Menschen Im Abgleich mit sich selbst
Im Abgleich mit sich selbst
Im Abgleich mit sich selbst
Interview: Michael Eckert | Foto: Ruth Kappus
Die Schauspielerin Lisa Bitter ist den meisten Menschen als Johanna Stern aus dem „Tatort“ des SWR bekannt. Seit sechs Jahren spielt sie dort die Assistentin von Kommissarin Lena Odenthal. Aber wer sie auf diese Rolle festlegt, wird ihr nicht gerecht. Im CHAPEAU-Interview gibt Lisa Bitter Einblick in ihre vielfältigen Aktivitäten.
Info – Die Schauspielerin Lisa Bitter ist 1984 in Erlangen geboren. Nach der Schauspielausbildung an der Hochschule „Felix Mendelssohn Bartoldy“ in Leipzig war sie am Staatstheater Stuttgart engagiert, spielte in der SWR-Serie „Laible und Frisch“ und in Sönke Wortmanns Kinofilm „Das Hochzeitsvideo“. Seit 2014 ist sie die Johanna Stern im „Tatort“ des SWR. Auf ZDFneo war sie im Serienexperiment „Schlafschafe“ zu sehen, und auch eine zweite Staffel der Amazon-Prime-Produktion „Der Beischläfer“ erschien 2021.
CHAPEAU — Du bist als Schauspielerin auf den verschiedensten Plattformen unterwegs. Neben TV spielst du Theater, und auf Amazon Prime bist in der Serie „Der Beischläfer“ aufgefallen. Worum geht es in der Serie?
LISA BITTER – „Der Beischläfer“ ist eine Münchner Serie um den KFZ-Mechaniker Charlie Menzinger, der von Harry G alias Markus Stoll gespielt wird. Sein Leben wird turbulent, als er den Aufruf zum Schöffen erhält und sich aus Schlamperei unfreiwillig für fünf Jahre als ehrenamtlicher Richter verpflichtet. Das Schöffengericht ist in etwa vergleichbar mit den Geschworenengerichten in Amerika. Laienrichter wohnen den Verhandlungen bei, um „die Stimme des Volkes“ zur Urteilsfindung beizutragen. Dort trifft er auf die smarte Ex-Berliner Richterin Frau Dr. Julia Kellermann, die von mir gespielt wird. Diese beiden Charaktere müssen sich nun miteinander herumschlagen, München trifft Berlin, bayerisches Laissez-faire trifft auf Berliner Effizienz, und dann nimmt die Komödie ihren Lauf…
Bist du selbst auch ein Serienjunkie und guckst am liebsten sämtliche Folgen in einem Rutsch?
Oh ja. Es passiert mir schon, dass ich eine Serie beginne und einfach nicht mehr aufhören kann. Vor allem vergangenen Winter, als wir alle wegen der Ausgangsbeschränkungen und Lockdowns sehr viel Zeit zuhause verbracht haben. Ich bin ein großer Fan der Serie „Fargo“, und plötzlich gab es die vierte Staffel… Ein schöner Moment.
„Jegliche Form von Verschwörung halte ich für demokratiefeindlich.“
In der ZDF-Mediathek kann man dich noch „Schlafschafe“ sehen. Die sechs Folgen wurden in einem Stück in der Nacht zum 12. Mai auf ZDFneo als „Instant-Dramaserie“ ausgestrahlt. Wurden die auch genauso „instantmäßig“ schnell abgedreht?
Es war ein sehr rasantes Projekt, das stimmt. Sowohl in der Entstehung des Stoffes von Regisseur Matthias Thönissen und Autorin Zarah Schrade als auch in der Umsetzung am Drehort. Es ist ein tolles Gefühl, an einem Projekt beteiligt zu sein, das so beweglich ist und auf aktuelle Entwicklungen Bezug nehmen kann. Wir spürten schon am Set die Relevanz dieses brisanten Themas, das alle etwas angeht. Und wir wussten, dass auch die Postproduktion unfassbar schnell gehen würde und die Ausstrahlung schon kurze Zeit später stattfinden konnte. Das macht unter anderem auch den Look der Serie aus. Er ist alltagsnah, unprätentiös und brandaktuell.
Du spielst da eine junge Mutter, die plötzlich an Verschwörungstheorien glaubt. Das ist ja ein hoch aktuelles Thema. Wurde aus dieser Aktualität die Idee zur „Instantserie“ geboren?
Ja. Matthias Thönnisen und Zarah Schrade hatten sich schon eine Weile mit dem Thema Verschwörungstheorien beschäftigt und wollten einen seriellen Beitrag dazu machen. Als dann die Corona-Krise in unser aller Wirklichkeit trat, war das der Anlass, die Verschwörungen rund um dieses Virus zum Thema zu machen.
Bist du selbst auch empfänglich für Verschwörungstheorien?
Kein bisschen! Die Absurdität mancher Theorien übersteigt wirklich meine Vorstellungskraft. Zudem halte ich jegliche Form von Verschwörung für demokratiefeindlich. Wer davon ausgeht, dass eine oder mehrere „höhere Mächte“ sich bereichern und aktiv dafür sorgen wollen, dass große Teile der Bevölkerung klein gehalten werden, der hebelt unseren demokratischen Grundsatz von Mitgestaltung ganz grundsätzlich aus den Angeln. Das widerstrebt meiner Einstellung zu 100 Prozent.
Welche gängige „Verschwörungstheorie“ erscheint dir am wahrscheinlichsten?
Keine.
Besteht bei der Bezeichnung „Verschwörungstheoretiker“ nicht auch die Gefahr, kritische Nachfragen im Keim zu ersticken?
Wir leben in einer komplexen und pluralistischen Welt, in der es keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen geben kann. Ich sehe die Tendenz, dass man vorschnell kritische Stimmen verurteilt und wenig Geltungsspielraum lässt. Eine funktionierende Demokratie sollte Meinungsverschiedenheit durchaus aushalten können. Allerdings muss man sehr genau hinhören und unterscheiden lernen zwischen konstruktiver Kritik und verurteilenden Haltungen. Jegliche Form der Meinungsmache, die spalterisch wirken soll, halte ich für gefährlich und einem Diskurs nicht zuträglich.
Du bist im bayerischen Herzogenaurach aufgewachsen. Hast du im letzten Jahr mitbekommen, dass man im Bayerischen Rundfunk die Notwendigkeit zum Tragen von Masken anfangs noch als „Verschwörungstheorie“ bezeichnet hat?
Nein, das habe ich nicht mitbekommen. Wir alle sind, auch die Politiker, das erste Mal in einer globalisierten Welt mit einer Pandemie diesen Ausmaßes konfrontiert. Deshalb verstehe ich es, dass Ängste vorhanden sind und Aussagen getätigt wurden, die man später vielleicht als Fehlinformationen bezeichnen würde. Masken sind nun einmal der unmittelbarste Schutz, den es in einer solchen Situation geben kann, noch vor dem Impfstoff. Man könnte vielleicht sagen, sie sind das erste Pflaster auf die Wunde. Das kann man kritisch sehen, aber es hilft erst einmal.
Was verbindet dich noch mit der alten Heimat – und wo lebst du heute?
Ich komme aus Franken und mag diesen Landstrich mit seinem speziellen Dialekt. Ich bin vor allem kulinarisch geprägt worden. Deftige Hausmannskost lässt mein Herz höher schlagen. Heute lebe ich in München, das heißt, ich bin meiner Heimat nach vielen Ausflügen wieder nah. Das tut mir gut und ich genieße das.
Was findest du spannender: Das Spielen auf der Theaterbühne oder in einem innovativen Serienformat?
An meinem Beruf schätze ich vor allem die Vielseitigkeit. Jede Produktion, jede Konstellation des Teams stellt einen vor neue Herausforderungen. Diese Abwechslung entspricht mir sehr und ich könnte gar nicht sagen, was ich präferiere. Leider ist das Theaterspielen in den letzten Jahren etwas kurz gekommen, oft lassen sich Dreharbeiten mit Theaterprobenphasen schwer vereinen. Das bedaure ich manchmal, bin aber im Moment glücklich, dass ich in den Dreh-Engagements sehr viele unterschiedliche Facetten zeigen darf.
„Ganz selten wünsche ich mir einen einfachen Nine-to-five-Job.“
Und wie herausfordernd ist im Vergleich dazu eine „Tatort“-Episode?
Wenn wir „Tatort“ drehen, sind wir sechs Wochen im Krimi-Kosmos verschwunden. Je nach Aufwändigkeit des Buches tauchen wir in die Untiefen der menschlichen Psyche ab. Mord und Totschlag, Verhöre, Abgründe – das geht mir schon manchmal an die Nieren. Dazu kommt, dass wir viele Nachtdrehs haben. Da braucht man Konzentration und Durchhaltevermögen.
Im „Tatort“ spielst du seit sechs Jahren. Wie verstehst du dich mit Ulrike Folkerts, die schon seit 1989 die Rolle der Lena Odenthal verkörpert?
Ulrike und ich verstehen uns sehr gut. Wir sind inzwischen auch hinter der Kamera ein eingespieltes Team und schätzen uns gegenseitig als Kollegen. Ich genieße es, mit ihr zu drehen und profitiere von ihrer Erfahrung.
Bist du vom Team damals gleich gut aufgenommen worden, oder musstest du dich dort erst einmal „beweisen“?
Das Team im SWR ist in meinen Augen ein sehr besonderes Team. Der SWR ist einer der letzten Sender, der den „Tatort“ in Eigenproduktion herstellt. Es gibt in jedem Department feste Mitarbeiter, die in den unterschiedlichen Produktionen des Senders rotieren. Sie kennen sich lange und sind sehr gut aufeinander eingespielt. Eine gut geölte Maschine ist das! Sie sind herzlich und neugierig geblieben, und das hat es mir leicht gemacht in der SWR Familie meinen Platz zu finden.
Der „Tatort“ ist ja nicht dein einziger Krimi. In deiner Filmographie finden sich Episoden-Auftritte in Serien wie „Letzte Spur Berlin“, „München Mord“ oder “Notruf Hafenkante“. Bist du selbst ein Krimi-Fan?
Tatsächlich lese ich privat überhaupt keine Krimis – bis auf John le Carré. Da bin ich großer Fan, habe aber inzwischen fast alles von ihm gelesen.
Hast du eine Theorie, warum Krimis gerade in Deutschland so beliebt sind?
Keine wirkliche Theorie, aber es ist schon auffällig, wie krimi-begeistert die Deutschen so sind. Es gibt ja kaum mehr einen Abend in der deutschen Fernsehlandschaft, an dem kein Krimi läuft. Hin und wieder wünschte ich mir mehr Vielseitigkeit und Abwechslung.
Was guckst du selbst am liebsten?
Ich sehe sehr gerne gut gemachte Science-Fiction-Filme und kriege nicht genug von Visionen der Zukunft. Was wird sich verändern, wo stehen wir heute, wie stellt sich die Menschheit ihre Zukunft vor – und gibt es die überhaupt? Oder übernimmt die künstliche Intelligenz? Ich habe das Gefühl, dass der Mensch alles was er sich ausdenken kann, auch abgebildet sehen möchte. Diese Visionen faszinieren mich. Zuletzt habe ich die zweite Staffel von „Love, Death and Robots“ von David Fincher auf Netflix verschlungen!
Gibt es eine Rolle im Theater oder beim Film, die dich nachhaltig beeindruckt oder geprägt hat?
Das kann ich nicht pauschal beantworten. Allerdings hat mich die Rolle der Melanie in den „Schlafschafen“ sehr bewegt. Ich habe mich in die Welt von Verschwörungsglauben hineingearbeitet, und durch den aktuellen Bezug war ich sehr oft im Abgleich mit mir selbst. Es liegt eine trügerische Erleichterung darin, ein in sich total schlüssiges Weltbild aufzubauen. Darin liegt ein Moment der Befriedigung. Auch wenn diese Welt aus meinen Augen total absurd erscheint, habe ich diesen Moment bereits beim Spielen sehr deutlich gespürt. Und das hat mich wirklich nachdenklich gemacht.
Gibt es eine Schauspielerin oder einen Schauspieler, die für dich ein Vorbild waren – oder es immer noch sind?
Mein großes Idol ist Meryl Streep. Ich liebe ihre Filme, sie ist so eine kluge, präzise Spielerin, und ich spüre ihre große Demut dem Leben und den Menschen gegenüber in jeder Rolle. Sie ist zudem wahnsinnig durchlässig und gibt viel von sich preis. Das ist eine so schöne und hohe Kunst – einfach wunderbar!
„Ich sehe sehr gern gut gemachte Science-Fiction-Filme.“
Wann ist überhaupt der Wunsch in dir gereift, die Schauspielerei zum Beruf zu machen?
Ich habe relativ spät beschlossen, mich an der Schauspielschule zu bewerben. Da hatte ich schon so manchen Versuch des Studierens in verschiedenen Fachrichtungen hinter mir. Im Grunde suchte ich nach einem anderen Blickwinkel auf die Welt, nach einem anderen Zugang, und weil ich schwer still sitzen kann, dachte ich, mit dieser Ausbildung mir selbst am nächsten zu kommen. Glücklicherweise hat es geklappt, und ich freue mich bis heute, dass mich dieser Beruf auf so vielen Ebenen auf Trab hält.
Gab es schon mal einen Moment in deinem Leben, in denen du das bereut hast?
Nur selten – wirklich sehr selten – wünsche ich mir einfach einen Nine-to-five-Job. In diesen Momenten bin ich dann meistens überarbeitet, nicht ausgeschlafen oder zu lange von zuhause weg gewesen.
Was steht für 2021 noch in deinem Terminkalender?
Ich habe dieses Jahr schon zwei Projekte beendet, ein „Tatort“ steht jetzt kurz bevor und im Herbst der zweite für dieses Jahr. Dazwischen gibt es eine lang ersehnte Woche Urlaub in Griechenland. Ich drücke jeden Tag die Daumen, dass es bei dieser Planung bleiben kann.
„Mein großes Idol ist Meryl Streep.“
Wirst du den Sommer, abgesehen vom Griechenland-Urlaub, auch in Deutschland noch etwas auskosten können?
Ich bin sehr glücklich, dass ich arbeitsmäßig auch in Zeiten der Pandemie gut ausgelastet bin. Das ist ein besonderes Privileg im Vergleich zu vielen anderen Branchen oder den Kollegen am Theater. Gleichzeitig freue ich mich sehr auf weniger Einschränkungen im öffentlichen Leben. Ein Besuch im Biergarten, Treffen mit Freunden, Wanderungen, Theaterbesuche. Ich hoffe, der Sommer kann wieder leichter und heiter werden! Die drehfreien Zeiten werde ich definitiv gut zu nutzen wissen.