Lebensart NEUGIER ERHÄLT DIE LUST AM SPIEL

NEUGIER ERHÄLT DIE LUST AM SPIEL

Interview mit Pavel Lück

Seit einem knappen Vierteljahrhundert führt Pavel Möller-Lück gemeinsam seiner Frau Barbara Schmitz-Lenders das Theater Laboratorium in Oldenburg. Das Haus ist mit seinem Zusammenspiel von Figurenund Live-Theater und den ergänzenden Konzert-, Tanz- und Leseveranstaltungen eine Institution in Oldenburg. Zu Pavels 60. Geburtstag sprach CHAPEAU mit dem Schauspieler und Theatermacher.

Fotos: Pino Petrillo

Info – Pavel Möller-Lück ist 1959 geboren und führt seit 1995 gemeinsam mit seiner Frau Barbara Schmitz-Lenders das Theater Laboratorium in Oldenburg, das neben Theater auch Konzerte, Tanz- und Leseveranstaltungen anbietet. Bestandteil der Aufführungen sind die von den Schauspielern geführten Puppen. Pavel Möller-Lück lehrt auch an der Universität Oldenburg und leitet einen Studiengang für Figurentheater an der Staatlichen Hochschule in Stuttgart. Mit den selbst verfassten Stücken bestreitet Pavel Möller-Lück auch Tourneen und Gastspiele an anderen Spielorten.

CHAPEAU: Herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag. Gefeiert hast du ja mit einem Vorstellungsmarathon im Theater Laboratorium, das du nun seit fast 25 Jahren zusammen mit Barbara bespielst. Wie habt ihr damals angefangen?

PAVEL LÜCK:
Begonnen hat alles 1995 über eine Freundschaft zum damaligen Kulturdezernenten. Der wollte unbedingt wieder Puppenspieler in Oldenburg haben, und wir fanden die Stadt so schön, dass wir uns zum Bleiben entschieden haben. Das haben wir bis heute nicht eine Sekunde lang bereut. Angefangen haben wir mit dem Haus in der Wilhelmstraße, das wir dann zwölf Jahre lang bespielt haben. Und in der neuen Spielstätte hier in der Kleinen Straße sind wir jetzt auch schon seit zwölf Jahren.

„Was tagespolitisch interessiert hat, muss Niederschlag in der Vorstellung finden.“

CHAPEAU: Habt ihr von Anfang an das Konzept verfolgt, neben Theater auch Konzerte, Tanz und Literaturlesungen anzubieten?

PAVEL LÜCK:
Die Konzerte kamen schon relativ kurz nach Gründung hinzu, und das erwies sich zusammen mit dem Theater schnell als guter Mix. Darüber hinaus ergeben sich hier für uns immer Gelegenheiten, Schriftsteller kennenzulernen und mit ihnen in Austausch zu gehen. Auch die Autorinnen und und Autoren empfinden es als Glücksfall, in einem so schönen Raum vortragen können. Das gilt gleichermaßen für die Musiker.

CHAPEAU: Wer hat euren Start damals finanziell unterstützt?

PAVEL LÜCK:
Wir hatten über Jahre eine sehr überschaubare Unterstützung durch die Stadt Oldenburg. Das ist jetzt anders geworden, jetzt hat man sich vernünftig engagiert. Aber wir waren auch von Anfang an immer so gut wie ausverkauft. Wir haben seit Start ein großes Publikum, heute sind es in jeder Spielzeit knapp 60.000 Zuschauer. Für eine Stadt wie Oldenburg ist das schon eine echte Hausnummer. Damit konnten wir über 90 Prozent unseres Etats selbst einspielen, und das machen wir bis heute so. Dazu haben wir noch den Förderverein, und es gibt Stiftungen, die uns helfen. Zusammen ergibt das einen Anteil von etwa 10 Prozent. Der hilft uns, größere Projekte zu realisieren. Zum Beispiel beim Umbau des Limonadenfabrik hat uns das sehr geholfen. Auch die Oldenburger haben uns geholfen, etwa beim Umbau dieses Hauses.

CHAPEAU: Mittlerweile seid ihr in der Oldenburger Kulturszene eine feste Größe. Ist es dadurch selbstverständlicher geworden, Abläufe und Etats zusammenzubekommen?

PAVEL LÜCK:
Ja, wir haben einen exzellenten Namen weit über Oldenburg hinaus. Unser Umfeld erstreckt sich auf ungefähr 150 Kilometer. Die Menschen fahren also an einem Abend 150 Kilometer, um hier eine Vorstellung sehen zu können. Sie kommen aus Hamburg, Hannover oder von der holländischen Grenze. Das ist nicht unüblich, und es bringt uns in eine sehr komfortable Situation. Dennoch bleibt es eine Herausforderung, immer wieder das nächste Stück, den nächsten Abend zu bestreiten. Das nächste Thema auszuwählen, das nächste Team zu bestimmen und dabei die Kontinuität zu bewahren.

CHAPEAU: Wie viele Personen seid ihr im Team?

PAVEL LÜCK:
Im Kernteam des Theaters sind wir zehn Leute. Im Café kommen noch einmal 14 Leute hinzu, und dann noch einmal sechs bis acht freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

CHAPEAU: Sind das langjährige Weggefährten, oder gibt es einen häufigen Wechsel?

PAVEL LÜCK:
Zum Glück haben wir keine große Fluktuation. Mit einigen Kolleginnen und Kollegen arbeiten wir schon zehn, zwölf Jahre oder auch länger zusammen. Aber es kommen natürlich auch Menschen zu uns, die neu in Oldenburgs sind, oder die in die Theaterwelt hineinwachsen wollen, bevor es ins Studium geht. Ein junger Mitarbeiter hat hier vor zwei, zweieinhalb Jahren angefangen und jetzt die Aufnahmeprüfung zur Schauspielschule geschafft. Das sind auch für uns Glücksmomente, wenn man Menschen eine Weile begleiten kann, die hier ihre Impulse reingeben, und man dann sieht, wie das alles aufgeht. Wir wissen schließlich, dass es nicht einfach ist, einen Platz an einer deutschen Schauspielschule zu bekommen.

CHAPEAU: Wie ist dein persönlicher Hintergrund, wie bist du zum Theater Laboratorium gekommen?

PAVEL LÜCK:
Ich habe es gegründet. Vom Typ her passe ich nicht in ein Stadt- oder ein Staatstheater. Dafür bin ich zu wild und ungezähmt. Den Rest anarchistischen Potenzials wollte ich mir auf jeden Fall bewahren, um mit mir umzugehen. Theater ist ja auch ein politischer Ort, und hier kann ich Stellung beziehen, ohne dass ich sofort einen Anruf von der Stadt oder vom Land bekomme, was ich denn da wieder gesagt hätte. Deswegen bin ich heilfroh, dass wir hier ein Privattheater haben. Und wenn man im kleinen Stil beginnt, bieten sich Puppen auf geradezu ideale Weise an. Dann hat man nicht sechs, sieben oder acht Schauspieler unter Vertrag, die alle davon leben müssen. Man ist zu zweit oder zu dritt, und die Figuren ergänzen das Ensemble, sind Part of the Game. Die müssen hergestellt werden, aber wir müssen keine Sozialleistungen oder Rentenversicherung für sie aufbringen.

CHAPEAU: Das Wort „Laboratorium“ beinhaltet ja schon Experimentierfreude. Habt ihr in den ersten Jahren viel ausprobieren müssen, um herauszufinden, was das Publikum hier in Oldenburg annimmt, und was nicht?

PAVEL LÜCK:
Wir haben mehr mit Formen experimentiert, nicht so sehr mit Inhalten. Das Figurentheater hat eine eigene Formensprache, und die muss sich immer entwickeln. Beim Astrid-Lindgren-Abend, zum Beispiel kommen Animations-Elemente dazu. Astrid Lindgren steigt aus ihrem Foto aus den Zwanziger Jahren heraus, läuft quasi zweidimensional an einer Wand entlang über die Bühne und steigt in ein anderes Foto hinein. Da arbeiten wir mit Trickfilmern zusammen, und das sind Momente, in denen wir damit experimentieren, welche Form hier richtig ist, wie weit wir gehen können, wo die Animation ansetzt. Aber bei den Inhalten sind wir schon ganz früh unserer Intuition gefolgt und haben eigentlich immer das gemacht, was uns gerade am meisten interessiert hat – oder womit uns das Leben überfallen, überrascht und konfrontiert hat. Krankheiten oder der Tod unserer Eltern waren solche Punkte, an denen wir gesagt haben, daraus machen wir jetzt einen Abend. Das berührt uns emotional gerade am meisten. Wir haben dann gespürt, dass wir mit solchen Erfahrungen nicht allein sind, sondern dass andere Menschen natürlich genau die gleichen Erlebnisse zu verarbeiten haben. Diese Erfahrungen bieten wir auf ganz eigene Art und Weise dar, ohne sie zu verkopfen oder übermäßig zu intellektualisieren.

CHAPEAU: Wie erhält man sich nach so vielen Jahren die Lust am Laborieren?

PAVEL LÜCK:
Neugier! Kondition ist auch schön, und ich bin zum Glück mit einer respektablen Energie ausgestattet. Aber darüber hinaus ist es Neugierde. Beweglich zu bleiben, Themen, Menschen Momente wahrzunehmen und sich immer wieder neue Leute zu suchen, an denen man sich reiben kann. Das hält jung und die Lust am Spiel. Vor allem, ein Stück nicht an jedem Abend genauso zu spielen wie am Vorabend. Wenn man nicht ein großes Potenzial an Freifläche mitnimmt, um den Abend gestalten zu können, stirbt man an Routine.

CHAPEAU: Improvisation?

PAVEL LÜCK:
Ja. Es muss immer ein Feld dafür bleiben, was am Tag passiert ist, was tagespolitisch interessiert hat. Das muss in der Vorstellung Niederschlag finden.

CHAPEAU: An welches Highlight der letzten Jahre erinnerst du dich besonders gern?

PAVEL LÜCK:
Oh, da hat es viele gegeben. Es gibt ja Vorstellungen, wo man merkt, das war eine besondere Geschichte. Ein Highlight war unser Programm zu Clara und Robert Schumann. Das haben wir kürzlich bei einem Festival im Robert-Schumann-Haus in seiner Geburtsstadt Zwickau gespielt. Das wurde auch von der Musikwelt gewürdigt, und somit ist unsere Arbeit dort auch ein wenig geadelt worden.

„Oper ist das Aufregenste, was Oldenburg zu bieten hat.“

CHAPEAU: Lebt ihr in Oldenburg von Stammkundschaft, oder kommen die Leute vor allem dann, wenn sie auf ein bestimmtes Stück neugierig sind?

PAVEL LÜCK:
Beides. Wir haben einen großen Stamm, und wir machen jedes Jahr eine neue Inszenierung fürs Haupthaus. Das wollen die Leute sehen. Wir bieten ja auch einen Zauberort an. Das ist nicht nur ein Theater. Theater können auch langweilig sein, wie die schwarzen Schuhkartons in den 70er, 80er Jahren. Wir machen ein Theater, das sich schmückt, das sich schminkt, das gelebte Räume von einer ganz eigenen Schönheit hat. Und das wollen die Zuschauer immer auch ihren Freunden zeigen. Es ist eben nicht nur das Stück, sondern auch das ganze Drumherum. Theater beginnt in dem Augenblick, wo man ins Haus hineinkommt. Nicht erst, wenn man den Saal betritt.

CHAPEAU: Welches eurer Programmangebote ist denn das wichtigste?

PAVEL LÜCK:
Auf jeden Fall das Theater. Schon von der Menge her bildet es mit bis zu 260 Vorstellungen im Jahr das größte Angebot in diesem Haus.

CHAPEAU: Wie ist die Kommunikation mit anderen Theatern in Oldenburg? Tauscht ihr euch regelmäßig aus, oder steht ihr eher in Konkurrenz?

PAVEL LÜCK:
Mit den anderen freien Theatern ist es manchmal nicht so einfach. Das Theater Laboratorium hat hier eine Sonderstellung. Ich sage einfach mal: ist Klassenbester. Manche können nicht damit umgehen, dass sich ein Theater in großem Stil sich so unentbehrlich macht. Das Verhältnis zum Staatstheater dagegen ist absolut freundschaftlich. Mit dem Generalintendanten verbindet uns eine Freundschaft. Das Staatstheater hilft uns und ist zur Stelle, wenn wir irgendwelche Dinge brauchen. Wir sind wie Brüderchen und Schwesterchen.

CHAPEAU: Gab es denn in den letzten Jahren Aufführungen anderer Theater, die du auch gern gemacht hättest?

PAVEL LÜCK:
Das gibt es immer wieder spannende Inszenierungen. Das Spannendste in Oldenburg ist für mich die Oper. Wir spielen ja, wie gesagt, an die 240 bis 260 Abende, und ich bin immer froh, wenn mal ein spielfreier Abend mit dem Spielplan des Staatstheaters kompatibel ist und ich in die Oper gehen kann. Das ist das Aufregendste, was Oldenburg zu bieten hat.

CHAPEAU: Welches Verhältnis hat zum Tanz – tanzt du selber gern?

PAVEL LÜCK:
Ich tanze wahnsinnig gerne und sehr viel. Am letzten Wochenende hatten wir hier eine Party und haben bis halb sieben gefeiert und getanzt. Ich tanze gern zu Live-Musik und wahnsinnig gern zu Musik vom Balkan. Wenn es so richtig losgeht, wenn die Bläser kommen, die Tuba noch dazu, wenn es mal richtig laut rausbläst. Das ist von einer Lebenskraft und einem Rhythmus, der einen berührt und in Vibration bringt. Tanz ist etwas ganz Elementares. Beim Tanztheater aber ist es mal so und mal so. Es gibt Aufführungen, die im Manierismus ersticken, und es gibt andere, die einen so richtig erwischen.

CHAPEAU: Was sind deine nächsten Programm-Highlights?

PAVEL LÜCK:
Wir haben ja noch unsere jüngste Produktion „Wer ist die Schönste im ganzen Land?“, und die bleibt selbstverständlich auch in Oldenburg eine brennend heiße Frage. Und ab Montag bin ich in unserem Haus in Schweden und fange an, den neuen Abend zu schreiben: „Begegnung am Ende der Welt“, wird er heißen. Er spielt im Jahre 2044 und zeigt auf, wie es weitergehen könnte – wenn wir nicht einschreiten. Das Thema Klimawandel ist angekommen, und es beschäftigt mich auch als Großvater. Ich werde in diesen Tagen erneut Großvater, da guckt man noch mal ganz anders auf die Welt. Man möchte sie bewahren und will darum auch kämpfen. Es wird nicht gehen, dass wir jeden Besitzstand wahren und gleichzeitig die Erde schützen wollen. Das ist ein riesengroßer Widerspruch. Jeder von uns muss einen Moment darüber nachdenken, ob sein Lebensstil mit dem kompatibel ist, was er hinterlassen möchte. Uns hat man ja auch etwas hinterlassen. Es ist fahrlässig, wenn wir nicht umdenken können. Wir sehen ja, wie wichtig das Thema mittlerweile in der Gesellschaft ist und Wahlen entscheiden kann. Und so muss es auch sein. „Begegnung am Ende der Welt“ wird das Highlight der neuen Saison.

CHAPEAU: Was ist dein Wunsch an die Stadt Oldenburg?

PAVEL LÜCK:
Für die Stadt wünsche ich mir, dass sie ein schärferes Profil entwickelt, um junge Menschen nach Oldenburg zu holen. Und wenn sie dann da sind, sie möglichst auch hier zu halten. Wir brauchen Menschen, die sich ganz bewusst für Oldenburg entscheiden – so wie wir es damals getan haben. Die Stadt braucht neue Impulse, sonst schmort man hier noch eine Runde im eigenen Saft und erreicht keine wirkliche Zukunftsfähigkeit. Dafür wünsche ich mir auch finanzielle Unterstützung. Stipendien oder eine Unterstützung für Gastaufenthalte, wo man sagt: Macht eure Sachen – hier ist der Raum, probiert euch aus. Das Kulturamt sollte auch als Scout als fungieren. Hier oder in Brüssel, Holland ist auch sehr nahe. Schauen, wo sind die Menschen, die zu uns und ins Profil passen, und wie können wir ihnen einen Start ermöglichen.

CHAPEAU: Danke für das tolle Gespräch, Pavel!

Tatort: Theater Laboratorium
Kleine Straße 8
26121 Oldenburg

www.theater-laboratorium.org

Kategorie: Lebensart
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