Kunst (Design) Der Blick in unterschiedliche Spiegel

Der Blick in unterschiedliche Spiegel

Interview mit Tanja Hirschfeld

Der Blick in underschiedliche Spiegel

Interview: Michael Eckert

Masken und Kostüme sind wichtige Elemente in den Frauenporträts der Malerin Tanja Hirschfeld. Die deutsch-italienische Künstlerin und ihre in Öl und Acryl gefertigten Werke haben sich einen festen Platz in der internationalen Sammlerszene erarbeitet, obwohl Tanja Hirschfeld ursprünglich aus dem Bereich von Grafik und Fotografie kommt. Im CHAPEAU-Gespräch erzählt sie, woraus sie ihre Inspiration nimmt – und welche Bedeutung der Online-Vertrieb für die zeitgenössische Kunst einnimmt. 

Info – Kraftvolle Frauenfiguren in grellen Kostümen und mit bunten Masken aus unterschiedlichen Kulturen sind ihr Markenzeichen, die Mischung aus Bekanntem und Exotischem ihre Passion. 1971 in Rom geboren, kam Tanja Hirschfeld mit 13 mit ihrer Familie nach München, wo sie später auch Grafikdesign studierte. 2014 hatte sie eine erste Performance in Los Angeles, seit 2016 malt sie in Öl. Ihr Geburtsland Italien verbindet sie mit den Eigenschaften Emotion, Lust, Leidenschaften, Schwindel. Deutschland sieht sie dagegen als „sattes, dunkles und beruhigendes Grün“. Ihre Werke werden in ganz Europa und in den USA ausgestellt und online über die Plattform All You Can Art vertrieben.
allyoucanart.de 

CHAPEAU — Was bedeutet für dich Erfolg?

TANJA HIRSCHFELD – Wenn man den Idealen der Allgemeinheit folgt, kann das Streben nach Erfolg eine große Last sein. Für mich ist Erfolg etwas sehr Persönliches und hat wenig mit Status, Karriere und Konsum zu tun. Eher mit Selbstfindung. Wenn es dir gelingt, deine Träume zu definieren und diese zu leben, hast du erreicht, das Beste aus deinem Leben zu machen. Erfolg ist, wenn man es schafft, in die Nähe von Glück zu kommen. 

Arbeitest du in erster Linie für dich selbst oder für andere?

Das Schaffen eines Künstlers, einer Künstlerin lässt sich mit der Schriftstellerei vergleichen. Sie arbeiten sowohl autobiografisch als auch für die Öffentlichkeit. Du befasst dich mit Themen, die dir wichtig sind, dich bewegen und weiterbringen. Du beobachtest dein Umfeld, die Gesellschaft und setzt deine Wahrnehmungen, Ideale und dich selbst in Bezug zur Außenwelt. Während des Schaffensprozesses arbeitest du vor allem für dich selbst. Aber spätestens wenn du die Werke einem Publikum zeigst, interagierst du mit der Außenwelt, und deine Gedanken gehören nicht mehr nur dir. Dein Werk wird interpretiert, beurteilt und kritisch betrachtet. Somit hast du von Anfang an unbewusst auch für die anderen gearbeitet. 

Wen möchtest du mit deiner Kunst erreichen?

Ich beschäftige mich in meiner Arbeit mit unterschiedlichen Ethnien. Dadurch spreche ich automatisch viel gereiste Personen an, die sich selbst, Orte oder Sehnsüchte in meinen Bildern erkennen. Ich arbeite viel mit Symbolik, und der Blick der Figur spielt eine zentrale Rolle. Daher freut es mich besonders, wenn ein Sammler, eine Sammlerin in dem Portrait seine oder ihre persönliche Geschichte wiederfindet. Ich erfahre über meine Bildersprache sehr viel über andere Menschen. Genau das ist es, was mich interessiert. Im Bestfall fungiert mein Portrait als Projektions- und Reibungsfläche und gibt den Betrachtenden Kraft und Mut. 

Madame Fly, 2019, Öl auf Leinwand, 100 x 120 cm.

Madonna Denari, 2020, Öl auf Leinwand, 70 x 100 cm.

Masken nehmen in deinen Bildern eine wichtige Rolle ein. Sind Masken für dich Elemente, um sich zu schützen oder um die Persönlichkeit zu betonen?

In meinen ersten Ausstellungen trugen fast alle meine Figuren Masken. Ich war noch auf der Suche nach meiner Bildsprache, und der Kunstmarkt war Neuland für mich. Ich hatte das Gefühl, für fremde Menschen mein Inneres nach außen zu stülpen, und ich fühlte mich schutzlos. Intuitiv versteckte ich die Gesichter hinter Masken und die Körper unter Rüstungen. Die Besucher fühlten sich genau dadurch angesprochen, sie blickten in unterschiedliche Spiegel. Das Gefühl, sich hinter einer Maske zu verstecken, kennt jeder. Im sozialen Miteinander spielt man unterbewusst öfter Rollen als man denkt. Inzwischen sind die Figuren emanzipiert und tragen die Masken hauptsächlich als Accessoire.

Wie geht es dir in einer Zeit, in der alle Menschen gezwungen sind, sich mit Masken vor einer Pandemie zu schützen?

Als der erste Lockdown in Deutschland bevorstand, mussten wir unsere aktuelle Ausstellung schließen. Zusammen mit meinem Künstlerinnenkollektiv „Die Villa“ hatten wir eine Performance gezeigt, und interessanterweise hatten wir genau die Masken getragen, die heute zu unserem Alltag gehören. Ich hatte nach einer optischen Message gesucht, die die Besucher darauf hinweist, dass wir während der Performance nicht angesprochen werden sollen – und war auf die OP-Masken gestoßen. Es fühlte sich unheimlich an, als wir Wochen später alle Menschen mit „unseren Performance-Masken“ herumlaufen sahen. Tatsächlich symbolisierten sie die Distanz zwischen den Menschen, die wir in unserer Performance angedeutet hatten. 

„Im ersten Pandemiejahr verkaufte ich alle meine Bilder online.“

Wann hast du gemerkt, dass die Performance zur bitteren Realität wurde?

Ich habe 2019 sehr schnell begriffen, was auf uns zukommen würde. Meine Familie lebt in Italien, dort waren sie Deutschland immer viele Wochen voraus. Ich telefonierte täglich mit allen und konnte meine Kinder und mich schon bald auf das Homeschooling vorbereiten. Meine Arbeitszeit legte ich auf den Abend und die Nacht, und ich wechselte zu Kleinformaten. Täglich postete ich meine Bilder auf Social Media und verkaufte im ersten Pandemiejahr alle meine Bilder online. Meine Ausstellungen wurden verschoben, aber ich hatte dank meiner treuen Sammler ein Einkommen. Diese Sicherheit gab uns die Möglichkeit, ein relativ normales Leben weiterzuführen. 

Wie wichtig ist der Online-Vertrieb über die Zeit der Pandemie hinaus?

Ich denke, dass der Online-Kunstmarkt die Zukunft ist. Nicht zufällig gibt es immer mehr Kunstplattformen im Netz. Auch ich lebe zum großen Teil vom Online-Verkauf. Die Präsenz auf Social Media ist für Künstler unablässig, sie erleichtert eine breit gefächerte Präsenz. Bestimmt 70 Prozent meiner Sammler haben mich online entdeckt. Ich pflege einen engen Kontakt zu ihnen und beantworte jede Online-Anfrage persönlich. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, weshalb ich immer ein bis zwei Stunden am Tag für Social Media einplane. 

Wie wichtig ist die Betreuung eines Kunstschaffenden durch Galeristen – und wie muss man sich das bei einer Online-Galerie vorstellen?

Es gibt heute verschiedene Wege, sich in der Kunst einen Namen zu machen oder davon zu leben. Das kann die klassische Ausbildung über eine Kunstakademie und renommierte Galerien sein. Man kann aber auch einen persönlichen Sammlerkreis aufbauen und diesen über Social Media ausweiten. Beide Alternativen erfordern sehr viel Engagement. Entscheidend ist die Qualität und die Herangehensweise des gewählten Weges. Die Präsenz auf Messen über die Galerien ist wichtig. Die Zusammenarbeit mit Online-Galerien ist sehr anonym, solange man nichts verkauft. Wenn du in den Verkaufsradar trittst, wirst du automatisch gepusht. Das verhält sich ähnlich wie in der klassischen Galerie. Eine Ausnahme bildet die Zusammenarbeit mit Claudia Scholz von der Online Galerie ALL YOU CAN ART, mit der ich auch auf Ausstellungen und Messen teilnehme. 

„Über meine Bildersprache erfahre ich viel über andere Menschen.“

Du portraitierst ausschließlich Frauen. Wie wählst du deine Modelle aus?

Auf meinen Reisen sammle ich verschiedenstes Material, fotografiere Orte, Dinge, Bilder, Personen. Aus diesem analogen und digitalen Chaos entstehen meine Musen. Ich setze fiktive Figuren zusammen, die so in natura nicht existieren. Elemente aus diversen Kostümen werden zu Kleidungsstücken, Augen aus Los Angeles werden mit einem Mund aus Marokko oder einer Nase aus Italien zusammencollagiert. In meinem Archiv existieren hunderte Modelle, die es noch nicht auf die Leinwand geschafft haben. Ein scheinbares Individuum repräsentiert ein ganzes Kollektiv an Frauen. Natürlich recherchiere ich auch im Worldwideweb, und manchmal schleicht sich auch ein reales Modell ein. Es sind dann Personen aus meinem nächsten Umkreis, die mich inspirieren. 

Welches Verhältnis hast du zum Kunstobjekt Mann?

Tatsächlich wage ich mich gerade an die männliche Figur heran, obwohl das Thema „Frau in der heutigen Gesellschaft“ für mich noch lange nicht abgeschlossen ist. Aktuell plane ich ein Portrait von einem schwarzen Samurai. Ein guter Freund machte mich auf Yasuke aufmerksam, ein afrikanischer Samurai, der 1600 in Japan bekannt wurde. Mein Freund hat seine Wurzeln in Togo, und wir teilen den Wunsch, anderen Menschen fremde Kulturen näherzubringen. Er wird eines meiner Modelle für 2022 sein. 

Trennst du dich schwer von deinen Arbeiten, oder hast du mit Vollendung eines Werkes mit ihm abgeschlossen?

Als ich noch auf der Suche nach meiner Handschrift war, fiel es mir schwerer, Werke wegzugeben. Aus dieser Zeit habe ich einige kleine behalten. Es sind schöne Erinnerungen. Seit ich konzeptioneller arbeite, habe ich kein Problem mehr damit. 

Madame Butterfly, 2020, Öl auf Leinwand, 100 x 140 cm.

Tokyo, 2019, Öl auf Leinwand, 200 x 140 cm.

Trennst du dich schwer von deinen Arbeiten, oder hast du mit Vollendung eines Werkes mit ihm abgeschlossen?

Als ich noch auf der Suche nach meiner Handschrift war, fiel es mir schwerer, Werke wegzugeben. Aus dieser Zeit habe ich einige kleine behalten. Es sind schöne Erinnerungen. Seit ich konzeptioneller arbeite, habe ich kein Problem mehr damit. 

Welche Techniken nutzt du für deine Bilder?

Über analoge Skizzen taste ich mich im zweiten Schritt digital an mein Motiv heran. Mit digitalen Pinseln entstehen die Vorlagen für die Leinwand, die in mehrschichtiger Lasur-Ölmalerei auf das Großformat übertragen werden. In dieser Phase verändert sich das Motiv meistens nochmal. Das analoge Bild hat eine ganz andere Wirkung, und bestimmte Elemente passen dann doch nicht oder kommen neu hinzu; Farben verändern sich. Zu entscheiden, wann das Bild fertig ist, bleibt auch nach so vielen Jahren immer noch der spannendste Moment beim Malen. 

Du hast Malerei nicht studiert. Wie hast du es dir beigebracht?

Ich habe Zeichnung auf der Fachhochschule für Kommunikationsdesign studiert. Vier Jahre lang hatten wir wöchentlich Aktzeichnen. Mein Diplom habe ich in Fotografie gemacht, damals habe ich figürlich fotografiert. Diese Jahre haben mir geholfen, das Zeichnen zu vertiefen. 

Auf die Malerei bin ich durch einen Zufall gestoßen. Mein Mann hat mir einen Ölmalkurs bei einer Künstlerin geschenkt. Ich war nicht besonders begeistert davon, da ich noch keinen Bezug zum Malen hatte. Heute bin ich ihm sehr dankbar, denn es hat mir die Türe in eine neue Welt geöffnet. Ich habe entdeckt, dass ich malen kann. Das war ein unvergessliches Aha-Erlebnis – als hätte man durch Zufall herausgefunden, dass man ohne Vorbereitung Marathons laufen kann.

Es dauerte dann nicht lange, bis ich meinem Beruf als Grafikdesignerin beendet habe. Seit sechs Jahren male ich nun täglich und entwickle meine Technik autodidaktisch weiter.

Welche Künstlerin oder Künstler hat dich besonders inspiriert?

Da gibt es viele und niemanden im Speziellen. Als erstes fällt mir Louise Bourgeoise ein. Ich habe das Gefühl, ihre dunkle Symbolsprache gut zu verstehen. Zu David Lynch fühle ich mich auf ähnliche Weise hingezogen, genauso zu Beuys. Und ich mag die Fotografie von Muholi Zanele. Technisch betrachtet bewundere ich William Adolphe Bouguereau , den Meister des klassischen Realismus. Als ich in Los Angeles begonnen habe zu malen, war ich stark beeinflusst von den Popsurrealisten und der amerikanischen Low Brow Art. Diesen Einfluss spürt man in meinen Bildern. 

Du bist in Rom geboren, lebst in München. Deine Kunst weist dich als international fühlenden Menschen aus. Du reist gern und viel. Wie wichtig ist dir ein festes Zuhause?

Da wir sehr viel reisen, ist unser Münchner Zuhause ein wichtiger Ruhepunkt. Auch wenn wir unterwegs sind, richten wir uns immer häuslich ein. Unsere Unterkünfte sind ausschließlich Privatwohnungen. Mein erstes Ziel bei längeren Aufenthalten ist immer der nächste Kunstbedarfsladen. Mein Mann ist Filmemacher und hat sein mobiles Studio dabei. Selbst unsere Kinder sind inzwischen diese Art zu reisen gewohnt. Sie haben immer ein paar private Dinge dabei, die sie auf den Nachttisch stellen, und sie lieben es, selbst zu kochen. Das genügt ihnen, um sich zu Hause zu fühlen. Spätestens nach sechs Wochen freuen sich alle wieder auf zu Hause – bis das nächste Land ruft.

Welche Pläne hast du für dieses Jahr?

Die letzten zwei Jahre waren sehr arbeitsintensiv und trotz Pandemie voller Termine. Ich hatte 2021 sogar meine erste museale Ausstellung. Deshalb habe ich den Dezember frei genommen, um 2022 mit neuer Energie durchzustarten. Die erste Hälfte des Jahres werde ich produzieren und schauen, wo mich diese Reise hinführt. Ich habe für 2022 keine Ausstellungen zugesagt, da ich ohne Druck arbeiten möchte. Erst wenn ich eine gewisse Anzahl an Arbeiten fertig habe, werde ich entscheiden, was und wo ich ausstelle. Den Sommer werden wir nach zwei Jahren Pause endlich wieder in Los Angeles verbringen. Eventuell ergibt sich dort eine Ausstellung. Ich habe viele Ideen und Wünsche für 2022, es wird aber das erste Jahr sein, in dem ich versuche, spontan zu reagieren – zumindest das haben wir in der Pandemie gelernt.

Dann wünschen wir dir dazu viel Erfolg und bedanken uns für das inspirierende Gespräch.

Kategorie: Kunst (Design)
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