Menschen Ich bin ein sehr neugieriger Mensch
Ich bin ein sehr neugieriger Mensch
Interview mit Max Moor
Schauspieler und Moderator, Landwirt und Buchautor – Max Moor ist und war vieles. Wir trafen den Schweizer in den GORKI Apartements in Berlin, der perfekten Kulisse für ein intensives Gespräch.
CHAPEAU ― Herr Moor, bis 2017 haben Sie Landwirtschaft betrieben. Haben Sie sich als Landwirt gesehen?
Moor ― Natürlich, ich war Landwirt! Und hab mich Stolz auch so genannt.
Wie sind Sie zum biologisch-dynamischen Landbau gekommen?
Ich bin sehr ländlich aufgewachsen, in einem kleinen Dorf. In meinen Kindheitserinnerungen ackerte der Bauer noch mit dem Pferd übers Feld. Die Kühe wurden zwei Mal am Tag durch die Straßen getrieben. Der erste Mähdrescher, den die bäuerliche Genossenschaft der Umgebung gemeinsam gekauft hatte, war eine echte Sensation. Und es gab ein Schlachthaus, in dem Kinder trotz Hygienevorschriften dabei sein durften, wenn die Tiere zerlegt wurden. Das war alles hoch interessant und hat mich geprägt. Ich bin dann aber doch irgendwann in die große abenteuerliche Stadt, wie fast alle Land-Kinder.
Sie sind aber zurückgekommen …
Und es war klar, dass ich etwas in Richtung Landwirtschaft machen möchte – aber ohne Schweine- oder Rindermastanlage. Man ist schnell bei einer biologischen Arbeitsweise, wenn man mit den Tieren und der Natur in Einklang sein möchte. Das Bäuerliche ist für mich der Ursprung, das kann ich wirklich sagen. Sehr traurig, dass wir dabei sind, all das zu zerstören, was unser Leben seit Jahrhunderten überhaupt erst möglich macht.
Haben Sie eine besondere Nähe zur Anthroposophie?
Wir betreiben einen Demeterhof. Die Standards sind dort schon sehr hoch, das finde ich gut. Aber wir haben sie sogar noch höher angesetzt. Mit Anthroposophie habe ich wirklich nichts zu tun. Ich habe den Eindruck, dass dort oft ziemlich elitäres Denken vorherrscht.
Warum gaben Ihre Frau und Sie die Landwirtschaft dann aber doch wieder auf?
Da gab es tausend Gründe. Einer davon war, dass meine Frau erkrankte. Das war ein harter Kampf, den wir Gott sei Dank gewonnen haben. In dieser langen Zeit fehlte unserem Betrieb die Seele. Da mussten wir die Notbremse ziehen. Es war eine große Erleichterung, die große Verantwortung für all die Tiere los zu sein. Mit meiner Tochter habe ich zunächst versucht, den Betrieb am Laufen zu halten. Aber dann wurde klar, es geht einfach nicht mehr. So haben wir einen Schlussstrich gezogen.
Gab es weitere Gründe?
Ja, politische, gesellschaftliche. Es herrscht eine gewisse Doppelmoral. Alle Leute erzählen, dass sie Bio ganz toll finden – und laufen trotzdem zu Lidl. Wir wussten immer, was unser Fleisch wert war, aber irgendwann kannst du halt nicht mehr teurer werden. Wenn man seine Hühner artgerecht hält, kostet ein Ei zwei Euro, das zahlt niemand. Man müsste also Abstriche machen und Kompromisse eingehen, das ist nicht immer leicht. Daneben ist das auf dem Bauernhof einfach ein harter Job. 365 Tage im Jahr. Ohne Sozialversicherung. Und man ist gezwungen, immer weiter zu wachsen, wenn man konkurrenzfähig bleiben will. Alles in allem glaube ich nicht mehr an die Zukunft der kleineren Bauernhöfe. Einige werden vielleicht, hoch gefördert, in Schutzgebieten weiter existieren können, damit die Städter ihren Kindern was zu zeigen haben. Der Rest wird industrialisiert. Und das tut weh. Wenn ich mir den Osten Deutschlands ansehe, dann ganz besonders. Da ist unendlich viel Land, das hätte hier die gesundeste Lebensmittelkammer Deutschlands werden können. Stattdessen aber geht es um den Export, den Weltmarkt und das Bruttosozialprodukt. Unsere Enkel werden nicht mehr wissen, was ein echter Bauernhof ist.
Es hat sich also in den vergangenen Jahren einiges bei Ihnen verändert. Wie würden Sie sich heute beschreiben?
Man kann sich nicht selbst beschreiben, jedenfalls nicht mit einem oder fünf Sätzen. Was bin ich... diese Frage war für mich immer schon schwer zu beantworten. Wenn ich ein Buch schreibe, bin ich wahrscheinlich kurz Schriftsteller. Wenn ich im Fernsehen auftrete, bin ich rasch Moderator. Oder wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich in dem Moment Schauspieler. Bin das dann jeweils wirklich ich? Unsinn, es sind einfach Tätigkeiten, mehr nicht. Sich selbst zu beschreiben geht nicht.
Talente? Oder eher Arbeit nach Vorgabe? Sind es so Dinge, die gewisse Passionen mit sich bringen, oder wo sie sagen ich mache das, weil ich es jetzt tun muss?
Beides. Ich halte mich für einen sehr neugierigen Menschen. Aber man kann nur ein Leben leben, nicht fünf oder sechs verschiedene. Ich finde es spannend mir zu überlegen, wie es wäre, ein Fisch zu sein, oder im Supermarkt an der Kasse zu arbeiten. Diese Neugier treibt einen dazu, Dinge auszuprobieren. Man denkt sich, so stelle ich mir das vor, aber man findet es erst heraus, wenn man es tut. In der Fabrik arbeiten, zum Beispiel. Im Moment frage ich mich, wie es wäre, einen guten Schnaps brennen zu können. Oder zu malen. Ich probiere gern aus, mache immer wieder etwas anderes als zuvor. Dabei bin ich eigentlich ein extrem fauler Mensch. Ich kann mir auch gut vorstellen, zwei Jahre lang einfach nichts zu tun. Und dann kein Ergebnis im Sinne einer Erkenntnis zu haben.
Ist das eher ein Luxus, vom Gefühl her solche Dinge gleichzeitig tun zu können?
Es ist ein unglaublicher Luxus. Ich bin nicht besonders stolz auf meine Biographie, aber wenn ich zurück gucke, habe ich es geschafft, immer freischaffend zu sein und nie abhängig von einem Chef. Es gab keine Phase in meinem Leben, in der ich jeden Tag zur selben Zeit ins selbe Gebäude gehen musste, um denselben Job am selben Schreibtisch zu machen. Das ist Luxus. Ich bin sehr dankbar dafür.
Gibt es etwas, das Sie lieber machen? Singen lieber als schauspielern, moderieren lieber als schreiben etc.?
Das kann ich nicht beantworten. Ich erstelle da keine Ranglisten. Es gab Tage, an denen ich es richtig geil fand, zu schreiben. Und es gab natürlich auch Tage, wo ich mir gesagt habe, wieso tust du dir das an? Ich will aufhören und jetzt sofort den Verlag anrufen und sagen: das wird alles nix! Alle Tätigkeiten, mit denen ich bisher zu tun hatte, habe ich im Ganzen gesehen als extrem glücksbringend empfunden. Obschon ich mich auch an verzweifelte Phasen erinnere, etwa, wenn das Wetter nicht stimmte und darum das Gras nicht gewachsen ist.
Der Vorname Max ist Ihnen besonders wichtig. Warum eigentlich? Sie hießen doch Dieter …
Weil ich Dieter einfach nie mochte. Und wenn man schon die Arroganz aufbringt, sich anders zu nennen, dann ist Max der Name, den ich bereits als Kind lieber gehabt hätte. Aber die Eltern meinten, das erinnere zu sehr an Max und Moritz und ich würde später ausgelacht. Mir ist nicht so sehr der neue Name wichtig, obwohl ich ihn wirklich mag, wichtig ist, nicht mehr Dieter heißen zu müssen.
Sie haben Schauspieler richtig gelernt. Verstehen Sie den manchmal den offenen Groll der „echten“ Schauspieler gegenüber „Seiteneinsteigern“?
Null. Das einzige Kriterium sollte doch sein, ob jemand was kann oder nicht. Ich verstehe den Groll von guten Schauspielern gegenüber schlechten Schauspielern, gerade wenn sie mit solchen zusammenarbeiten müssen. Aber ob jemand eine Ausbildung hat, oder ob er Quereinsteiger ist und es einfach funktioniert – das ist doch egal!
Sind Sie ehrgeizig? Warum glauben Sie, wurde alles, was Sie begonnen haben, ein Erfolg?
Nein, das kann man so nicht sagen. Sonst hätte ich vielleicht nie wieder etwas anderes gemacht. Man kann mein Leben durchaus auch so sehen, dass ich viel probiert habe, aber nirgends den wirklich riesigen Erfolg hatte. Natürlich bin ich ehrgeizig in dem Sinne, dass ich eine gewisse Qualitätsstufe erreichen will, und die Leute für gelungen halten, was ich darbiete.
In welcher Kunstform fühlen Sie sich am freiesten?
In keiner. Kunst ist nicht dazu da, dass der Künstler sich frei fühlt. Komischerweise habe ich immer noch dieses kindliche Bild von Freiheit, nichts zu müssen. Dabei stimmt das natürlich nicht. Man muss den Kühlschrank füllen und genügend Geld auf dem Konto haben. Ich kenne keinen Künstler, der sagt, das macht mich frei. Tätigkeiten sind nicht dazu da, zu befreien. Die Freiheit besteht darin, selbst entscheiden zu dürfen, was man tut und was man lässt.
Gibt es eine Beziehung zwischen Freiheit und Erfüllung?
Ich glaube an eine Art Wechselwirkung. Ausschließlich nur zu tun, was man möchte, das wäre die absolute Freiheit. Die ist allerdings unerreichbar. Man weiß auch gar nicht, ob man das überhaupt könnte. Was macht man etwa mit zu viel freier Zeit? Wird das nicht langweilig? Und ist die Neugier auf Neues nicht irgendwann erschöpft? Natürlich würde ich es mal gerne erleben, wenn aus ein paar Bitcoins Millionen würden. Das gäbe mir die Freiheit, nur noch das zu machen, was ich unbedingt möchte. Aber verblödet man dann nicht? Man weiß es nicht. Freiheit hat nichts damit zu tun, das man nichts tut, sondern damit, entscheiden zu können, was man tut. Da bin ich doch mit einem hohen Maß an Freiheit beglückt worden in den letzten Jahrzehnten.
Womit werden Sie uns als nächstes überraschen? Vielleicht mit Malerei?
Nein, eher nicht. Ich würde mich selbst überraschen, wenn ich es könnte. Aber vielleicht probiere ich es mal aus.
Gibt es etwas am Showgeschäft, das Sie abgrundtief und offen hassen?
Wenn ich als Zuschauer für blöd verkauft werde. Das gilt auch für die Nachrichten. Wenn mir ein Moderator einfach nur sagt, es könnte heute regnen, dann ist das okay. Aber wenn er mir rät, „vergessen Sie nicht, den Regenschirm mitzunehmen“, dann ist das doch Kindergarten, albern. Ich will ernst genommen werden. Wir sind doch erwachsene Menschen.
Viele Menschen mit viel Geld ziehen in die Schweiz, Sie sind nach Berlin gezogen. Warum?
Weil ich kein Geld hatte [lacht]. In der Schweiz ist es schwierig, neugierig zu sein. Alles funktioniert, alles läuft. Alle sagen, irgendwas war schon immer so und das macht man so. Und man kann nicht mal viel dagegen sagen, weil es ja funktioniert. Ich hab das in meinem ersten Büchlein mit einer Modelleisenbahn verglichen. Als kleiner Junge hab ich davon geträumt, eine Modelleisenbahn-Anlage zu haben. Dann hat mein Onkel mir das Holz dafür geschenkt. Wunderbar. Ich habe mit riesigem Enthusiasmus eine Eisenbahn-Landschaft gebaut. Dann war alles fertig und schlagartig wurde es langweilig. Von einer Sekunde auf die andere. Fertig eben. Ein bisschen so kam mir die Schweiz vor, alles ist fertig und dadurch maßlos uninteressant. Und dann hat es mich beruflich kurz nach Berlin verschla- gen, nur für ein paar Wochen für ein sehr interessantes Dokumentarfilmprojekt. Sofort habe ich gesehen, hier ist nichts fertig. Vieles
ist unklar. Im Osten herrschte Angst vor den Westlern und im Westen Angst, dass jetzt die Ossis kommen. Niemand wusste, was morgen sein wird. Mann, hat mich das fasziniert. Ich habe meiner Frau dann gesagt, ich möchte nach Berlin – zumindest in die Nähe aufs Land. Ich finde es großartig. Hier kann man noch was tun, hier ist noch Platz für Ideen.
Sie gelten als einer der intellektuellen Köpfe im deutschen Fernsehen. Wie sehen Sie dessen Entwicklung?
Ehrlich gesagt sehe ich kaum fern. Ich finde einfach nicht die Zeit dafür. Und mir ist auch ohne Fernsehen nicht langweilig. Wenn ich aber mal reinschaue oder mir etwas aus der Mediathek suche, habe ich das Gefühl, dass es tendenziell sehr viele Sendungen gibt, die den Zuschauer für blöd verkaufen. Vielleicht mögen die Leute das, es gibt wohl eine gewisse Sehnsucht nach Illusion und heiler Welt, wie sie etwa der Schlager verkörpert. Nur für bare Münze darf man das alles nicht nehmen. Wir Kulturjournalisten stehen diesem Phänomen natürlich skeptisch gegenüber. Aber wir müssen auch aufpassen, den Menschen nicht die Welt erklären zu wollen. Dazu neigen wir manchmal...
Was tun Sie dagegen?
Ich versuche, die Leute ernst zu nehmen. Ich stelle mir beim Schreiben meiner Moderation einen Freund oder eine Freundin vor oder meine Familie, denen ich etwas erzählen möchte. So begegne ich den Zuschauern auf Augenhöhe, von Du zu Du. Aber Fernsehen ist schwierig, vor allem wenn es um Qualität geht. Ich hoffe deshalb sehr, dass der öffentlich rechtliche Rundfunk nicht stirbt. In der Schweiz hat es dazu ja eine Volksabstimmung gegeben. Die Leute, die dort Fernsehen machen, sagen wir müssen Quote machen, weil nur mit guten Quoten, können wir die Gebühren rechtfertigen. Schön wäre, wenn die Öffentlich-Rechtlichen eine Art Akademie hätten, in der man lernt, wie Recherche geht, woher man Informationen bekommt etc. Junge Menschen sollen dort dort das Fernsehhandwerk erlernen können. Und Unabhängigkeit. Natürlich sagt jeder Journalist, wir sind trotz Werbe-Einnahmen unabhängig. Aber ich glaube, dass dennoch eine gewisse Abhängigkeit besteht und sei sie nur unbewusst.
Herr Moor, wir danken Ihnen für dieses Interview.
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