Menschen Kompromisslos Köstlich

Kompromisslos Köstlich

Interview mit Thomas Imbusch

Interview mit Thomas Imbusch

Text: Arash  Farahani / Fotos: Contentley Media

Thomas Imbusch erfindet in seinem Restaurant 100/200 nachhaltiges Kochen neu. Bei ihm kaufen die Gäste Tickets und essen, was auf den Tisch kommt: ein vorher festgelegtes, raffiniert zubereitetes saisonales Menü mit feinsten Zutaten. Mit CHAPEAU sprach der Koch in seinen stimmungsvollen Gasträumen am Billehafen über Unverträglichkeiten, 19-Stunden-Tage und seine Vision von der perfekten Gastronomie. 

Thomas Imbusch betreibt als Chef de Cuisine zusammen mit Sophie Lehmann seit 2018 das Sternerestaurant 100/200 Kitchen in Hamburg. Geboren 1987 in Friesoythe im Oldenburger Münsterland, kochte er im Park Hotel Bremen, im Victor’s Fine Dinning by Christian Bai im Saarland und im Off-Club Hamburg, bevor er mit dem 100/200 seinen eigenen Betrieb eröffnete. Seit April diesen Jahres betreiben Thomas Imbusch und Sophie Lehmann auch einen eigenen Podcast auf Spotify.

CHAPEAU — Lieber Thomas, die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es deinem Restaurant seit der Wiedereröffnung im Juli und wie geht es dir?

THOMAS IMBUSCH – Persönlich werde ich wieder Vater mit der tollsten Frau der Welt, die nebenbei meine Geschäftspartnerin ist. Als Koch geht es mir sensationell, weil ich endlich wieder richtig kochen kann. Unternehmerisch geht’s uns dreckig. Ich glaube, wenn man da was anderes erzählt, ist das Bullshit. Uns ging es eine zeitlang sehr gut, weil wir im ersten Geschäftsjahr viel Gewinn erwirtschaftet haben. Den ersten Teil der Krise haben wir sehr gut durch die Bank gekriegt, die Solidarität war enorm. Aber der zweite Lockdown war hart. 

Ihr habt im zweiten Lockdown damit begonnen, deutschlandweit Lebensmittelkisten zu verschicken. Wie hat das funktioniert?

Die Nachfrage war sensationell gut, aber es war auch absurd. Da wurden Kisten reklamiert, weil der Spediteur sie eine Stunde zu spät abgegeben hat. Das hat weh getan und Geld gekostet. Unser großes Glück ist, dass wir mittlerweile ein gewisses Standing in Hamburg haben. Dadurch sind wir letztlich doch mehr oder weniger gut durch diese Zeit gekommen. 

Sind die Hilfen bei euch angekommen?

Ja, ohne die Hilfen gäbe es uns nicht mehr. Wir haben Fixkosten von 70.000 Euro im Monat. Das mit den Kisten war eine gute Sache. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob ich das aus einer Location wie dieser heraus mache, die 10.000 Euro Miete im Monat kostet, oder aus einem reinen Produktionsbetrieb für 1.000 Euro. 

Ihr habt in dieser Zeit außerdem eine Akademie gegründet. Was steckt dahinter?

Sophie und ich wollten das Thema Ausbildung neu denken und haben diese Idee entwickelt. Wir dachten uns: Wir können weiter über den Fachkräftemangel heulen oder wir können es angehen und Dinge anders machen. Also haben wir die Brandherd Esskultur Academy gegründet. Die Frage war: Wie legt man eine richtige Fachausbildung zum Restaurateur an? Es geht nicht nur darum, für die Zukunft selber Nachwuchs auszubilden und ihn zu behalten, sondern auch diesen Beruf wieder zu dem zu machen, was er ist. Er ist ein Handwerk. 

Hat die Pandemie den Fachkräftemangel in der Gastronomie noch verstärkt?

Der Fachkräftemangel ist noch schlimmer als vorher. Viele Restaurants zahlen ihren Mitarbeitern nur den Mindestlohn und der Rest wird über Trinkgeld finanziert. Diese Mitarbeiter sind jetzt weg. Gastronomen müssen ihre Prioritäten anders setzen. Ich muss mein Auskommen haben, ja, aber es macht keinen Sinn, dass ich ein dickes Auto fahre, aber meine Angestellten sich kaum eine Wohnung in Hamburg leisten können. Zu dem haben vorher schon viele Restaurants auf ungelernte Aushilfen gesetzt und auch diese haben sich in der Zwischenzeit umorientiert. 

Das Restaurant ist ein Jugendtraum von dir gewesen. Warum ist es dir so wichtig, dein eigener Herr zu sein und deine Kreativität in der Küche zu entfalten?

Ich wollte immer ein eigenes Restaurant haben, weil ich diesen Ort Küche total toll finde. Ich kenne das aus meiner Heimat, von meiner Mutter. Und dann als Koch habe ich erlebt, wie mit einem persönlich umgegangen wird, wie mit dem Thema Nachhaltigkeit umgegangen wird, wie mit dem Thema Personal als Ressource umgegangen wird. Ich habe mir gedacht: Das kann nicht der Endzustand sein. Für mich war ganz klar, dass ich mein Unternehmen niemals so führen werde. Innerhalb der Gastronomie bin ich damit auf große Kritik gestoßen. Mir wurde gesagt, dass ich kein Unternehmen mit solchen Personalkosten wirtschaftlich rentabel führen kann. Es hieß auch, ich kann kein Unternehmen mit einem Ticketsystem führen. Nein, das geht alles nicht. Aber es funktioniert nun in der Realität. Gott sei Dank. 

„Ich arbeite mit dem, was da ist.“

Viele Servicekräfte werden nach dem Mindestlohn bezahlt. Du beschreitest einen anderen Weg. Wie und warum machst du das?

Es geht mir nicht darum, mit allen Konventionen zu brechen, aber es muss doch möglich sein, ein gehobenes Restaurant zu führen, mit welchem wir wirtschaftlich rentabel sind und wo es allen gut geht. Die Menschen, die mit mir und für mich arbeiten, müssen so viel Geld verdienen, dass sie mit Freude zur Arbeit kommen. Nicht weil sie müssen. Es hat sehr viel Zeit gebraucht, aber inzwischen haben wir so ziemlich jeden Lügen gestraft, der gesagt hat, dass das nicht funktioniert. Im ersten Geschäftsjahr ein Sterne-Restaurant zu betreiben, das mit 65.000 Euro Gewinn nach Hause geht, ist glaube ich nicht verkehrt. Und das ist uns nicht gelungen, weil ich so ein toller Typ bin, sondern weil das System, das ich mir erdacht habe, funktioniert. Das war von Anfang an Teil meines Businessplans. Aber das muss man aber natürlich erstmal den Banken erklären. 

Wie bist du überhaupt zum Kochen und zu deiner Philosophie gekommen?

Es gibt für mich nichts anderes im Leben als Essen und Trinken. Nichts hat für mich diese Daseinsberechtigung wie Essen und Trinken, weil alles damit zu tun hat. Die Beschaffung der Lebensmittel, das Zubereiten der Lebensmittel, das Konsumieren der Lebensmittel. Restaurants habe ich als Kind schon total faszinierend gefunden. Ich hatte das große Glück, in einer Familie aufzuwachsen, in der wir relativ häufig essen gehen konnten. Essen gehen diente nicht der Nahrungsaufnahme, sondern es ging wirklich darum, das Essen zu zelebrieren. Der Oberkellner und der Sommelier gehörten dazu. Das fasziniert mich bis heute. Diese Kindheitserinnerungen habe ich immer noch drin, wenn ich gewisse Restaurants betrete. 

Was steckt hinter deinem kulinarischen Thema „Vier Jahreszeiten“?


Wenn man sich wirklich mit dem Thema Saisonalität, Regionalität und Nachhaltigkeit auseinandersetzt, merkt man ganz schnell, dass das alles nur ein großer Haufen Scheiße ist. Und zwar überall, egal was man anfasst. Man darf nicht vergessen: Die Menschen sind erst seit ungefähr 10.000 Jahren dazu in der Lage, wirkliche Landwirtschaft zu betreiben. Alles davor war noch eine sehr reduzierte Jäger und Sammler Küche. Und jetzt sind wir im Jahr 2021 in Hamburg. Was bedeutet jetzt noch regional? Wo kommt das Saatgut für alles Regionale her? Monsanto.
Ich habe darüber so exzessiv mit Landwirten und mit Erzeugergemeinschaften gesprochen. Es ist eigentlich alles nur Marketing, alles nur Dreck und Mist. Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen uns definieren und definieren, was “nachhaltig” für uns heute in Hamburg bedeutet. Ich will ja auch eine Geschichte erzählen, eine Daseinsberechtigung haben. Ich möchte, dass der Mensch weiß, dass es sich lohnt, hierher zu kommen. Also haben wir die vier Saisons aus der Taufe gehoben. 

Was kommt bei dir zu den einzelnen Jahreszeiten auf den Tisch?

Im Winter passiert relativ wenig in der Vegetation. Das heißt, wir nutzen viel Eingelegtes aus dem Sommer oder aus dem Herbst. Dazu gibt es Fisch und Meeresfrüchte. Das ist alles im Überfluss vorhanden. Das Frühjahr ist ein sehr omnivores Thema. Es gibt ein bisschen Fisch, aber mehr Fleisch. Es gibt die ersten kleinen Pflänzchen, also nichts Eingelegtes und Fermentiertes mehr. Im Sommer dann Vollgas. Dann geht es vegetarisch zu, wir brauchen weder Fisch noch Fleisch, weil alles in Hülle und Fülle vorhanden ist. Es ist möglich, im Umkreis von 40 Kilometern alles zu bekommen, mittlerweile sogar Zitrusfrüchte. Im Herbst kommt das Thema Feuer und Rauch mit Wild. Die Schonzeit endet ab dem 10. Oktober in Deutschland. Dann kann man den Tieren in der Landwirtschaft die Möglichkeit geben, länger im Stall oder auf der Wiese zu stehen. Wildfleisch wird von uns ohnehin am besten verstoffwechselt. Das ist das beste Fleisch, das es gibt. Wenn alles perfekt läuft, habe ich mit dieser Art zu kochen gleichzeitig noch eine Brücke in den Köpfen gebaut. Frei nach dem Motto: Denkt mal drüber nach. Ist das nicht cooler sowas zu essen? In der jetzigen Zeit? 

„Ich verzichte in meiner Küche nicht auf Butter, Milch und Sahne. Mache ich nicht.“

Gibt es Lieblingskomponenten in deiner Küche?

Nein, ich arbeite mit dem, was da ist. Ich kann und will nicht bestimmen, was das ist. Das ist allein Sache der Natur bzw. der Menschen, die sie hegen und pflegen. Ich habe die Pflicht, alles abzunehmen was erzeugt wird. Damit der Mensch auch davon leben kann. Und damit auch die nächste Ernte wieder gut werden kann. Deswegen muss ich die Verantwortung übernehmen, die Erzeugnisse so zu verarbeiten, dass du als Gast sagst: „Wow, was ist denn hier gerade passiert?“

Man könnte diesen Ansatz als Minimalismus missverstehen. Aber darum geht es nicht, oder?


Nein, das ist immer noch Genuss und Exzess. Das ist immer noch ein Restaurant. Exzessiver essen und trinken kannst du nirgendwo in Hamburg. Allein im jetzigen Menü haben wir 25 Gramm Kaviar verbaut. Welches Restaurant verkocht 25 Gramm Kaviar? Und wenn ich rein vegetarisch koche, darf es keine Verzichtserklärung sein. Es muss eine noch viel opulentere Küche sein, damit der typische Steakhaus Gast sagen kann, dass er weder Fisch noch Fleisch vermisst hat. Das ist eine Motivation, die mich jeden Tag unglaublich antreibt. Ich will die Menschen richtig begeistern, damit sie verstehen, dass Essen und Trinken elementar ist. 

Ein neues Thema ist Urban Farming. Dabei werden Gemüse und Kräuter auf Dächern gezogen. Ist das eine wertvolle Entwicklung oder ein Marketingtrick?

Wenn man es richtig betreibt, ist das richtig gut. Unser Restaurant allein hat eine Dachfläche von 11 000 Quadratmetern. Können wir das Dach kultivieren? Nein, können wir nicht. Unser Vermieter will es, aber der Denkmalschutz sagt Nein. Das ist so schade. Wenn die Menschheit versteht, dass über Essen und Trinken alles zu definieren ist in der gesamten Welt, dann sind wir ein ganzes Stück weiter. Aber das werde ich nicht mehr erleben, meine Kinder vielleicht. Erst wenn der Fokus wieder auf Essen und Trinken gelegt wird, haben wir weniger Probleme. 

Du betreibst das Restaurant mit deiner Lebenspartnerin Sophie Lehmann. Wie sieht euer Arbeitsalltag aus?

Sophie steht um 5 Uhr auf und macht ungefähr eine Stunde lang Büro. Ich stehe um 6 Uhr auf, es wird erst mal ein Cappuccino am Bett getrunken und grob besprochen was Phase ist. Dann wird ein bisschen gesportet. Dann geht es für mich mit dem Fahrrad in den Betrieb und Sophie geht wieder ins Büro. Mario fängt meistens zwischen 7 und 8 Uhr an. Das heißt, wir machen kurz eine Übergabe. Was steht an? Was muss alles passieren? Wir verarbeiten Lebensmittel wirklich in Gänze, also das ganze Tier. Und wir arbeiten mit kleinsten Erzeugern zusammen. Es hat Monate gedauert, da eine Logistik zu schaffen und den Bauern zu erklären, dass sie Sachen mit DHL verschicken können und wann sie die Sachen abgeben müssen. Diese Planung und Warensichtung dauert etwa drei bis vier Stunden am Tag. Nach der Besprechung mit meinem Team geht es wieder aufs Fahrrad nach Hause zur Wochenplanung mit Sophie. Dann kommt Zeit mit den Kindern. Mir ist sehr wichtig, dass wir diese Zeit jeden Tag miteinander haben. Wir erwarten bald das dritte Kind. Dann geht’s mit Sophie wieder ins Restaurant zum Abendservice bis etwa 1 Uhr. Das ist der Tag. Unser Leben. 

Das klingt nach einem unglaublichen Pensum.

Ich hab mir das ja selbst ausgesucht. Für mich ist das nicht anstrengend. Ich liebe das. Wenn ich das nicht tun würde, würde ich eingehen. Bei mir gibt es keinen zyklischen Tag. 

Dein Beruf erfüllt dich mit Leidenschaft. Das merkt man auch am Namen deines Restaurants 100/200. Wofür stehen diese Zahlen?

Wenn du Gastronomie so betreibst wie ich, dann musst du viele Restaurants sehen und viele Küchen in der ganzen Welt sehen. Und das ist zum Teil absurd. Das was in den Küchen vorhanden ist, hat viel mit Gartechnik zu tun, die nichts mehr mit Kochen zu tun hat. Es geht eigentlich darum, dass man Sachen vakuumiert, in den Wassergarer schmeißt und genau die Temperaturanzeige einstellen kann. Um gut zu kochen, braucht man aber eigentlich nur einen Topf, der Wasser auf 100 Grad kocht, und einen Ofen, der auf 200 Grad läuft. Natürlich haben wir hier viel mehr an Technik. Ich möchte damit versinnbildlichen, wie einfach es sein kann. Man muss halt Handwerker sein, dafür brennen was man tut und Lebensmittel verstehen. Aber man kann natürlich auch alles zubereitet kaufen und dann nur noch kurz würzen, vakuumieren und bei 58 Grad im Wasserbad garen und alle klatschen in die Hände. 

Um das Menü herum bietest du deinen Gästen Geleitzüge an. Was ist darunter zu verstehen?


Wir haben den rauschfreien Geleitzug mit komplett selbst angesetzten Getränken. Säfte sind erst einmal hochkalorische Zuckerbomben. Davon trinkst du höchstens zwei, drei Gläser. Aber so ein Degustationsmenü hat aktuell 17 Gänge. Wir haben dazu selber Getränke auf Basis von Milchkefir, Wasserkefir und Kombuchasäften angesetzt. Wenn man auch die Getränke selber herstellt, kann man natürlich viel besseres Foodpairing und Getränkepairing machen. Du kannst alles selbst abstimmen: jedes Gewürz, jeden Geschmack, jede Nuance. Der Wein-Geleitzug ist tatsächlich eine klassische Wein-Begleitung, ohne das Sie sich an alle klassischen Regeln hält. Auch hier geht es nur um das perfekte Pairing. 

Wie aufwändig ist es, Getränke und Speisen aufeinander abzustimmen?

Das Pairing ist in Sophies Kopf schon fertig, wenn ich anfange das Menü zu planen – wir funktionieren kulinarisch einfach perfekt miteinander. Aber es geht darum jedes Detail des Mahls für den Gast so geil und stimmig wie möglich zu machen. Für das Getränkepairing haben wir das Menü bestimmt acht mal in Gänze gegessen. Acht Mal. Das heißt Hinsetzen, Servieren, Degustieren, Notizen machen. Und dann nochmal von vorn. Zum Schluss zieht man das noch einmal komplett durch – mit der richtigen Beleuchtung, Musik, passender Kleidung. Das ist wirklich wichtig. Wir haben jetzt das Putzlicht an und ich trage eine weiße Kochjacke mit Kochgerüchen. Das habe ich alles nicht, wenn ich als Gast hier sitze. Der perspektivische Wechsel muss sein: Was in der Küche toll aussieht oder lecker ist, muss ja noch nicht dem Gast gefallen. Außerdem musst du wissen, wie der Gast an so eine Sache herangeht. Die meist gestellte Frage ist: „Wie esse ich das?“ Ich habe Gäste, die für ein Toast Besteck haben wollen. Das sind Faktoren, die alle mit reinspielen. Und es geht ja bei uns auch darum, Menschen dafür zu begeistern, sich auf so einem Niveau einfach mal auf das Essen einzulassen. 

„Es macht keinen Sinn, dass ich ein dickes Auto fahre, aber meine Angestellten sich kaum eine Wohnung in Hamburg leisten können.“

Immer mehr Menschen trinken keinen Alkohol mehr, essen kein Fleisch oder leiden unter Unverträglichkeiten. Wie geht ihr damit im Restaurant um?

Ich habe das große Glück, dass ich mich sehr gut auskenne mit den Themen Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelsicherheit. Viele Menschen, die von Allergien erzählen, haben eigentlich Unverträglichkeiten und nehmen Menschen die Bühne, bei denen es wirklich drauf ankommt. Menschen, die gegen Erdnuss allergisch sind oder gegen Fischeiweiß, erleiden eine Autoimmunreaktion, die einen anaphylaktischen Schock auslösen kann. Aber wenn mir jemand erzählt, er hätte eine Allergie auf Petersilie, dann denke ich mir: Du kannst de facto keine Autoimmunreaktion auf Petersilie haben. Das geht nicht. Deswegen bin ich da relativ rigoros und erkläre den Leuten meine Haltung dazu. Es geht auch um Machbarkeit. Menschen mit Zöliakie, die also wirklich gegen Klebeeiweiß allergisch reagieren, muss ich sagen: Ich kann für sie nicht kochen, weil wir ein offenes Küchenkonzept haben und deswegen Spuren von Gluten nie ausschzuschließen sind. Wenn man das erklärt, lenken viele plötzlich ein und erklären, so schlimm sei es ja gar nicht und eigentlich keine echte Zöliakie, sondern nur eine Unverträglichkeit. Wir hatten bis jetzt eine Handvoll Gäste mit “echten” Tod bringenden Allergien. Diese wissen dann aber ganz genau, worauf Sie achten müssen und kommunizieren dies auch klar um Vorfeld. 

Verbergen sich hinter manchen Unverträglichkeiten einfach nur Modeerscheinungen?

Es gibt ja mittlerweile mehr laktosefreie als laktosehaltige Produkte. Die Leute wissen gar nicht, was Laktose ist. Milchzucker ist wichtig. Wenn ich mich allerdings omnipräsent von Kuhmilchprodukten ernähre, muss ich mich nicht wundern, dass ich eine Unverträglichkeit entwickle. Ich bin da resolut. Ich verzichte in meiner Küche nicht auf Butter, Milch und Sahne. Mache ich nicht. Oder auch die vegane Ernährung. Jeder kann machen, was er will. Aber vegane Ernährung ist eine Verzichtsernährung und ich werde nicht alles mit Avocado oder Quinoasaaten vollballern. Vegetarische Küche finde ich sensationell. Aber die funktioniert nur durch den Einsatz von Molkereiprodukten. Ja, meines Erachtens nach geht es ganz häufig um Modeerscheinungen, was ich ganz traurig finde für die Leute, die wirklich ein Problem haben. Ich finde es auch immer interessant, wenn mir Schwangere erklären, dass alles durchgegart sein muss. Kein indogenes Volk der Welt würde noch existieren, wenn wir alles durchgaren würden. Aber irgendein Arzt hat 1960 mal gesagt, dass alles durchgegart sein muss, also wird es so gemacht. Dass eine Schwangere aber zum Beispiel keinen ungewaschenen Salat essen sollte, wird nicht thematisiert. 

Woher kommt dieser Fehlglaube über die Gefährlichkeit gewisser Lebensmittel oder Zubereitungsmethoden?


Es macht sich keiner mehr Gedanken. Die Leute lesen etwas auf Facebook und Instagram und befolgen unhinterfragt irgendwelche Regeln, die dort aufgestellt wurden. Aber keiner kümmert sich wirklich um seinen Körper. Ja gut, ich habe Übergewicht, aber ich bin trotzdem gesund. Ich weiß, was mir guttut. Ich weiß, dass ich gutes Essen koche. Ich habe noch nie einen Gast gehabt, der sich nach meinem Essen unwohl gefühlt hat.
In großen Restaurants wird man mit so vielen Nahrungsergänzungsmitteln zugeballert. Bei Stoffen wie Xanthan ist noch gar nicht klar, welche Wechselwirkungen sie auslösen und was passiert, wenn man sie miteinander kombiniert. Aber trotzdem werden diese ganzen kleinen Pülverchen in der Küche genutzt, als wären sie Zucker oder Salz. Ich bin doch kein Lebensmitteltechnologe. Ich weiß doch gar nicht, was im Körper passiert, wenn ich das alles miteinander kombiniere. 

Wie sehr muss man sich heutzutage als Koch mit Lebensmitteltechnologie auskennen?

Man muss sich mit Ernährungsphysiologie auseinandersetzen. Das ist die Verantwortung eines jeden Kochs. Auch wenn es in der Ausbildung nicht gelehrt wird. Für mich ist das mein Leben. Ich bin firm darin, weil es mich interessiert. Deshalb nehme ich auch Kritik in Kauf, wenn ich zu einem Gast sage: Du bist in meinem Restaurant. Ich trage die Verantwortung. Du hast eine Allergie? Ich koche für dich nicht. Und wenn du meinst, dass du eine Zwiebelallergie oder eine Knoblauchallergie hast, dann sage ich dir, dass man keine Knoblauchallergie haben kann. Man kann eine Unverträglichkeit haben, aber das ist ein himmelweiter Unterschied. Wenn wir für einen Gast keinen Knoblauch und keine Zwiebeln verwenden, muss ich mindestens 60 Prozent aller Soßenansätze weglassen. Das soll ich alles neu machen? Was soll das Menü dann kosten? 

Kommen wir zur Location. Warum hast du dir die Elbbrücken ausgesucht?

Keiner erwartet hier ein Restaurant. Für mich war es ganz wichtig, einen Ort zu haben, der völlig unbefleckt war. Ich wollte unbedingt laut, auch optisch laut. Der Elbtower, Wasser, Tidenhub, die Kräne – das macht mich unglaublich glücklich. Ich bin 2014 das erste Mal hier langgefahren. Da war das hier eine absolute Industriebrache. 

Was bedeutet Hamburg für dich?

Mittlerweile Heimat. Wir haben eine unglaublich tolle Wohnung ganz in der Nähe der Alster. Es ist ein ungeheurer Vorteil, dass sie nur 2,5 Kilometer vom Restaurant entfernt liegt. Das heißt, wir können schön entspannt mit dem Fahrrad hierhin fahren. 

Ein Abend bei dir ist nicht ganz so günstig. Wer sind deine Gäste?

Wir haben in Hamburg 8.000 Gäste, davon bestimmt 1.000 Stammgäste die aber aus den unterschiedlichsten “Zielgruppen kommen” was ich unglaublich spannend und als ein riesen Kompliment empfinde. Wir hatten die ersten beiden Öffnungstage nach der Corona-Schließung nur Stammgäste hier. Die letzte Woche hatte ich nur drei Tische mit Gästen, die nicht schon wenigstens drei Mal hier waren. Das Preisniveau ist gehoben, das muss man ganz klar sagen. Wir sind teuer, natürlich. Aber es hat etwas damit zu tun, dass wir Preis und Wertigkeit anders definieren als die meisten anderen Restaurants. 

„Ich brauche keinen Ausgleich für das, was hier passiert.“

Kurz zu deinem Jugendtraum zurück. Ist das Leben im Restaurant nach wie vor dein Traum oder gibt es Momente, wo du dich plötzlich eingesperrt oder überfordert fühlst?



(Lacht). Bist du wahnsinnig? Nein! Wir bauen gerade oben alles um. Da kommt ein großer Tisch für 12 Leute hin. Wir haben eine neue Weinkarte definiert. Ich bin an meinen freien Tagen hier. Das ist für mich der schönste Ort, den es gibt. Das ist mein Zuhause. Alles hier ist meins. Ich habe jedes Mal Gänsehaut, wenn ich vorne aufschließe. 

Wie tankst du auf? Wie sammelst du Energie?

Hier. Mit Sophie. Mit meiner Familie. Wir haben das Restaurant nächste Woche exklusiv verkauft an eine Filmfirma. Die machen hier Aufnahmen und ich muss mindestens 18 Stunden vor Ort sein. Ist das Arbeit? Nein. Ich brauche keinen Ausgleich für das, was hier passiert. 

Wo gehst du essen? Was sind deine Lieblingsrestaurants?

Ich finde die Hanse Lounge geil. Das ist ein privater Business Club hier in Hamburg. Die haben eine unglaublich abgefahrene Gastronomie, sehr sehr alt, aber nicht antiquiert, sondern wirklich gut in die Moderne gehoben. Und ich liebe das Hotel Vier Jahreszeiten. Das sind tolle Menschen, die da stehen. 

Träumst du von weiteren Standorten? Hast du weitere Visionen, die du verwirklichen möchtest?


Das Endziel meines Lebens ist eine autark funktionierende Gastronomie. Keine Händler mehr, keine Industrie mehr, sondern ein Bauernhof an der Gastronomie. Und die Akademie. Ein großer Ort, ein altes Herrenhaus, irgendetwas vielleicht im Osten Deutschlands, wo noch viel Fläche ist. Dazu kommt eine Schlachterei, eine Confiserie, eine Patisserie, eine Bäckerei, um den ganzheitlichen Beruf des Gastronomen mit seiner gesamten Peripherie abzubilden. So dass da nicht 10, 20 Leute, sondern 100 Menschen im Durchlauf pro Jahr ihre Abschlüsse machen. Also ein richtiges Institut. Das ist etwas, wovon ich träume seit ich denken kann. Ich glaube, dass das die einzige Möglichkeit ist, den Werteverfall im Beruf des Kochs und Kellners aufzuhalten. Ich meine, es gibt jetzt seit neuestem die „Fachkraft im Gastgewerbe“. Was soll das denn bitte sein? Da wird doch total verkannt, was für ein toller Beruf Kellner eigentlich ist. 

Was konkret bedeutet es, wenn der Beruf des Kochs oder Kellners an Wert verliert?


Du hast eine studentische Aushilfe, die serviert ein Essen für 30 Euro und die Menschen beschweren sich anschließend, dass sie einen schlechten Service hatten. Ja, die weiß ja auch gar nicht, was sie macht. Das kann man ihr gar nicht vorwerfen. Du kannst dir doch keinen Schaumwein von einem Menschen erklären lassen, der überhaupt nicht weiß, was ein Schaumwein ist. Der gar nicht versteht, wie wichtig es ist, dass die Flasche perfekt auf 7 Grad temperiert ist. Der gar nicht versteht, dass man die Flasche dem Gast zeigt, bevor man sie öffnet. Die Empathie, die eine Servicekraft entwickeln muss, um Sachen zu verkaufen, ist ein Teil der Arbeit. Es ist ein Handwerk. Viele von unseren Freunden und Kollegen machen statt an fünf Tagen nur noch an drei Tagen auf, weil sie einfach keine Arbeitskräfte finden. Selbst große Unternehmen haben Schwierigkeiten. Wir haben das große Glück, dass wir mittlerweile einen guten Namen in der Branche haben und uns kaum retten können vor Anfragen. 

Wie gehst du mit deinen Mitarbeitern um?

Ich bin unglaublich laut, weil ich gerne laut bin. Ich schreie gern, aber nie aus Boshaftigkeit oder aus Ärger. Ich foppe gern. Aber nie in doof, sondern immer auf Augenhöhe. Je mehr ich jemanden ärgere, desto lieber mag ich ihn. Ich suche mir jeden Tag einen anderen aus, den ich ein bisschen foppe. Den meisten “Ärger” kriegen Sophie oder meine Kinder ab. 

Brot | Käse | Pilz aka. der „Klassiker“: Käsetoast mit Rauchmehltoast, Deichkäse und Champignon de Paris oder schlicht und ergreifend das beste Käsebrot.

Quark | Knochenmark | Kaviar aka. der Schwelgegang oder einfach die pure Üppigkeit, bei der gerne gekleckert werden darf.

Und was muss man tun, um dich richtig zur Weißglut zu treiben?

Ich bin auf eine Sache allergisch: Wenn man nicht achtsam mit Sachen umgeht. Jeder Laie sieht, dass hier alles ein Vermögen kostet – jeder Topf, jede Kelle, jedes Messer ist oberstes Regal. Unser Porzellan ist handgefertigt von Hering Berlin und davon isst auch das Personal. Wenn jemand nicht gut mit den Sachen umgeht, gibt’s halt ein Gespräch unter vier Augen. Jeder hat hier eine Vorbildfunktion gegenüber dem Gast. Wenn wir nicht gut mit unseren Sachen umgehen, macht es der Gast auch nicht. Ansonsten bin ich in der Küche sehr fair, sehr ehrlich und ich habe gelernt, Dinge immer sofort anzusprechen und nicht irgendetwas in mir hochkochen zu lassen. Man darf nicht vergessen, dass diese Menschen alle ihr eigenes Tun, ihre eigene Welt haben, in der sie sich bewegen. Ich bin ein Mensch mit sehr kreativen Phasen im Kopf, manche kommen dann gar nicht mehr mit, weil ich sehr schnell bin. Ich habe aber glaube ich gut gelernt, Menschen damit nicht vor den Kopf zu stoßen. 

Köche wie Steffen Henssler und Tim Mälzer vermarkten sich sehr laut, sehr plakativ, sehr nach außen hin. Die haben ihre eigenen Marketing Instrumente wie zum Beispiel „Kitchen Impossible“. Ist das auch etwas für dich?

Die machen das sehr gut, aber die haben eine andere Motivation als ich. Meine Motivation ist nicht, laut zu sein, um mir dann eine Rolex, einen AMG Mercedes oder was auch immer zu leisten, sondern ich möchte laut sein, um die Menschen auf das Thema Esskultur aufmerksam zu machen. Ich will den Menschen wieder näher bringen, dass der Erzeuger nicht bei Rewe sitzt, sondern dass der Erzeuger da draußen gärtnert oder mit Tieren umgeht. Da bin ich mir auch nicht zu schade, immer noch lauter zu werden. Ich will nachhaltig laut sein. 

Danke für das wertvolle, sehr emotionale und intensive Gespräch.

100/200 Kitchen
Brandshofer Deich 68, 20529 Hamburg
Tel.: 040 309 25 191
100200.kitchen

Kategorie: Menschen
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