Innovation Die schwimmende Stadt am anderen Ende der Welt
Die schwimmende Stadt am anderen Ende der Welt
Künstliche Inseln Teil 5: Die Maldives Floating City
Künstliche Inseln Teil 5: Die Maldives Floating City
Text: Michael Eckert / Fotos: Watersudio/Dutch Bocklands Maldives
Zwischen dem Floating Office in Rotterdam, das wir in der letzten CHAPEAU-Ausgabe vorgestellt haben, und der Maldives Floating City im Indischen Ozean liegt auch quantitativ ein Riesensprung. Auf den Malediven entsteht derzeit nur zehn Bootsminuten von der Hauptstadt Malé entfernt die größte schwimmende Stadt der Welt. Das Knowhow dazu kommt – wie könnte es anders sein – aus den Niederlanden.
Ab auf die Synthetik-Insel! Mit der Idee künstlicher Inseln ist es ein bisschen wie bei „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Wir erinnern uns: In Michael Endes Jugendbuchklassiker aus dem Jahr 1960 unternehmen die beiden Titelhelden eine abenteuerliche Reise übers Meer, weil ihre heimische Insel Lummerland nach Meinung des Königs überbevölkert ist. Am Schluss kehren Jim und Lukas mit einer zweiten Insel im Schlepptau zurück, „Neu-Lummerland“. Problem gelöst! Heute, 70 Jahre danach, sind künstliche Inseln tatsächlich im Trend. Ob als zusätzlicher Baugrund, als Ferienort und irgendwann vielleicht auch als Steuerparadies für Superreiche – in vielen Teilen der Welt werden mittlerweile Inseln aufs Wasser geplant und gebaut. In einer kleinen Artikelserie stellen wir einige dieser „Neu-Lummerländer“ vor. Lust aufs Inselleben?
Wer noch an den Klimagipfel 2009 in Kopenhagen denkt, wird sich nur ungern an die bescheidenen Ergebnisse des Mega-Meetings von Politikern und Wissenschaftlern aus aller Welt erinnern. Eine enttäuschende Konferenz. Am Ende stand im Protokoll das unverbindliche Bekenntnis der teilnehmenden Staaten, man habe das Ziel, die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius zu begrenzen, zur Kenntnis genommen. Mehr war damals nicht zu erreichen.
In Erinnerung aber blieb der Auftritt von Mohamed Nasheed, damals Präsident der Malediven. Mit einem dramatischen Appell versuchte er insbesondere die Industriestaaten zu motivieren, mit einer
Verringerung des CO2-Ausstoßes die Erwärmung des Planeten zu verringern und den weiteren Anstieg des Meeresspiegels zu bremsen. Es war keine abstrakte Bitte, die Nasheed da vortrug. Es ging ihm um nicht weniger als die Rettung seines Landes vor dem Untergang. Das Staatsgebiet der Malediven besteht zu über 96 Prozent aus Wasser. Die Menschen leben auf mehr als 1.100 Koralleninseln, verteilt auf 26 Archipels. Die meisten von ihnen liegen nur rund einen Meter über dem Meeresspiegel. Die Malediven sind damit am stärksten vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen, und schon in wenigen Jahren könnten viele hundert Menschen ihr Zuhause verlieren.
Wer nun aber vermutet, Mohamed Nasheed habe angesichts der beschämenden Haltung der Industriestaaten nach der Kopenhagen-Konferenz resigniert, irrt. Er habe auf der Reise viel über schwimmende Behausungen gelernt, sagt Nasheed, heute Sprecher des maledivischen Parlaments. Daraus entstand die Idee zu einer schwimmenden Stadt, die mit dem jeweiligen Wasserspiegel ansteigt oder absinkt.
Bislang hat man auf den Malediven versucht, mit Aufspülungen zusätzliches Land zu gewinnen. Die Fläche der Hauptstadt Malé wurde auf diese Weise um ein Viertel erweitert, auch das Gelände des Flughafens Hulhule hat man so dem Meer abgetrotzt.
Mittlerweile jedoch setzt man aus ökologischen Gründen eher auf das Bewahren der natürlichen Küstenlinien – und auf das Knowhow des niederländischen Architekturbüros Waterstudio. Dessen Gründer Koen Olthuis verfolgt das Konzept, mit dem Meer zu leben anstatt es zu bekämpfen. Auf seinen Plänen beruht der Bau der „Maldives Floating City“, deren Bau nach neunjähriger Planung in diesem Jahr begonnen hat und die in fünf Jahren fertig sein soll. Nur 10 Bootsminuten von der Hauptstadt Malé entfernt entsteht dort die größte schwimmende Stadt der Welt. Inmitten eines 200 Hektar großen Korallenatolls wird eine große Anzahl Pontons aus Beton auf dem Meeresgrund verankert. Auf ihnen werden rund 5.000 Gebäude errichtet, die einmal 20.000 Menschen eine neue Heimat bieten sollen. Die bunten Häuser sind bis zu zwei Stockwerke hoch und liegen alle von Palmen gesäumt am Meer. Hinzu kommt eine Infrastruktur mit Gewerbeflächen, Einkaufszentren, Schulen, Krankenhäusern und Freizeitflächen. Brücken und Kanäle verbinden die verschiedenen Bereiche auf den Betonrümpfen. Die Elemente werden auf Werften gefertigt und anschließend auf ihre Plätze geschleppt. Ihre sechseckige Form spiegelt die geometrischen Muster der heimischen Korallen wider, und die umgebenden Korallenriffe dienen der Stadt als natürliche Wellenbrecher.
„Das Motto: Mit dem Meer leben anstatt es zu bekämpfen.“
Selbstverständlich gab es im Vorfeld umweltpolitische Bedenken gegen das Projekt, aber Architekt Koen Olthuis konnte mittlerweile verkünden, dass internationale Korallenexperten nach sorgfältiger Prüfung ihr Einverständnis zum Bau der Stadt gegeben haben. Entsprechend ernst werden die ökologischen Belange der Floating City genommen. Der Energiebedarf wird zum überwiegenden Teil aus Solarstrom gedeckt, die Kühlung der Gebäude wird mit Tiefseewasser bewerkstelligt, Abwasser als Düngemittel wiederverwendet und die Rümpfe zum Ansiedeln weiterer Korallen genutzt. Der Stadtverkehr läuft mit E-Booten, E-Scootern und Fahrrädern, Autos sind nicht zugelassen.
Die Wohnungen werden zwischen 83 und 140 Quadratmeter groß sein, die moderaten Preise beginnen bei 142.000 Euro für eine Atelierwohnung. Eine 100 Quadratmeter große Wohnung mit 40 qm Dachterrasse soll 250.000 Euro kosten. Als Zielgruppe haben die Planer jungverheiratete Paare ausgemacht, aber auch Ausländer können Immobilien erwerben und erhalten dann eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung.
Die Baukosten der Maledives Floating City waren mit rund einer Milliarde Dollar vergleichsweise bescheiden angesetzt, und sie werden auch mit Mitteln des europäischen „Space@Sea“-Projekts unterstützt. Die Durchführung des Baus obliegt der Firma Dutch Docklands und somit ebenfalls einem niederländischen Unternehmen. Bekanntermaßen ist in unserem Nachbarland die weltweit größte Kompetenz für das Bauen auf dem Wasser versammelt – schließlich verdankt es seine Existenz ohnehin der Fähigkeit, in ständiger Arbeit dem Meer große bewohnbare Flächen abgerungen zu haben. Entsprechend stolz verweist man bei Dutch Docklands auch auf die niederländische Tradition beim Bau schwimmender Häuser von mehr als 300 Jahren, und das Unternehmen selbst hat mit dem Erstellen vieler hundert schwimmender Gebäude bereits sehr viel Erfahrung vorzuweisen.
Für das Architekturbüro Waterstudio und ihren Chef Koen Olthuis, der vor vielen Jahren mit dem Entwerfen villenartiger Hausboote in Amsterdam begonnen hat, steht jetzt schon fest, dass die Floating City auf den Malediven Vorbildcharakter für die gesamte Welt haben wird. Es gibt bereits weitere Planungen, beispielsweise für Südkorea. Darüber hinaus sind Küstenregionen auf dem gesamten Globus von den prognostizierten Wasserfluten bedroht, darunter Metropolen wie New York, Tokio, Miami oder Shanghai, aber auch etwa Hamburg und Bremen. Das Konzept schwimmender Siedlungen ließe sich in vielen Großstädten der Erde etablieren. Für die Bewohner der Malediven heißt das, so Olthuis, „sie werden von Klima-Flüchtlingen zu Klima-Innovatoren.“