Reisen Brügge sehen… und erleben

Brügge sehen… und erleben

Sehen… und erleen

Brügge sehen… und erleben

Text: Michael Eckert

HEUREKA – Reisen heißt entdecken!
Mit der Rubrik HEUREKA! stellen wir in jeder Ausgabe ein einzigartiges Reise-Highlight vor, das eine Entdeckung lohnt. Abenteuer gesucht? Gefunden! 

Die bekanntesten Städte Belgiens? Sicher Brüssel als Hauptstadt, dazu die Hafenstadt Antwerpen, das Seebad Ostende und eventuell noch Maastricht als Namensgeber der Verträge über die Europäische Union. Brügge dagegen – im Mittelalter ein bedeutender Handelsplatz – ist vielen erst wieder seit dem Kinothriller „Brügge sehen… und sterben“ ein Begriff. Man muss den Film aber nicht gesehen haben, um die historische Stadt und ihre Kulturschätze lieben zu lernen. 

Perle des Mittelalters – Die Hauptstadt der belgischen Provinz Westflandern hat knapp 120.000 Einwohner und liegt etwa 30 Kilometer von der Nordseeküste entfernt. Die prächtigen mittelalterlichen Bauten im historischen Stadtkern zeugen vom Wohlstand der einstigen Handelsmetropole, die im Spätmittelalter auch zu den Zentren der europäischen Textilindustrie zählte. Brügge war ein wichtger Markt- und Warenumschlagsplatz. Ihre Lage machte die Stadt, die damals noch über einen Seearm mit der Nordsee verbunden war, zu einer Schnittstelle zwischen West (Frankreich, England) und Ost (Russland und die deutschen Hansestädte). Im 14. und 15. Jahrhundert war Brügge eine der wirtschaftlich und kulturell reichsten Städte Europas, bevor der Zugang zum Meer versandete und die Stadt unter spanische Herrschaft kam. Später übernahmen nacheinander das Kaiserhaus Habsburg, Frankreich und die Niederlande die Hoheit. Seit 2000 gehört die Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe. 

Der Blick auf Belfried (rechts) und Liebfrauenkirche (links). 
Foto: Visit Bruges / © Jan D’Hondt

Zwei Männer, zwei Meinungen: „Brügge ist ein Scheißkaff!“ „Brügge ist kein Scheißkaff!“ Die beiden unterschiedlich gestimmten Reisenden sind nicht etwa normale Touristen auf Städtetrip. Es sind die Profikiller Ray und Ken in dem britischen Kinofilm „Brügge sehen… und sterben“ aus dem Jahr 2008. Sie sind aus der Weltstadt London angereist, um eine Weile unterzutauchen – und wer würde sie schon ausgerechnet im belgischen Brügge suchen? Während sie sich noch über die Qualität ihres vorübergehenden Asyls streiten, gönnt uns der Film bereits ein paar Ausblicke auf die grandiosen Bauten der mittelalterlichen Stadt. Und spätestens wenn Ray (gespielt von Colin Farrell) und Ken (Brendan Gleeson) per Boot eine Stadtrundfahrt durch die Kanäle unternehmen, ist dem Zuschauer klar: Brügge ist alles andere als ein Scheißkaff, sondern ein historisches Juwel, das mehr als einen Besuch wert ist.
Es ist kein Zufall, dass die Stadt eine weitere Hauptrolle im Film einnimmt. Jede Gelegenheit wird genutzt, um neben der Spielhandlung die örtlichen Schönheiten mit den intakten Häuserfassaden, Plätzen und Gassen vorzuführen. So ist „Brügge sehen… und sterben“ der wohl spannendste Werbeträger für eine historische Stadt seit „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ dem mystischen Venedig huldigte. Aber weder in diesem noch in jenem Fall kann der Film einen persönlichen Besuch ersetzen. Der Thriller bietet zwar wunderbare Ansichten der Stadt, aber natürlich keine Hintergründe. Das holen wir hier gern nach: 

Visit Bruges / © Jan Darthet

Die Ursprünge der Stadt gehen auf eine römisch-gallische Siedlung aus dem zweiten Jahrhundert zurück. Im Jahre 1128 wurde das Stadtrecht erteilt, und im späten 14. Jahrhundert wurde Brügge zur Festungsstadt ausgebaut. Das Erstaunliche: Obwohl Flandern über viele Jahrhunderte immer wieder von Kriegen heimgesucht wurde und zwischen verschiedenen Nationen und Herrscherhäusern umkämpft war – etwa im hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich, im rebellischen Streit um das Burgundische Erbe im 14. und 15. Jahrhundert, im dreißigjährigen Krieg zwischen Katholiken und Protestanten bis hin zur deutschen Besetzung in beiden Weltkriegen – ist Brügge weder durch kriegerische Aktivitäten noch durch einen Großbrand zu Schaden gekommen. Vermutlich auch dank des starken Walls, der sich bis heute um den Stadtkern zieht und auf dem sogar Windmühlen stehen. Der zentrale Platz, auf dem viele Szenen des Films gedreht wurden, ist der Grote Markt. Bis zum Mittelalter war er noch mit dem Schiff zu erreichen, und bis ins späte 18. Jahrhundert war ein Teil des Marktplatzes noch mit Hallen bebaut, in denen man Waren, vor allem Stoffe, lagern konnte. 

Das leckere Bier, das dem mies gelaunten Ray vorübergehend die Stimmung aufhellt, stammt vermutlich aus der ältesten Brauerei der Stadt, „De Halve Maan“. Und die im Film erwähnte heilige Reliquie, eine Ampulle mit dem Blut Christi, wird in der Heilig-Blut-Basilika am Burgplatz bewahrt. 

Zu den bekannten Gotteshäusern der Stadt zählt auch die Liebfrauenkirche, die mit einer Madonnen-Plastik von Michelangelo aufwarten kann. Die 1,26 Meter hohe Marmorskulptur der heiligen Maria mit dem Jesusknaben ist seit dem 19. Jahrhundert dem großen italienischen Renaissance-Künstler zugeschrieben. 1506 von Michelangelo in einem Brief an seinen Vater erstmals erwähnt, wurde die Madonna ein Jahr später von den Brügger Kaufleuten Johann und Alexandre Mouscon erworben. 1514 stiftete die Familie Mouscon die Plastik der Kirche. 

Es ist kein Zufall, dass die Stadt eine weitere Hauptrolle im Film einnimmt. Jede Gelegenheit wird genutzt, um neben der Spielhandlung die örtlichen Schönheiten mit den intakten Häuserfassaden, Plätzen und Gassen vorzuführen. So ist „Brügge sehen… und sterben“ der wohl spannendste Werbeträger für eine historische Stadt seit „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ dem mystischen Venedig huldigte. Aber weder in diesem noch in jenem Fall kann der Film einen persönlichen Besuch ersetzen. Der Thriller bietet zwar wunderbare Ansichten der Stadt, aber natürlich keine Hintergründe. Das holen wir hier gern nach: 

Der Grote Mart mit dem 83 Meter hohen Belfried bildet das Zentrum. 
Foto: Visit Bruges / © Jan D’Hondt

Der markante Glockenturm am Grote Mart dagegen, auf dem Ken und sein Auftraggeber Harry (Ralph Fiennes) schließlich das blutige Showdown einleiten, gehört zu keiner Kirche. Es ist ein speziell für Flamen typischer Belfried. Die weithin sichtbaren Türme entstanden überwiegend in der Zeit der Gotik und gehören zu den bedeutendsten Profanbauten des Mittelalters. Sie dienten als Brandwache und symbolisierten auch gegenüber der Kirche die Macht des Bürgertums. Ein Belfried galt als sicherster Ort der Stadt, und oft beherbergte er im Innern das Stadtarchiv und die Schatzkammer. 

Der Brügger Belfried wurde im 13. Jahrhundert erbaut, und mit 83 Metern überragt er – abgesehen von Kirchturmspitzen – sämtliche Gebäude der Stadt. Bis heute darf kein neues Gebäude höher gebaut werden. Entsprechend weit reicht der Ausblick von oben über die Stadt. Die hölzerne Turmspitze brannte im Verlauf der Jahrhunderte mehrfach ab und wurde zuletzt 1822 durch eine neogotische Krone aus Stein ersetzt. Das Glockenspiel besteht aus 47 Glocken aus dem 17. Jahrhundert und erklingt automatisch jede viertel Stunde über die größte Glocke. Als Glockenspiel kann es aber auch von einem Spieler manuell bedient werden, den man hier Belaardier nennt. 

Wer Brügge stilecht besuchen möchte, sollte sein Glück in einem der historischen und denkmalgeschützten Hotels versuchen – etwa das Hotel de Orangerie oder das Hotel de Tullerieën. Denn anders als im Film ist Brügge ist nicht zum Sterben, sondern zum Erleben schön. 

Das mittelalterliche Brügge im malerischen Morgenlicht. 
Foto: Visit Bruges / © Jan Darthet

Kategorie: Reisen
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