
Lebensart ICH BIN ICH!
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Interview mit Keith Carradine
- Fotos: Pino Petrillo
Hollywoodstar Keith Carradine kann auf bislang rund 140 Rollen in Kino- und TV-Filmen zurückblicken. Unter der Regie von Robert Aldrich spielte er in „Ein Zug für zwei Halunken“, unter Robert Altman in „Nashville“, unter Ridley Scott in „Die Duellisten“. In der Serie „Deadwood“ war er Wild Bill Hickock, in „Dexter“ Special Agent Lundy, in „Big Bang Theory“ war er Wyatt und Präsident Dalton in „Madame Secretary“. Keith Carradine ist Mitglied einer berühmten Schauspielerdynastie und Oscarpreisträger. Und: In diesem Jahr wurde er beim Oldenburg Festival mit einem Stern auf dem Walk of Fame geehrt. Im Interview mit CHAPEAU-Reporter Lars Görges spricht Keith Carradine über seine Karriere, über Shakespeare in Hollywood und über das Problem, Sohn eines großen Schauspielers zu sein.
CHAPEAU: Keith Carradine – ein Name, den ich im Freundeskreis nicht zu erläutern brauche. Man kennt dich als Schauspieler in „Star Trek“, „Fargo“. Außerdem bist du Oscargewinner…
KEITH CARRADINE:
… ja, das war 1975. Interessanterweise nicht als Schauspieler, sondern als Sänger für den besten Song. Das war der Titel „I’m Easy“ aus dem Film „Nashville“.

CHAPEAU: Nicht als Schauspieler? Wie schade! Immerhin hast du ja auch mit großen Regisseuren wie Ridley Scott zusammengearbeitet.
KEITH CARRADINE:
Schade? Nein, auf keinen Fall! Und ja, mit Ridley Scott habe ich 1977 „Die Duellisten“ gedreht, seinem ersten Spielfilm. Das kam wohl zustande, weil wir den gleichen Agenten hatten. Paramount hatte Ridley die Chance mit dem Film gegeben. Damals wusste ich es nicht, aber anscheinend hatte die Paramount ihm die Bedingung gestellt, bestimmte Leute in die Besetzung zu bekommen. Ich stand mit auf der Schauspielerliste der, weil ich „Nashville“ für die Paramount gemacht hatte.
„Die Barrymores und Carradines haben Hollywood geprägt.“
CHAPEAU: Hat dich das Paramount-Studio für den Film engagiert?
KEITH CARRADINE:
Ridley hat den Kontakt aufgenommen, und ich fand das Drehbuch interessant. Aber ich habe damals mit meiner Band in Clubs gespielt und war auf meiner ersten nationalen Tournee. Wegen „Nashville“ stand ich hoch in den Charts, und „I’m Easy“ war eine Top-10-Platte. Ich war so etwas wie ein junger Popstar und habe gezögert, die Rolle in „Die Duellisten“ anzunehmen. Ich hatte auf der Tournee einfach so viel Spaß. Also hat Ridley mich angerufen – ich glaube, es war in Chicago: „Wirst du den Film machen, Keith?“ Und ich habe gesagt: „Oh, Ridley, ich weiß noch nicht…“ Er sagte: „Keith, wir drehen in der Dordogne in Frankreich.“ Ich: „Ja?“ Und er: „Denk an das gute Essen!“ (Lacht.) Da habe ich gelacht und „Okay“ gesagt.
CHAPEAU: Man hat dich mit französischer Küche zu dem Film überredet?
KEITH CARRADINE:
Wir gingen los und drehten den Film in einem kleinen Dorf namens Sarlat, von manchen „der Magen Frankreichs“ genannt. Dort kommen die Trüffel her, und dort wird die Gänseleberpastete hergestellt. Die allerdings werde ich nie essen, wenn ich daran denke, wie sie hergestellt wird. Das ist wirklich extrem grausam gegen die Tiere. Der Film jedoch war eine erstaunliche Erfahrung. Eine Low-Budget-Produktion, aber…. mit Ridley! Der ist ein Genie. Mit mageren 1,1 Millionen Dollar hat er einen Historienfilm geschaffen, der bis heute wirklich allem standhält. Das war eine bemerkenswerte Erfahrung, und das hatte keiner vorausgesagt.
CHAPEAU: Sorry, deshalb hatte ich auch nicht erwartet, hier einen Sänger zu treffen, sondern einen Schauspieler. Das jüngste Mitglied einer Hollywood-Dynastie. So wie Drew Barrymoore oder Sofia Coppola.
KEITH CARRADINE:
(Lacht). Das stimmt nun auch wieder! Mein Vater war ja Zeitgenosse von John und Lionel Barrymoore, und sie waren gute Freunde. Die Barrymores und Carradines haben Hollywood geprägt und damit irgendwie auch die gesamte Filmbranche seit den 1930er Jahren. Als gefeierte Charakter-Darsteller in den großen Goldenen Jahren Hollywoods. Ja. Eine Karriere als Schauspieler in Hollywood zu versuchen, erschien mir als die natürlichste Sache der Welt. Die große Liebe meines Vaters galt Shakespeare. Das war sein Ding! Und ich würde lügen, wenn ich sagte, das hätte mich nicht beeinflusst. Mir war klar: Ich stehe als Erbe in der Linie meines Vaters, und wenn ich es eigenständig als Schauspieler schaffen will, muss ich mich von Anfang an abgrenzen. Publikum und Kritiker würden mich sonst mit den Leistungen meines Vaters vergleichen. Ich musste also sofort klar machen: Ich bin nicht der Schauspieler wie mein Vater. Nicht der Schauspieler wie mein Bruder, nicht der Schauspieler wie wer auch immer. Ich bin ich. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zum Glück habe ich von Beginn an meinen eigenen Weg gefunden.
CHAPEAU: Kindheit in Hollywood, Eltern groß im Filmgeschäft. Nicht selten resultieren daraus Tragödien und persönliche Katastrophen. Wie bei Brooke Hayward, Tochter von Joan Crawford, Maria Riva, Tochter von Marlene Dietrich, Liza Minelli, Tochter von Judy Garland, oder wie bei Drew Barrymore. War deine Kindheit besser – oder, im Nachhinein betrachtet, sogar eine gute?
KEITH CARRADINE:
Meine Kindheit war ziemlich verrückt. Wir waren alles andere als die ideale Familie. Meine Eltern waren bereits geschieden, als ich sechs Jahre alt war. Im Alter von acht bis sechzehn Jahren habe ich meine Mutter gar nicht gesehen. Sie war keine Alltags- oder Vollzeitmutter. Es klingt zynisch, wenn ich heute sage: Sie war ihrer Zeit ein wenig voraus. Darüber hinaus gab es harte Zeiten. Mein Vater meldete 1960 Privatinsolvenz an, also hatten wir nicht viel. Alle denken, dass er Geld hatte und all diese Horrorfilme aus Spaß gedreht hat. Aber er hat sie gemacht, weil er Kinder ernähren musste.
CHAPEAU: Hat dich das geprägt?
KEITH CARRADINE:
Nun, ich habe lange Zeit gewartet, bis ich selbst geheiratet habe. Aber ich habe etwas gelernt, was andere Kinder vielleicht nicht gelernt haben. Ich bin in einem recht unsicheren Umfeld aufgewachsen. Das hat wahrscheinlich meine Selbstständigkeit beflügelt.
CHAPEAU: Wie war dein Verhältnis zum Vater? Was dachte John Carradine darüber, dass noch einer seiner Söhne in seine Fußstapfen tritt?
KEITH CARRADINE:
Er war sehr stolz. Wie viele andere hat er Selbstbewusstsein aus der Bestätigung seiner Mitmenschen gezogen. Und es ist eine Form von Zustimmung, wenn seine Söhne die gleiche Arbeit wählen, die ihr Vater mehr als 50 Jahre lang ausgeübt hat. Mehr noch: Ohne es jemals auszusprechen, war es auch eine große Versöhnung – mit seiner Art des Vaterseins.
„ Anders oder jünger zu tun, ist peinlich.“

CHAPEAU: Was hat es mit dieser Shakespeare-Fixierung der großen angelsächsischen Schauspieler auf sich? Dein Vater, die Barrymore-Brüder, Laurence Olivier, Richard Burton, John Gielgud, Kevin Spacey. Männer dieses Formats reklamieren ständig: Shakespeare ist der Größte!
KEITH CARRADINE:
In der englischen Sprache gibt es keinen größeren Autor. Shakespeares Englisch ist die Quintessenz des Englischen. Die pure Schönheit seiner Sprache und die Art, Dinge auf den Punkt zu bringen, ist im Englischen bis heute unübertroffen. Auch im Deutschen, im Französischen, im Russischen wird es jeweils einen Titan wie Shakespeare geben – aber die kenne ich nicht.
CHAPEAU: Hast du selbst einmal eine Shakespeare-Rolle angeboten bekommen?
KEITH CARRADINE:
Die Frage ist für mich sehr interessant. Ich selbst habe nie Shakespeare gespielt. Natürlich kenne ich ein oder zwei Szenen und könnte sie kurz improvisieren. Aber Shakespeare hat mich immer etwas eingeschüchtert. Vermutlich weil mein Vater als Shakespeare-Darsteller so überaus gerühmt wurde. Das erinnert mich jedoch an die Dreharbeiten zu „Die Duellisten“. Da hat auch der große englische Charakterdarsteller Alan Webb mitgespielt, der leider Anfang der 80er Jahre verstorben ist. Er hat zu mir gesagt: „Warum spielst du nicht mal Shakespeare, mein Junge?“ „Weil es mir Angst macht“, habe ich geantwortet. „Mein Lieber“, hat er daraufhin gesagt, „Shakespeare ist das Einfachste auf der Welt. Und weißt du warum? Weil die ganze Arbeit schon erledigt ist.“ „Vielleicht für dich, Alan“, habe ich gesagt, „du bist in England groß geworden, ich in Kalifornien. Und ich bin Sohn eines Shakespeare-Schauspielers.“ (Lacht.)
CHAPEAU: Jener Alan Webb, der die Rollen des „Dr. Who“ und des Imperator Palpatine in „Rückkehr der Jedi-Ritter“ abgelehnt hat?
KEITH CARRADINE:
Genau der. Aber er hat sie nicht abgelehnt, sondern war leider einfach schon zu krank. Die Jedi-Ritter kamen 1983 in die Kinos, und Alan ist schon 1982 verstorben. Aber du weißt vielleicht, dass ich in meinen 20er und 30er Jahren viele Western gedreht habe. Inzwischen bin ich ein angesehener Sprecher von Western-Dialekten…
CHAPEAU: Deine Stimme klingt schon nach hartem Bourbon und viel Tabak.
KEITH CARRADINE:
Da ist was dran. Als wir in 2004 die Fernsehserie „Deadwood“ drehten, haben einige Leute gesagt, David Milch (Idee und Drehbuch. Anmerkung der Red.) hätte für den Wilden Westen ein Drama von Shakespeare’schem Ausmaß geschrieben. Milchs Dialoge waren etwas ganz Besonderes. Sein Sinn für die Sprache – absolut faszinierend. Zum Spaß sage ich hin und wieder: Einen Western-Shakespeare habe ich schon gespielt.
CHAPEAU: Wie Du das so erzählst, klingst Du weniger wie ein Künstler als wie ein Arbeiter. Ein sehr zufriedener Arbeiter.
KEITH CARRADINE:
Ja, aber es ist beides. In der körperlichen Arbeit steckt dieselbe Kraft wie in der Kunst, im künstlerischen Ausdruck. In beidem kannst du täglich besser werden. Sagen wir „durch Übung“. Durch das reine Wiederholen der immer selben Tätigkeit. Aber die Kunst im Schauspiel ist das Erzeugen von Glaubwürdigkeit. Als Kinder haben wir gar nicht darüber nachgedacht, ob Weihnachtsmann und Osterhase wirklich glaubwürdig sind. Die waren für uns selbstverständlich. Als ernstnehmender Schauspieler musst du diese Glaubwürdigkeit bei Erwachsenen herstellen. Du musst geradezu besessen sein von Fantasie, von der Kraft von Wundern. Als Schauspieler muss man sich ein Stück weit die Neugier und die Naivität des Kindes bewahren. Das macht den Zauber aus, den große Schauspieler entfalten können.
CHAPEAU: Ich gebe zu: Mit Western kenne ich mich wenig aus…
KEITH CARRADINE:
Macht nichts, das Western-Genre ist keine urbane Angelegenheit. Ich bezeichne es als ländliche Legende. Der Cowboy im Western war immer leise, hat sanft gesprochen und war gut erzogen. Milch hat gesagt: „Nein. Ein Ort wie Deadwood war ursprünglich eine Gemeinde von Verbrechern. Wer dort nicht mit mehreren Waffen aufgetreten ist, wurde auf der Stelle erschossen.“ Das war ein rauer Ort. Du musstest sofort rüberbringen, dass du ein knallharter Typ bist. Dir eine Art Schutzhülle zulegen. Am einfachsten konntest du das mit Sprache herstellen. Fluchen gehörte dazu. Im Alltag Shakespeare-Englisch zu sprechen, war eher unwahrscheinlich. Aber in der Mischung war es in der Serie historisch ziemlich korrekt.
CHAPEAU: Du hast ja alles erlebt: Blockbuster, Serienhits, Independent-Filme, den Oscar – und bestimmt auch den ein oder anderen Reinfall. Was nennst du einen Erfolg: Kritikerlob? Ein 20-Millionen-Dollar-Einspielergebnis am Start-Wochenende?
KEITH CARRADINE:
Ich früh gelernt, was wirklich wichtig ist: die Arbeit am Set, die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen, dem Team – dieser großen Familie auf Zeit. Am Ende hast du einen fertigen Film. Der kann ein Riesenerfolg werden – oder auch nicht. Vielleicht beeindruckt er die Kritik – vielleicht nicht. Niemand kann das vorhersehen und schon gar nicht beeinflussen. Du kannst nur dein Bestes beim Dreh geben und hoffen, dass das Beste von allen Beteiligten genug ist. Genug für das, was dann draußen als Erfolg gefeiert wird. Für mich und mein Leben ist die am Set mit anderen Menschen verbrachte Zeit alles, was bleibt. Die anderen haben genau wie ich ihr Bestes gegeben, genauso gehofft und an die Sache geglaubt. Um deine Frage zu beantworten: Erfolg ist die Freude, das Glück, Teil dieser Welt zu sein. Teil dieser Arbeit. Ich spiele auch viel Theater, und auch dort gibt es dieses Gefühl. Allerdings mit dem Unterschied, dass du es am Theater jeden Tag erlebst. Jedenfalls wenn du das Glück hast, dass das Stück lange genug aufgeführt wird. Ich hatte dieses Glück, sogar am Broadway. Aber Erfolg, das ist die Freude an der Arbeit, am Team, mit der „Familie“.

CHAPEAU: Meine Großmütter waren keine Schauspielerinnen, aber wenn sie ihre Gutenacht-Geschichten vortrugen, gaben sie für mich ihr Bestes. Das war manchmal unheimlich, traurig oder lustig. Nun bin ich kein Kind mehr, aber in vielen Filmen warst Du für mich einfach furchterregend.
KEITH CARRADINE:
Hoffentlich (lacht)!
CHAPEAU: Es heißt, du seist der geborene Schurke…
KEITH CARRADINE:
Ich weiß, ich weiß… aber ich nehme das als Kompliment. Ich bin ja ein Schauspieler. Dessen Kunst ist es, die Zuschauer glauben zu machen, dass ich wirklich böse bin.
CHAPEAU: Im persönlichen Gespräch mit dir mag man das nicht glauben.
KEITH CARRADINE:
Dass ich böse bin? Das sagt mehr über dich als über mich (lacht).
CHAPEAU: Suchst du deine Rollen selbst aus, oder vertraust du deinem Agenten?
KEITH CARRADINE:
Ich habe Agenten und ich habe Manager. Wir unterhalten uns über Projekte, die interessant sein könnten. Aber am Ende muss ich die Entscheidung treffen. Will ich das, oder muss ich das machen? Manche Schauspieler können in finanzieller Hinsicht schon früh und auf Dauer tun, was sie wollen. Können auch nein sagen. Andere Schauspieler können das nicht. Weil sie verheiratet sind, Kinder haben, Verantwortung über die eigene Existenz hinaus tragen. Da kannst du nicht mehr nein sagen. Zu dieser Art Schauspieler gehörte mein Vater und dazu gehöre auch ich. Ich habe Kinder, die angezogen und ernährt werden wollen. Ich habe Hypotheken auf meinem Haus. Und so habe ich alles gemacht und zu vielem ja gesagt, was meiner Karriere nicht zuträglich war.
CHAPEAU: Dennoch scheint es das Leben gut mit dir zu meinen. Niemand erinnert sich an den Mist, der deinen Kindern die Schule und der Bank dein Haus bezahlt hat. Alle erinnern nur Deine großartigen Arbeiten.
KEITH CARRADINE:
Ist das so? Wir sollten mehr Zeit miteinander verbringen (lacht)!
CHAPEAU: Ich zumindest nehme deine Rollenauswahl immer differenzierter wahr, je älter du wirst. Du spielst mit Klischees, gibst manchen deiner Charaktere fast etwas Feminines mit auf den Weg.
KEITH CARRADINE:
Ich denke, das ist eines der Symptome des sich wandelnden Rollenverständnisses. Geschlechterrollen werden immer unklarer. Früher war männliche körperliche Stärke zum Überleben notwendig, aber heute müssen sich weder Männer noch Frauen mehr Sorgen machen um Bären im Wald oder um Schlangen unter dem Felsen. Männer wie Frauen steigen einfach in den Zug und fahren ins Büro. Die Geschlechter absolvieren gerade eine Suche – oder einen Kampf. Wenn sich die Gesellschaft verändert, muss das auch die Moral beeinflussen.
CHAPEAU: Kommen wir auf die Anfänge zurück: Wahrscheinlich haben mehr Leute „I’m Easy“ gehört als „Nashville“ gesehen.
KEITH CARRADINE:
Das ist wahrscheinlich wahr. Mann, dieses Lied hat einen Nerv getroffen. Es wurde ein Hit!
„Als Schauspieler muss man sich die Neugier und die Naivität des Kindes bewahren.“
CHAPEAU: Nach „I’m Easy“ hast du mit „Lost And Found“ ein zweites Album gemacht, aber das war’s. Hast du erwogen, weitere Alben aufzunehmen?
KEITH CARRADINE:
Oh, ich hätte schon weitergemacht, aber „Lost And Found“ machte keinen Umsatz. Ich dachte eigentlich, dass es wäre besser als das erste Album, aber es verkaufte sich nicht. Ich glaube, mein erstes Album hat sich knapp eine halbe Million Mal verkauft. Beim zweiten dürften wir nicht mehr als 80.000 LPs verkauft haben. Danach sagte die Plattenfirma „Viel Glück!“, und das war’s dann auch schon. Ich habe nie aufgehört, Songs zu schreiben. Aber das Musikgeschäft ist ein Spiel für junge Leute.
CHAPEAU: Wie überraschend war das für dich, plötzlich eine Hitsingle zu haben?
KEITH CARRADINE:
Es war unglaublich! Der Song stieg auf Platz 17 der Billboard-Charts und hätte es wahrscheinlich auf Platz 1 geschafft, wenn es nicht zwei Versionen davon auf dem Markt gegeben hätte.
CHAPEAU: Wieso zwei Versionen?
KEITH CARRADINE:
Das war eine klassische Hollywood-Geschichte: ABC Records hatte den Soundtrack für „Nashville“. Alle waren der Meinung, „I’m Easy“ sei die Single, aber ABC sagte: „Das ist nichts, das wird nichts werden, das wird kein Radiosender spielen, bla bla bla bla bla bla.“ Immerhin haben sie die Aufnahme nicht gelöscht, und so hatten wir sie. Ich habe eine weitere Version davon für mein persönliches Album aufgenommen. Produziert wurde es von John Guerin unter der Leitung von David Geffen, der mich bei Asylum Records unter Vertrag nahm. Als der Song dann von einem Radiosender in Buffalo, New York, zum ersten Mal im Radio gespielt wurde, riefen sofort an die 150 Hörer an und fragten: „Was war das? Ich will das noch einmal hören!“ So kamen damals Verkaufs-Erfolge zustande: Eine Platte wurde im Radio gespielt, und die Leute reagierten. Das ist mit meinem Song passiert. Plötzlich ging es los. Die Leute wollten die Platte kaufen, konnten das aber nicht. ABC hatten den Song nicht veröffentlicht, und die Asylum-Version war noch nicht auf dem Markt. Dann gewann das Ding den Oscar, und danach dauerte es nochmal einen Monat, bis man die Single in einem Plattenladen bekommen konnte.
„Shakespeare hat mich immer etwas eingeschüchtert.“

CHAPEAU: Zum 25. Filmfest Oldenburg gab es nun die Auszeichnung mit dem „Stern“. So wie ein Ehren-Oscar fürs Lebenswerk. Wirst du alt?
KEITH CARRADINE:
Ich bin alt. 69 Jahre. Aber das ist Okay. Ich wollte nie ein anderer sein: mit 20 nicht, mit 40 nicht. Ich bin, was ich bin. Anders oder jünger zu tun, ist peinlich.
Bleib, wie du bist! Danke für das großartige Gespräch.