Kolumne Bei Tisch: Im Atelier.

Bei Tisch: Im Atelier.

Gourmet Klaus von Due, CHAPEAUs Gastro-Kritiker

Gehören Sie auch zu denen, die dann und wann denken, Klaus von Due haut bisweilen ganz gewaltig auf den Boiler? Und haben Sie festgestellt, wie bodenständig, ja karg, ich mich auf meiner letzten Reise nach München nährte? Gut. Mein Verleger auch. Aber heimlich – ja, heimlich! – war ich dann doch ich und im „Atelier“ essen, bevor es den dritten Michelin-Stern bekam und zum exquisiten Kreis der "Elf" gehörte (drei-Sterne-Restaurants gibt es bloß in Deutschland). Und nun, drei Sterne schwer, fragt mein Verleger mich: „Schon dagewesen?“ Und mein „Ja“ führte unmittelbar zu diesem kleinen Bericht.
Von Axel Vervoordt eingerichtet (wenn Ihnen das nichts sagt, denken Sie an das „Apicius“ in Bad Zwischenahn; dann haben Sie die Stilistik grob vor Augen), haben die Räume den genau richtigen Mix aus wertvoller, beeindruckender und lässiger Eleganz. Ein eher lichtes Grau und ein beiges Beige schmeicheln dem reiferen Teint – und lenken nicht vom Essen ab. Schon bei meinem ersten Besuch 2015 (ein Stern) konnte ich berichten (nicht in dieser Publikation): Spielt in einer eigenen Liga.
Die Begrüßung: vorhersehbar herzlich. Die Sessel am Tisch: unvorhersehbar bequem. Der Champagner: exzellent. Moritz-Christian Blaß (ein „echter“ Sommelier; in unseren Breiten selten) berät nach dem kurzen Blick in die Speisenkarte und schafft es, mich zu überraschen. Die Leistung liegt nicht darin, einen (nicht existenten) hohen Anspruch zu erfüllen, nicht darin, Harmonie zwischen Wein und Speise zu erzeugen (das schaffen auch die sogenannten Sommeliers in unseren Breiten), nein: Jeder Wein an sich eine Offenbarung! Und das sieben Gänge lang ... Doch dazu gleich mehr.
Jan Hartwig, den 35 Jahre alten Küchenchef, kenne ich bereits aus Klaus Erforts „Gästehaus“ in Saarbrücken, und ich traf ihn oft und gerne bei Sven Elverfeld im „Aqua“ in Wolfsburg. Beide Drei-Sterne-Köche – und offenbar die richtigen Meister für Jan Hartwig, bevor er im Jahr 2014 seinen Posten als Küchenchef im „Atelier“ antrat. Der erste Stern kam sofort, der zweite 2015 und nun der dritte. Das ist so unglaublich wie nachvollziehbar – sitzen Sie erst einmal und lassen das Feuerwerk aus Amuse-Gueule, Mouse-Bouche und bestellten Gängen auf sich niedergehen. Pilze und Nuss klinge nicht sonderlich spannend, sind es aber. Eine auf Holzkohle gegrillte Kalbszunge mit Sprottencrème und Sauerkraut ist alles Mögliche, bloß nicht bäuerlich oder auch nur bodenständig. Eine ebenso elegante wie außergewöhnliche Komposition, die in keiner Weise die von mir so geliebte Konsistenz der Zunge verdeckt. Die Mierval-Taube im zarten Salzkrokant macht den oftmals unerklärlichen Ruhm der Taube erklärbar, das schwarz-getrüffelte Kalbsbries macht süchtig, der leicht persisch anmutende Schweinebauch (ausgerechnet der!) noch lange nicht satt. Zu Rindertartar und Imperial Kaviar muss ich mich gar nicht äußern - Luxusküche pur.

Wie es mit dem Fisch aussieht? Die Jakobsmuschel „fried rice“ ist tatsächlich kross angebraten, wie gebratener Reis eben, behält aber doch ihre stramm-weiche Konsistenz bei. Der begleitende Cannellono aus Muskatkürbis, gefüllt mit Creme aus Kokos, Nuss und Koriander, dazu eine stark konzentrierte thailändische Tom-Yam-Brühe – eine so wundervolle Kombination, die noch dazu ihren Geschmack in sich steigernden Stufen entfaltet. Dann gab es den seltenen, wohl weil so stark unterschätzten Steinköhler – mit Nashi-Birne, Mönchsbart und Yuzu-Zitrone eine kräftig schmeckende Vision vom perfekten Fischgang.

Es ist eine Küche ohne aktionistischen Avantgardismus, die auf Anrichte-Akrobatik, auf Experimente jenseits des hochwertigen Tellers souverän verzichtet, nicht selbstgefällig ist und aus einem profunden Erfahrungsschatz schöpft, frei von Routine. Gut so: denn was die Patisserie zum Ende hin bietet, entzieht sich wenigstens meiner Beschreibung. Und muss und kann gegessen werden. Cassis semifroid in Blätterteig mit Haselnüssen und Vanilleessig werde ich nicht vergessen, Maccarones und Pralinés wieder und wieder erinnern. Christian Hümbs galt schon vor seiner Einbindung ins Atelier-Team als DER deutsche Patissier; wenn es je zu einem „Danach“ kommen sollte, wird‘s eng.

Und Herr Blaß? Was machte Herr Blaß indes? Ob es an mir lag (kann eigentlich nicht sein; da ich keine Wünsche äußerte) oder an seinem Talent (das muss es sein): Am Ende des Abends schaute ich auf eine gute Mischung aus Geheimtipps, Renommier-Etiketten und alter Schule. Und immer noch irritiert auf den Morgenmantel, den er trug – in Rot, seines Ranges wegen (der Rest der Crew trug Morgenröcke in Grau; auch befremdlich) ... Nichts gegen jungen Männer in Morgenmänteln, insbesondere nicht zum Frühstück. Aber abends? Zurück zum Wein: eine der ungewöhnlichsten Weinkarten, die ich kennenlernen durfte. Nicht ihres Umfanges, sondern ihrer Vielschichtigkeit wegen.
Ich war mit 380 € dabei (also 420 € mit dem sehr verdienten Trinkgeld). Mein Verleger ist es nun ... Sie sehen: Ehrlich währt am längsten.
Kategorie: Kolumne
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