Reisen Im Labyrinth der kristallklaren Gewässer

Im Labyrinth der kristallklaren Gewässer

Im Labyrinth der kristallklaren Gewässer

Text: Michael Eckert / Fotos: Archiv des Nationalparks Plitvicer Seen

HEUREKA – Reisen heißt entdecken!

Die Welt ist schön und bietet zahllose Möglichkeiten zur Erholung und Entspannung – aber ebenso viele atemberaubende Attraktionen und spannende Expeditionen, die unsere Horizonte erweitern und das Leben bereichern. CHAPEAU ist unternehmungslustig. Mit der Rubrik HEUREKA! stellen wir in jeder Ausgabe ein einzigartiges Reise-Highlight vor, das eine Entdeckung lohnt. Abenteuer gesucht? Gefunden!

Der Nationalpark Plitvicer Seen in Kroatien gehört ganz sicher zu den erstaunlichsten Naturlandschaften Europas. 16 kristallklare Seen in wunderschönen Purpur- und Saphirfarben sind mit sprudelnden Kaskaden und tosenden Wasserfällen miteinander verbunden und bilden mit den umgebenden grünen Bergwäldern und Wiesen ein vielfältiges Paradies für Pflanzen und Tiere. Sogar Winnetou und Old Shatterhand zog es vor vielen Jahren schon hierher. 

„Der Silbersee, wie ihn sich keine Phantasie besser hätte vorstellen können“, urteilte der Kritiker des Hamburger Echo 1963 nach der Premiere des allerersten Winnetou-Kinofilms. Tatsächlich haben die grandiosen Landschaftsaufnahmen maßgeblich zum Mega-Erfolg des Blockbusters „Der Schatz im Silbersee“ beigetragen – und damit auch zum Erfolg der nachfolgenden Karl-May-Verfilmungen in den 60er Jahren. Niemanden störte, dass der Film nicht, wie in der Romanvorlage vorgegeben, im Südwesten der USA gedreht worden war, sondern an den Plitvicer Seen in Kroatien, damals noch ein Teilstaat Jugoslawiens. Auf der Suche nach den Drehorten pilgern seit den 60ern deshalb auch zahllose Winnetou-Filmfans in den ersten Nationalpark Südosteuropas, den man zu der Zeit in Deutschland noch unter dem Namen „Plitvitzer Seen“ kannte.  

1949 als Nationalpark eingerichtet und 1979 als eines der ersten Naturdenkmäler weltweit in das UNESCO-Weltnaturerbe aufgenommen, umfasst das geschützte Areal der Plitvicer Seen ein Gebiet von knapp 300 Quadratkilometern. Damit bildet diese traumhafte Landschaft flächenmäßig den größten Nationalpark Kroatiens – und einen der schönsten sowieso. In einem Talkessel, umgeben von grün bewaldeten Gebirgszügen, liegen 16 Seen, die durch Wasserfälle und Kaskaden miteinander verbunden sind. Gespeist werden sie aus zwei Quellen, dem Weißen Fluss (Bijela Rijeka) und dem Schwarzen Fluss (Crna Rijeka). Sie entspringen unweit der Ortschaft Plitvički Ljeskovac, und einer Legende nach gehen die Quellen auf eine magische Schwarze Königin zurück. In Zeiten einer großen Dürre um Wasser gebeten, gab sie den Menschen zur Bedingung, dass sie ihre Sünden bereuen und beten sollten. Das taten sie dann auch, und gerührt vom Anblick der gemeinsam in Demut versammelten Menge vergoss die Königin zwei Tränen, die zu den beiden kräftig sprudelnden Flüsschen anschwollen. 

„Heute erscheint es unverständlich, dass die zauberhafte Bilderbuchlandschaft einmal als Garten des Teufels gefürchtet war.“

Die beiden symbolträchtigen Wasserquellen fließen unter einer Brücke zusammen, bevor sie sich in den ersten See ergießen. Der Prošcansko jezero liegt 636 Meter über dem Meeresspiegel und gehört zu den 12 „Oberen Seen“, die sich alle zuerst miteinander und dann auch mit den vier „Unteren Seen“ kaskadisch und hindernisreich verbinden. Im Labyrinth der mal sanften, mal tosenden Wasserfälle verbergen sich paradiesisch anmutende Moos- und Pflanzenflächen. Und im Lauf von Jahrhunderten haben die Seen durch ein Zusammenwirken von natürlichen Hindernissen, Pflanzen, 

Tieren und Mineralien eine prächtige Farbenvielfalt von Smaragdgrün bis Saphirblau erhalten. Voraussetzung dafür war der Ausfluss von Quellkalk während der letzten Eiszeit vor 6.000 Jahren. Mineralhaltiges Quellwasser bildet nach dem Zusammentreffen auf pflanzliche Hindernisse winzige Sedimentskristalle, und nach und nach versteinern Algen, Moos und Pflanzen. Dazu sondern Kleinstlebewesen im Wasser Substanzen ab, die Kristalle bilden und die Verwandlung der pflanzlichen Hindernisse in Gestein beschleunigen. 

Apropos Lebewesen. Die abgeschiedene Lage, der Schutz des Nationalparks und die Sperrung bestimmter Waldgebiete für Besucher bescheren der Landschaft um die Plitvicer Seen einen der letzten Primärwälder des europäischen Kontinents und ermöglichen einen besonderen Artenreichtum. Sieben Fisch- und zwei ansonsten in Europa selten gewordene Flusskrebsarten bezeugen die kristallklare Wasserqualität. Wild wachsende Wiesen ziehen tausende winzige Lebewesen an, mehr als 1.400 Pflanzenarten gedeihen hier, davon 55 unterschiedliche Orchideen. Man zählt 312 unterschiedliche Schmetterlingsarten, darunter 80 Tagfalter, von den 162 Vogelarten sind allein neun Specht-Arten. Und zu den 50 hier lebenden Säugetierarten gehört auch der Braunbär, der in dieses Naturparadies zurückgekehrt ist. 

Heute erscheint es unverständlich, dass die zauberhafte Bilderbuchlandschaft bei den Anwohnern in früheren Jahrhunderten einmal als „Garten des Teufels“ gefürchtet war. Im Jahr 1991 wurde der Park aber tatsächlich zum Kriegsschauplatz, als serbische Nationalisten im jugoslawischen Bürgerkrieg mit Unterstützung der jugoslawischen Bundesarmee das Gelände besetzten. Die Zerstörungen waren bis in dieses Jahrhundert sichtbar. Die über Wasser führenden stark beschädigten Holzstege wurden für eine lange Zeit nur teilweise instandgesetzt. Der Besucherstrom war vollständig zum Erliegen gekommen. Jetzt aber kommen wieder jedes Jahr fast zwei Millionen Besucher an die Plitvicer Seen, um die Naturwunder zu bestaunen. Ein Massenansturm, der das Gleichgewicht der Ökosysteme bedroht. Die Nationalparkverwaltung hat deshalb strenge Regeln zum Schutz erlassen. Die Boote, die die oberen Seen befahren, sind ausschließlich elektrisch angetrieben, das Baden ist verboten und um Uferabbrüche zu vermeiden, werden die Besucher auf einen 20 Kilometer langen Laufsteg aus Haselnussholz geleitet.
Was man hier zu sehen bekommt, ist aber nur ein Teil des Naturwunderwerks Plitvicer Seen. Unter der Oberfläche des kalkhaltigen Gesteins zeigt sich eine weitere geheimnisvolle Welt aus Tropfsteinhöhlen, unterirdischen Flüssen und weitgehend unerforscht bleibenden Grotten. Durchsickernde Wassertropfen formen mit den enthaltenen Kalkpartikeln Skalaktiten und lassen die Stein gewordenen Tränen um rund einen Zentimeter pro Jahr wachsen. 

Um die Vielfalt dieser einzigartigen Landschaft in sich aufzunehmen, sollten Besucher mindestens einen ganzen Tag einplanen. Wer länger bleibt, wird vielleicht auch Aktivitäten wie Wandern oder Radfahren in Betracht ziehen. Es gibt vier Campingplätze, und direkt am Seeufer liegen die Hotels Jezero, das Bellevue und das Plitvice, in dem seinerzeit schon das Filmteam vom „Schatz im Silbersee“ untergebracht war und dessen Zimmer noch immer einen leicht angestaubten Flair der frühen 60er Jahre verbreiten. Als Motiv für den „Silbersee“ diente übrigens der Kaluderovac. Als einer der Unteren Seen liegt er in 505 Metern Höhe und ist vom Parkeingang 1 aus in 10 Minuten Fußweg gut zu erreichen. 

Kategorie: Reisen
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