Innovation Künstliche Inseln (Teil 4)
Künstliche Inseln (Teil 4)
Floating Office Rotterdam
Das Floating Office Rotterdam
Text: Michael Eckert / Fotos: Mark Seelen
Ein schwimmendes Büro als Vision und Ansporn: Leben wir in Zukunft auf dem Wasser? Zumindest was das Arbeiten auf dem Wasser angeht, bietet uns das Floating Office im Hafen von Rotterdam schon mal einen Ausblick auf die Möglichkeiten künstlicher Inseln. Aber auch in Bezug auf nachhaltiges Bauen zeichnen die Niederlande den Weg vor.
Info – Ab auf die Synthetik-Insel! Mit der Idee künstlicher Inseln ist es ein bisschen wie bei „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Wir erinnern uns: In Michael Endes Jugendbuchklassiker aus dem Jahr 1960 unternehmen die beiden Titelhelden eine abenteuerliche Reise übers Meer, weil ihre heimische Insel Lummerland nach Meinung des Königs überbevölkert ist. Am Schluss kehren Jim und Lukas mit einer zweiten Insel im Schlepptau zurück, „Neu-Lummerland“. Problem gelöst! Heute, 70 Jahre danach, sind künstliche Inseln tatsächlich im Trend. Ob als zusätzlicher Baugrund, als Ferienort und irgendwann vielleicht auch als Steuerparadies für Superreiche – in vielen Teilen der Welt werden mittlerweile Inseln aufs Wasser geplant und gebaut. In einer kleinen Artikelserie stellen wir einige dieser „Neu-Lummerländer“ vor. Lust aufs Inselleben?
Wer sich eine Insel malt, stellt sich zumeist ein kleines Eiland vor. Im Schatten unter der einsam darauf wachsenden Palme lässt es sich trefflich ausruhen. Mit diesem Traumbild hat das Floating Office Rotterdam allerdings gar nichts zu tun. Denn das FOR, wie es kurz heißt, ist ein schwimmendes Büro – und somit zum Arbeiten geschaffen. Geplant und gebaut ist es als innovatives Gebäude, das den knappen Gewerberaum in urbanen Metropolen erweitert und zugleich Flutschutz bietet. Es hebt und senkt sich mit dem jeweiligen Wasserpegel.
Aber ist das FOR einfach nur ein überdimensionales Hausboot oder schon eine künstliche Insel? Mit seinen 3.000 Quadratmetern Nutzfläche nimmt es zumindest schon mal für sich in Anspruch, das größte schwimmende Bürogebäude der Welt zu sein. Darüber hinaus arbeitet das Floating Office CO₂-neutral und weitgehend autark. Über eine 900m² Meter große Photovoltaikanlage auf der Südseite des Satteldaches versorgt es sich selbst mit Energie. Die damit produzierte Strommenge macht das FOR sogar zum Plusenergiehaus.
Im letzten Jahr ist das dreigeschossige Haus im Rijnhaven vor der Halbinsel Kop van Zuik in Rotterdam vor Anker gegangen und ruht auf 15 Pontons aus Beton, in denen neben den Technikräumen auch die Wasserleitungen untergebracht sind. Alle Systeme zum Betrieb des Floating Office sind integriert – mit Ausnahme der Transformatoren für die Solaranlage, die aus Sicherheitsgründen an Land stehen.
Eine Klimaanlage ist überflüssig, zum Heizen und Kühlen nehmen die bordeigenen Leitungen im Sommer kaltes Wasser aus den Tiefen des Hafenbeckens auf, im Winter wärmeres. Das überhängende Dach und die großen Balkone vor den Büros sorgen darüber hinaus für Schatten und verhindern, dass sich die Räume trotz der großen lichtgebenden Fenster nicht aufheizen. Das Abwasser des Gebäudes wird intern wiederaufbereitet und zum Bewässern der Pflanzen genutzt, etwa auf der begrünten Nordseite des Daches.
In dem integrierten Konzept sah Nanne de Ru, Gründer des verantwortlichen Rotterdamer Architekturbüros Powerhouse Company, die besondere Herausforderung: „Wir haben die Aufgabe zum Bau eines nachhaltigen, schwimmenden Bürogebäudes gelöst, indem wir integrativ das Wasser des Rijnhavens zum Kühlen und das Dach als Energieproduzenten nutzen.“
„Die 900m2 Große Photovoltaikanlage macht das FOR zum Plusenergiehaus.
Das Gebäude setzt in Sachen Nachhaltigkeit noch einen drauf. Es ist aus Holz errichtet, was den CO2-Fußabdruck des Baus drastisch senkt. Basis bildet eine Skelettkonstruktion aus starken Leimbindern mit aussteifenden Brettholzdecken und -wänden. Die Fassaden sind mit Platowood Fichte verkleidet, die 22 Meter langen Deckenbalken in Gebäudequerrichtung in einem Stück gefertigt, um die Bauzeit zu verkürzen. Ins Deckenraster sind Heiz- und Kühldeckenpaneele eingehängt, hinter denen sich die
Technikleitungen verbergen. „Unsere technischen und nachhaltigen Systeme sind so selbstverständlich in das Design des Hauses integriert, dass sie nicht auffallen“, sagt der für die Powerhouse Company tätige Architekt Albert Takashi Richters.
Das 2005 gegründete Architekturbüro Powerhouse Company hat sich rasch zu einer multidisziplinären Firma mit über 100 spezialisierten Mitarbeitern und Niederlassungen in Peking, Oslo und München entwickelt. Nun hat die Powerhouse Company selbst auch Räume im Floating Office bezogen, ebenso wie die RED Company, die für die Entwicklung des Projekts verantwortlich zeichnet.
Hauptmieter jedoch ist das Global Center on Adaptation (GCA), und das könnte passender kaum sein. Die international agierende NGO wurde 2018 unter der Schirmherrschaft von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und auf Initiative von Staatschefs von 23 Ländern eröffnet. Aufgabe der Organisation ist es, die Folgen des Klimawandels weltweit verstärkt auf die politische Agenda zu setzen, Regierungen und Organisationen fachlich zu beraten und mit möglichst konkreten Lösungsvorschlägen die Folgen mildern zu helfen. Gerade in Asien, wie etwa auf den besonders bedrohten Malediven, setzt man dazu auch auf den Bau schwimmender Städte. Dass dazu gerade die Kompetenz aus den Niederlanden angefordert wird, ist kein Zufall. 80 Prozent des Landes liegt selbst mindestens einen Meter unter dem Wasserspiegel. Die Niederländer sind es seit Jahrhunderten gewohnt, dem Meer Land abzugewinnen. Und während man sich hierzulande meist noch mit dem Bau immer höherer Deiche gegen die steigenden Fluten zu schützen versucht, arbeitet man im Nachbarland längst an Konzepten für schwimmende Städte.
Die Niederlande bilden das Zentrum der Idee. Es gibt bereits schwimmende Parks oder eine schwimmende Molkerei. Mit dem Floating Office bringt man diese Bewegung noch ein Stück voran. Neben Büros bietet es auch öffentlich zugänglichen Raum wie das bordeigene Restaurant mit großer Außenterrasse. Und wer will, kann im angeschlossenen Außenpool ein Bad in der Maas nehmen. Das Global Center on Adaptation wird das FOR mindestens fünf bis zehn Jahre lang nutzen. Wird es dann dort nicht mehr gebraucht, erlaubt es die Holzkonstruktion, das Gebäude einfach auseinanderzunehmen und an anderer Stelle wieder aufzubauen. „Das Floating Office ist bereit für die Kreislaufwirtschaft“, schwärmt Paul Sanders, zuständiger Projektleiter der Powerhouse Company. Der deutsche Architekturinformationsdienst Detail bezeichnet das Floating Office in Rotterdam als das „ultimativ non-territoriales Büro“. Wir meinen, mit seinem konsequent autarken Charakter hat sich das schwimmende Hochhaus das Prädikat „Insel“ wirklich verdient.