Film & Co In der Blütezeit des Erzählens

In der Blütezeit des Erzählens

Interview mit August Wittgenstein

Nach einem etwas holprigen Start nimmt die TV-Karriere von August Wittgenstein nun auch in Deutschland Fahrt auf. Seine Auftritte im dreiteiligen Thriller „Das Geheimnis des Totenwaldes“ im Ersten und in den „Ku ́damm“-Serien des ZDF befördern die Bekanntheit des deutsch-schwedischen Schauspielers. Im Interview mit CHAPEAU spricht August Wittgenstein auch darüber, wie die adlige Familie zu seiner Schauspieler-Passion steht.

August Wittgenstein

Info – Der Schauspieler August Wittgenstein ist 1981 in Siegen geboren und heißt mit vollständigem Namen August-Frederik Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Sein Vater ist Ludwig Ferdinand Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, seine schwedische Mutter Yvonne ist eine geborene Gräfin Wachtmeister af Johannishus. August hat sowohl die deutsche wie auch die schwedische Staatsbürgerschaft. Ab dem 16. Lebensjahr besuchte er ein Internat in Schweden, machte das Abitur in Großbritannien. Nach Aufenthalten in Paris und in Australien und einem Geschichts- studium in Washington entschloss er sich zu einer Schauspielerausbildung in New York und Los Angeles. Sein Langfilm-Debüt feierte er 2011 in dem schwedischen Film „Avalon“. In diesen Tagen ist August Wittgenstein im ARD-Dreiteiler „Das Geheimnis des Totenwaldes“ zu sehen.

CHAPEAU ― Du hast in den USA Geschichte studiert, deine Schauspiel- ausbildung ebenfalls dort absolviert und dann auch in internationalen Filmen mit- gespielt. Kannst du trotzdem ein Plädoyer für den Produktionsstandort Deutschland abgeben?

August Wittgenstein Ja, selbstverständlich! Es gibt schließlich einen Grund, warum auch unzählige internationale Projekte hier produziert werden. Wir haben fähige Crews, großartige Studios und Locations und eine ordentliche staatliche Förderung. Ich hoffe, dass wir davon in Zukunft noch mehr sehen werden.

Du selbst spielst hierzulande bislang ausschließlich in Fernsehserien. Gibt es keine Angebote für einen deutschen Kinofilm?

Ein bisschen habe ich hier auch schon für das Kino gedreht – aber tatsächlich eher Serien. Ich bin darüber aber eigentlich ganz froh. Wenn man sich die deutschen Kinozahlen anschaut, ist das ernüchternd, und schließlich erleben wir gerade die Blütezeit des seriellen Erzählens.

Dein aktuelles Projekt ist der Event-Dreiteiler „Das Geheimnis des Totenwaldes“, den du für die ARD Degeto gedreht hast. Worum geht es da?

Das ist ein spannender Thriller mit einer großartigen Besetzung. Es geht um Justiz- versagen im Zusammenhang mit einer Serie von Morden und dem Verschwinden einer Unternehmersfrau. Das Ganze beruht auf wahren Begebenheiten und führt von den 80-ern bis in die 2010-er Jahre. Die Filme beleuchten die Geschichten der direkten und indirekten Opfer der Verbrechen und nehmen sich dafür viel Zeit – das ist sicherlich das Besondere daran.

„Jede Interpretation ist und bleibt eine persönliche künstlerische Entscheidung.“

Die Story basiert auf der Geschichte des ehemaligen Hamburger LKA-Leiters Wolfgang Sielaff, der die Produktion auch als Berater unterstützte. Wie groß ist trotz dieses realen persönlichen Dramas noch der Spielraum für die künstlerische Gestaltung?

Wenn etwas auf wahren Begebenheiten „basiert“, ist der Spielraum normalerweise groß. Aber wir waren uns darüber im Klaren, dass man den Opfern dieser Gewalttaten gerecht werden musste. Trotzdem: Jede Interpretation ist und bleibt eine persönliche künstlerische Entscheidung.

Der Kommissar Bethge wird von Matthias Brandt gespielt, was ist deine Rolle?

Ich spiele einen Kommissar in der Niedersächsischen Provinz, der es seinen Vorgesetzten recht machen will. Zwar ist er ein guter Polizist, aber auch ein Chauvinist und sehr temperamentvoll. Deswegen steht er sich bei den Ermittlungen oft selbst im Weg.

Hast du Herrn Sielaff während des Drehs auch persönlich getroffen?

Das habe ich, und es war ein sehr angenehmer Austausch. Er ist ein sehr beeindruckender ruhiger Mensch. Es ist ein Privileg meines Berufes, solchen Menschen begegnen zu dürfen.

August Wittgenstein

Wann werden die Filme ausgestrahlt?

An drei Abenden Anfang Dezember – und natürlich zuerst online in der ARD Mediathek.

Den Regisseur Sven Bohse kennst du ja bereits vom Dreh der Serien „Kudamm ’56“ und „ ’59“. Ihr scheint gut miteinander klar zu kommen…

Sven ist ein hervorragender Regisseur, und mittlerweile sind wir auch gut befreundet. Er ist visuell unheimlich stark, hat ein sehr gutes Auge und Fingerspitzengefühl bei der Führung der Schauspieler. Bei ihm ist man wirklich gut aufgehoben, und wir haben immer eine Menge Spaß zusammen – außer auf dem Tennisplatz. Da hört für uns der Spaß auf.

Kudamm ’63 ist auch schon geplant, auch schon abgedreht?

Kudamm63 wird gerade weitergedreht. Natürlich gab es auch hier eine Corona-Pause. 2021 soll das Ding im ZDF laufen.

Welches Ereignis würde dir einfallen, wenn du selbst ein Drehbuch zu einem realen Thema verfassen würdest?

Mich interessiert sehr, was mit der „MV Arctic Sea“ im Sommer 2009 passiert ist. Das Schiff wurde in der Ostsee von Maskierten geentert und ist dann verschwunden. Schließlich wurde es irgendwo bei den Kapverden von der russischen Marine aufgebracht und befreit. Über die Umstände des Verschwindens wurde viel spekuliert, und es gibt dazu ein paar sehr interessante Theorien. Allerdings fände ich es auch hochspannend, etwas über die Kopfgeldjäger in Südamerika zu schreiben, die dort nach dem Zweiten Weltkrieg geflohene Nazis gejagt haben.

Würdest du dich als politischen Menschen bezeichnen?

Interessiert ja. Allerdings halte ich es für unangebracht, mich zu politischen Themen zu äußern, nur weil ich als Schauspieler in der Öffentlichkeit stehe. Das überlasse ich lieber den Politikern, die sich damit tagtäglich befassen.

„Was die schwedische Regierung zu Beginn der Corona-Krise gemacht hat, ist ein moralischer Verrat an den Alten und Schwachen.“

Die Corona-Krise scheint ja einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Wie beurteilst du die gegenwärtige Protestkultur in Deutschland?

Das war bei der Flüchtlingskrise ähnlich. Mit großer Sorge sehe ich das Misstrauen der Menschen in die klassischen Medien. Wir müssen wieder Vertrauen schaffen und unseren Mitmenschen mit mehr Liebe begegnen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Vor allem glaube ich, dass Kommunikation miteinander und die Aufklärung von Menschen wichtig sind.

In den USA, wo du länger gelebt hast, ist die Polarisierung ja schon viel weiter getrieben worden. Dort scheint die Gesellschaft regelrecht auseinander zu fallen. Geht dir diese Entwicklung nahe, oder ist das Kapitel USA für dich abgeschlossen?

Das geht mir sehr nah, und ich verfolge die Entwicklung dort sehr genau. Leider wurde diese Polarisierung sowohl von republikanischer als auch von demokratischer Seite vorangetrieben. Ich hoffe, dass ein moderaterer Präsident wie Joe Biden die Wogen glätten kann und die Menschen wieder zueinander führt.

Hast du noch Kontakte nach drüben?

Ja, viele gute Freunde aus Uni-Zeiten.

Dein vollständiger Name lautet ja August-Frederick Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, und du kommst aus dem Adelsgeschlecht der Sayn-Wittgenstein. Auch deine schwedische Mutter entstammt aus einem Adelsgeschlecht. Wie haben deine Mitstudenten in den USA – dem „Land of the Free“ – damals auf deinen adeligen Namen reagiert?

Die konnten sich unter dem Namen gar nichts vorstellen, und deswegen war das Leben dort auch sehr angenehm. Ganz ohne Vorurteile und sehr anonym.

Wie haben deine Eltern reagiert, als du ihnen mitgeteilt hast, dass es dich zur Schauspielerei zieht?

Sehr positiv eigentlich. Erst als es schon lange schlecht lief, meinte mein Vater irgendwann, ob ich denn noch einen Plan B in der Hinterhand hätte. Gott sei Dank sprach schon ein halbes Jahr später keiner mehr von Nöten.

Verfolgen Vater und Mutter die Karriere ihres Sohnes?

Sie schauen immer gern zu, wenn etwas im Fernsehen läuft. Und ich glaube, sie sind hin und wieder auch ganz stolz, aber das bekomme ich nicht wirklich mit. Familienintern wird immerhin gemunkelt, meine Mutter habe ein Album mit Zeitungsartikeln über mich. Das glaube ich aber erst, wenn ich es sehe.

Wie lebst du heute in Berlin?

In einer Wohnung in Berlin-Mitte.

Gibt es Dinge aus deinem früheren Leben, die du hier vermisst?

Ich hätte halt gern endlich mal wieder einen Hund. Aber damit muss ich vermutlich warten, bis ich vielleicht mal wieder aufs Land ziehe.

Kommen wir noch mal kurz auf Corona zurück: Du hast neben der deutschen auch die schwedische Staatsbürgerschaft. Dort wurde der Umgang mit der Pandemie zunächst sehr viel großzügiger gehandhabt – was allerdings mit einer höheren Sterberate bezahlt werden musste. Welches Modell bevorzugst du persönlich, oder was können beide Länder voneinander lernen?

Was die schwedische Regierung gemacht hat, ist ein moralischer Verrat an den Alten und Schwachen. Man hat die höheren Todeszahlen dort billigend in Kauf genommen, und ich habe mich für das dortige Krisenmanagement zeitweise geschämt. Mit rechtzeitig erfolgten Maßnahmen hätte man wahrscheinlich ein Zehntel der Todeszahlen zu beklagen – so wie in Finnland und Norwegen. Aber wenn die Opfer sowieso keine Steuern mehr zahlen und dem Staat in den Altersheimen eh nur auf der Tasche liegen, warum soll man dann der Wirtschaft schaden um sie zu retten? Das ist eine ganz düstere Herangehensweise und hat fast stalinistische Züge.

Welches sind deine nächsten Projekte?

Ich drehe hoffentlich noch einen Mehrteiler für das ZDF und eine Serie in Italien im Frühjahr. Mehr kann ich aber noch nicht verraten. Und wir müssen ja weiterhin hoffen, dass uns Corona nicht nochmal einen weiteren Strich durch die Rechnung macht.

Kategorie: Film & Co
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