Lebensart Kleines Gepäck
Kleines Gepäck
Kolumne: Frau Lönne meint
„Können wir uns nicht auch einfach einen Camper kaufen und losfahren? Ich schmeiße die Schule, und du unterrichtest mich.“ So lautete die Frage meines 14-jährigen Sohnes, nachdem wir eine Dokumentation über eine irische Familie gesehen haben, die genau das gemacht hat. Auf der Suche nach dem wirklich Wichtigen alles verkauft: Haus, Auto, Möbel etc. Bulli gepackt und los. Die Kinder wurden von der Mutter unterrichtet, die Reisekasse mit Straßenmusik aufgefüllt (mal mehr, mal weniger erfolgreich) und irgendwann ein Stück Land gefunden, an dem es sich richtig anfühlte, sich dort niederzulassen.
Wir haben diese Doku mit einer großen Sehnsucht angesehen. Die Antwort war trotzdem klar: „Es gibt Schulpflicht in Deutschland, mein Sohn. Wir können nicht einfach so losfahren.“ Die Vorstellung, jedoch tatsächlich aufzubrechen, nicht morgens schon genau zu wissen, was der Tag oder besser die Woche bringt (Deadlines, Rasen mähen, einkaufen, Elternabend) und sich am Ende eines Monats zu wundern, wo die Tage geblieben sind: reizvoll. Keine Frage.
Ich gehöre weiß Gott nicht zu den Menschen, deren Lebensinhalt darin besteht, einen High-Tech-Grill, einen begehbaren Kleiderschrank, ein PS-Wunder oder eine Wärmeschublade zu besitzen. Ich bin dankbar dafür, gesund zu sein und Familie wirklich leben zu können. „Schaff dir Erinnerungen“, lautet das Lebensmotto meines Vaters. Recht hat er. Auch, wenn das Vorhaben manchmal zu kurz kommt.
Kennt irgendjemand das Gefühl, sich zu fragen, was man retten würde, wenn das Haus brennt? Bei mir wären es wenige Dinge, auf die ich schwerlich verzichten könnte. Liebgewonnene Briefe, Fotos und ein, zwei Erinnerungsstücke. Das alles würde in eine Tasche passen. Schon einige Male habe ich mir vorgenommen, so ein „Notfall“-Köfferchen für den Fall der Fälle zu packen. Und es dann wieder vergessen. Morgen vielleicht. Trotzdem zeigt es mir, dass mein Herz an wenigen materiellen Dingen hängt. Nicht, weil ich sie nicht schätze, sondern weil ich sie nicht brauche, um glücklich zu sein.
Vielleicht ist es genau dieses Bewusstsein, das mich freimacht. Ich könnte, wenn ich wollte. Aber ich will gar nicht. Mir reicht das Gefühl, jederzeit sagen zu können „Cut. Ich verkaufe alles und fange neu an.“ Vielleicht liebe ich meine kleine Agentur genau deswegen: weil sie kein Hamsterrad ist, sondern neben viel Arbeit auch eine große Erfüllung. Weil mein Häuschen mein heimeliger Rückzugsort ist, nicht aber mein einziges Zuhause. Heimat sind Familie und Freunde. Das ist die Basis, auf der sich mein Glück aufbaut. Von daher bin ich dankbar für die Freiheit, gehen zu können. Und die Gewissheit, bleiben zu wollen. Niemand zwingt mich, zu bleiben. Aber vieles hält mich.
Eventuell eines Tages. Oder auch nicht. Bis dahin gebe ich mich gerne hin und wieder dem Tagträumen hin. Und sehne mich hinter das Lenkrad eines Campers. Wenn ich Lust habe, lerne ich vielleicht irgendwann, Zündkerzen und Reifen zu wechseln, um Autopannen auf Kasachstans Straßen eigenhändig beheben zu können. Dann schauen wir weiter. Bis dahin rettet mich die deutsche Schulpflicht davor, mir weitere Ausreden einfallen lassen zu müssen. Man wird es sich ja auch mal leicht machen dürfen.