Reisen Auf den Kilimandscharo. Wieso nicht?
Auf den Kilimandscharo. Wieso nicht?
Im Februar 2020 begab sich der Oldenburger Weltreisende Udo Paries auf ungewohnte Pfade. Ansonsten gern im Allrader auf den Pisten unterwegs, wagte er diesmal den Aufstieg auf Afrikas höchsten Berg, den Kilimandscharo. Eine Grenzerfahrung der besonderen Art, die er in seinem Reisebericht schildert.
Text & Fotos: Udo Paries
Abenteuer Kilimandscharo – Das fast 6.000 Meter hohe Kilimandscharo-Massiv ist unverkennbar vulkanischen Ursprungs und liegt im Nordosten Tansanias, 350 km südlich des Äquators. Während der deutschen Kolonialbesatzung von 1885 bis 1918 wurde der höchste Berg Afrikas zugleich auch als das höchste Gebirge im Deutschen Reich angepriesen. Heute zählt der Kilimandscharo zum UNESCO-Weltkulturerbe. Von der einst berühmten und üppigen Schneekuppe des Gipfels jedoch ist infolge der globalen Erwärmung nur ein kleiner Rest geblieben. Für eine Gipfelbesteigung stehen mindestens 11 geführte Routen unterschiedlicher Längen und Schwierigkeitsgrade zur Auswahl.
Eigentlich bin ich kein klassischer Wander- oder Bergsteiger-Typ. Mich zieht es eher ans Meer als in die Berge, und in erster Linie interessieren mich Land und Leute – gerne etwas exotisch. Wenn dann auch noch ein Meer in der Nähe ist, steht alles zum Besten. Wie passt dazu ein Trip auf den Kilimandscharo? Es war schlicht eine spontane Entscheidung. An einem Abend vor zwei Jahren lag ich in meinem Hotelzimmer in Palm Cove an der australischen Ostküste und überlegte, was ein schönes Reiseziel für 2020 sein könnte. Ich dachte zunächst an eine 4×4-Tour durch Namibia. Westafrika hatte mich schon immer interessiert. Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da bekam ich eine Nachricht von meinem Freund Paul. Den hatte ich auf der Dane Trophy Transhimalaya auf dem Weg durch das abgelegene Spiti-Valley zum berüchtigten Manali-Leh-Highway kennengelernt. Jetzt fragte er mich, ob ich Lust hätte, mit ihm auf den Kilimandscharo zu steigen. Ich habe sofort zugesagt, ohne lange zu überlegen und ohne mich vorher mit dem Berg beschäftigt zu haben.
Mit 5.895 Metern Höhe ist der Kilimandscharo der höchste Berg Afrikas. Er gehört damit zu den „Seven Summits“ – eine Sammelbezeichnung für den jeweils höchsten Berg der sieben Kontinente. Erst im 19. Jahrhundert übermittelte der Missionar und Geograph Johannes Rebmann die Nachricht nach Europa, dass in Afrika auch Schnee liegen kann. Allerdings waren die Schneemassen des Kilimandscharo damals weitaus beeindruckender als heute. Infolge der globalen Erderwärmung sind in den letzten 100 Jahren gut 85 Prozent der Eisdecke rund um den Gipfel weggeschmolzen. Der Berg und das umgebende Massiv sind etwa drei Millionen Jahre alt und vulkanischen Ursprungs. Für unsere Besteigung haben wir uns für die recht neue Lemosho-Route entschieden. Sie ist nicht so überlaufen, dauert acht Tage und gehört damit zu den längsten Touren. Über den Northern Circuit wandert man durch verschiedene Klimazonen quasi einmal um den Kilimandscharo herum. Bis in eine Höhe von knapp 3.000 Metern durchwandert man Regenwald, anschließend geht es bis auf 4.000 Meter durch eine Moor- und Heidelandschaft, gefolgt von einer alpinen Wüste bis ca. 5000 Meter. Die restlich knapp 900 Meter zählen zum Gipfel.
Das bin ich mit dem deutsch sprechenden Guide Richard, ein Masai, noch beim Aufstieg.
Das Abenteuer Afrika beginnt jedoch schon bei der Anreise. Ab Frankfurt geht es über Istanbul und Sansibar zum kleinen „Kilimanjaro Airport“ nahe der Ortschaft Moshi. Unserer Ankunft bei Nacht folgen die behördlichen Einreiseformalitäten, in die mindestens vier tansanische Beamte involviert sind. Bis wir das überstanden haben, lernen wir unsere Mitstreiter für die Bergtour kennen. Unser Problem: Das Gepäck von sämtlichen zehn Teilnehmern ist nicht angekommen – für eine solche Expedition der Worst Case. Nach ein paar Stunden „Lost and Found“-Nachforschung dann die Nachricht: Unser Gepäck soll am Folgetag eintreffen. Jetzt erst einmal ab ins Hotel. Unsere Guides Richard, der sehr gut Deutsch spricht, und Pius, der den Kilimandscharo wie seine Westentasche kennt, geben uns das Briefing für die Tour, erklären die Route, zeigen uns die Lage der Camps. Beide sind geradezu unheimlich gut gelaunt. Unsere Skrupel wischt Richard immer wieder mit den Worten „Wieso nicht?“ beiseite. In Afrika geht eben einfach alles. Klagen über das fehlende Gepäck werden mit einem netten breiten Grinsen gekontert. Pius meint, unser Gepäck werde abends Abend ins Hotel gebracht. Richard sitzt daneben, sagt aber nur wenig später, wir würden morgen früh alle zum Airport fahren, das Gepäck holen, danach ginge es dann direkt zum „Kilimanjaro Gate“. Wir Teilnehmer schauen uns etwas ratlos an. Was denn jetzt – heute Abend oder morgen früh? Unsere Guides lachen und sagen morgen früh… na klar. Ein afrikanisch-chaotisches Briefing, aber immer nett und freundlich.
Dann werden doch noch sechs Gepäckstücke gebracht. Meines ist leider nicht dabei. Auch am nächsten Morgen ist das fehlende Gepäck noch nicht am Airport eingetroffen. Wir hören, es sei mit einer anderen Airline in Daressalam gelandet. Egal jetzt, wir müssen los. Von einer Agentur leihe ich mir eine total durchgelegene Iso-Matte und einen Schlafsack. Ich weiß nicht, wie viele Leute da schon drin geschlafen haben, und gereinigt wurde das Ding sicherlich noch nie. Zum Glück habe ich noch einige Sachen im Handgepäck. Damit überstehe ich zumindest die ersten zwei Tage, bevor wir in die richtig kalten Regionen kommen.
„In den Bäumen sehen wir immer wieder Colobus-Affen herumtanzen.“
Unsere Route beginnt am Londorossi Gate. Erstes Etappenziel sind die Lemosho Glades auf 2.100 Metern. Hier müssen wir uns registrieren, und hier erwartet uns auch unsere Begleitmannschaft, die Träger. Jeder der Porter übernimmt maximal 20 Kilo Last, was in der Höhe bis zu 4.800 Metern ein knochenharter Job ist. Zu unseren beiden Guides gesellen sich noch zwei Hilfsguides. Alle vier wie auch die Porter nötigen mir großen Respekt ab. Die Träger starten immer nach uns auf die Etappen, sind aber bereits vor uns in den Camps, um alles aufzubauen und vorzubereiten. Sie arbeiten immer mit einer guten Laune, oftmals begleitet mit Gesang, und sind immer für einen Spaß zu haben. Die Jungs sind wirklich hartgesotten, sehen oft wochenlang ihre Familien nicht. Sie schlafen auf dünnen Matten, dicht an dicht auf extrem engem Raum, in einem Zelt ohne Boden. Von den Lemosho Glades führt die nächste Etappe zum Big Tree Camp auf 2.780 Metern – immer noch im Bereich des Regenwaldes. Die Strecke ist schön und einfach zu wandern. Es ist zwar knackig warm, aber die Luftfeuchtigkeit glücklicherweise nicht so hoch. Im dichten Wald mit kleinen Bächen sehen wir immer wieder Colobus-Affen in den Bäumen herumturnen. Nach etwa vier Stunden erreichen wir kurz vor der Dämmerung das Big Tree Camp. Nach der üblichen Registrierung gibt es erstmal etwas zu trinken und zu essen, und wir nutzen die Gelegenheit, uns alle besser kennenzulernen. Die anderen Teilnehmer entpuppen sich ohne Ausnahme als Wander- oder Bergfreaks. Einige waren bereits mehrfach auf dem Kilimandscharo oder auf dem Aconcagua in Argentinien – immer mit dem Ziel, den höchsten Punkt zu erreichen. Auch die Ausrüstung unserer Reisegefährten unterscheidet sich deutlich von Pauls und meiner. Alle sind top ausgestattet. Ich dagegen werde erst am Gipfeltag feststellen, dass meine Wanderschuhe und auch meine Jacke nicht unbedingt optimal für die extremen Bedingungen dort oben sind.
Die erste Nacht im Camp ist schon etwas speziell, zumal ich auf der miesen Leih-Matte und in dem alten Schlafsack liege. Die Nacht ist verdammt kalt, und draußen sind verschiedene undefinierbare Geräusche zu hören. Morgens geht es immer zeitig los. Eine Wettervorhersage gibt es nur bedingt, da die meiste Zeit kein Mobilfunknetz verfügbar ist. Unglaublich, was unser Koch unter diesen Umständen jeden Tag an Essen zaubert. Viel zu trinken, ist besonders wichtig. Je höher man kommt, desto mehr Flüssigkeit muss man zu sich nehmen. Wir trinken während der gesamten Tour abgekochtes Flusswasser, andere Möglichkeiten gibt es nicht.
Einige unserer Träger (Porter) die neben den Zelten und Lebensmitteln alles tragen – extrem hart.
Das nächste Camp Shira 1 liegt auf ca. 3500 Metern – immerhin schon gut 500 Meter höher als die Zugspitze, der höchste Berg der deutschen Alpen. Die Luft wird jetzt langsam dünn. Auf der Strecke wandelt sich die Landschaft vom Bergwald zum Hochmoor mit Heidekraut. Wir genießen einen wunderschönen Blick auf den Mount Meru, der ebenfalls bestiegen werden kann.
Angenehm fällt mir die Sauberkeit auf den Routen wie auch in den Camps auf. Die Guides werden dazu angehalten, für Reinlichkeit zu sorgen, und nach dem Abbau der Zelte wird der gesamte Müll eingesammelt. Andere Gruppen treffen wir auf der Lemosho Route kaum. Lediglich die Porter eilen schwerbepackt an uns vorbei – schließlich müssen sie die Camps immer vor uns erreichen, die Zelte aufbauen und das Essen vorbereiten.
Das nächste Camp, Moir Hut, liegt bereits auf 4.140 Metern, und hier kommt endlich auch unser vermisstes Gepäck an. Ich bin überglücklich, endlich in meinem vernünftigen Schlafsack mit einem Temperaturbereich bis minus 18 Grad zu schlafen. Die Nächte werden von Tag zu Tag kälter, und im Zelt ist alles kalt, feucht und klamm. Auch meine eigene Iso-Matte ist deutlich komfortabler. Nach den Nächten im Leih-Schlafsack habe ich das dringende Bedürfnis nach einem Vollbad. Ich nutze die Chance, mich in einem kleinen Fluss einmal komplett zu waschen. Die Porter raten mir zwar davon ab, weil das Wasser verdammt kalt ist, aber danach fühle ich mich wieder frisch und sauber. Ansonsten gibt es zum Waschen für jeden von uns morgens und manchmal auch abends zwei Fingerbreit lauwarmes Wasser in einer kleinen Wanne. Unter diesen Umständen reicht das auch wirklich aus. Natürlich haben wir uns nach der Tour alle auf eine warme Dusche gefreut, aber dennoch ist es interessant zu sehen und auch zu spüren, dass man mit deutlich weniger auskommt als wir ansonsten täglich verwenden (bzw. verschwenden). Das lauwarme Wasser bekamen übrigens nur wir. Weder die Porter noch die Guides hatten diesen „Luxus“.
Blick auf den Kilimandscharo vom Camp Shira 1.
„Je höher wir kommen, desto schwerer fühlt sich mein Gepäck an.“
Am Shira-Krater und dem Lava Tower vorbei liegt das Moir Hut bereits im alpinen Wüstenbereich. Die Landschaft ist karg, besteht fast ausschließlich aus Geröll und Lavagestein, Bewuchs gibt es kaum noch. Heute waren wir schon etwa acht Stunden unterwegs. Dennoch entschließe ich mich, zwecks Akklimatisierung zusammen mit Pius und zwei anderen Teilnehmern noch einen Gang von etwa 200 Höhenmetern zu unternehmen. Während wir die wunderschöne Aussicht genießen, versuchen die Guides erfolglos, eine Funkzelle zu finden. Aber ohne Satellitentelefon – und das haben wir nicht dabei – geht hier gar nichts.
Die Guides kümmern sich auch um unseren Gesundheitszustand. Jeden Abend nach dem Essen misst Richard unseren Blutdruck und – besonders wichtig – den Sauerstoffgehalt im Blut. Die Prozedur begleitet er mit einem kleinen Kisuaheli-Sprachunterricht und typischen Sprüchen wie „der Chef hat keine Ahnung“, „Kill the Kili but don’t kill the Guide“, „easy peasy“ und „Coca Cola Regen“. Tja, und eben dieser „Coca-Cola-Regen“ begrüßt uns am nächsten Morgen, der diesig, nebelig und nass beginnt. Selbst in meinem Zelt hat sich eine große Pfütze gebildet. Keine Chance, etwas zu trocknen, alles muss klitschnass verpackt werden. Zum Glück vergeht der Regen so schnell, wie er gekommen ist, und die meiste Zeit zum Pofu Camp haben wir halbwegs klares Wetter. Die Etappe dient der Akklimatisierung und führt uns um den Krateraufbau des Kilimandscharo herum. Jeder von uns schleppt mit Getränken ein Gewicht von rund zehn Kilo im Rucksack, und je höher wir kommen, desto schwerer fühlt sich das Gepäck an. Durchschnittlich gehen wir jeden Tag sechs bis acht Stunden, das macht sich auch in dieser Höhe schon körperlich bemerkbar. Das Third Cave Camp in der zunehmend spärlichen und vegetationslosen Landschaft ist unsere letzte Nacht in einer „moderaten“ Höhe. Noch geht es allen Teilnehmern recht gut, auch die abendlichen gemessenen Werte liegen bei allen im grünen Bereich. Und die Vorfreude auf den Gipfeltag steigt.
Rückweg vom Gipfel, mit leider sehr kurzer Schönwetterphase.
Die letzte Etappe vor dem Gipfeltag zum Kibo Hut sorgt dann jedoch bei einigen für einen gesundheitlichen Einbruch. Die 700 weiteren Höhenmeter fordern ihren Tribut. Wir liegen hier auf 4.700 Metern, und die Luft ist wirklich verdammt dünn. Zum Vergleich: Der Mont Blanc ist 4.800 Meter hoch, und dort kann man schon überhaupt nicht mehr schlafen. Einige von uns leiden unter heftigen Kopfschmerzen, hauen sich die Ibus rein wie Lutschbonbons – leider ohne Wirkung. Starke Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen sind die häufigsten Symptome, und die ersten Teilnehmer wollten an diesem Punkt aufgeben. Erschwerend kommt hinzu, dass wir alle sehr wenig geschlafen haben. Vor dem Ziel, den Uhuru Peak auf 5.895 Meter zu erreichen, stehen wir jetzt schon wie gerädert.
Nach einem kleinen Snack verkriechen wir uns in die Zelte in der Hoffnung, etwas Schlaf zu bekommen und Kraft für den Aufstieg zu sammeln. Gegen 23 Uhr werden wir geweckt. Die paar Stunden Schlaf haben nicht wirklich viel gebracht, und sich im Dunkeln aus dem warmen Schlafsack zu quälen, ist auch nicht wirklich lustig – zumal alle Sachen mal wieder kalt und klamm sind. Naja, es nützt nichts. Sachen packen! Die Porter müssen ja das Zelt abbauen können. Bis wir alle fertig angekleidet sind und vorrangig flüssigen Proviant aufnehmen – Wasser mit Elektrolyten und Ingwer-Tee – ist es schon fast Mitternacht. Mit Stirnlampen auf dem Kopf ziehen wir durch die tiefdunkle Nacht Richtung Gipfelaufstieg. Ganz vorn unser Guide Pius mit einem der Assistenzguides, dann wir als Gruppe und als Schlusslicht Guide Richard mit dem anderen Hilfsguide. Die vier Guides sind vorgeschrieben, falls ein Teilnehmer abbrechen muss und dann wieder ins Camp geführt werden kann.
Den Aufstieg im Dunkeln finde ich nicht sehr anstrengend – wenn nur die Luft nicht so dünn wäre. Jedes Mal wenn ich an meiner Trinkblase gezogen habe, fehlt mir für einen Moment der Atem, und ich schnappe nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mindestens vier bis fünf Liter Flüssigkeit soll man zu sich nehmen, aber bei diesen Wetterbedingungen kommt hinzu, dass einigen die Trinkblase langsam einfriert.
Die Hälfte aller Bergsteiger zeigen ab 2.800 Metern Anzeichen einer leichten Höhenkrankheit. Bei 4.500 Metern spüren die meisten Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit, Übelkeit. Ab 5.000 Metern schrumpft der Sauerstoffgehalt auf die Hälfte zusammen. Spätestens jetzt sollten alle Symptome ernst genommen werden. Helfen kann hier nur der schnelle Abstieg. Jedes Jahr sterben am Kilimandscharo durchschnittlich 20 Menschen, teilweise durch Abstürze, aber auch infolge von Höhenkrankheit an einem Lungen- oder Hirnödem.
„Ich schnappe nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.“
Auf der sechs- bis siebenstündigen Tour auf den Gipfel sind über 1000 Höhenmeter zu überwinden. Hier kommt jeder an seine Grenzen, sagen die Guides. Das erste Ziel ist der Gillmans Point, gefolgt vom Stella Point und dem Finale des Uhuru Peak. Bei 5.000 Metern bekommen einige Teilnehmer größere Probleme beim Aufstieg, und die Gruppe teilt sich auf. Kurz vorm Gillmans Point müssen sich erste Reisegefährten übergeben, bei einigen werden die Bewegungen immer unkoordinierter, kaum einer spricht ein Wort. Spätestens hier macht sich meine gute Vorbereitung der Akklimatisierung bezahlt, die ich schon zuhause begonnen habe. Außer dem Problem mit der dünnen Luft verspüre ich keinerlei Symptome, nicht einmal Kopfschmerzen oder Schwindel.
Als wir die ersten Punkte am Gipfel erreichen, ist die Gruppe bereits total zerstreut. Ich laufe direkt vorn hinter unserem Guide „Mike the Lion“. Hinter mir mein mittlerweile stark angeschlagener Freund Paul zusammen mit Fritz, einem Österreicher, der bereits mehrfach auf dem Kili-Gipfel war. Die meiste Angst bereitet mir ein vereistes Schneefeld. Unser Weg ist vielleicht einen Meter breit, nichts ist gesichert, rechts geht es abwärts in einen Krater, und ich rutsche mit meinen Schuhen hin und her. Sollte man hier ausgleiten, war es das dann wohl. Kein schöner Gedanke. Für die extremen Wetterbedingungen hier oben bin ich nicht gut ausgestattet, angefangen von meinem Schuhwerk bis hin zur Bekleidung. Ich habe richtig Angst, in den Krater zu rutschen, und wie ich hinterher hören werde, soll das auch hin und wieder passiert sein. Helfen kann dir da keiner. Wind und Eisregen sind verdammt kalt, und innerhalb kürzester Zeit ist meine nasse Jacke an den Ärmeln und der Seite steifgefroren. Die Kleidung überzieht sich mit einer gefrorenen Schnee-Eisschicht, und auch die Sicht ist miserabel. Für die 200 Höhenmeter vom Stella Point zum Uhuru Peak brauchen wir etwa 40 Minuten. Voller Euphorie gehe ich immer schneller zum Ziel und mache dort am Schild meine Fotos. In diesem Moment überwältigt mich ein extremes Glücksgefühl, treibt mir regelrecht Freudentränen in die Augen. Es ist ein überwältigendes Erlebnis, dort oben zu stehen. Erst danach registriere ich wirklich, wie schlecht es einigen aus der Gruppe geht. Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, teilweise Benommenheit. Einige sind unkontrolliert umgefallen. Auch mein Freund ist teilweise richtig weggetreten. Untergehakt stütze ich seinen Abstieg in Richtung Stella Point noch für etwa 100 Höhenmeter. Sobald wir aber aus dem windigen kalten Bereich kommen, geht es allen recht schnell wieder besser, die Symptome verschwinden so plötzlich, wie sie zuvor aufgetaucht waren.
The Roof of Africa (Uhuru Peak), Kilimandscharo Gipfel auf 5.895m.
Dennoch gehört der Abstieg zu den körperlich anstrengendsten Teilen der gesamten Tour. Die Geröllfelder geben ständig nach, und man rutscht mehr, als dass man festen Boden unter den Füssen hat. Unterwegs treffen wir noch einige Reisende, die von ihren Guides mehr oder weniger herunter geschleppt werden. Auch wir sind froh, nach dieser Tortur im Barafu-Camp eine längere Pause einlegen zu können.
Das Millennium Camp ist unser letztes Lager auf dieser Reise, und mit 3.800 Metern liegt es noch immer deutlich über den Wolken. Am Abend feiern wir die Abschiedszeremonie von unseren Trägern. Die Jungs tanzen, singen Lieder wie das berühmte „Hakuna Matata“. Danach rufen wir jeden einzeln namentlich auf und geben ihm in einem Umschlag sein Trinkgeld. Ich habe vorab schon angekündigt, dass ich einige meiner Kleidungsstücke verschenken will. Daraufhin haben alle Teilnehmer diverse Sachen zusammengetragen, und wir verlosen unsere Ausrüstungsgegenstände. Unglaublich, wie sich die Jungs über Kleinigkeiten wie eine Pudelmütze freuen. Ein besonderer, sehr emotionaler Abschiedsabend am Berg – mit einer tollen Stimmung, die mit der grandiosen Aussicht auf den Kili und dem wunderschönen Licht über den Wolken gekrönt wird.
„Innerhalb kürzester Zeit ist meine nasse Jacke steifgefroren.“
Da unser Deutsch sprechender Guide Richie (Richard) gern neue deutsche Wörter lernt, bringe ich ihm noch den Satz „Und ab geht die wilde Fahrt“ bei. Wer also mal nach Tansania reist und einen smarten Massai mit dem Namen Richard kennenlernt, der dann „Und ab geht die wilde Fahrt“ sagt, möge ihm schöne Grüße von mir bestellen. Er ist wirklich ein besonderer Mensch.
Auf meinen Reisen habe ich immer ein paar Stofftiere dabei. Auf der Rückfahrt verteile ich die diesmal in der Stadt Moshi an einige Kids am Straßenrand. Kaum bin ich aus unserem kleinen Bus ausgestiegen und habe die ersten zwei, drei Kuscheltiere verteilt, kommen immer mehr Kinder angelaufen. Teilweise stecken sie in Schuluniformen, aber alle warten in freudiger Erwartung und in höflichem Abstand, bis jeder so ein Stofftier in die Hand gedrückt bekommen hat. Es ist der schöne Abschluss einer ganz besonderen Reise „on the roof of Africa“. Die Kilimandscharo-Tour ist kein Spaziergang, aber ein machbarer Berg auch für Laien wie mich. Aber man sollte sich gut vorbereiten, und am wichtigsten ist die Akklimatisierung.
Leider hatte ich nicht das Glück, einen tollen Sonnenaufgang auf dem Kili zu erleben. Stattdessen hatte ich da oben mit extremen Wetterbedingungen zu kämpfen und bin in heftige Situationen geraten. Aber ich bereue die Tour nicht. Es ist etwas Besonderes daran, einen solchen Berg zu besteigen. Das hatte ich vorher nicht unbedingt glauben wollen, aber dort oben habe ich es gespürt.