Innovation Künstliche Inseln (Teil 3)

Künstliche Inseln (Teil 3)

Lynetteholm

Lynetteholm: Dänemarks Mega-Projekt auf der Ostsee

Text: Michael Eckert / Fotos: By & Havn I/S

Wer sich mit künstlich geschaffenen Inseln beschäftigt, kommt um Dänemark nicht herum. Bei unseren nördlichen Nachbarn ist man offenbar zu der Überzeugung gelangt, dass die Zukunft der Menschheit auf dem Wasser liegt. Nachdem wir zuletzt die Freizeitwelt „Copenhagen Islands“ vorgestellt haben, geht es diesmal um ein Projekt ganz anderer Dimension: „Lynetteholm“ soll einmal den Lebensraum für 35.000 Menschen bieten. 

Ab auf die Synthetik-Insel! Mit der Idee künstlicher Inseln ist es ein bisschen wie bei „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Wir erinnern uns: In Michael Endes Jugendbuchklassiker aus dem Jahr 1960 unternehmen die beiden Titelhelden eine abenteuerliche Reise übers Meer, weil ihre heimische Insel Lummerland nach Meinung des Königs überbevölkert ist. Am Schluss kehren Jim und Lukas mit einer zweiten Insel im Schlepptau zurück, „Neu-Lummerland“. Problem gelöst! Heute, 70 Jahre danach, sind künstliche Inseln tatsächlich im Trend. Ob als zusätzlicher Baugrund, als Ferienort und irgendwann vielleicht auch als Steuerparadies für Superreiche – in vielen Teilen der Welt werden mittlerweile Inseln aufs Wasser geplant und gebaut. In einer kleinen Artikelserie stellen wir einige dieser „Neu-Lummerländer“ vor. Lust aufs Inselleben? 

Wer seine Urlaubsplanung für das Jahr 2070 noch nicht abgeschlossen hat, sollte vielleicht mal einen Abstecher nach Dänemark einplanen. Bis dahin will man in dem skandinavischen Land nämlich ein Mega-Projekt abgeschlossen haben, dessen Bau in den letzten Wochen begonnen hat und das beispielgebend auch für andere Küstenstädte sein soll: Lynetteholm. So lautet der Name für einen komplett neu zu errichtenden Bezirk in Kopenhagen – eine künstlich aufgeschüttete Halbinsel von 78 Hektar vor der Hafeneinfahrt der Hauptstadt, die Besuchern und 35.000 Bewohnern eine naturnahe Erholungswelt öffnen soll. Das von einer 2,8 Kilometer langen Küstenlandschaft geprägte, künstlich in die Ostsee hineingebaute Semi-Eiland soll vom natürlichen Meeresklima profitieren und eine weitgehend grüne Umwelt bilden. Auch deshalb wird der Autoverkehr weitgehend von Lynetteholm ferngehalten. Der Fokus liegt auf einem fahrradgesteuerten Verkehr und einer schnellen City-Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Bauten, so das Versprechen, sollen mit dem klassischen Stadtbild Kopenhagens respektvoll harmonieren. 

Trotz dieser vielversprechenden Angebote mit ihrem ausgewogenen Mix aus Bebauung und Business: Der Hauptgrund für die Errichtung von Lynetteholm liegt im Küstenschutz. Mit der neuen Landmasse wollen die Planer ein Bollwerk gegen die Folgen des Klimawandels errichten. Der künstlich aufgeschichtete Distrikt soll die Hauptstadt an der Øresund-Meeresenge im Norden vor den immer häufiger auftretenden Stürmen mit ihren Fluten schützen und mit einem Dock-Tor den steigenden Meeresspiegel regulieren. Die wechselnden Breiten der Halbinsel werden den herrschenden Meeresströmungen angepasst. Ein weltweit bislang einmaliges Vorhaben. 

Dass man sich in Kopenhagen gegen äußere Bedrohungen mit Befestigungen wappnen will, hat durchaus mit der Stadtgeschichte zu tun. Im 12. Jahrhundert erbaute man zum Schutz des kleinen, aber strategisch günstig gelegenen Handelshafen „Havn“ (Hafen) eine Burg mit einer kleinen Siedlung und gab ihr den Namen „Kopmannœhafn“ – Hafen der Kaufleute. 1254 bekam das junge Kopenhagen das Stadtrecht, aber von der Hanse als Konkurrent betrachtet, wurde es bereits im 14. Jahrhundert zweimal zerstört und geplündert. Im 17. Jahrhundert hielt die Stadt einer Belagerung durch die Schweden stand, und im frühen 19. Jahrhundert waren es die Engländer, die Kopenhagen zweimal belagerten und beschossen, weil man im Kampf gegen Napoleon den neutralen Status Dänemarks nicht akzeptieren wollte. 

Der Gegner im 21. Jahrhundert ist aber ungleich mächtiger: Die durch den Klimawandel aus dem Gleichgewicht geratene Natur droht küstennahe Städte und Landschaften irgendwann zu überfluten. Gewaltige Anstrengungen werden nötig sein, um Schlimmes zu verhindern. Lynetteholm erscheint da keineswegs überdimensioniert. Angesichts der Größenordnung dieses Projekts ist es dennoch keine Überraschung, dass sich längst auch Widerstand im Land regt. Umweltschützer bemängelten früh, dass die Pläne 2018 im dänischen Parlament Folketing zügig genehmigt wurden, ohne dass zuvor umfangreiche Studien zu möglichen Folgen für die Natur und die Stadt angefertigt worden waren. 80 Millionen Tonnen Erdreich für die Aufschüttung müssten mit Diesel-LKWs herangeschafft und durch die Stadt transportiert werden.

Vor allem jedoch befürchtet man Schäden für den Wasseraustausch in der Ostsee, um den es bereits jetzt nicht sehr gut steht. Das Meer ist von sehr viel landwirtschaftlich genutzter Fläche in den verschiedenen Anrainerstaaten umgeben und leidet unter zu hoher Nährstoff-Konzentration. Sauerstoffreiches und salzhaltiges Frischwasser aus Nordsee und Atlantik fließen nur durch die Meerengen Øresund sowie Großer und Kleiner Belt ein. Tote Zonen, in denen ausschließlich Bakterien leben können, haben sich in den letzten Jahren enorm ausgeweitet. Die künstliche Insel wird 3.000 Hektar Meeresfläche verdrängen, mit unklaren Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt. Fische und Schweinswale könnten vertrieben werden. Peter Pagh, Professor für Umweltrecht an der Universität Kopenhagen, kritisiert zudem, dass andere Ostsee-Anrainerstaaten nur wenig oder gar nicht in die Projektplanung einbezogen waren. Gesprochen wurde nur mit Schweden, und schon dort gab es Befürchtungen wegen einer drohenden Meeresverschmutzung. Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, etwa von Polen, Finnland oder Litauen, könnte das Vorhaben stoppen, meint der Professor und bezieht sich auf das von 40 Ländern unterzeichnete Abkommen Espoo, nach dem bei grenzüberschreitenden Vorhaben sämtliche betroffenen Staaten angehört werden müssen.

Entwickler des Projekts ist das Büro By & Havn. Hier sieht man vor allem die Chance, mit Lynetteholm ein internationales Mustervorhaben für klimagerechte und nachhaltige Stadtentwicklung zu realisieren, Flutschutz herzustellen und zugleich einen grünen Distrikt mit vielfältigen Lebensqualitäten zu schaffen. Anne Skovbro von By & Havn spricht davon, die Transporte künftig mit Elektro-LKWs durchführen und das Material aus überschüssigem Boden anderer Bauvorhaben der Stadt gewinnen zu können. Deren Abfuhr und Entsorgung könne eingespart werden – ein CO2-freundlicher Weg, um lokalen Bauabfall zu entsorgen.

Eines aber musste man auch bei By & Hahn schon einräumen: Der Bau wird teurer als ursprünglich geplant. Gestiegene Materialkosten, der politische Streit sowie diverse Umweltstudien haben die Kosten ansteigen lassen. Waren für die erste Bauphase 300 Millionen DKK vorgesehen, sind es nun bereits 497 Millionen. Klingt dramatisch, aber rechnet man die Beträge in Euro um, ergibt sich ein entspannteres Bild: Die ursprüngliche Kalkulation für den Lynetteholm-Bau belief sich auf 335 Millionen Euro, für die erste Bauphase sind anstatt 40 Millionen nun 66 Millionen Euro kalkuliert. Im Vergleich zu Großprojekten in Deutschland nehmen sich diese Beträge schon fast bescheiden aus, und entsprechend schnell kam auch die Zusage der Stadt, die Mehrkosten abzudecken. Bis 2035 sollen die Fundamente stehen.

Kategorie: Innovation
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