Im Gespräch Die Wilde Seite des Weines

Die Wilde Seite des Weines

Interview mit Holger Schwarz

Weg vom Lieblichen, hin zum Schmutzigen – Holger Schwarz vertritt die etwas andere Wein-Philosophie. CHAPEAU sprach mit dem Berliner aus der Pfalz über den Trend zum Naturwein.

CHAPEAU ― Holger, ich habe noch nie Naturwein getrunken. Kannst Du mir kurz erklären, warum ich das unbedingt nachholen sollte?

Schwarz ― Wenn man Genüssen aufgeschlossen gegenüber steht und häufiger in Restaurants größerer Städte anzutreffen ist, kommt man um das Thema gar nicht herum. Aus meiner Sicht ist der bisherige Weinmarkt ausgereizt, das werden Weinhändler, Sommeliers und Gastronomen bestätigen. Man kann die Stilistik nicht mehr verbessern. Also musste etwas Neues her – und war einer der Vorreiter in Deutschland, der sich der Sache angenommen hat. Tja, und warum solltest du einen Naturwein probieren? Weil du neue Geschmackssensationen suchst, weil dich vielleicht auch wieder das Ursprüngliche im Wein reizt? Es ist ja ein allgemeiner Trend zu unverfälschten Lebensmitteln zu beobachten. Beim Naturwein findet am wenigsten Manipulation statt. Das ist ein Gegenkonzept, in dem sich auch die Suche nach Reibung und neuer Energie wiederfindet. Und ansonsten ist Neugier immer eine treibende Kraft ...

Versteht das der normale Weintrinker?

Was ich mache, wird nie ein Massenprodukt! Aber das Thema wird an Bedeutung gewinnen, weil es einflussreiche Restaurants und Gourmetjournalisten zu ihrer Sache machen. So erreicht es schon die breite Öffentlichkeit. In Österreich gibt es bei Hofer, also der dortigen Aldi-Version, bereits einen Bio-Orange Wein zu kaufen. Das sagt doch einiges aus über den Weg in die Mitte der Gesellschaft.

Muss Naturwein zwangsläufig trübe und übelriechend sein?

Naturwein wird mit wenig Filtration hergestellt. Durch den Anteil an Hefe bleibt er frisch. Wir kennen es aus dem klassischen Champagner-Verfahren, wo der Wein auf der Hefe auch nicht oxidiert. Wenn ich ein Konservierungsmittel wie Schwefel weglasse, schützt der Hefeanteil vor Oxidation. Das ist also ein Mittel, um einen Teil des nicht zugesetzten Schwefels zu substituieren. Deswegen ist der Wein trübe. Es hat auch eine geschmackliche Veränderung, genau deswegen mache ich das, weil es anders schmeckt. Beim ersten Probieren hat mich das ebenfalls irritiert. Als Sohn einer Weinbau-Familie muss man in solch einem Moment vieles über Bord werfen, was man weiß oder gelernt hat. Aber so entsteht eine Spannung und eben auch eine Neugierde auf Neues. Wäre das nicht, wäre ich möglicherweise gar nicht mehr im Weinhandel tätig. Ich interessiere mich einfach für den Schritt mehr, zum Glück geht es vielen anderen Menschen mittlerweile ebenso.

Ist die Herstellung von Naturwein ein Rückschritt in der Art, Wein zu machen?

Nein, Rückschritt würde ich auf keinen Fall sagen. Es ist eine andere Art. Die Winzer entscheiden sich ganz bewusst gegen den Einsatz von zu viel Technik und all der Mittelchen, die sonst zum Einsatz kommen. Ihnen geht es eher um das Ursprüngliche im Wein, um seine Wurzeln. Sie wollen seine innere Stärke erkunden. Da ist auch viel Forscherdrang dabei. Was bekomme ich zusätzlich, wenn ich etwas weglasse? Meiner Erfahrung nach ist es eine ganze Menge. Ziel ist immer Low-Intervention, also wenig Einflussnahme. Was dann dabei herauskommt ist eine große Belohnung.

Woran erkenne ich, dass der Wein gut ist? „Weil er schmeckt“, klingt etwas simpel …

Unser Geschmack wurde über Jahrzehnte an die technisierten Fruchtstandards gewöhnt. Wir empfinden dann etwas als gut, wenn es nach Stachelbeere, Melone, Pfirsich schmeckt und die kindlichen Aromen anspricht. Naturwein ist dagegen sehr erwachsen. Auch in anderen Bereichen gibt es eine Hinwendung zu anderen Geschmäckern, man denke nur an Edelschimmel, also an Rockford Käse. Wenn Sie da die Verpackung öffnen, riecht es so intensiv, dass Sie weglaufen möchten. Beim Wein hat da inzwischen ein Bewusstseinswandel eingesetzt, das gilt ebenso für Biere und sogar für Limonaden. Es darf wieder schmutzig sein, es darf wieder ehrlich und ungekünstelt sein.

Gibt es einen Königsweg, Naturwein „richtig“ zu machen?

Es gibt viele unterschiedliche Wege. Wichtig ist als Grundlage eine sehr umfängliche biodynamische Landwirtschaft. Man muss den Reben auch mal etwas zumuten, ihr nicht immer gleich den Schutzmantel drüberlegen. Das ist bei der Schweinezucht. Wenn sie dem Tier nie frische Luft, Wind, Kälte und Wärme und Auslauf und natürliche Nahrung geben, dann wird es auch in einer engen Stallhaltung kränklich und braucht Aufputschmittel und Medikamente. Wenn Sie eine gesunde Umgebung schaffen, ist die Rebe stärker, sind die Trauben gesünder, widerstandsfähiger. Erst dann können sie eigentlich auch die Schutz- und Konservierungsstoffe weglassen.

L’Horizon ist ein Naturwein, der sich vor „herkömmlich“ gemachten Weinen nicht zu verstecken braucht, im Gegenteil. Woran liegt das?

L’Horizon ist einer der bekannteren oder bekannt gewordenen Weine aus Südfrankreich, der eher nach einem burgundischen Vorbild mit weniger Alkohol, mit vorhandener Säure kühl ausgebaut ist. Er hat eine ganz eigene Art, eine Eigenheit, eine spezielle Stilistik. Gerade dieses unerwartete Frische, Kühle aus dem heißen Süden macht den Wein interessant. Der hat auf der einen Seite diese mediterrane südländische Würze und auf der anderen eine kühle burgundische Säure-Stilistik. Aber er ist weniger schmutzig und weniger rau als andere. Deswegen hat er Erfolg – und natürlich auch, weil er mit sehr viel persönlichem Einsatz hier bei uns gut etabliert wurde.

Mal ein Zwischenfazit: Wie erklärst du dir den Erfolg von Naturwein?

Neben dem, was ich schon am Anfang erwähnte, etwa der Suche nach etwas Neuem und nach der Wahrheit im Wein, braucht es immer eine Gegenbewegung. Die Weine wurden zuletzt immer runder, weicher und fruchtiger. Womit sollen sich denn da junge Winzer noch profilieren? Ihre Eltern haben schon alles richtig gemacht. Was soll die nachfolgende Generation noch ändern? Deshalb hat die Idee, mal was wegzulassen und ganz von vorn zu beginnen, Freunde gefunden. Bio, Fairtrade und solche Etiketten haben bei uns nicht so gezogen, da ging es immer noch um einen eher konventionellen Geschmack. Genießer werden bei uns fündig, aber es ist eine andere Form des Genusses als bei den Weinen der vergangenen Jahrzehnte.

Verkaufst du Naturwein aus Überzeugung? Oder bist Du einfach schlau, weil Du den Trend erkannt hast?

Ich war ja einer der ersten damit. Da war von einem Trend noch nicht wirklich viel zu spüren. Ich habe deshalb auch die ganzen Anfangsschwierigkeiten miterlebt, als jede zweite Flasche zurückgebracht wurde, weil der Käufer glaubte, der Wein sei umgekippt. Das war eine sehr anstrengende Zeit. Wir hatten unheimlich viele Rückläufer und es gab nur wenige Gastronomen und Sommeliers, die sich dafür interessierten. Anfangs wusste ich auch selbst nicht, ob ich das mag. Meine ersten Naturweine haben sowohl Ausrufezeichen als auch Fragezeichen gesetzt. Deswegen habe ich weitergemacht und die ersten Winzer kennengelernt. Von diesen ersten Kontakten profitiere ich auch heute noch ganz erheblich. Auch weit übers Thema Wein hinaus.

Die Schmitz Brasserie in Oldenburg gehört zu den ersten Betrieben, die Naturwein anbieten. Hat man es da verstanden, den Trend richtig umzusetzen?

Es ist bestimmt nicht einfach in Oldenburg sowas zu machen, aber Michael Schmitz ist sehr begeisterungsfähig. Es hat bestimmt eine längere Zeit gedauert bis die Qualität so wahrgenommen wurde und die Leute ihre erste Scheu abgelegt haben. Aber nun ist es so weit und die Brasserie ist sicher ein sehr guter Botschafter ...

Kannst Du große Klassiker von Rhein, Mosel, aus Bordeaux und Burgund noch genießen? Oder findest Du das spießig?

Ich bin generell ein sehr offener Mensch und an allen möglichen Sachen interessiert. Ich probiere auch gern gereifte große Gewächse, von denen wir hier unten im Kühlschrank einige lagern. Da machen wir dann auch gern mal eine Blindverkostung. Letztens hatten wir einen Bordeaux für dreihundert Euro, Jahrgang 2000. Wir haben geschätzt, der kommt aus Spanien, sehr gut gemacht, vielleicht um die vierzig, fünfzig Euro. Auch Profis können mal gewaltig danebenliegen – gerade in einer Zeit, in der der Massengeschmack immer mehr globalisiert wird. Aber doch, ich kann auch die Klassiker noch genießen, brauche anschließend aber immer noch einen ungeschwefelten Wein. Etwas Wildes. Etwas, was nach Sauerkraut riecht, nach Kuhmist usw. Ich probiere alles, ich genieße das, bin auch überhaupt nicht in meiner Kategorie gefangen. Trotzdem: Ich mag das sehr, was ich verkaufe.

Zum guten Schluss, wie hast du um Wein gefunden?

Na ja, ich lebe zwar seit 20 Jahren in Berlin, bin aber in der Pfalz aufgewachsen. Mehr Wein als dort geht ja kaum. Dort hatte ich schon sehr früh durch meine Eltern damit zu tun. Später kamen Praktika dazu, dann die Sommelierschule in Heidelberg und die Weinakademie. Ich bin dann nach Berlin, habe zunächst angestellt gearbeitet und den Laden dann 2006 übernommen. Recht schnell habe ich mich dann um die Umstellung von normalem Wein auf Naturwein gekümmert. So bin ich vom Kiez-Weinladen zum richtigen Weinhändler geworden. Mittlerweile arbeiten wir deutschlandweit, auch ein bisschen im Ausland und mit den besten Restaurants. Es macht sehr viel Spaß, mit engagierten, mutigen und jungen Sommeliers, Gastronomen und Winzern zu arbeiten. Die trauen sich alle was und schauen über den Tellerrand und leben zum Teil sehr unkonventionell.
Kategorie: Im Gespräch
Chapeau - Das Magazin für kultivierte Lebensart - Logo