Kultur INNERE UNRUHE IST…
INNERE UNRUHE IST…
Interview mit Kristin Kossi
…DIE ENERGIEQUELLE FÜR MEINE BILDER
Die Künstlerin Kristin Kossi ist ein Shooting Star der zeitgenössischen Malerei. Mit großformatigen Frauenporträts und frecher Pop Art hat die studierte Modedesignerin ihre Berufung gefunden.
Kristin Kossi ist als Tochter einer ukrainischen Mutter und eines Diplomaten aus Westafrika in der Ukraine geboren, verbrachte ihre Kindheit in Moskau. Mit 14 Jahren kam sie mit ihrer Familie nach Hamburg, wo sie nach dem Abitur ein Studium an der Akademie für Mode & Design (AMD) abschloss und anschließend eine Ausbildung als Grafikdesignerin absolvierte. Nebenher arbeitete sie bereits während des Studiums als Model und war danach als Grafikdesignerin im Verlag und in der Werbung tätig. Vor einigen Jahren ging sie als Freundin des ehemaligen HSV-Fußballtrainers Thomas Doll durch die Medien, aber bereits 2013 gab es erste Berichte über ihre Ausstellungen als bildende Künstlerin. Ihre Arbeiten wurden u.a. GQ, in der Grazia, in OK, in der britischen Vogue, in Tageszeitungen sowie in TV-Beiträgen gezeigt. Kristin Kossi ist bekannt für großformatige Frauenporträts und für spielerisch-ironische Pop Art. Sie lebt und arbeitet in Norderstedt bei Hamburg und hat ein zweites Atelier in Kapstadt.
CHAPEAU: Kristin, du hast Modedesign studiert. Woher kommt deine Begeisterung für die bildende Kunst?
KRISTIN KOSSI:
Ich habe schon mit sechs Jahren angefangen, mit Öl zu malen. Da habe ich noch in Russland gelebt, aber natürlich noch nicht daran gedacht, dass ich später einmal Künstlerin werde. Die Malerei gab mir sehr viel. Das war eine Möglichkeit, mich auszudrücken und in meine eigene Welt zu entfliehen. Erst in meiner Jugend habe ich mich dann auf Design ausgerichtet. Als Teenager fand natürlich besonders die Mode interessant und wollte auch zeichnen. An der Hamburger Akademie für Modedesign hatten wir im Nebenfach Kunstmalerei, und ich mochte die Illustrationen und Modezeichnungen. Malen konnte ich ja schon. Aber das künstlerische Erweckungserlebnis muss nicht notwendigerweise im Studium stattfinden. Man kann sich auch als Künstler definieren, wenn man zum ersten Mal etwas verkauft oder in einer Galerie ausgestellt wird. Künstler zu sein, ist kein ein Job, sondern eine Identität.
Meine Erfahrungen in der Mode, Grafik und Typografie lasse ich in meine Kunst einfließen.
CHAPEAU: Geboren bist du in der Ukraine. Wann bist du nach Deutschland gekommen?
KRISTIN KOSSI:
Meine Eltern sind nach meiner Geburt sehr früh mit mir nach Moskau gezogen. Dort bin ich aufgewachsen. 1994 kamen wir dann nach Hamburg. Ich kannte die Sprache nicht, und es war eine ganz andere Kultur. Aber fand es auch sehr schön. In Russland gab es wenige dunkelhäutige Menschen, dort war ich eher ein Außenseiter gewesen. In Deutschland war das ganz anders, und ich habe mich schnell integriert.
CHAPEAU: Dann hast du dich entschlossen, Modedesign zu studieren. Wann hast du den Schritt zur Malerei gemacht?
KRISTIN KOSSI:
Ich habe mich immer als geborene Kreative gesehen, denn ich sehe mein Entwicklungspotenzial auf verschiedenen Feldern. Ich wollte immer etwas erschaffen, das reichte vom Zeichnen bis zum Nähen. Mein Mode-Studium habe ich mit Modeln finanziert und nach dem Abschluss noch Grafikdesign gelernt. Danach habe ich mich mit Typografie und Layout beschäftigt – also mit dem Thema, wie man Texte und Bilder in einem Spannungsbogen zueinander stellt – und nebenher weiter gemodelt. Alle diese Erfahrungen lasse ich jetzt in meine Kunst einfließen.
CHAPEAU: Welche Einflüsse aus der Mode wirken in deiner Kunst?
KRISTIN KOSSI:
Ich probiere mich gerade mit tragbarer Kunst auf Jeansjacken, T-Shirts und so weiter aus. Zunächst wusste ich gar nicht, ob das überhaupt geht. Schließlich muss man so ein Kleidungsstück auch tragen und reinigen können. Aber ich habe experimentiert und mich natürlich auch eingelesen, welche Textilfarben man benutzen kann, um Bilder auf die Klamotten zu übertragen.
Wenn ich male, flüchte ich aus der Welt und begebe mich in meinen ganz persönlichen Kosmos.
CHAPEAU: Ist deine Pop Art von der früheren Arbeit als Werbegrafikerin beeinflusst?
KRISTIN KOSSI:
Ja, das ist auf jeden Fall Teil meiner Bilder. Und auch Teil von mir. In Russland war alles eher grau, und man hatte nicht so viel. Hier schlug einem dann plötzlich eine Vielfalt in allen Formen entgegen, bunt und toll. Der Konsum wurde auch ein Teil von mir. Ich shoppe gerne.
CHAPEAU: Hast du dich mit Andy Warhol beschäftigt?
KRISTIN KOSSI:
Für einen Pop-Art-Künstler gehört es dazu, ein paar Inspirationen von Andy Warhol zu beziehen. Aber auch Street Art und Graffiti sind Inspirationsquellen für meine Malerei.
CHAPEAU: Das sieht man. Deine Pop Art erinnert an Szenequartiere wie das Hamburger Schanzenviertel. Da sind die Wände voll mit Plakaten, Parolen, Ankündigungen für Konzerte, Events oder Werbung. Alles neben- und übereinander. Ein Plakat ist halb abgerieben, von unten scheint wieder ein anderes Motiv durch, und dann liegt noch ein Graffiti darüber. Urbanität pur. Ist das eine Optik, die du zu erzielen versuchst?
KRISTIN KOSSI:
Genau das möchte ich erreichen, diese Haptik und diesen Shabby Chic. Das entsteht, ohne dass ich es plane. Da wird gespachtelt und geklebt – es passiert einfach.
CHAPEAU: Machst du Spaziergänge durch die Stadt, um dir das anzuschauen?
KRISTIN KOSSI:
Nein, das mache ich online, gucke mir verschiedene Sachen in Social Media an. Aber letztlich weiß ich sowieso, was ich machen möchte und wie das auszusehen hat. Ich brauche nicht irgendwas zu sehen, um mit der Arbeit anfangen zu können. Ich habe zum Beispiel einige Werke mit Steve McQueen als Ikone erstellt. Da setze ich meine Recherche an. Was gehört zu ihm? Schnelle Autos. Ich suche Zitate von ihm, und das bringe ich alles zusammen.
CHAPEAU: Dann arbeitest auch mit Typografie?
KRISTIN KOSSI:
Ja, dann suche Sprüche von ihm raus und kritzel das rein, so dass der Text zum Bild passt. Meine Malereien funktionieren wie Statements. In der Art, wie ich Sprüche verwende, steckt auch Kritik. Ich sage den Leuten, wie die Welt ist – oder wie sie sein sollte.
CHAPEAU: Aber in deinen Porträts gehst du ja tiefer, schaust hinter die Oberfläche. Wann kam das Bedürfnis, die gemalten Motive gewissermaßen in ihre Bestandteile zu zerlegen?
KRISTIN KOSSI:
Vielschichtigkeit ist ein Erkennungsmerkmal meiner Arbeiten. Dekonstruktion auch. Ich erschaffe das Schöne und zerstöre es wieder. Ich suche nach mehr Tiefe, sowohl über meine Arbeiten als auch im realen Leben. Mit meinen Porträts will ich hinter die Fassade schauen und auch meine Erfahrungen als Model einfließen lassen. In dem Job habe ich immer in einer Schublade für Exotinnen gesteckt. Als Dunkelhäutige habe ich nur bestimmte Jobs bekommen. Für Unterwäsche, exotische Shootings. Aber auf ein Cover zu kommen, war schwer. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich wollte Schönheit unterschiedlicher Herkunft darstellen. Dann habe ich angefangen, die verschiedenen Gesichter zu entfremden und zu dekonstruieren. In der Pop Art geht es mir um Humor, Oberflächlichkeit und Spontanität. Das macht Spaß, aber mit den Contemporary-Porträts beschäftige ich mich intensiver. Wenn ich male, flüchte ich immer noch aus der Welt und begebe mich in meinen ganz persönlichen Kosmos, in dem ich mich auskenne und den ich kontrollieren kann.
CHAPEAU: Hast du die Technik der Porträtmalerei während des Modedesign-Studiums gelernt, oder hast du noch weitere Ausbildungen gemacht?
KRISTIN KOSSI:
Nein, das habe ich mir selbst beigebracht. Zuerst wollte ich realistisch malen können. Meine ersten Porträts waren nicht immer stimmig in den Proportionen. Als ich das dann konnte, habe ich gemerkt, dass einfache realistische Porträts langweilig sind. Da musste mehr passieren. So habe ich dann die Technik für mich entdeckt, die Gesichter zu abstrahieren und auseinanderzunehmen.
CHAPEAU: Beschäftigst du dich mit zeitgenössischer Kunst?
KRISTIN KOSSI:
Ich habe zum Beispiel die Spachtelarbeiten von Gerhard Richter studiert und mir einige Sachen angeeignet. Und im Internet habe ich den koreanischen Maler KwangHo Shin entdeckt. Der verfremdet Gesichter wirklich sehr stark, fast zu einer Art Fleischmasse. Das ist sehr cool und hat mich inspiriert, ist mir aber doch zu extrem. Er wird von derselben Online-Galerie vertreten wie ich, Saatchi. Die vertreten sehr viele Künstler aus der ganzen Welt, haben meine Bilder auf meiner Website gesehen und mich angeschrieben.
CHAPEAU: Dann hast du also mit Selbstvermarktung angefangen.
KRISTIN KOSSI:
Richtig. Zuerst musste ich eine Ausstellung organisieren. Normalerweise wird man anfangs in Gruppenausstellungen eingebunden, aber ich habe in Kooperation mit einer Firma gleich eine eigene Ausstellung gewagt. Dann habe ich meine Webseite gestaltet und meine Werke dort hochgeladen. Ich wundere mich bis heute, von wo überall Anfragen kommen – wirklich aus der ganzen Welt.
CHAPEAU: Reist du viel?
KRISTIN KOSSI:
Ich fahre jedes Jahr im Winter nach Südafrika. Kapstadt habe ich während meiner Zeit als Model kennengelernt. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mir dort jetzt ein Atelier eingerichtet habe. Es ist perfekt. Das Licht ist toll, man hat viel Inspiration durch die schöne Natur.
CHAPEAU: Wie ist dein Arbeitsrhythmus? Du sagst ja, dass dir die Porträts viel abverlangen, während du dich in der Pop Art spontan auslebst.
KRISTIN KOSSI:
Ich habe nicht immer die Kraft, ein großes Porträt anzufangen. Das dauert sehr lange und beschäftigt mich intensiv. Danach bin ich meist total erschöpft – aber auch glücklich darüber, was ich geschafft habe. Jetzt gerade bin ich in der Pop-Art-Phase, knalle einfach Sachen auf die Leinwand und habe Spaß. Und ich arbeite mit einem Möbelhaus zusammen. Wir kreieren Tische, deren Platten Pop Art sind. Ich muss eine Tischplatte so bearbeiten, dass sie Kunstwerk und trotzdem funktional ist. Dazu muss ich die Oberflächen versiegeln.
CHAPEAU: Reist du viel?
KRISTIN KOSSI:
Ich fahre jedes Jahr im Winter nach Südafrika. Kapstadt habe ich während meiner Zeit als Model kennengelernt. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mir dort jetzt ein Atelier eingerichtet habe. Es ist perfekt. Das Licht ist toll, man hat viel Inspiration durch die schöne Natur.
CHAPEAU: Arbeitest du in deinen Porträts mit Modellen, oder malst du nach Fotos?
KRISTIN KOSSI:
Ich arbeite nach Fotovorlagen, die ich im Internet finde. Es geht mir nicht darum, wer das ist, sondern was auf dem Bild zu erkennen ist. Ich suche nach einer
besonderen Ausstrahlung im Gesicht, die mich anspricht. Ich finde sehr ausdrucksstarke Motive reizvoll.
CHAPEAU: Würden sich die Personen wiedererkennen, wenn sie das Gemälde zufällig im Internet entdecken?
KRISTIN KOSSI:
Ja, doch. Ein Model habe ich mal verlinkt. Sie hat sich dann bei mir gemeldet, weil sie sich sehr gefreut hat.
CHAPEAU: Könntest du dir vorstellen, auch Natur zu malen?
KRISTIN KOSSI:
Nein, das ist langweilig. Ich finde die Natur perfekt, wie sie ist. Ich würde nichts zu ihrer Schönheit beitragen, wenn ich sie malen würde. Ich habe schon früh gemerkt, dass mich Gesichter interessieren; Augen, Ausdruck, all das. Meistens male ich Frauen, sehr wenige Männer-Porträts. Wenn ich male, flüchte ich aus der Welt und begebe mich in meinen ganz persönlichen Kosmos.
CHAPEAU: Die Gesichter sind in deinen Bildern ja nicht komplett ihrer Form beraubt, sondern verfremdet. Worauf zielst du ab, wenn du die Porträts abstrahierst?
KRISTIN KOSSI:
Ich versuche hinter die Fassade der Modelle zu schauen, indem ich diese abstrahierenden Schichten auftrage. Der Eindruck sich auflösender Schichten ermöglicht den Blick hinter die Fassade in die Tiefe. Meine Gesichter sind also nicht perfekt. Ich finde das viel interessanter zum Anschauen.
CHAPEAU: Welche Gesichtsausdrücke reizen dich? Ist es Skepsis, Erhabenheit – oder vielleicht eine gewisse Anzüglichkeit?
KRISTIN KOSSI:
Ich denke schon, dass die Gesichter etwas Anziehendes haben. Ich habe mir mal meine Vorlagen angeschaut, um herauszufinden, was mich an den Gesichtern fasziniert und was haben sie vielleicht gemeinsam haben. Dabei fiel mir auf, dass immer ein direkter Blickkontakt besteht und dass der Mund meistens leicht geöffnet ist. Danach habe ich nicht gezielt gesucht, aber in dem Ausdruck ist auf jeden Fall Intensität drin.
CHAPEAU: Was sagt deine Maltechnik über dich aus?
KRISTIN KOSSI:
Meine Technik ist schon sehr energetisch und wild. Die Bilder sind Ausdruck meiner inneren Welt. Ich spüre in mir eine gewisse Rastlosigkeit, die mich belastet. Aber ich habe gelernt, dass Unruhe die Energiequelle für meine Bilder ist und ihnen das Grobe und Wilde verleiht. Diese Kraft treibt mich an, Neues zu lernen und weitere Herausforderungen anzunehmen. Aber sie erschöpft mich auch.
CHAPEAU: Überwiegt die Erschöpfung, wenn ein Bild fertig ist, oder fühlst du dich dann eher befreit?
KRISTIN KOSSI:
Beides zu gleichen Teilen. Wenn ich zeichne, bin ich zu hundert Prozent aktiv und konzentriert. Musik dröhnt aus den Lautsprechern, und die ersten vier Stunden sind ein Mega-Spaß. Die zweiten vier sind Arbeit. Gleichzeitig ist mein Bewusstsein leer, als ob ich auf Autopilot arbeiten würde. In richtig guten Momenten merke ich gar nicht, dass ich arbeite. Dann assoziiert und zeichnet etwas in mir. Die Bilder entstehen, ohne dass ich anschließend erklären kann, was ich mir dabei gedacht habe. Nach acht Stunden bin ich geistig und körperlich erschöpft. Trotzdem fällt mir nichts ein, was mir genauso viel Spaß macht. Und wenn ich nach einem langen Tag um 23 Uhr aufs Sofa falle, bin ich erst einmal absolut glücklich. Aber dann fängt es auch schon wieder an: Was kommt als nächstes? Dann muss ich weiter gehen.
CHAPEAU: Stellst du das fertige Bild gleich in die Ecke?
KRISTIN KOSSI:
Ja, genau. Das ist eine abgeschlossene Sache. Ich hänge nicht an meinen Bildern. Wenn eines fertig ist, darf es weiter in die Welt und andere Leute erfreuen. Und für mich geht es zum nächsten Projekt.
CHAPEAU: Hast du das nächste Bild schon im Kopf, oder fängst du erst einmal an?
KRISTIN KOSSI:
Ich weiß anfangs grob die Richtung und lasse den Rest wie per Zufall einfließen. Ein Gedanke, ein Spruch oder ein Zitat, das mir in dem Moment dazu einfällt, wird schnell im Bild verarbeitet. Schichten legen, sprühen und übermalen – alles Prozesse, die unvorhersehbar sind und deshalb so spannend.
CHAPEAU: Sammelst du im Vorwege Fotos von Gesichtern, die du malen willst?
KRISTIN KOSSI:
Genau, ich habe einen Ordner. Wenn ich im Internet ein interessantes Gesicht sehe, Künstler zu sein ist kein Job, sondern eine Identität. speichere ich das für die zukünftige Auswahl. Und dann schaue ich, was mich in dem Moment interessiert, und lege meine Motive fest. Bei den Pop-Art-Bildern ist das anders. Da entscheide ich mich zuerst für ein Hauptthema, auf das ich an dem Tag spontan Lust habe. Ist es eine Micky Maus, eine Flasche Dom Pérignon oder etwas anderes, das mir gerade einfällt? Das wird dann gemalt.
CHAPEAU: Markenwelten wie Micky Maus, Dom Pérignon, Steve McQueen oder Porsche kennt man überall auf der Welt. Spezielle Eigenheiten von nationalen oder ethnischen Kulturen gehen dagegen eher verloren. Wie findest du diese Entwicklung?
KRISTIN KOSSI:
Ich finde es eher gut. Coca Cola erkennt jedermann sofort, für jeden ist es verständlich. Das ist unsere Konsumwelt, und ich bin ein Teil davon. Das kann man kritisch betrachten, aber auch akzeptieren. Ich habe eher ein Problem damit, dass heutzutage kaum noch richtige
Ikonen geprägt werden. Das macht die Auswahl meiner Motive schwierig. Wer ist die Marilyn Monroe von heute? Eine Kim Kardashian hat vielleicht eine große Strahlkraft, aber das wäre für mich keine Ikone, die ich malen würde.
Künstler zu sein ist kein Job, sondern eine Identität.
CHAPEAU: Liegt das daran, dass alles kurzlebiger geworden ist?
KRISTIN KOSSI:
Absolut. Da haben sich die Werte verändert. Jeder möchte Star sein, jeder ist Influencer, jeder möchte einen Teil des Kuchens haben. Wo es früher ein paar Weltstars gab, gibt es heute viele kleine Sternchen. Es geht darum, sich so gut wie möglich zu verkaufen.
CHAPEAU: Die Beschleunigung kommt sicher auch daher, dass es heute sehr viel mehr Medien gibt. Früher sind die Leute ins Kino gegangen, um Clark Gable oder Ava Gardner überlebensgroß zu sehen. Dann kam das Fernsehen als visuelles Medium dazu, und das Internet macht alles noch sehr viel schneller.
KRISTIN KOSSI:
Es ist auch oberflächlicher geworden. Einige Leute werden bekannt, ohne dass sie sich eine Karriere erarbeitet haben. Kate Moss sehe ich noch als aktuellste Ikone. Topmodel, Rebellin. Für mich eine Heldin aus der Modelwelt, weil sie für etwas steht und sich immer treu geblieben ist. Die habe ich auch schon sehr oft gemalt.
CHAPEAU: Die Zeit der großen Supermodels scheint ja vorbei zu sein. Zumindest fällt mir aktuell niemand im Format wie Kate Moss, Claudia Schiffer oder Naomi Campbell ein.
KRISTIN KOSSI:
Unsere neue Welt sind die Instagram-Stars. Die Kunst des 21. Jahrhundert ist durch die Möglichkeiten der neuen Medien vielfältig und kreativ und deshalb so spannend. Die Malerei ist heute nicht mehr wie in früheren Jahrhunderten darauf beschränkt, mit Pinsel und Farbe auf Leinwand übertragen zu werden. Sie ist in Hinsicht auf Themen, Stile und auch Technik über alle Maßen vielschichtig. Wir Künstler ergänzen und kombinieren Malerei jetzt mit elektronischen oder digitalen Ausdrucksmitteln. Mit der entsprechenden Technik, einem Computer und dem Internet kann ich auf dem Land leben und meine Arbeiten an die richtigen Leute schicken.
CHAPEAU: Hast du bei Instagram schon interessante Persönlichkeiten für deine Kunst gefunden?
KRISTIN KOSSI:
Nein, dafür bin ich wohl doch ein bisschen zu altmodisch. Was ich aus Instagram festhalte, sind bestimmte Zitate, die gerade aktuell sind. Vielleicht als Symbol dafür, was mich in dem Moment gerade bewegt. Ansonsten mache ich mir aber nicht so viele Gedanken, was genau ich mit meiner Pop Art ausdrücken will. Oft ist es ja einfach Humor. Dinge zusammenbringen, die vielleicht nicht zueinander passen und ein bisschen frech sind.
CHAPEAU: Bis du an weiteren Kunstformen außerhalb der Malerei interessiert?
KRISTIN KOSSI:
Um meiner inneren Welt Ausdruck zu verleihen, ist die Malerei mein Medium. Ich überlege natürlich immer, wie ich das erweitern kann. Ich experimentiere auch mit digitalen Medien, Fotografien, allen möglichen Stoffen. Aber grundsätzlich möchte ich schon beim Malen bleiben.
CHAPEAU: Wie kann ich mir das vorstellen, wenn du digital etwas erstellst?
KRISTIN KOSSI:
Zum Beispiel stelle ich am Computer Bilder zusammen und lege sie mit Photoshop in verschiedenen Ebenen übereinander. Das drucke ich aus und benutze es als Hintergrund für meine Bilder. Außerdem ist Musik ist eine starke Inspirationsquelle und gibt mir Energie, vor allem elektronische. Die besteht – wie andere Musik natürlich auch – aus mehreren Schichten, die übereinander gebaut sind. Jetzt habe ich ein Programm gefunden, mit dem ich die Beats wieder auseinandernehme. Davon lasse ich mich inspirieren und male dann zum Beispiel nach bestimmten Geräuschen. Mit der Verbindung von Musik und Malerei möchte ich mich noch mehr beschäftigen.