Stil Auf Holz gebaut
Auf Holz gebaut
Auf Holz gebaut
Text: Michael Eckert / Fotos: Garbe Immobilien-Projekte
Als klimaverträgliches und kostengünstiges Baumaterial erlebte Holz in den letzten Jahren einen weltweiten Aufschwung. Auch in Deutschland entstehen immer mehr und immer höhere Holzbauten. In Hamburgs Hafencity errichtet man mit dem 65 Meter hohen „Roots“ derzeit das höchste Holzhochaus Deutschlands – ein Wohnturm von 19 Stockwerken. Aber jetzt gefährden Materialknappheit und Kostenexplosion den allgemeinen Holz-Boom. Was wird aus den Träumen eines nachhaltigen Bauens?
Nachhaltiger Rohstoff: Holz bietet ein natürliches und nachwachsendes Baumaterial, ist aber knapp. Die weltweite Nachfrage, der wachsende Befall durch Schädlinge wie dem Borkenkäfer sowie eine Marktdominanz durch einige große Sägewerksbetreiber beeinträchtigen das Angebot. Außerdem ist Holz nicht gleich Holz. Geeignete Vollhölzer mit tragender, stützender oder überspannender Funktion sind Fichte, Tanne, Lärche, Kiefer, Douglasie oder Eiche. Für den Innenausbau empfehlen sich Edelhölzer wie Kirsche, Walnuss oder Laubhölzer wie die Rotbuche.
Das Roots wird Deutschlands höchstes Holzgebäude sein.
Deutschland baut. Und zwar gewaltig. Allein im Januar dieses Jahres stieg die Zahl der Baugenehmigungen um 83 Prozent gegenüber dem Vormonat. Fast 30.000 Wohnungen wurden genehmigt. Und es werden mehr. Bundesbauministerin Klara Geywitz hat das Ziel ausgegeben, gegen den chronischen Wohnraummangel im Land jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen hinzustellen. Würde bedeuten: alle 80 Sekunden eine neue Wohnung, wie man in der Talkshow von Markus Lanz neulich errechnete.
Klingt gut, ist aber nicht problemlos zu bewerkstelligen. Neben dem Fachkräftemangel, den die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker in derselben Sendung mit fehlenden 40.000 qualifizierten Menschen bezifferte, stehen hohe Bau- und Materialkosten der Schaffung von preiswertem Wohnraum entgegen. Auch der verpflichtende Klimaschutz drückt auf die Bilanz. Laut Bundesstiftung Umwelt (DBU) fallen 40 Prozent des weltweiten Rohstoffverbrauchs in der Baubranche an. In Deutschland verursacht der Gebäudesektor etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen.
Einen Ausweg aus dem Dilemma verspricht sich die Politik vom Bauen mit Holz, dem vermutlich ältesten Baumaterial der Menschheitsgeschichte. Jetzt wird mit Holz die Zukunft geplant. Ließ die Baugesetzgebung in Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts kaum mehr dreigeschossige Holzbauten zu, lässt sich nun eine rasante Entwicklung in der Errichtung höherer Holzhäuser beobachten. 2007 sorgte der siebenstöckige Neubau E3 in Berlin für Aufsehen, 2011 und 2012 entstanden mit dem H8 im bayrischen Bad Aibling und dem LifeCircle Tower in österreichischen Dornbirn zwei achtgeschossige Holzhäuser. Zuvor waren bereits in London, Melbourne und Mailand sogar neun- und zehngeschossige Holzbauten errichtet worden. 2015 wurde ein Neubau in Bergen, Norwegen, mit 14 Etagen präsentiert, und das bislang höchste Holzhaus der Welt steht ebenfalls in Norwegen in Brumunddal. 2019 fertig gestellt, bringt es der Mjøsa Tower auf 18 Stockwerke und 85 Meter. Aber: Es soll noch höher hinausgehen. In Tokio befindet sich mit dem Plyscraper W350 ein spektakuläres Holz-Hybrid-Hochhaus in Planung, das nach seiner Fertigstellung im Jahr 2041 sogar 70 Etagen auf 350 Meter zählen soll.
Deutschlands bis heute höchstes Holzhochhaus ist 12 Stockwerke hoch und wurde 2019 im Rahmen der Bundesgartenschau in Heilbronn erbaut. Jetzt jedoch meldet sich Hamburg zu Wort. Im September letzten Jahres feierte man in der Hansestadt unter Anwesenheit des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher und Vertretern der Deutschen Wildtier Stiftung die Grundsteinlegung für ein Gebäude, das in zwei Jahren das höchste Holzhochhaus Deutschlands sein wird. Der „Roots“ genannte 65 Meter hohe Wohnturm wird auf 19 Etagen Platz für 181 Wohnungen bieten – davon 128 Eigentums- und 53 öffentlich geförderte Wohnungen. Rund 80 Prozent der Wohnungen sollen bereits vergeben sein.
Das Bauwerk in der Hafencity soll einen Teil des Entreés zum neuen Elbbrückenquartier bilden und wird als bedeutender Meilenstein auf dem Weg zu einer klimaneutralen Nachverdichtung der Städte gepriesen. 5.500 Quadratmeter Nadelholz werden für die Konstruktion verbaut, hinzu kommt weiteres Material für Fassaden. Fenster und Beläge. Der Entwurf stammt vom Hamburger Architektenbüro Murphy and Partners, für das Projekt verantwortlich zeichnet die Firma Garbe Immobilen-Projekte GmbH. Deren Geschäftsführer Fabian von Köppen betont das große Interesse am Konzept des langlebigen und ressourcenschonenden Bauens, sowohl bei den Eigennützern wie auch auf der Kapitalgeberseite. „Nachhaltigkeit ist für uns kein Trend, sondern eine Haltung.“
Hohe Decken und eine offene Raumaufteilung unterstreichen den transparenten, hellen Look der Räume im Roots.
Die Liste von Vorteilen des Holzbaus gegenüber anderen Bauweisen ist tatsächlich lang. Der erneuerbare und nachwachsende Rohstoff hat eine deutlich besser Klimabilanz. Holz speichert CO2 langfristig und kann Schadstoffe absorbieren. Bauprodukte aus Holz lassen sich klimaneutral herstellen und sie können CO2-intensive Materialien ersetzen. Holz hat weniger Eigengewicht als Beton, Stahl oder Ziegel, dämmt Wärme aber zwanzig Mal besser als Beton. Schon ein Einfamilienhaus aus Massivholz benötigt lediglich ein Drittel der Energie, 60 bis 70 Tonnen Kohlendioxid lassen sich damit einsparen. Hinzu kommt, dass Holz Raumklima und -temperatur reguliert und ein großes Maß an Wohngesundheit bildet. Holz zieht kaum Staub an, was vor allem Allergikern zugutekommt. Es braucht keine aufwändige Pflege und kann auch unbehandelt verwendet werden. Dann allerdings vergraut das Material allmählich und bildet Patina infolge von Witterungseinflüssen und Sonneneinstrahlung. Der Langlebigkeit tut das keinen Abbruch, wie bis zu 500 Jahre alte Fachwerkhäuser belegen. Von Altbauten weiß man natürlich auch seit jeher, dass Holz arbeitet und sich witterungsbedingt verändert. In einer sorgfältigen Planung werden entsprechende Spielräume bei der Verlegung von Rohren und Leitungen berücksichtigt, und eine Holzfeuchtigkeit von etwa 12 Prozent muss beachtet, ein Eindringen von Feuchtigkeit nach innen vermieden werden. Brandschutzbestimmmungen sind selbstverständlich einzuhalten, auch wenn die Feuergefahr nicht so groß ist wie von manchen Leuten befürchtet. Holz brennt nur langsam, da es eine Verkohlungsschicht bildet, während Stahl bei großer Hitze schmilzt.
Im Vergleich mit Beton benötigt das Baumaterial Holz keine langen Trockenzeiten. Es eignet sich auch hervorragend zum modularen Bauen. Gebäudeteile können vorab gefertigt und wetterunabhängig montiert werden. Das spart Bauzeit und somit Kosten. Alte Häuser lassen sich umweltschonend entsorgen und recyceln. Sämtliche Bauteile können zurückgebaut, einzelne Teile wiederverwendet werden. Angesichts dieser Argumente ist es kein Wunder, dass sich Holzhäuser einer steigenden Nachfrage gegenübersehen. Bereits in den Jahren zwischen 2015 und 2020 stieg der Anteil genehmigter Wohngebäude in Holzbauweise von 16 auf 18,7 Prozent.
Dann jedoch folgte der Preisschock während der Corona-Pandemie und infolge einer steigenden Nachfrage im In- und Ausland. Im Mai 2021 verteuerte sich Vollholz im Vergleich zum Vormonat um ganze 83,3 Prozent. Zimmerleute bekamen kein Material mehr, und so manche Familie musste ihren Traum vom Eigenheim aufgeben. Die bestehenden Engpässe bestätigt auch Benedict Pielmeier, Projektleiter bei Garbe Immobilien-Projekte: „Bereits vor dem Beginn des Ukrainekriegs und dem Inkrafttreten der Russland-Sanktionen waren bei Bau- und Grundstoffen erhebliche Lieferengpässe und Preisschwankungen zu beobachten. Grundsätzlich haben lange Lieferzeiten und unverbindliche Zusagen der Lieferanten auf die komplette Baubranche Auswirkungen. Nach unserer Beobachtung sind neben Holz unter anderem auch Stahl, Aluminium, Kupfer, Erdöl- und Zementprodukte betroffen.“ Für den Roots-Bau in der Hamburger Hafen City befürchtet er jedoch keine weiteren Auswirkungen: „Es wurden keine Änderungen in der Objekt- oder Tragwerksplanung vorgenommen. Durch die gute Zusammenarbeit des gesamten Projektteams konnten terminliche Auswirkungen auf den Bauablauf bisher verhindert werden.“ Auch die Kosten seien im Griff: „Diesbezüglich haben wir uns lange vor der Grundsteinlegung vertraglich mit der Firma Rubner Holzbau gebunden.“ Na dann: Gut Holz!