Menschen Die Luft zum Atmen

Die Luft zum Atmen

Interview mit Vladimir Bulakov

Die Luft zum Atmen

Interview: Arash Farahani | Fotos: Contentley Media 

…findet Vladimir Burlakov in seiner geliebten Wahlheimat Berlin. Wir trafen den Schauspieler in der Hauptstadt zu einem munteren Gespräch, in dem er mit derselben Begeisterung über seine Rolle als Saarbrücker „Tatort“-Kommissar erzählt wie von seinem Vatersein in einer neuen Comedyserie der ARD. 

Der Schauspieler Vladimir Burlakov – 1987 in Moskau geboren und 1996 mit der Familie nach München übergesiedelt, studierte Vladimir Burlakov von 2006 bis 2010 an der renommierten Otto-Falckenberg-Schule. Bereits während seiner Schauspielausbildung gab er 2010 sein Filmdebüt in der von den Kritiken gelobten Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ von Dominik Graf. 2011 wurde er für die Titelrolle in der Sat.1-Produktion „Marco W. – 247 Tage im türkischen Gefängnis“ mit dem Bayrischen Fernsehpreis ausgezeichnet und u.a. für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Seit 2020 verkörpert er den Hauptkommissar Leo Hölzer im saarländischen „Tatort“. Die Comedyserie „How to Dad“, in der Vladimir eine der Hauptrollen spielt, ist in der ARD-Mediathek zu sehen. 

CHAPEAU — Erzähl uns doch mal etwas zu deiner neuen Serie „How to Dad“.

VLADIMIR BURLAKOV – Die Geschichte basiert auf einem Format aus Israel. Es ist eine Comedy mit einem ebenso simplen wie lustigem Konzept. Alles dreht sich um vier Väter, die ihre Kinder zum Ballett bringen und dann im Vorraum auf sie warten. Aber diese vier Typen könnten unterschiedlicher nicht sein. Nun sitzen sie da und müssen sich unterhalten. Daraus entwickelt sich eine Art Konkurrenzkampf: Wer erzieht am besten, wo liegen die Defizite? Natürlich will niemand zugeben, dass man als Vater vielleicht etwas falsch macht. Schon als ich von der Idee gehört habe, worum es geht, habe ich zugesagt. Das klang so supercool, dass ich das unbedingt machen wollte. Dann entpuppten sich auch noch die Bücher als absolut bombastisch. Das geht ab wie in einer Sitcom. Jede Folge dauert maximal 30 Minuten. Die optimale Zeit für ein Format, bei dem sich alles in einem Raum abspielt. 

Nun treffen wir uns hier in Berlin, und das ist ja so etwas wie der Place to be. Aber als du als Kind mit deiner Familie aus Moskau nach Deutschland gekommen bist, hast du zunächst in München gelebt. Was bedeutet dir die Stadt noch?

In München bin ich 16 Jahre lang aufgewachsen und habe mich dort sehr wohl gefühlt. Da gab es tolle Läden, Cafés und andere Orte, wo man hingehen konnte. Ich will den Münchnern auch nicht zu nahetreten, aber in meinen Augen hat sich die Stadt seitdem doch recht stark verändert. Sie ist für mich etwas fremd geworden. Vielleicht ist das etwas zu hart ausgerückt, aber wenn ich dort bin, fühle ich mich immer ein bisschen eingeengt. Ich lebe jetzt seit elf Jahren in Berlin. Die Stadt ist sehr offen, und ich habe von Anfang an gespürt, dass ich hier viel mehr Luft zum Atmen habe. 

Einigen Künstlern ist Berlin zu groß. Manche fürchten vielleicht, sich in der Anonymität zu verlieren…

Ich habe mich vom ersten Tag an in die Stadt verliebt und bin überzeugt, dass ich in einem früheren Leben Bürgermeister von Berlin war (lacht!). Zum ersten Mal kam ich zum Casting für die Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ von Dominik Graf hierher. Da war ich erst einmal baff, weil ich überhaupt nicht erfassen konnte, wie groß die Stadt ist. Ich wohnte in einem Hotel in der Kantstraße, habe mir die Gebäude angesehen und gedacht, Wahnsinn, diese Stadt ist so komplett anders als München. Anders als jede andere Stadt in Deutschland, wie ich mittlerweile weiß (lacht). Auch die Menschen sind hier komplett anders. In Berlin geht es sehr viel bunter und gemischter zu. Alle machen ihr Ding, sind freier und können etwas mehr die sein, die sie sein wollen. 

Gerade Bühnenschauspielern bietet Berlin ja eine wichtige Plattform…

Ja, aber Theater habe ich leider schon länger nicht mehr gespielt. Nach dem Studium hatte ich ein Gastspiel an den Münchner Kammerspielen, danach habe ich 2016 bei den Nibelungen-Festspielen in Worms gespielt. Das war sehr cool. Seither bin ich leider nicht so oft im Theater zu sehen und versuche seit Jahren, das irgendwie zu ändern. Über einen Anruf von der Schaubühne oder der Volksbühne würde mich also sehr freuen (lacht).

Nach dem, was ich so mitbekomme, besteht ein großer Unterschied zwischen Theaterschauspiel und dem Agieren vor der Kamera.

Ich würde sogar noch weiter gehen, und darüber streite mich sogar manchmal mit Kollegen. Für mich sind Theater und Film zwei komplett unterschiedliche Berufe. Auf der Bühne hat man eine ganz andere Ästhetik und Sprache. Wenn man kein Schauspielstudium absolviert und die Sprache nicht ausgebildet hat, wird es schwer, auf der Bühne zu bestehen. Im Studium lernt man die Mechanismen, die man dafür braucht. Im Film ist es anders. Da landen plötzlich Leute, die dort unfassbar stark sind, weil sie eine gewisse Natürlichkeit und Wahrhaftigkeit in sich tragen. Das ist vor der Kamera relevant, weil man da oftmals nicht zu groß agieren darf. Es gibt großartige Theaterschauspieler, die ich gar nicht mehr so gut finde, wenn ich sie vor der Kamera sehe. Und auch andersherum. Es gibt extreme Unterschiede in diesen „zwei Berufen“.

Im Theater spielt man das Stück ja auch von Anfang bis Ende durch. Beim Film dagegen wird nicht chronologisch gearbeitet. Da kann es passieren, dass man die Schlussszene gleich am Anfang spielen muss.

Das ist auch wichtiger Punkt. Bei den Proben im Theater hat man sechs Wochen Zeit, in denen man seine Figur entwickelt und sie verinnerlicht. Das ganze Stück entsteht gemeinsam mit dem Regisseur, mit den Kollegen. Bei der Aufführung läuft es dann chronologisch ab. Im Film hat man einen Großteil der Arbeit schon vorher als Hausaufgabe zu leisten. Man muss vorab herausfinden, wer diese Figur ist, die man da spielt. Wo sie herkommt und vor allem, wohin sie geht. Aber wie du sagst, kann es beim Film passieren, dass man am ersten Drehtag mit der letzten Szene anfängt. In der etwa dein Kind tot in deinen Armen liegt oder etwas anderes Extremes passiert ist. Da muss man den emotionalen Zustand der Figur, dann sofort parat haben. Ohne, dass es sich chronologisch entwickeln kann. 

„Zwölf Stunden am Set und die ganze Zeit in Aktion können schon sehr stressig sein.“

„How to Dad“ läuft in der ARD-Mediathek, davor warst du Anfang des Jahres in Deinem „Tatort – Das Herz der Schlange“. Was kommt als nächstes?

In der neuen Netflix Serie „Kleo“ habe ich eine der Hauptrollen gespielt. Mehr darf ich leider noch nicht verraten. 

Wie sieht ein klassischer Drehtag bei dir aus – voll mit Stress, oder ist alles durchgetaktet, so dass du danach sagen kannst, jetzt schaue mich mal ein wenig in der Stadt um?

Das hängt von der Art der Produktion ab – und davon, was und wie viele Stunden man gedreht hat. Es gibt durchaus solche Tage, an denen man eine Szene absolviert und dann entspannt nach Hause geht. Dann gibt es wiederum Drehtage mit vielen Überstunden. Zwölf Stunden am Set und die ganze Zeit in Aktion. Das kann schon sehr stressig sein. Aber das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. 

International hast du auch in dem Mysterythriller „The Darker the Lake“ mitgewirkt. Der ist Anfang März in den USA angelaufen. Weißt du, ob der Film irgendwann nach Deutschland kommt?

Das weiß ich leider noch nicht. Wir werden sehen. 

Die Rolle des „Tatort“-Kommissars Leo Hölzer spielst du seit 2020. Hat dich vor allem diese Rolle in Deutschland bekannt gemacht?

Ich habe ja schon einige Sachen davor gemacht und glaube, ich war schon vorher ein bisschen bekannt (lacht). Aber „Tatort“ ist ja deutsches Kulturgut, und dass ich die Rolle bekommen habe, war schon so etwas wie ein Ritterschlag für mich. Die Reihe hat eine fünfzigjährige Geschichte und wird in Deutschland noch immer sehr gerne geguckt. Das hat kein anderes Format vorzuweisen, und schon deswegen ist diese Rolle etwas Besonderes. Ich bin sehr gern dabei, denn abseits von der Markt-Überschwemmung mit Krimi-Formaten bekommen wir bei unserem Tatort sehr starke Drehbücher. Das nimmt das Publikum bislang sehr gut an. Man mag uns, und wir probieren mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, das Genre mutiger zu gestalten. Vielleicht sogar ein bisschen zu revolutionieren, wenn ich das so sagen darf. Man kann „Tatort“ ja auch mal anders erzählen und jünger sehen. Einfach auch ein jüngeres Publikum ansprechen. 

Was macht speziell die Rolle des Leo Hölzer für dich interessant?

Für die Ermittler geht es ja meistens darum, einen Mord und die Umstände aufzuklären. Die Kommissare selbst stehen dabei nicht so sehr im Mittelpunkt. Bei uns steht die Geschichte zwischen Adam Schürk, der von Daniel Sträßer gespielt wird, und meiner Rolle im Zentrum. Wir teilen ein Geheimnis aus der Vergangenheit, dass wir schon in die erste Folge mitgebracht haben und in das Adams Vater eng verstrickt ist. Mittlerweile weiß man, dass der Adam misshandelt hat und ich ihn daraufhin – aus Notwehr – ins Koma geschlagen habe. In der dritten Folge, die jetzt im Januar lief, kam dann der erste Showdown. Dieser Bruch im Charakter hat mich am meisten gereizt. Aber einen Ermittler zu spielen, der einfach Fragen stellt, wo man wann war, ist nicht das, wovon ich schon immer geträumt und was ich mir für meine Karriere gewünscht habe. Deswegen sage ich, die bisherigen Bücher sind sehr gut und vielschichtig geschrieben. Mir gefällt, dass auch die Kommissare ein eigenständiges Leben haben, und zwar ein sehr spannendes.

Sprechen wir kurz über Preise. Für die Rolle des Marco W. im Film „247 Tage im türkischen Gefängnis“ wurdest du gleich mehrfach ausgezeichnet. Das ist aber schon zehn Jahre her. Wurden dir seither keine preiswürdigen Rollen mehr angeboten, oder hast du kein Interesse an Preise und Auszeichnungen?

Über Preise freut sich wohl jeder. Anderes zu behaupten, wäre Quatsch. Aber man denke nur an Leonardo DiCaprio. Der ist schon lange absolut grandios, und trotzdem hat er erst vor kurzem seinen ersten Oscar bekommen. Da steckt man einfach nicht drin. Natürlich warte ich auf eine Rolle, die zumindest eine Preisnominierung wert wäre. Ich arbeite daran und bin zuversichtlich, dass sie irgendwann auch kommt (lacht). 

Wie viel deiner Zeit wird vom „Tatort“ beansprucht?

Nicht so viel, wie man meint. Wir drehen nur eine Folge pro Jahr. Trotzdem handelt es sich eigentlich um eine eigene Reihe, denn wir haben eine horizontale Erzählweise gewählt. Jeder unserer „Tatorte“ endet mit einem Cliffhanger, und die Leute müssen dann ein Jahr warten, bis sie erfahren, wie es weitergeht. Das finden die Fans natürlich nicht so cool, aber sie mögen unsere Geschichten so sehr, dass sie ständig schreiben, wir sollen doch zwei Folgen pro Jahr machen. Sie wollen mehr von uns haben. Das finde ich wirklich bezaubernd, aber persönlich bin ich eigentlich ganz glücklich, dass wir nur einen Film im Jahr drehen. So bleibt auch mehr Zeit für andere Sachen.

Bist du selbst auch Krimi-Fan?

Das würde ich nicht unbedingt behaupten. Kriminalromane lese ich gar nicht, und Fernsehkrimis sind schon nur spannend, wenn sie gut gemacht sind. „True Detective“ fand ich zum Beispiel überragend, und das schaue ich mir dann auch gern an. Auch die deutsch-österreichische Serie „Der Pass“ ist grandios gemacht. Die gehört hier zu meinen Lieblingsserien. Aber damit ich Krimis toll finde, müssen sie über die Grenzen des Genres hinausgehen und über das, was man schon kennt. Dazu kann man sich ruhig ein bisschen mutiger aus dem Fenster lehnen. 

Apropos mutige Grenzüberschreitung. Deine Mutter ist mit dir und deiner Zwillingsschwester aus Russland nach Deutschland gekommen, als ihr neun Jahre alt wart. Welche Erinnerungen hast du noch an die ersten Jahre in München? 


Wir wurden zunächst in mehreren Asylantenheimen untergebracht. Wenn ich mich recht erinnere, für die ersten eineinhalb oder zwei Jahre. Meistens bringt man so etwas mit einer nicht sehr schönen Zeit in Verbindung, aber das kann ich gar nicht sagen. Wir sind mit unserer Oma gekommen, waren also zu viert, und wir hatten uns lieb. Dadurch war irgendwie alles gut. Es ging dann auch schnell in die Schule, in irgendwelche Übergangsklassen und dann auch in eine normale Schule. Nach dem Abschluss bin ich dann auf die Schauspielschule gegangen. Das ging alles ineinander über, und ich kann von gar keinen negativen Erfahrungen berichten oder von schlechten und traumatischen Ereignissen erzählen. Es ist ganz gut gelaufen. Das habe ich alles der Mama zu verdanken. 

Wir wollen hier eigentlich nicht über Politik reden, aber leider musste man aufgrund des Ukraine-Krieges in letzter Zeit häufiger hören, dass es Künstlern, die aus Russland kommen oder russische Namen tragen, an manchen Orten in Deutschland schwer gemacht wird. Bekommst du auch solche Auswirkungen zu spüren?

Nein, bislang überhaupt nicht. Man liest so etwas ab und an. Wenn man russische Künstler generell ablehnt oder feuert, ist das natürlich Nonsens. Wenn es aber Putin-Unterstützer sind oder Leute, die ihm nahe sind, haben sie die Konsequenzen verdient. 

Wusstest du, dass auch die große Hollywoodlegende Kirk Douglas aus einer russischen Familie stammte und ursprünglich Danielovitsch Demsky hieß?

Das wusste ich nicht, den russischen Namen habe ich nie gehört. Interessant.

„Beim Film hat man einen Großteil der Arbeit schon vorher als Hausaufgabe zu leisten.“

Der war von den 1940ern bis in die 2000er Jahre als Schauspieler und Produzent sehr aktiv, Vater unter anderem von Michael Douglas. Als er schon fast 100 Jahre alt war, wurde Kirk von einer deutschen Journalistin auf der Berlinale gefragt, warum er zu Beginn seiner Karriere ein Pseudonym gewählt und seinen russischen Namen abgelegt hat. Er hat in fließendem Deutsch geantwortet, Issur Danielovitsch Demsky sei ein sehr schöner Name – für einen Balletttänzer. Für einen Schauspieler in Hollywood aber völlig ungeeignet. Hast du auch mal daran gedacht, dir einen deutschen oder einen englisch klingenden Künstlernamen zuzulegen? 


Dafür ist es jetzt zu spät, aber wenn du mich schon so fragst: Heute denke ich, ich hätte es wohl besser gemacht. Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, dass mir der Name vielleicht im Weg stand. Tatsächlich habe ich das auch schon einmal von einem nicht unwichtigen Menschen in der Branche gehört. Das ist drei Jahre her. Ich hatte ihn gefragt, warum sich manche Sachen für mich nicht ergeben, und er sagte naja, das liegt auch an deinem Namen. Ich finde das absurd. Ich hätte gedacht, dass man in Deutschland schon wesentlich weiter ist. Ich kann es natürlich nicht belegen und nicht überprüfen. Aber wenn ich eine Zeitmaschine hätte und in der Vergangenheit meinen Namen ändern könnte, dann könnten wir jetzt nachschauen, wie sich dann alles entwickelt hätte.

Berührt es dich, Nachrichten aus Russland und den dortigen Lebensbedingungen unter dem Präsidenten Putin zu hören?

Es berührt mich zutiefst und ich finde grausam, was in der Ukraine geschieht. Aber was in Russland passiert, ist auch schlimm. Das Narrativ, dass es nur Putins Krieg ist, lasse ich nicht zu hundert Prozent gelten. Die Menschen in Russland, die wegschauen, tun das ganz bewusst. Natürlich weiß ich, dass die dortige Propagandamaschinerie seit mindestens 2014 extrem arbeitet und alle zu Gefügigen macht, die nur den ersten Kanal gucken. Aber bis zu dem Punkt, als Instagram, Facebook und so weiter in Russland verboten wurden, hatte man die Möglichkeit, sich auch anderswo zu informieren. Man hat es vermutlich auch heute noch, wenn man es wirklich will. Ganz viele Menschen schauen bewusst weg. Ich verurteile das aufs schärfste und habe kein Verständnis für deren Positionen. Wenn die Leute dort auf der Straße gefragt werden, wie sie über die „Spezial-Operation“ – oder wie immer dieser Krieg dort genannt wird – denken, klingt das völlig desillusionierend. Sie sind komplett brainwashed. Ich weiß gar nicht, wie ich das nennen soll, ohne mich aufzuregen und zu schimpfen. Was da vor sich geht, ist eine absolute Katastrophe.

„Was in Russland vor sich geht, ist eine absolute Katastroph.“

Anderes Thema: Du hattest in Deutschland den Ruf als Frauenschwarm, bis du im letzten Jahr die Liebe zu deinem Lebensgefährten Martin öffentlich gemacht hast. Wie viel Mut braucht man auch im 21. Jahrhundert immer noch, um sich zu seiner Homosexualität zu bekennen?

Das weiß ich nicht. Ich kann gar nicht sagen, dass ich dafür wahnsinnig viel Mut gebraucht hätte. Aber da du danach fragst: Für mich war einfach der Zeitpunkt richtig. Vor sieben, acht oder zehn Jahren wäre das wohl noch anders gewesen. Das hat auch damit zu tun, wie alt man selber ist oder wo man steht und was einem im Leben wichtig ist. Ich fand es ganz normal, es auszusprechen, damit ich Martin auch mal auf schöne Veranstaltungen mitnehmen kann (lacht). Es geht mir darum, Zeit mit ihm zu verbringen, ohne dass herumspekuliert wird. Das ist mein Freund, und ich liebe ihn.

Was hat sich seitdem für dich geändert?

Es hat sich überhaupt nichts geändert. Ich war eher überrascht, dass da nichts aufgebauscht oder gemunkelt wurde. Ich habe keinen einzigen negativen Kommentar gelesen oder gehört. Sogar in den sozialen Netzwerken nur Liebe, nur Zuspruch, nur Positives. So soll es ja auch sein. Wer im Jahr 2022 noch die Person und den Beruf gegeneinander ausspielt und meint, man könne den Schauspieler nicht ernst nehmen, wenn er die Liebe zu einer Frau spielt, wo er doch in Wirklichkeit einen Mann liebt, den kann man getrost ignorieren. 

Du wirkst so erfrischend zuversichtlich. Hast du eigentlich Angst vor der Zukunft?

„Angst vor der Zukunft“ sind sehr große Worte. Aber viele Schauspieler sind freiberuflich, und das bleibt ein Unsicherheitsfaktor. In dem Beruf muss man immer wieder aufs Neue gucken, wo man bleibt. Darüber denkt wahrscheinlich jeder von uns nach. Ich erzähle immer gern das Erlebnis mit einem sehr bekannten Schauspielerkollegen in Deutschland, der etwa Mitte 50 ist. Wir hatten einen gemeinsamen Film gedreht, und beim Abschlussfest standen wir zusammen. Aber irgendwie guckte er ganz traurig. Auf meine Frage, was denn los sei, meinte er, die Angebote stimmten nicht mehr, man rufe ihn nicht an und da komme wohl auch nichts. Dabei gehört er zu den erfolgreichsten Schauspielern in diesem Land. Was ich damit sagen will: Die Unsicherheit hört nie auf. Wir sind auf Wertschätzung angewiesen und darauf, gefragt zu sein. Darüber hinaus möchten wir natürlich tolle Projekte machen, in denen man sich ausleben und Facetten seines Schauspiels zeigen kann, ohne gleich in eine bestimmte Richtung festgelegt und in eine Schublade gesteckt zu werden. Unser Beruf läuft in Wellenbewegungen. Mal hat man ein starkes Jahr, dann wieder ein schwächeres Jahr. Das ist normal, aber was ich so schwierig finde: Egal, was man gemacht oder geleistet hat. Wenn das Ding ausgestrahlt wurde oder im Kino gelaufen ist, fängt man sofort wieder bei Null an. Dann geht es wieder auf Castings. Man muss wieder beweisen, dass man etwas kann oder dass man sich entwickelt hat. Immer muss man darum kämpfen, eine Chance zu bekommen, sich neu präsentieren oder zeigen, dass man sich in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Jeder Mensch reift und entwickelt sich weiter. Trotzdem erlebe ich es als stetigen Kampf, im Beruf immer wieder diesen Prozess zu durchleben. Das ist schon eine Herausforderung.

„Über einen Anruf von der Schaubühne oder der Volksbühne würde mich sehr freuen.“

Nur wenige deutsche Schauspieler und Schauspielerinnen schaffen den Sprung über den großen Teich. Siehst du trotzdem für euren Berufsstand Potential für internationale Karrieren?

Die Produktionen werden grundsätzlich internationaler. Man dreht sehr viel in Europa und auch in Deutschland. Vor zehn Jahren war es noch viel wichtiger, zum Beispiel eine Agentur in London zu haben. Das ist immer noch nicht falsch und bestimmt hilfreich. Aber der Markt ist mittlerweile wesentlich näher zusammengerückt. Wenn jetzt eine internationale Produktion in London drehen will, in Deutschland sowieso, dann fragt sie uns auch so an. Das wächst schon sehr gut zusammen. Vor allem durch die Streaming-Anbieter. Auch bei den deutschen Produktionen hat man einiges dazugelernt und verstanden, dass man mehr Geld in die Hand nehmen muss, wenn man Qualität produzieren möchte. Und viele Schauspieler haben gelernt, dass sie mehr machen und an sich arbeiten müssen, wenn sie international mithalten wollen. Es ist halt nicht damit getan, zum Casting zu gehen, die Rolle zu bekommen und zwei Wochen vorher den Text zu lernen. Die Sensibilisierung ist gewachsen, dass man nur dann etwas erreichen kann, wenn man wirklich hart daran arbeitet. Es gibt so tolle Hollywoodfilme. Guckt man sich etwa den letzten „Joker“ oder so etwas an, denkt man sich, oh, das ist genial. Das ist das eine. Das andere ist die harte Arbeit, sich monatelang mit der Figur auseinanderzusetzen und einen wirklichen Charakter zu schaffen. Die Amis funktionieren da wie „Maschinen“, und in dem Fall meine ich es positiv. Die Hauptdarstellerin, mit der ich „The Darker the Lake“ gedreht habe, kam aus Los Angeles. In dem einen Monat, in dem wir in Österreich gedreht haben, hat sie nebenher fünf E-Castings absolviert. Ich war total baff. Die bereiten die Sachen innerhalb von einem oder zwei Tagen vor. Und das sitzt! Da sagt keiner, ich lerne den Text mal so halb und unterbreche den Take, wenn ich nicht weiterweiß, schaue nochmal nach. Bei denen passt einfach alles. Es sind Profis, die wissen, dass sie nach dem ersten Eindruck wohl keine zweite Chance bekommen. Diese Professionalität entwickelt sich langsam auch hier und ist auch bei mir angekommen. Als ich mit 23 oder 24 angefangen habe, habe ich auch gedacht, ich spring da mal hin und kann das bestimmt. Heute bereite ich mich auf jedes Casting mit meinem Coach vor, und zu Projekten sowieso. Selbst wenn man gut ist, schüttelt man sich das nicht einfach aus dem Ärmel.

Es herrscht also ein extremer Leistungsdruck. Aber ab einem bestimmten Level besteht dann wohl auch die Gefahr, dass alles mal wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Dass etwa ein Schauspieler eines Formats wie Johnny Depp die Bindung zur Realität verliert und in seiner eigenen Welt versinkt. Meinst du, es gibt da den Punkt zum Innehalten, oder verliert man sich einfach irgendwann und weiß nicht mehr, wo vorn und hinten ist?

Das ist sicher bei jedem anders. Bei Weltstars wie Johnny Depp – was soll man da sagen? Ein absolut sensationeller Schauspieler. Aber es heißt ja nicht umsonst, dass Genie und Wahnsinn nahe
beieinander liegen.

Zurück in die deutsche Wirklichkeit. Was sind deine Wünsche für die nächsten Monate?

Ach, ich versuche immer dankbar zu sein, dem Universum dankbar zu sein. Grundsätzlich geht es mir ja gut, aber ich würde mir schon wünschen, mehr tolle Drehbücher zu lesen. Dass man mich vielleicht auch in anderen Rollen vorstellen kann als in denen, die ich bisher gespielt habe. Aber ich denke, das kommt automatisch, weil ich älter werde und sich dann auch das Rollenprofil ändert. Es geht ja auch schon in diese Richtung, und es kann gern so weitergehen.

Dann wünsche ich dir dazu alles Gute und bedanke mich für das offene Gespräch.

Kategorie: Menschen
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