Menschen „HOW FAR MUST A MAN GO TO FIND HIMSELF – OR OLDENBURG?“
„HOW FAR MUST A MAN GO TO FIND HIMSELF – OR OLDENBURG?“
Interview mit Torsten Neumann
CHAPEAU: Gab es vor 24 Jahren irgendetwas, dass dich sicher gemacht hat, in Oldenburg ein weltweit bekanntes und anerkanntes Filmfest zu etablieren?
Torsten Neumann: Die beste Frage gleich zum Anfang! Zunächst einmal waren wir damals zu zweit – mein Compagnon hieß übrigens auch Thorsten –, und aus irgendeinem Grund hatten wir eine unbekümmerte Grundhaltung. Es gab nur unsere Egos. Wir hatten uns aber mit Sicherheit nicht ausgemalt, dass wir das den Rest unseres Lebens weitermachen. Als der andere Thorsten nach fünf Jahren aufhörte, waren wir schon an einem Punkt, mit dem wir nicht hätten rechnen dürfen. Wir hatten ein Prinzip, von Anfang an: Wir wollen nicht unten anfangen und sehen, ab wann was klappt, sondern gleich alles probieren. Wir haben Robert de Niro und Co. eingeladen und dann gesehen, ab wann wer Ja sagt. In den 90ern war die Filmwelt allerdings noch eine andere. Die Schere zwischen Mainstream und den Major-Studios auf der einen Seite und den Indie-Studios auf der anderen Seite war noch nicht so groß. Es gab Leute, die total offen auf uns reagiert haben. Wenn ich mir heute überlege, mit wem wir uns damals so unterhalten haben ... Heute würden wir noch nicht einmal über die Vorzimmerdame hinwegkommen.
War es immer schon ein Talent von dir, mit den Riesen-Egos in der Filmbranche zurechtzukommen, oder hast du das im Laufe der Jahre erlernt?
Genaugenommen lernt man, indem man Erfahrungen sammelt. Es ist jedoch so, dass ich auch heute noch nicht gut mit den Riesen-Egos in der Filmbranche umgehen kann. Will ich auch nicht. Interessanterweise sind diejenigen mit den größten Namen am wenigsten schwierig. Die wissen, wer sie sind, und haben kein Ego-Problem. Die mit den Ego-Problemen sind die „Up-coming“, die sich selber noch nicht einordnen können. Den Umgang mit denen zu erlernen, steht nicht auf meiner Agenda. Die sollen ihr Ding machen und mich in Ruhe lassen.
Was bedeutet für dich Stress? Und wie gehst du damit um?
Ich habe den ganz wichtigen Lebensgrundsatz, dass Stress Spaß machen muss. Es gibt Stress, dessen Bewältigung Freude machen muss. Und dann gibt es Stress, der echt nervt. Und den gilt es vermeiden, so oft es geht. Der greift auch den Körper an. In den 24 Festival-Jahren hatte ich immer nur den Stress, den ich bewältigen konnte – und der damit auch Freude brachte. Klappt meistens …
Siehst du dir ganz normale Filme an, also „Star Wars“ oder „Valerian“?
Total gerne! Ich gucke natürlich zu bestimmten Zeiten des Jahres wahnsinnig viele Filme, die ich gucken muss, weil sie eingereicht sind, wir uns darum kümmern müssen, so dass ich nach dem Festival manchmal so zum Spaß sage: Ich hasse Filme, ich will gar nichts mehr sehen. Aber was ich wiederum sehr genieße, ist, Filme öfter zu sehen, deshalb gucke ich meine Lieblingsfilme gerne mal wieder. Ich stehe auf Kino aus den 70ern. Und in „meinem Kino“ sehe ich auch ganz normale Filme, lasse mich gerne überraschen. Vielleicht nicht unbedingt „Star Wars“, aber „Bond“ sehe ich sehr gerne. Ich bin vielleicht nicht der größte Fan von Daniel Craig als Bond, das ist aber auch ein Phänomen der Zeit. Die Produzenten versuchen, ihn an unser Verständnis von Gender, Political Correctness und sonstwas heranzubringen. Doch Bond ist eigentlich immer ein verdammtes Arschloch gewesen. Insofern bedauere ich, dass er so verbogen wird, um weiterhin Kasse zu machen.
Was machst du, wenn du nicht gerade das Filmfest abhältst? Oder gilt: Nach dem Filmfest ist vor dem Filmfest?
Das ist leider so. Denn das Filmfest ist ein Ganzjahresjob, für viel mehr als nur einen Menschen. Und ich habe mehr als genug damit zu tun. Es gibt allerdings schon noch andere Dinge, die ich mache. Ich produziere kleine deutsche Indie-Filme mit meinem Kumpel RP Kahl, mit dem ich auch einen kleinen Film-Verleih habe. Wir haben inzwischen ein DVD- und Blu-ray-Label und bringen die Sachen ins Heimkino.
Wird das 25. im kommenden Jahr ein Jubiläumsfest mit noch mehr großen Namen oder einfach das nächste Filmfest?
Mir schwirren da schon eine ganze Menge Ideen im Kopf herum. Und zum 25. muss man irgendwas machen. Ich muss natürlich aufpassen, nicht in die Retro-Falle zu tappen. Es wird ein ganz normales Filmfest geben, aber wenn wir Glück haben, wird es größer und toller als zuvor. Es ist eine Geschichte, die irgendwie gefeiert werden muss. Im nächsten Jahr werden auf jeden Fall die Partys wilder ... (lacht)
Ein paar Tipps zum aktuellen Filmfest-Programm: Worauf sollten wir uns besonders freuen? Worauf freust du dich besonders?
Es gibt ein paar super-geile Filme. Ich neige dazu, die ungewöhnlichsten und schrägsten und die Filme zu empfehlen; Filme, auf die man sich einlassen muss und bei denen die Oldenburger ihre Abenteuerlust auspacken müssen. Wir haben zum Beispiel den neuen Film von Takeshi Kitano, eine Deutschland-Premiere, „Outrage Coda“ im Programm, der ein paar Tage zuvor als Abschlussfilm in Venedig gelaufen ist. Wenn ich daran denke, bekomme ich Gänsehaut. Kitano ist ein Kult-Regisseur, den wir vor über 20 Jahren mal für eine Retro eingeladen hatten, der aber wegen eines Motorradunfalls nicht kommen konnte. Seitdem hat er eine halbseitige Gesichtslähmung, die ihn in seinen Gangster-Filmen noch cooler aussehen lässt. Das ist ein Highlight. Dann gibt es noch unseren Eröffnungsfilm: „Familiye“ – ein türkischer Street-Kid-Gangster-Film, der in Berlin-Wedding spielt. Die Macher sind völlig anders zum Kino gekommen. Aus meiner Sicht ein seltener Fall für das deutsche Kino. Ich habe schon lange keinen so intensiven, grungigen Film aus Deutschland gesehen, der mich sofort an „Mean Streets“ von Martin Scorsese erinnert hat. Der Soundtrack ist geil! Moritz Bleibtreu hat das Projekt irgendwann gesehen und das Ganze unter seine Fittiche genommen. Er wird mit dem Film das Fest eröffnen. Davon einmal abgesehen: Der Film hat so einen Punch. Er ist ohne Förderung entstanden – und der absolute Hammer! Auf den belgischen Underground-Film „Spit ‘n‘ Split“ freue ich mich ebenfalls. Eine „Mockumentery“ über eine belgische Punk-Band. Der ist wie eine richtig harte Welle, bizarr und großartig inszeniert. Die Band will nach Oldenburg kommen und spielen. Das wird auch ein Ereignis!
Hollywood-Größen?
Ed Pressman kommt, dem die Retrospektive gewidmet ist. Er ist einer der größten Produzenten, der in seiner 50-jährigen Karriere immer unabhängig von den großen Studios gearbeitet hat. Seine Anwesenheit ist für uns eine Würdigung unseres Standings. Für einen schönen Indiefilm „Quest“ kommt Lou Diamond Philips, auch ein Kult-Schauspieler, den man aus Filmen wie „Young Guns“, „La Bamba“ und „Stand and Deliver“ kennt. Die „New Kids“ haben wir auch eingeladen, die sind bei jungen Leuten irre populär. Trash-Humor, echt lustig, aber mal sehen ...