
Lebensart Große weite Welt an der Weser
Große weite Welt an der Weser
Große weite Welt an der Weser
Text: Michael Eckert / Visualisierung: Felgendreher Olfs Köchling
Mit der Überseeinsel entsteht in den kommenden Jahren ein ganz neuer Stadtteil in Bremen. Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Gewerbe liegen so nahe zusammen, dass das Auto in diesem Quartier nicht mehr benötigt wird.

Auf dem Gelände des ehemaligen Kellogg-Werks in Bremen wird derzeit der neue Stadtteil „Überseeinsel“ konzipiert. Wo früher Cornflakes produziert wurden, plant man in der Hansestadt nun ein modernes Wohn- und Geschäftsquartier. Damit wird ein attraktives Areal an der Weser auch wieder für die Öffentlichkeit zugänglich.
Übersee. Das Wort hat den Beiklang von Fernweh und weiter Welt. Es lässt an die glorreiche Zeit der großen Luxusdampfer denken, die wohlhabende Passagiere mit allem zur Verfügung stehenden Komfort über den Atlantik brachten.
Die vielfältigen Assoziationen zu dieser Epoche sind vermutlich mitgedacht worden, als man für den neuen Stadtteil auf dem Gelände des ehemaligen Bremer Kellogg-Werkes den Namen „Überseeinsel“ wählte. Auf 15 Hektar entsteht hier ein Quartier, das den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, das aber auch seine Geschichte repräsentiert. Ein Projekt der Mega-Kategorie. Die Überseeinsel wird eine Stadt für sich, in der Leben, Wohnen und Gewerbe Hand in Hand gehen.
Damit setzen Initiatoren den City-Konzepten aus früheren Jahrzehnten, die das Wohnen aus den Innenstädten verbannten und heute vielfach veröden, eine heterogene Architektur entgegen. Die Planungen laufen seit 2018 und berufen sich auf die Philosophie des dänischen Stadtplaners Jan Gehl, der seine Ansprüche an eine urbane Kultur in den Stichworten Lebendigkeit, Gesundheit, Sicherheit und Ökologie zusammenfasst. Nachbarschaftliches Zusammenleben soll in der Überseeinsel in allen Belangen gefördert werden. Attraktive Plätze, Gastronomie, Kultur, Grünflächen, Schulen, Kitas, Sport oder ein Gesundheitszentrum ergänzen die Wohnungs- und Gewerbeplanung und bilden die Rahmenbedingungen für ein autofreies Quartier.
60 Prozent der Fläche sind in den bisherigen zweieinhalb Jahren der Planung bislang durchkonzeptioniert worden, und bis 2025 und 2026 sollen die Entwürfe realisiert sein. Auffällig, dass man angesichts des neu gedachten Stadtkonzepts auch die frühere Nutzung des Geländes einbezieht. Die Überseeinsel steht zu ihrer Geschichte und verhilft alten Gebäuden zu neuem Glanz. Das ehemalige Silo, die Flakes-Fabrik, das Kesselhaus und das Reislager bilden nach ihrem – selbstverständlich energieeffizientem – Umbau die historischen Marksteine der „Kellogg Höfe“, dem Zentrum des Quartiers. Gastronomie, Foodhallen, Lebensmittelproduktion, Bürolofts oder ein Platz, auf dem bis zu 5.000 Menschen Konzerte verfolgen können – alles ist auf kurze Wege angelegt und entspannt zu Fuß zu erreichen. Im ehemaligen Reislager wird die aus Fischerhude kommende Brüning Gruppe ihren Hauptsitz für 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einrichten, und im kreisrunden Silo wird ein Hotel einziehen, für das man derzeit in einem Wettbewerb noch einen Namen sucht. In den oberen Etagen der früheren Flakes-Fabrik werden Eigentumswohnungen eingerichtet, aber im Erdgeschoss sollen wieder Lebensmittel hergestellt (und auch konsumiert) werden. Zum Beispiel Bier, Brot oder Pizza. Der Schwerpunkt liegt auf regionaler und möglichst ökologischer Herstellung. Dazu passt auch ein geplantes Wohngewächshaus, das gemeinsam mit den Wiener Architekten DMAA geplant wurde und auf dessen Dach die Abwärme aus den Wohnungen zum Anbau von Pflanzen genutzt wird. Dass auch urbane Landwirtschaft bestens in das Konzept der Überseeinsel passt, ist bereits jetzt zu besichtigen. Seit letztem Jahr baut das gemeinnützige Projekt „Gemüsewerft“ auf dem Gelände Gemüse, Kräuter und vor allem Hopfen an.
Das Stephanitor war bis ins 18. Jahrhunderts ein wichtiger Zugang nach Bremen, und bis Mitte des 19. Jahrhunderts gab es hier mit der „Muggenburg“ schon einmal ein belebtes Wohn- und Gewerbeviertel. Mit dem Bau der Überseeinsel zieht hier nun wieder Leben ein. Kleine Handwerksbetriebe, Manufakturen und Läden sollen in den Stephanitorhöfen auf dem Weg entlang der Schlachte zum Hansator einziehen. Die darüber entstehenden 260 Wohnungen sind zur Hälfte im geförderten Wohnungsbau erstellt und sollen neben Auszubildenden und Senioren auch Wohngemeinschaften und größeren Familien Platz bieten. Der optisch an alte Hafenlager erinnernde Bau wird auch das Gesundheitszentrum mit Schwimmbädern und Fitnessstudio beherbergen.
„Der Schwerpunkt liegt auf regionaler und möglichst ökologischer Herstellung.“
Entworfen wurden die Stephanitorhöfe vom renommierten Architektenbüro ROBERTENEUN, während die Architekten Allmann Sattler Wappner die Weserseite im Stephanitor mit fünf modernen Wohngebäuden mit flexibel nutzbaren Grundrissen bebauen. Der Baubeginn ist für das kommende Jahr vorgesehen. Darüber hinaus versprechen die Planer den Bremern, ihnen mit der Weserkaje ein ganzes Stück Weserufer wieder zugänglich zu machen. Ein Gewinn für das öffentliche Leben, eine Reminiszenz an die maritime Geschichte der Hansestadt und ein Hauch von großer weiter Welt.