Reisen Island

Island

Insel der Unaussprechlichkeiten

Insel der Unaussprechlichkeiten

Wer dem Ende der Reisebeschränkungen entgegenfiebert, aber Geschmack an der Idee von Einsamkeit gefunden hat, sollte sich einmal mit Island beschäftigen. Der Inselstaat im Norden das Atlantischen Ozeans liegt weit ab vom Schuss, ist aber wegen seiner vielen Naturspektakel mehr als eine Reise wert.

Auf den ersten Eindruck ist Island das Land der unaussprechbaren Zungenbrecher. Unvergessen bleibt der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull, dessen Aschewolke im Jahr 2010 wochenlang den europäischen Flugverkehr beeinträchtigte. Das Isländische ist mit Konsonanten und kryptisch anmutenden Sonderzeichen in Vokabeln und Namen gespickt. Das lässt eine hindernisreiche, weil schwer verständliche Orientierung im Land befürchten. Dabei weist die Sprache, wird sie richtig artikuliert, durchaus einige Ähnlichkeiten zum Deutschen auf.

Geographisch und politisch zählt Island ohnehin zu Europa. Es liegt vom Kontinent jedoch viel zu weit weg, um sich eindeutig zur europäischen Community zu bekennen. Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union verliefen über Jahre äußerst zäh, und im März 2015 zog Island den Antrag zurück. Immerhin ist das Inselland Mitgliedsstaat im Schengener Abkommen, was die Einreise für EU-Bürger erheblich erleichtert.

„Red Sands: Der wohl entlegenste Strand der Welt ist nur mit mehrstündiger Anfahrt zu erreichen.“

Geologen, aber auch Mystiker und Menschen mit esotherischen Sensoren dürfte die Unentschlossenheit der Isländer in punkto Zugehörigkeit kaum überraschen. Mittig unterhalb der Insel verläuft eine plattentektonische Grenze gigantischen Ausmaßes. Die Nordamerikanische und die Eurasische Platte stoßen hier direkt aufeinander, nur um wieder allmählich wieder auseinander zu driften – um circa zwei Zentimeter pro Jahr. Entlang dieser Linie sprudelt ständig geschmolzenes Gesteinsmaterial an die Oberfläche und erstarrt dort. Das macht Island zu einer wachsenden Insel.

„Zur traditionellen Küche sollte man respektvoll Abstand halten.“

Die vulkanischen und seismischen Aktivitäten haben sie zu einem Mekka für die Wissenschaft werden lassen: Hier wird sichtbar Land geboren. Zugleich aber nagt das raue Klima an der Oberfläche. Das vom Feuer geschaffene Land wird von Wind, Wasser und Eis wieder abgetragen. Durch gezielte Anpflanzung von tiefwurzelnden Gräsern und Kräutern versucht man seit Jahren, der Erosion entgegenzuwirken. Es ist ein stetiger Kampf gegen die Naturgewalten. Die schufen ein kontrastreiches Landschaftsbild aus sprudelnden Thermalquellen, dampfenden Geysiren, eisigen Flüssen und Seen, zerfurchten Fjorden, karger Steppe, abstrakten Lavalandschaften und den kilometerdicken Gletschern, die der Insel ihren Namen gaben. Island heißt zu Deutsch Eisland.

Drei große Nationalparks sind dort zu finden, darunter der größte Europas rund um den Wassergletscher Vatnajökull. Bis zu 1.000 Meter dick ist hier die Eisdecke des Gletschers.

Der Snæfellsjökull-Nationalpark im Westen der Insel bewahrt neben Naturschätzen wie dem Gletschervulkan Snæfellsjökull auch Überbleibsel altertümlicher Menschensiedlungen. Von touristisch größter Bedeutung ist aber der Þingvellir-Nationalpark. Er liegt genau auf der Grabenbruchzone, und zusammen mit dem Heißwassertal Haukadalur und dessen beiden Geysiren Stóri Geysir (zu Deutsch: „Großer Geysir“) und Strokkur („Butterfass“) sowie dem Wasserfall Gullfoss („Goldener Wasserfall“) stellt er Islands bekannteste Sehenswürdigkeit dar – den so genannten Gullni hringurinn („Goldener Ring“).

„Das vom Feuer geschaffene Land wird von Wind, Wasser und Eis wieder abgetragen.“

Dem Gast aus Kontinentaleuropa fällt natürlich der spärliche Baumbestand ins Auge. Früher einmal gab es hier weitreichende Birkenwälder, aber die wurden schon in der frühen Besiedlungsgeschichte ab 870 n. Chr. abgeholzt. Erst seit wenigen Jahrzehnten lässt die Regierung wieder aufforsten, und mittlerweile hat Island wieder eine Fläche von rund 500 km² mit Birken bewaldet. Vor 20 Jahren waren es gerade einmal 161 km². Zum Vergleich: Hamburg hat eine Fläche von 755 km².

Aber Birken sind nicht alles. In geothermisch beheizten Gewächshäusern wird eine geradezu exotische Flora herangezogen. Außer Gemüse und Obst gedeihen hier auch die nördlichsten Bananenstauden der Welt. Besonders bekannt hierfür ist die Gemeinde Hveragerði, etwa 40 Kilometer östlich der Hauptstadt Reykjavík.

Die Lage der Insel knapp unterhalb des nördlichen Polarkreises gestaltet die Jahreszeiten kontrastreich. Von Oktober bis April tänzeln die Polarlichter am Firmament. Im Hochsommer erhellt die sogenannte „unechte Mitternachtssonne“ den nächtlichen Himmel. Tatsächlich sinkt die Sommersonne nach Mitternacht auch in Island noch herab und geht sogar kurz unter.

Nationalpark - Snæfellsjökull

Vulkan - Eyjafjallajökull

Wassergletscher - Vatnajökull

Die Tierwelt zeigt sich vor allem bei Vögeln und Meerestieren vielfältig. Ornithologen erfreuen sich besonders am Artenreichtum der Wasservögel. Im Meer tummeln sich neben Robben auch diverse Fisch- und Walarten, und je nach Jahreszeit sogar Blauwale.

Zu Lande ist die Fauna weniger divers, aber auch beeindruckend. Schon vor der Besiedelung durch den Menschen war der Polar-fuchs auf Island heimisch. Die meisten größeren Landsäugetiere wurden von Siedlern eingeführt: Weidetiere wie Schafe, Rentiere und Pferde. Das streng geschützte Islandpferd zeichnet sich durch den „Tölt“ aus, eine für den Reiter besonders komfortable Gang-art, die nur wenige Pferderassen beherrschen. Deshalb dürfen Islandpferde zwar aus-, aber nicht wieder eingeführt werden.

Ähnlich streng schützen die Isländer ihren Sprache. Íslensk málstefna nennen sie den lingualen Purismus, der die Alltagssprache von Fremdwörtern frei halten soll. Dazu erfindet man auf Isländisch ständig neue Begriffe.

Das alles könnte den Eindruck erwecken, Fremde seien in Island nicht willkommen, aber das täuscht. Der Tourismus boomt. Island selbst hat nur rund 365.000 Einwohner, aber 2019, im Jahr vor Corona, flogen über den internationalen Flughafen Keflavík fast zwei Millionen Touristen ein. Reisende aus aller Welt, die das Inselvolk mit offenen Armen empfing. Der Zauber des abgelegenen Eilandes hat sich rumgesprochen, und neben kernigen Naturbursch*innen kommen auch kulturhungrige Städtereisende, um sich in der Hauptstadt Reykjavík die Zeugnisse historischer und moderner Architektur anzuschauen. Erste Spuren der Besiedlung weisen bis in das neunte Jahrhundert nach Christus zurück. Wirkliche Bedeutung erlangte die Stadt jedoch erst im 18. Jahrhundert.

„Von Oktober bis April tänzeln die Polarlichter am Firmament.“

Neben dem Parlamentsgebäude und der Universität, der Háskóli Íslands, sind auch die beiden großen Kirchen sehenswert. Die Dómkirkja (Domkirche) aus dem 18. Jahrhundert stellt den evangelisch-lutherischen Bischofssitz. Die moderne Hallgrímskirkja ist das zweithöchste Gebäude der Insel. Vor dem imposanten Turm steht eine Statue zu Ehren des isländischen Entdeckers Leifur Eiríksson. Mit der Harpa wurde im Jahr 2011 ein modernes Konzerthaus eingeweiht. Hier residieren sowohl die isländische Oper als auch das isländische Sinfonieorchester.

Die Museen der Stadt beherbergen Sammlungen verschiedener, überwiegend einheimischer Kunstströmungen sowie naturgeschichtliche Ausstellungen. In der Kunst des Landes spielt die Bildhauerei eine führende Rolle. Koryphäen wie Einar Jónsson und Ásmundur Sveinsson sind eigene Museen gewidmet. Die Nationalgalerie sowie das Kjarvalsstaðir präsentieren Werke des isländischen Malers Jóhannes Sveinsson Kjarval. Wer das Bizarre sucht, wird im Isländischen Phallusmuseum mit der weltweit größten Sammlung von Penissen und Penisteilen ganz sicher fündig. Und wer sich dort den Appetit nicht verderben lässt, stärkt sich danach in einem der vielen Restaurants der Stadt. Mittlerweile hat die isländische Küche eine auch für Mitteleuropäer verdauliche Angebotspalette entwickelt. Der Globalisierung sei Dank.

Zur traditionellen Küche dagegen sollten sensible Gemüter respektvollen Abstand halten. Gedämpfte Moosflechten und frittiertes Robbenfett mögen noch innerhalb der Toleranzgrenze liegen. Aber diverse gekochte oder geräucherte Fleischteile – darunter ganze Lammköpfe, fermentierter Hai oder in Molke eingelegte Hammelhoden – sind nichts für schwache Nerven. Fraglich auch, ob es nötig ist, sich Walfleisch servieren zu lassen. Abseits solcher Eigenheiten bietet die Gastronomie eine wohl-schmeckende und abwechslungsreiche Küche mit Fisch, Fleisch, Gemüse und verschiedenen Teigwaren. DessertLiebhaber können sich durch eine Auswahl von traditionellen Süßspeisen schmausen.

Heißwassertal Haukadalur

Papageientaucher

Über 1.332 Kilometern lässt sich auf der Ringstraße (Route 1) die gesamte Insel umrunden. Eine spannender Road Trip entlang der Küstenstraße führt an spektakulären Landschaften vorbei. Entlang der Route trifft man immer wieder auf größere Dörfer mit Hotels, Cafés, Restaurants und Supermärkten. Die teils anspruchsvollen Straßenverläufe erfordern aber Konzentration, und so ist der Anschluss an eine Reisegruppe oder zumindest das Fahren mit Begleitung nicht die schlechteste Idee. Die Dauer, die man für die Island-Umrundung veranschlagt, hängt auch von der Jahreszeit ab – etwa sechs Tage im Sommer bis zu zwölf Tagen im Winter.

Für Abenteurer empfiehlt sich auch der wohl entlegenste Strand der Welt. Rauðisandur („Roter Sand“) im Südwesten der isländischen Westfjorde ist nur mit mehrstündiger Anfahrt erreichbar. Aber es lohnt sich. Umrandet von schwarzen Felsen erstreckt sich entlang einer schottrigen Küstenstraße ein kilometerlanger, herrlich einsamer Strand. Der Abgeschiedenheit zum Trotz gibt es hier einen Campingplatz. Zu empfehlen ist dieses Ziel aber nur für die Sommermonate zwischen August und Oktober. Und sogar dann verirren sich selbst Einheimische nur selten hierher.

Info – Island liegt knapp unterhalb des Polarkreises im äußersten Nordwesten Europas und ist mit rund 103.000 Quadratmetern nach Großbritannien der zweitgrößte Inselstaat unseres Kontinents. Mit nicht einmal 357.000 Einwohnern gehört Island aber auch zu den am dünnsten besiedelten Ländern der Welt. Mehr als 60 Prozent wohnen in der Hauptstadt Reykjavik. Im Hinblick auf Lebensstandard und Pro-Kopf-Einkommen liegt Island auf Rang vier der führenden Länder auf gleicher Höhe mit Hongkong.

Kategorie: Reisen
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