Genuss AUF DEM HOLZWEG!

AUF DEM HOLZWEG!

Interview mit Kai Neumann

Seine berufliche Laufbahn begann der gebürtige Oldenburger Kai Neumann als Kaufmann in der Modebranche, aber seine Leidenschaft blieb immer das Kochen. Schon Kais Großmutter war Küchenchefin, und was er sich als Kind von ihr abschaute, kam ihm zugute, als er 1996 in seiner Wahlheimat Berlin eigene Koch-Projekte verwirklichte. Zum Beispiel ein Küchenzimmer mit einer langen Tafel im dritten Stock einer alten Fabrik in Kreuzberg. Die Berliner waren begeistert und trafen sich in der Wohnzimmer-Atmosphäre gern zum gemeinsamen Abendessen. Kai Neumann ist Spezialist für außergewöhnliche, nachhaltige Konzepte und seit 2009 Küchenchef der Firma Foodpol Concept Catering. Im Interview mit CHAPEAU erklärt er unter anderem, warum Rohstoffe wie Heu oder Holz die Küche bereichern können.

INFO
Kai Neumann ist in Oldenburg geboren, arbeitete zunächst als gelernter Kaufmann im FASHIONbereich für verschiedene Designer, u.a. für Paul Smith. Parallel war er als Koch in verschiedenen Restaurants tätig. In Berlin realisierte er mehrere kulinarische Projekte, trat im Fernsehen auf und ist heute Küchenchef beim Concept Caterer Foodpol. Dort setzt man auf sorgfältige Auswahl möglichst nachhaltig produzierter Zutaten und bereitet die Gerichte ausschließlich aus frischen Ingredienzien zu. Die Catering-Angebote werden den jeweiligen Veranstaltungen angepasst – ob mit Service als Fly Food, Life Station oder Life Cooking.

CHAPEAU: Was bringt dich auf die Idee, so ungewöhnliche Zutaten in den Topf zu packen?

KAI NEUMANN:
So neu ist das gar nicht. Schon in schlechteren Zeiten mussten die Leute aus der Not heraus mit Zutaten kochen, die sie vor der eigenen Haustür oder im Wald gefunden haben. Da muss man erfinderisch sein. Weil es zum Beispiel keine Kapern gab, hat meine Oma ihre Königsberger Klopse mit eingelegten Gänseblümchen gewürzt. Es geht ums Ausprobieren. Ein Filet in die Pfanne hauen kann jeder, aber die Natur hat so viel zu bieten. Das macht mich neugierig und weckt den Erfindergeist in mir. Vor langer Zeit habe ich angefangen, mich für vergessene Gemüsesorten zu interessieren. Ich habe viel ausprobiert und im Lauf der Zeit ein ganzes Portfolio eigener Zutaten entwickelt. Zum Beispiel extrahiere ich Chlorophyl aus Petersilienblättern und nutze es als Bestandteil von Soßen, Suppen und so weiter. Dann spürt man auch, wie natürliches Grün schmeckt. Aus diesem Grund experimentiere ich mit den verschiedensten Komponenten, wie Heu oder eben Holz.

„Es ist sehr schade, wenn man sich auf Tofu, Seitan und vegane Schnitzel reduziert.“

 

CHAPEAU: Wieso ausgerechnet Holz?

KAI NEUMANN:
Die Initialzündung dazu habe ich schon als Kind erhalten. Da habe ich auf Süßholz herumgekaut oder Fichtensprossen gegessen. Wegen so einer Kindheitserinnerung kam bei mir während eines Dänemark-Urlaubs mal der dringende Wunsch nach einem Stockbrot auf, und meine Frau Viviane hat mir dafür den Teig gemacht. Ich bin eben Koch, kein Bäcker (schmunzelt). Im Wald habe ich dann einen Fichtenzweig geholt, das Stockbrot darum gewickelt und auf den Grill gelegt. Das Harz des Zweiges entfaltete in dem Brot einen intensiven ätherischen Fichtengeschmack. Das hat mich stark beeindruckt, und ich fing an, weiter zu experimentieren: Ich nutze die Nadeln von Rosmarinzweigen, warum nicht auch mal die von einer Tanne? Zimt ist eine Rinde – warum nicht mal etwas mit der Rinde einer Birke probieren?

CHAPEAU: Aber du kochst auch den Baumstamm?

KAI NEUMANN:
Viele Inspirationen erhielt ich durch einen guten Freund, der Teichbauer ist. Er legte Baumstämme aus Buchenholz in den Teich, weil das Holz süß ist und die Fische gern daran knabbern. Also habe ich auch mal Buche ins Wasser gelegt und dann ausgekocht. Bin in den Wald gegangen, habe mit Förstern gesprochen und herumprobiert: Holz frisch aufschneiden, daran riechen, darauf kauen, damit kochen. Wie schmeckt das? Nicht jedes Holz ist lecker, Eiben zum Beispiel sind sogar giftig. Aber durch solche Versuche mit Holzsorten, Rinden und Pflanzen habe ich viele Eindrücke und Ideen gewonnen. Bis sich daraus vollwertige Gerichte entwickeln ließen, war das ein langer Prozess. So kam ich nach und nach auf den Holzweg. Irgendwann kamen dann auch Anfragen vom Fernsehen, ob ich Lust hätte, exotische Gerichte mit Holz zuzubereiten. Jetzt bin ich hier, sorge für spannende Impulse und denke, dass da noch viel mehr geht. Mit entsprechender Erfahrung kann man einen ganzen Wald oder eine Wiese auf den Teller bringen.

CHAPEAU: Wie reagieren Gäste auf deine Kompositionen – erschrocken, überrascht?

KAI NEUMANN:
Nein, gar nicht. Es geht hier ja nicht um vermeintlich böse Innereien oder Dinge, die uns eklig erscheinen. Wenn ich allerdings Fleisch zubereite, bin ich ein großer Freund von „nose to tail“ – also von der vollständigen Verwertung eines geschlachteten Tieres. Von der Nase bis zum Schwanz. Ob Rind, Schwein oder bis hin zum Fisch – ich versuche jedes Detail zu verwenden. Vom Kabeljau habe ich die Schwimmblase geschmort. Vor Jahren habe ich bei der Echo-Verleihung in Berlin Kabeljauzungen gemacht. Das kenne ich aus Island. Die Zungen sind groß, zart und köstlich. Und die Leute waren begeistert.

„Die Wertschätzung für das Handwerk muss wieder her. Und das hat seinen Preis.“

 

CHAPEAU: Flexitarier, Frutarier, Vegetarier, Veganer – alles Modeerscheinungen oder ergeben diese ganzen Ernährungsarten tatsächlich Sinn?

KAI NEUMANN:
Zumindest ist es verständlich, wenn sich die Menschen vom massenhaften Fleischkonsum abwenden. Als normaler Verbraucher weiß man oft nicht, wo die Produkte im Supermarkt herkommen. Man muss sich auf Siegel und Verpackung verlassen. Wenn dann wegen mangelnder Qualität und Nachhaltigkeit das Vertrauen verloren geht und der Konsument daraus die Konsequenz zieht, nur noch vegetarisch zu leben, kann ich das voll und ganz nachvollziehen. Dennoch ist es sehr schade, wenn man sich auf Tofu, Seitan und vegane Schnitzel reduziert. Es gibt so viele gute Gemüse und Naturprodukte. Jetzt scheinen diese ganzen Erscheinungen wie Frutarier, Flexitarier oder Paleo-Diät im Trend zu liegen. Das ist nicht zuletzt aus dem Misstrauen der Menschen gegen die Lebensmittelindustrie entstanden, und so hat sich dieses Thema sehr hochgeschaukelt. Man kann es aber auch einfach halten wie unsere Eltern mit ihrem Sonntagsbraten: fünf Tage lang vegetarisch essen, und zum Wochenende holt man sich vom Bauer seines Vertrauens ein schönes Stück Fleisch. Gemüse, Fleisch, Salat – was dein Herz begehrt. Dann aber ohne Kompromisse. Nur das Beste ist gut genug.

CHAPEAU: Fastfood-Burger in der linken Hand, rechts das Handy. Ein zunehmend typisches Bild im Alltag. Sollten wir uns Sorgen machen?

KAI NEUMANN:
Der Wandel ist schon sehr erschreckend, aber wir können daran kaum etwas ändern. Nur das Beste vermitteln und hoffen, dass es angenommen wird. Ich selbst kann mich allerdings aus dieser Entwicklung auch nicht ganz ausschließen und versuche schon so wenig wie möglich, ans Handy zu gehen. Leider geht es auch beim Essen immer mehr um das Thema Schnelllebigkeit und weniger um bewusste Ernährung. Wir alle müssen an unser Inneres appellieren und mehr Zeit in bewusstes Leben investieren.

CHAPEAU: Immer mehr Leute setzen auf heimische Erzeugnisse, auf Regionalität und Hofläden. Sind diese Produkte tatsächlich besser und ihren höheren Preis wert?

KAI NEUMANN:
Sie sind es absolut wert! Wir müssen unseren Bauern, Wochenmärkten und Hofläden vertrauen. Nicht jeder ist Bio-zertifiziert, aber das ist auch ein Aufwand, der sehr viel Geld kostet. Junge Betriebe und auch viele andere können sich das einfach nicht leisten. Ich kenne viele, die vom Bio-Siegel abrücken und sagen: Kommt vorbei, wenn ihr wissen wollt, wie wir arbeiten. Schaut es euch an. Wenn man die Möglichkeit hat, sollte man diese Menschen unterstützen und sich so oft es geht etwas Gutes gönnen. Ich liebe Hofläden und Wochenmärkte.

„Ich arbeite jeden Tag an neuen spannenden Impulsen.“

 

CHAPEAU: Ihr betreibt eine Homepage namens Foodpol Concept Catering. Was macht ihr?

KAI NEUMANN:
Der Name ist Programm. „Food“, also Essen, ist der „Pol“, um den sich bei uns alles dreht. Egal ob einfaches Catering, ob 12 Gänge offen zubereiten oder komplexe Menüs für eine unbestimmte Anzahl von Gästen – wie etwa bei der Echo Verleihung oder der Berlinale. Wir setzen uns mit den vorgegebenen Themen konzeptionell auseinander, vertiefen uns rein. Aber ganz wichtig: In der Qualität machen wir keine Kompromisse. Wir nutzen ausschließlich die besten Lebensmittel – regional und saisonal.

CHAPEAU: Leidenschaft, Qualität und Herzblut in der Gastronomie. Rechnet sich das noch, oder prägt Systemgastronomie die Zukunft – wie Peter Pane, Vapiano, Block House….

KAI NEUMANN:
Ich hoffe nicht. Gut und fair zu kochen heißt für jeden Küchenchef, seiner Linie treu zu bleiben. Wenn du Kompromisse machst, merkt das der Gast. Auf hohem Niveau zu kochen, ist ein schmaler Grat. Das kann sich rechnen, aber auch scheitern. Wir kämpfen weiterhin für den guten Geschmack. Dafür brauchen wir die guten Produzenten, die Läden, die Hofläden, die schönen Wochenmärkte. Aber natürlich auch die Menschen, die das schätzen und wissen, dass Qualität und Sorgfalt aufwändig sind und auch einen höheren Preis haben.

CHAPEAU: Wie kann man Menschen zu mehr Wertschätzung bewegen?

KAI NEUMANN:
Schwierige Frage. Wir haben selbst einen kleinen Laden mit Mittagstisch in Berlin, das „Wirtshaus zum Oberstübchen“. Da gab es auch schon mal jemanden, der meckerte darüber, dass das Essen 12 Euro kostet, während nebenan in der Kantine nur fünf Euro verlangt werden. Aber ich verwende ja auch das Label-Rouge-Hühnchen, während die benachbarte Firmenkantine das Industriehuhn auftischt. So etwas macht mich richtig böse. Die Leute wissen gar nicht, wie dieses Hühnerfleisch produziert wird. Also habe ich eine Minizeitung gebaut und bilde darin die Legebatterien und die grauenhafte Massentierhaltung ab. Daneben ist zu sehen, welche Erzeugnisse ich einkaufe. Geflügel ist ein so tolles Produkt, aber leider wird es minderwertig behandelt. Sogar manches Biohuhn ist ein armes Tier. Ich habe meine Mini-Zeitung ausgelegt, um Verständnis für meine Haltung zu wecken. Das war natürlich sehr radikal, aber ich schließe keine Kompromisse und will überzeugen, selbst wenn ich mich im Ton mittlerweile schon etwas zurücknehme.

„Wir alle müssen mehr Zeit in bewusstes Leben investieren.“

 

CHAPEAU: Was war das bislang schlimmste Erlebnis für dich als Koch?

KAI NEUMANN:
Wie viele möchtest du hören (lacht)? Ich war in Reykjavik in einer Traditionsgastronomie namens „Seabaron“. Ein Imbiss, der für seine Hummersuppe bekannt ist. Die Hummer sind dort nicht so groß, wie wir sie kennen, sondern kleine Krebse. Sehr beliebt sind dort auch die „Fish on sticks“, und sie machen die geilsten Jakobsmuscheln, Kabeljau oder Dorsch, die man sich vorstellen kann. Aber leider steht auch Wal auf der Karte. Zwergwal wird in Island vor allem von Touristen noch häufig gegessen, vorrangig von Besuchern aus Asien.
An dem besagten Tag traf ich im „Seabaron“ auf zwei Asiatinnen, die sich eine Portion „Mink whale on stick“ geteilt haben, also Zwergwal-Schaschlik. Sie kauten darauf herum wie in einer Dschungelprüfung. Ohne darüber nachzudenken, was das für ein Tier gewesen und wie unnötig es gestorben ist. Das war eines meiner schlimmsten Erlebnisse: Wenn Walfleisch nur für eine billige Mutprobe herhalten muss. Komplett überflüssig. Um satt zu werden, braucht man nun wirklich keinen Wal töten.

CHAPEAU: Wie würde ein perfektes Dinner bei dir Zuhause aussehen?

KAI NEUMANN:
Ich mache mir oft das Leben selbst schwer (lacht). Ich bin wohl leicht masochistisch veranlagt, denn ich mag auch diesen Stress bis zur Schmerzgrenze. Gern bereite ich aber in meinem Lieblingsbräter von Staub ein richtig gutes Perlhuhn zu. Schön geviertelt, mit Gemüse, mit Kartoffeln. Mit Liebe geschnitten und zurechtgemacht. Und dann einfach in den Ofen. Es muss von alleine schmoren. Dazu eine gute Flasche Wein. Simpel und bodenständig. Was will das Herz mehr?

CHAPEAU: Glaubst du, dass die Sterneküche irgendwann ausstirbt?

KAI NEUMANN:
Das hoffe natürlich nicht. Sterneküche ist immer eine kleine Zeitreise, ein kulinarisches Theaterstück. Es geht hier ja nicht primär darum, den Hunger zu stillen, sondern um etwas Besonderes zu erleben. Ob das nun immer so weit gehen muss wie in manchem Michelin-geadelten Lokal, sei mal dahingestellt. Auch der Michelin selbst hat nicht gerade zu einer konstruktiven Entwicklung beigetragen und einige Fehler begangen. Ob man nun eine Imbissbude in Asien für die beste Phở küren muss, ist in meinen Augen nicht nötig. Auch 12 Gänge fermentiertes rechtwinklig geschnittenes Gemüse müssen nicht prämiert werden. Aber das Handwerk hat seine Berechtigung. Die Wertschätzung dafür muss wieder her. Und das hat seinen Preis.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.

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Kategorie: Genuss
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