilbevölkerung schützte uns.
Mit welchem Gefühl hast du den Posten dort verlassen?
Mit Trauer. Ich habe noch eine sehr lange Liste von Geschichten auf meinem Handy, die ich aus diesem Land erzählen wollte. Aber ich bin ein positiver Mensch, eines Tages werde ich sie erzählen.
Und wie fühlt es sich an, wieder ganz hier zu sein?
Ich bin nie ganz hier. Ja, jetzt waren durch die Pandemie eine Zeit lang alle Grenzen zu. Für alle, nicht nur für mich. Doch diese Zeit fühlte sich teilweise auch wie ein Geschenk an. Hätte ich keine geschlossenen Grenzen vor mir gehabt, wäre ich wohl nie zu der Ruhe gekommen, die ich brauchte, um das Buch zu schreiben. Und nun öffnen sich die Grenzen wieder – und für mich damit wieder der Zugang zu Geschichten auf der Welt.
Was hat sich in Deutschland in den zurückliegenden fünf Jahren am stärksten verändert?
Die Diskussionskultur, leider. Ich bin teilweise wirklich schockiert und entsetzt, wie anstandslos, mit welchem Hass und wie unkultiviert kommuniziert wird. Rassismus, Antisemitismus, Anfeindungen gegen Flüchtlinge, all das hätte ich so in Deutschland nie erwartet. Dass eine AfD über 10 Prozent kommt, der Populismus zunimmt, Fake News und Hetze zum Alltag gehören, all das hätte Deutschland nicht nötig. Uns geht es hier nämlich, ich kann mich nur wiederholen, ziemlich gut.
In punkto Pressefreiheit nimmt auch Deutschland keinen Spitzenplatz mehr ein. Eine Entwicklung, die dich beunruhigt?
Ja sehr. Und für mich ist professioneller objektiver unabhängiger Journalismus heute wichtiger denn je. Er ist eine Säule der Demokratie und manchmal fühlt es sich so an, als würde unsere Demokratie etwas ins Wanken geraten – aber nur etwas.
Welche Themen in Deutschland bewegen dich aktuell am meisten?
Rassismus, der macht mir Angst. „Nie wieder“, das ist für mich keine Worthülse. Ich hoffe – und das ist das nächste Thema, das mich bewegt – dass die neue Bundesregierung eine mutige Politik umsetzen wird und sich nicht von Umfragewerten und Lobbyisten treiben lässt.
Wie beurteilst du die Arbeitsweise deiner ZDF-Kollegin Dunja Hayali, wenn sie sich offensiv in die Brennpunkte gesellschaftlicher Auseinandersetzungen begibt?
Ich kenne Dunja und schätze sie sehr. Sie beweist Mut sich in die Brennpunkte zu begeben. Es ist ihre individuelle Art, auf Probleme aufmerksam zu machen. Die einen mögen das, die anderen nicht.
War es für dich aufgrund deiner Familiengeschichte von vornherein klar, dass du Journalistin werden willst?
Als kleines Kind hatte ich diesen Impuls. Dann verflog er in meiner Teenagerzeit, und während des Studiums hatte ich ein schrecklich langweiliges Praktikum bei einem kleinen regionalen Sender in Franken. Damit hatte ich das Thema Journalismus eigentlich beerdigt. Doch nichts ist wie man es plant, und ich plane sowieso wenig im Leben. Also kam ich zurück. Peter Mezger, der damalige Iran-Korrespondent der ARD, warb mich von der Deutschen Botschaft in Teheran ab, und ich wurde Vollblutjournalistin. Aber sowas von! Ohne Rast und Ruhe – auch wenn ich die eigentlich ab und an benötige.
Du hast einen 18-jährigen Sohn. Hast du ihn als Teenager mit in den Iran genommen, oder ist er hiergeblieben?
Er ist im Januar 18 geworden. Und ich bin stolz. Er ist ein wunderbarer Mensch, der oft auf seine alleinerziehende Mutter verzichten musste, weil ich unterwegs war. Und ja, er hat sechs Jahre von 2005 bis 2011 mit mir im Iran gewohnt. Und auf diese Erfahrung möchte er keinen Tag verzichten. Das sagt er mir zumindest.
Welche Beziehung hat er zu dem Land und der Kultur seines Großvaters?
Er liebt das Land sehr. 2011 war er acht Jahre alt. 2015 nahm ich ihn noch einmal mit, und er fragte mich erbost unter Tränen, warum ich ihn 2011 nie gefragt hätte, ob er wieder zurück nach Deutschland gehen wollte.
Versteht und spricht er Farsi?
Ja, und darauf bin ich auch mächtig stolz. Er rappt sogar auf Farsi. Zusammen mit seinem besten Freund. Der ist Halbfranzose. Französisch-persischer Rapp. Klingt ziemlich cool.
Wird er auch einmal Journalist?
Never ever. Das findet er viel zu anstrengend. Ab und an sagt er auch zu mir: „Chill doch mal ein bisschen dein Leben.“ Naja, vielleicht mein nächstes Leben.
Über viele Jahrzehnte war Peter Scholl-Latour hierzulande das Maß aller Dinge, wenn es um Fragen zu Ländern im Nahen Osten ging. Wie hast du seine Berichte über den Iran beurteilt?
Peter Scholl-Latour war sicher einer der profundesten Kenner des Nahen Osten. Doch als ich ihn bewusst wahrnahm, war er schon sehr alt und steckte in seinen Analysen noch oft in Zeiten des Kalten Krieges. Aus heutiger Sicht waren die weit weniger komplex.
Gibt es ein Land auf der Welt, in dem du besonders gern noch einmal als Korrespondentin berichten würdest?
Ja, Israel. Die Menschen dort erinnern mich sehr an die Menschen im Iran. Sie sind sich in ihrer Mentalität unglaublich ähnlich. Oft leben sie nach dem Motto: Lebe, als wäre es dein letzter Tag. Sehr bereichernd. Ein bisschen könnten wir in Deutschland von ihnen abschauen, finde ich.