
Events „Das Ende der Brille? Nicht in Sicht!“ – Ralph Anderl
„Das Ende der Brille? Nicht in Sicht!“ – Ralph Anderl
Interview mit Ralph Anderl

CHAPEAU: Als wir uns kennenlernten, erzähltest du mir, deine Ausbildung, dein Studium, habe dich nicht unbedingt auf Unternehmerschaft und Design vorbereitet. Das war doch etwas Sozialwissenschaftliches …
RALPH ANDERLS: Kulturwissenschaftlich; es ist Kultur-Pädagogik. Eine Mischung aus Kunst, Literatur und zwei Geisteswissenschaften. Ein ziemlich universalistischer Studiengang, in Hildesheim. Einer Stadt, in der man nur studieren kann.
Och, mein Vater konnte da auch sein Abitur machen …
Aber aus Oldenburg stammst du ja, bist gutbürgerlich.
Und von dir.
Demnach galt es, kein Unternehmen zu erben oder zu übernehmen. Wie kam der Ralph zur Brille?
Das Besondere an der Brille ist, dass sie aus einem besonderen Federstahl ist. Mit einem patentierten Bügelgelenk.
Dann kam Berlin …
Was mich fasziniert ist, wie lange du an dem Thema „Brille“ drangeblieben bist. Ich meine, der Welt und dir hast du längst bewiesen, dass du was kannst. Aber du hast den Laden nie vertickt, um etwas anderes oder Neues zu beginnen. Und wirst ihn auch nicht verticken?<
Vergiss meine Leute nicht. Das sind meine Leute. Die gehören zu mir. Und ermöglichen mir, mit ihrem Können, ihren Talenten, den „Ausstieg ohne Ausstieg“. Die Strukturen sind da, dass ich inzwischen aus dem super-hektischen Tagesgeschäft raus bin. Ich meine: so etwas aufzubauen, groß zu machen, groß zu halten, geht nur mit Super-Wahnsinn, Haut und Haaren. Ohne Rücksicht auf Eigeninteressen, Familie und so. Dachte ich. Jetzt sehe ich: Nein, es geht auch anders. Ich konzentriere mich jetzt auf Kontrolle, Neues und darauf, Sachen an Land zu ziehen. Ich bin kein Rentner, gehe aber in die Richtung. Ich bin nicht mehr der Super-Checker-Chef, der alles bis zum Letzten am Besten kann, ich lasse vieles andere und auch Neues zu. Du musst so eine Firma erwachsen werden lassen. Wie ein Kind.
Was meinst du mit Kontrolle, auf die du dich konzentrierst? Kontrollierst du den kreativen Prozess? Sind es Arbeitszeiten? Finanzielle Ströme?
Hast du dennoch je selbst designt?
Ja, schon. Eine ganze Kollektion. Eine Onono-Kollektion. Sehr spannend. Ein Jahr lang ...
Und gefertigt wird tatsächlich, ausschließlich in Deutschland?
Nein. Aus dem vollen gesägt…
Bei meiner „Anderl-Recherche“ bin ich auf „Die Winterreise“ gestoßen, dein Album auf iTunes; zumindest entdeckte ich das da. Dachte es wäre ein zufällige Namensgleichheit. Aber nein: Du bist es! Wie kam es dazu?
„Wenn ich erreiche, dass alle Mitarbeiter beweisen, dass sie besser sind als ich, und ich nur den Vorsprung des Überblicks habe: perfekt!“
Auftritte?
Ich bin ja kein richtiger Sänger. Richtige Sänger singen ja nicht einfach so. Ich singe ständig und sofort, auch in einer Form von Öffentlichkeit. Ich packe jede Gelegenheit beim Schopfe – und singe sofort los. Also: nicht bei jeder Gelegenheit, aber ich gehe relativ unbeschwert damit um, schon weil es für mich das beste Training ist. Außerdem ist das direkte Feedback einfach geil. Es gibt einen guten Freund, der fordert mich jedes Mal auf – und dann mache ich das so. Singe.
Ist dir musikalische Früherziehung wichtig? Achtest du bei deinen Kindern darauf?
Dass ich auf der Waldorf-Schule von Anfang an Flöte, Cello spielte, im Chor, aber auch solo sang, Notierungen zu lesen und zu schreiben lernte, finde ich heute nur gut. Ist ja eigentlich wie eine weitere, bloß universelle Fremdsprache.
Würdest du sagen, dass der Ralph, der mir hier gegenüber sitzt, als Vater, Ehemann, Freund, Unternehmer, das der Erziehung seiner Eltern dankt? Oder verneinst du das, weil Schicksal, Freuden und Leiden lange nach der Kindheit dich entscheidender oder entschiedener geprägt haben?
[…] Denn
Wie du anfingst, wirst du bleiben,
So viel auch wirket die Not,
Und die Zucht, das meiste nämlich
Vermag die Geburt,
Und der Lichtstrahl, der
Dem Neugebornen begegnet. […]
Ich glaube, das ist Hölderlin ... Ich bin ganz anders als meine Eltern; das ist das Eine. Aber, klar: es hat mit meinen Eltern zu tun. Mein Vater, beispielsweise, ist ein ganz Kinder zugewandter Typ. Immer gewesen. Er ist sehr emotional-herzlich, Mutter eher intellektuell, etwas kühler. Das ergibt Prägungen, die bleiben. Aber auch viele Lehrer, sehr früh schon, die mich geprägt haben. Ab zwölf, dreizehn gab es Einflüsse, die viel bewirkt haben. Da gab es einen Lehrer, interessanterweise ein Pfarrer aus Oldenburg. Dann gab es einen Freund meiner Eltern aus Stuttgart, wo ich immer die Sommerferien verbracht habe und gearbeitet habe. Ein begeisterter und begeisternder Kulturmensch. Und schlussendlich mein Professor, im Studium. Die Eltern spielen schon eine große Rolle, die größte, wahrscheinlich.