Innovation Künstliche Inseln (Teil 1)
Künstliche Inseln (Teil 1)
Little Island, New York
Teil 1: Little Island, New York
Text: Michael Eckert / Fotos: Michael Grimm
Dillers Eiland. Wer keine Insel hat, baut sich eine. Vorausgesetzt, er kann es sich leisten. Wie etwa der US-Milliardär Barry Diller. Zum Auftakt unserer Artikelserie über künstliche Inseln berichten wir über Dillers brandneuen Inselpark „Little Island“ vor dem Westufer Manhattans.
Manche Investoren plagt ein Luxus-Problem: Wohin mit dem Geld? Zu den Menschen, die in Sachen Kapitalanlage etwas ratlos sind oder waren, gehörte einst auch Hollywoodstar Gene Autry. Der „singende Cowboy“ früher Tonfilmwestern aus den dreißiger Jahren komponierte über seine Schauspielerkarriere hinaus Evergreens wie „Here Comes Santa Claus“ oder „Rudolph the
Red-Nosed Reindeer“. Als ehemaliger Eisenbahnarbeiter war er anfangs unsicher, wie er den gewonnenen Reichtum anlegen sollte. Seine Mutti wusste Rat: „Kaufe Land, denn davon schafft der liebe Gott nicht mehr.“
„Kaufe Land, denn davon schafft der Liebe Gott nicht mehr.“
Natürlich hatte Mutter Autry Recht, zumindest aus der Sicht von vor 90 Jahren. Inzwischen aber gibt es auf der ganzen Welt Projekte, die dem Schöpfer alles Irdischen zur Hand gehen und zusätzliche Areale schaffen: Finanzkräftige Investoren errichten künstliche Inseln auf dem Wasser und im Meer. Ob in den Ozean hinein gepflanzte Badestrände oder stolze, der See abgerungene Hotelinseln, ob meerumschlossene Wohnparadiese oder die Idee einiger Superreicher, vor der Küste Kaliforniens einen eigenen Staat zu errichten, der seine betuchten Bewohner – allesamt mehrfache Milliardäre – vor den lästigen Finanzämtern des Festlandes schützt: Die Flucht aufs Wasser beflügelt viele Fantasien.
Nicht alle davon erscheinen überdimensioniert. Das Neu-Lummerland von New York zum Beispiel heißt Little Island. Die „kleine Insel“ steht wenige Meter vom Ufer entfernt auf Stelzen im Hudson River und ist mit einer Fläche von 2,4 Hektar nur rund zweimal so groß wie ein Fußballfeld. Kein großes Problem in einer Stadt, deren Gebiet sich ohnehin auf viele Inseln verteilt und die es gewohnt ist, auf engstem Raum viel Platz zum Leben anzubieten.
Am Westufer Manhattans, wo früher der Pier 54 historische Hafen-Atmosphäre vermittelte, will man jetzt Bewohner und Touristen auf die künstliche Insel locken. Im vergangenen Mai eröffnet, bietet das auf 280 Betonpfählen errichtete und über Fußwege von der 13. und 14. Straße mit dem Festland verbundene Little Island einen Park mit Bäumen, Rasenflächen und erhöhten Aussichtspunkten, von denen aus man einen tollen Blick auf die berühmte Skyline genießt. Auch für Live-Konzerte unter freiem Himmel und andere Events ist dieser Ort konzipiert.
Gründer und Investor von Little Island ist der Medien-Mogul Barry Diller, Ehemann der belgischen Modemacherin Diane von Fürstenberg. Die Frage nach der Motivation zum 260 Millionen Dollar teuren Bau des Beton-Eilands beantwortet Diller auf der Website des Parks: „Ich wollte etwas für die Menschen in New York bauen und für jeden, der die Stadt besucht. Einen Ort, der einen auf Anhieb umhaut und der die Menschen, die ihn besuchen, glücklich macht.“ Immerhin: Der Eintritt ist kostenlos. Das hindert einige New Yorker aber nicht daran, Little Island als „Dillers Island“ zu bezeichnen.
Für den Bau zeichnet der renommierte Londoner Architekt Thomas Heatherwick verantwortlich, der unter anderem den britischen Pavillon bei der Weltausstellung 2010 entwarf. Gemeinsam mit Landschaftsarchitekten vom New Yorker Studio MNLA legte man auf Little Island neben Baumgruppen und Blumenbeeten auch Liegewiesen und ein Amphitheater mit knapp 700 Plätzen an. Die tragenden Betonpfeiler ragen in unterschiedlichen Höhen aus dem Wasser und verleihen dem Konstrukt eine Wellenoptik, die an Tulpen oder auch an Champagnergläser erinnern soll. Das Magazin „New York“ allerdings fühlte sich eher an eine „glamouröse Ölplattform im Fluss“ erinnert.
Mit dieser Assoziation waren die Autoren nicht die Einzigen. Es versteht sich selbst im weltoffenen New York und im Lande der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten fast von allein, dass vor Realisierung des Inselbaus zunächst die Widerstände von Umweltaktivisten überwunden werden mussten, denen ein Projekt dieser Größenordnung ein Dorn im Auge war. Jahrelang lagen die Pläne auf Eis, bis sie auf Vermittlung des Gouverneurs Andrew Cuomo schließlich doch realisiert wurden. Jetzt wird Little Island als eine Art Neustart für New York nach der langen Corona-Depression angepriesen.
Allerdings ist die Pandemie noch nicht vorüber, und wer die neue Attraktion besuchen möchte, muss zuvor ein Zeitfenster buchen. So will man Überfüllungen vermeiden. Geöffnet ist der Park von sechs Uhr morgens bis ein Uhr nachts. Ob sich Little Island darüber hinaus auch als Rückzugs-Insel in Krisenzeiten eignet, muss sich erst noch erweisen. Dem klimabedingten Ansteigen des Meeresspiegels jedenfalls, da ist sich Barry Diller sicher, ist das Bauwerk gewachsen.
Info – Ab auf die Synthetik-Insel! Mit der Idee künstlicher Inseln ist es ein bisschen wie bei „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Wir erinnern uns: In Michael Endes Jugendbuchklassiker aus dem Jahr 1960 unternehmen die beiden Titelhelden eine abenteuerliche Reise übers Meer, weil ihre heimische Insel Lummerland nach Meinung des Königs überbevölkert ist. Am Schluss kehren Jim und Lukas mit einer zweiten Insel im Schlepptau zurück, „Neu-Lummerland“. Problem gelöst! Heute, 70 Jahre danach, sind künstliche Inseln tatsächlich im Trend. Ob als zusätzlicher Baugrund, als Ferienort und irgendwann vielleicht auch als Steuerparadies für Superreiche – in vielen Teilen der Welt werden mittlerweile Inseln aufs Wasser geplant und gebaut. In einer kleinen Artikelserie stellen wir einige dieser „Neu-Lummerländer“ vor. Lust aufs Inselleben?