Genuss Hauptsache Lecker & Cool

Hauptsache Lecker & Cool

Interview mit Kevin Gideon

Interview mit Kevin Gideon

Text: Arash Farahani / Fotos: Contentley Media

Wer in der Region gut essen gehen will, hat das Restaurant von Kevin Gideon in der Oldenburger Innenstadt längst auf dem Zettel. Klein, aber sehr, sehr fein, lautet das Konzept des ambitionierten Gastronomen. Beständig und mit viel Akribie arbeitet Kevin weiter am Ziel, den ersten Michelin-Stern für Oldenburg zu erkochen. CHAPEAU bat ihn um eine Zwischenbilanz. 

Das Restaurant Kevin Gideon
Hier kocht der Chef! Vor rund einem halben Jahr eröffnete der gebürtige Brandenburger Kevin Gideon in Oldenburg sein erstes eigenes Restaurant. Gemeinsam mit seiner Frau Tanja und Restaurantleiter David Maaß entwickelte er das Konzept einer stylish eingerichteten Gaststube mit angenehmer Wohlfühlatmosphäre und einsehbarer Küche, in der sich der Gast ein exzellentes Menü mit vier bis sieben Gängen zubereiten lassen kann – auf Wunsch auch vegetarisch. Jetzt muss nur noch der Guide Michelin auf dieses gastronomische Kleinod aufmerksam werden. 

CHAPEAU — Ihr betreibt dein Restaurant in Oldenburg nun seit knapp fünf Monaten. Wie läuft es bislang für euch?

KEVIN GIDEON – Wir haben hier schon alle emotionalen Höhen und Tiefen durchlebt. Bereits vor der Eröffnung fing das beim Umbau an. Ob alles so klappt, wie man es sich vorgestellt hat, ob die Handwerker alles rechtzeitig schaffen, die Gelder zeitnah kommen, die Rechnungen bezahlt werden können. Mit der Eröffnung kam dann der erste kurze emotionale Zusammenbruch – gerade so, als hätte man einen Berg erklommen. Man nimmt zwar wahr, dass man angekommen ist, kann es aber noch nicht wirklich wahrhaben. Ich wollte nicht glauben, dass dieses Haus wirklich unseres ist. Zwischendurch beschleicht mich immer noch mal das Gefühl, mein Chef kommt durch die Tür, macht mich zur Sau und geht wieder. Ansonsten entwickelt sich jeder Tag prall wie eine Achterbahnfahrt. Es ist eine große Wundertüte. Ich ärgere mich über mich selbst, wenn bei den Vorbereitungen mal etwas schief geht oder organisatorische Dinge nicht rund laufen. Aber wenn dann der erste Gast durch die Tür kommt, bleibt nur die pure Freude. Unterm Strich sind wird unendlich glücklich, dass wir diesen Schritt gegangen sind und jeden Tag eine Leistung abliefern, die für sich spricht. Egal wie ambitioniert und anstrengend es oft ist, ich würde es genauso wieder angehen. 

Welche Erfahrungen macht ihr mit euren Gästen – sind das eher Genießer oder auch Leute von der kleinlichen Sorte?

Das geht quer durch die Bank. Vom entspannten Unternehmer, der weiß wie er mit Menschen umgeht, bis hin zum Erbsenzähler. Wie überall gibt es auch bei uns mal einen Gast, der meint, hier die Ansagen geben zu müssen. Aber solche Leute merken schnell, dass sie damit bei uns nicht weiterkommen. Wir nehmen das locker, erden den Kandidaten mit Ironie und ermuntern ihn, das Posen sein zu lassen und mal er selbst zu sein. Hier muss man niemandem etwas vorspielen. Genieße den Abend, und wenn du wieder draußen bist, kannst du machen was du möchtest. Wer das nicht versteht, hat es schwer bei uns. 

Gibt es etwas, das ihr noch optimieren wollt?

Wir motivieren uns jeden Tag neu, um besser zu sein und aus Fehlern zu lernen. Wir wollen dem Gast ein möglichst noch besseres Erlebnis bieten als am Tag zuvor. Mindestens um 0,1 Prozent besser als gestern. Das muss spürbar sein, das ist mein Anspruch und bedeutet eine große Herausforderung an uns alle. Beim Interieur sind wir schon optimal aufgestellt, ansonsten gibt es hier und da immer etwas zu optimieren. 

Wie gehst du mit diesem Leistungsanspruch um, ist es noch Antrieb durch Herz und Leidenschaft oder doch purer Stress?

Beides. Bis 17:59 Uhr verspüre ich innerlichen Stress, bin unruhig und hibbelig. Aber wenn um 18 Uhr die Tür aufgeht, weiß ich, dass ich nichts mehr ändern kann. Wenn die Vorbereitungen nicht gut waren, muss ich halt damit leben. Im Service ist daran nichts mehr zu ändern. Ich bin Profi genug, um zu wissen, jetzt steht der Gast im Vordergrund, und mein persönliches Empfinden wird zurückgestellt. Die Anspannung lässt nach, man geht zum Tisch und performt. Ich weiß ja noch nicht, was mich dort erwartet – somit macht Stress an der Stelle gar keinen Sinn. 

Wie gehst du mit Kritik um?

Wenn es Leuten nur ums Meckern und Draufhauen geht, ist man bei mir an der falschen Adresse. Aber konstruktive Kritik nehme ich immer sehr gerne an. Das sage ich auch oft unseren Gästen. Ich möchte lieber hören, was nicht gepasst hat, als andersherum. Daran können wir wachsen und besser werden.

In welchen Bereichen habt ihr euch denn schon weiterentwickelt?

Beim Thema Wein sind wir stark gewachsen. Auch bei der Ansprache auf dem Teller und den Aromen haben wir uns verbessert, sind puristischer geworden. Zudem haben wir uns personell verdoppelt. Seitdem agieren wir im Team viel entspannter, und das gibt uns die Zeit, für den Gast bestmöglich zu arbeiten. Darin liegt eine unserer großen Stärken.

Wie seid ihr personell jetzt aufgestellt?

Anfangs haben wir das Restaurant zusammen mit meinem Restaurantleiter und mit meiner Frau zu dritt gedreht. Aber wir haben ganz schnell gemerkt, dass es so nicht funktioniert und keinen Spaß macht. Schon gar nicht auf Dauer. Als unser Restaurantleiter krankheitsbedingt ausgefallen ist, hat uns das sofort geerdet und gezeigt, auf welch wackeligen Beinen das Ganze steht. Als erstes haben wir dann jemanden fürs Restaurant gesucht, natürlich eine Fachkraft. Per Zufall meldete sich fast zeitgleich ein Koch aus Wilhelmshaven. Der hat sich vorgestellt und einen sehr guten Eindruck gemacht. Alles passte, und innerhalb von sechs Wochen konnten wir uns verdoppeln. Nun arbeiten wir daran, Nachwuchs heranzuziehen.

Wie reagieren die Kollegen aus der Gastronomie auf euch?

Bislang waren nur wenige Kollegen hier. Wer schon hier war, fand alles wunderbar und wünschte uns viel Glück. Unser Restaurant wird natürlich mit Adleraugen beobachtet – von wegen mutig und große Klappe. Letztlich aber kocht jeder seine eigene Suppe, und jeder, der Spaß an seiner Arbeit hat und Präsenz zeigt, muss nicht ungerechtfertigt schlecht über andere reden. Wenn jemand etwas auf dem Herzen hat, kann er gerne herkommen und es uns direkt sagen. So gehen wir auch mit anderen um. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass wir die hiesige Szene mit unserem Konzept bereichern.

Jeder Anfang ist schwer, auch bei großen Köchen. Massimo Bottura, zum Beispiel, fand zu Anfang kein Verständnis für seine Küche und war kurz vorm Aufgeben. Ist deine Küche sofort wertgeschätzt worden?

Ja, definitiv. Vermutlich haben wir gerade den richtigen Zeitpunkt erwischt, um unsere Gäste für ein neues Gastronomie-Verständnis zu begeistern. Wir sind in einem Umfeld gestartet, in dem ansonsten nur negative Stimmung herrschte. Schlechte Nachrichten, Pandemie, Schließungen und so weiter. In der Situation haben wir unser neues Reich eröffnet und dem Gast signalisiert, er brauche sich darüber keine Gedanken machen. Er soll sich einfach hinsetzen und genießen. Das haben die Leute ganz schnell verstanden und gar nicht erst angefangen, unsere Konzepte und Gerichte zu hinterfragen. Nur der Genuss steht im Vordergrund. Ich gehe nicht so verkopft an die Sache heran, und das unterscheidet mich vielleicht auch von den ganz großen Kollegen. Ich mache, was mir gefällt, und zwar nicht, um Auszeichnungen einzuheimsen. Meine Anerkennung beziehe ich aus dem zufriedenen Lächeln unserer Gäste. Das merken sie und sind dankbar dafür, dass sie beim Essen nicht zu viel grübeln müssen.

Wo siehst du deine Küche in zwei Jahren?

Ich hoffe noch in dem Gebäude hier (lacht). Ansonsten noch immer bodenständig, hoffentlich noch bekannter. Nicht, weil meine Kochkunst so toll ist, sondern weil wir im Rahmen der gehobenen Gastronomie provokanter sind – und nicht die mit einem steifen Stock im Popo. Meine Küche hält sich halt nicht an irgendwelche statischen Regeln. Die kann heute asiatisch, morgen italienisch, übermorgen französisch angehaucht sein. Hauptsache es ist lecker und cool. Ich wünsche mir, in zwei Jahren unter den Top 300 in Deutschland gelistet zu sein. Das heißt, der rote Michelin-Stern vorne an der Tür. Das würde uns noch ein bisschen bekannter machen und für die Region eine Aufwertung bedeuten. So würden wir die Szene gerne etwas aufmischen.

Würde man deine Gerichte mit Musik vergleichen, spricht man dann über Rock, Klassik oder eher Punk?

Elektro. Zwischen Soft House und Goa. Das würde passen.

Mittlerweile stehen wir alle vor neuen Herausforderungen. Zuerst war es Corona, jetzt ist es der Krieg. Das bringt eine unwahrscheinliche Preiserhöhung auf allen Ebenen mit sich. Energie, Einkauf… Wie schlägt sich das bei euch nieder und wie geht ihr damit um?

Die Entwicklung ist immens, und das tut sehr weh. Der Preis für unser Monatsmenü ist festgeschrieben. Wenn wir aber für den Kilo Spargel zehn Euro mehr ausgeben müssen, geben wir die Preissteigerung 1:1 weiter. Das kommunizieren wir sehr offen und ehrlich mit den Gästen. Dann gibt es noch die Tagespreiskarte, die kennt der Gast und ist bei der Bestellung damit einverstanden. Das gehört zum Thema Transparenz und klappt aktuell auch sehr gut. Wenn es aber ungebremst immer weiter eskaliert, dann wird das auch mit Offenheit schwierig werden.

Wie wirkt sich die Preissteigerung auf deine Lieferanten aus?

Die berechnen oft Lieferpauschalen, in die Sprit- und Energiepreise eingepreist sind. Das ist völlig okay. Auch bei allen anderen Leistungen sind die offen und ehrlich, kündigen Steigerungen minimum zwei Wochen vorher an. Damit können wir sehr gut arbeiten. Gerade in schwierigen Zeiten ist es wichtig, zusammenzuhalten, und darauf zu hoffen, dass es irgendwann wieder besser wird.

Hast du schon mal über einen Notfallplan nachgedacht?

Nein. Während Corona wollte ich ein Notfallkonzept vorbereiten. Aber das hat mir soviel Energie geraubt, dass ich die Idee kurzerhand wieder verworfen und entschieden habe, dass wir im Falle eines Worst Case mit dem Team gemeinsam an Lösungen arbeiten und weitere Entscheidungen fällen. Nicht vorher. Bis dahin genießen wir jeden Tag und das Privileg, mit unserer Arbeit, den Gästen eine Freude bereiten zu dürfen. Das ist das Schönste, was wir zurzeit machen können.

„Konstruktive Kritik nehme ich sehr gerne an. Daran können wir wachsen und besser werden.“

Man kennt dich für deine offene und positive Einstellung. Gibt es auch Dinge, die dir Sorgen bereiten?

Ja, Gedanken mache ich mir natürlich immer. Zum Beispiel, wie ich als Chef die perfekte Balance halte als Vorgesetzter, Kumpel und Aushängeschild des Hauses, ohne wie ein Diktator rüberzukommen. Bleibe ich so ausgewogen, dass meine Mitarbeiter jeden Tag motiviert und engagiert mitwirken, als ob es ihr eigener Laden wäre? Und werde ich auch meinem privaten Umfeld so gerecht, dass ich beide Bühnen auf Dauer gleichsam bespielen kann wie jetzt? Das sind die Fragen, die mich am meisten beschäftigen. Viele andere sind von äußeren Faktoren abhängig. Ich arbeite hart daran, das Optimum zu erreichen. Und meine Gesundheit ist mir natürlich auch sehr wichtig.

Was sind deine dringendsten Wünsche für die nahe Zukunft?

Dass alles so bleibt, wie es jetzt gerade ist. Ich hätte gerne mehr Zeit für mich und meine Familie. Alles andere läuft gerade perfekt für mich. Das würde ich gerne anhalten, in einem Bild festhalten und darauf stolz sein.

Abschließend gefragt: Was hältst du von Tim Mälzer und seiner Kochshow „Kitchen Impossible“? Würdest du mitmachen, wenn er an die Tür klopft?

Das Format ist das beste, das es derzeit im Fernsehen gibt. Darüber hinaus wäre die Kombination von Tim Mälzer und einem Unbekannten mit einer ähnlich großen Schnauze sehr reizvoll für alle. Also, Herr Mälzer, rufen Sie mich an!

Kategorie: Genuss
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