Kultur Ein bisschen Wow-Effekt gehört dazu – Interview mit Marc Peschke
Ein bisschen Wow-Effekt gehört dazu – Interview mit Marc Peschke
Interview mit Marc Peschke
Der Fotokünstler Marc Peschke ist in der Kunstszene auch als Kurator für Galerien und Ausstellungen sowie als fachkundiger Autor zu kulturellen Themen in verschiedenen Publikationen bekannt. Chapeau sprach mit dem Multitalent anlässlich seiner aktuellen Ausstellung in Wertheim am Main, wo er zusammen mit dem Maler Hans Peter Stark Werke zum Thema „Innenräume“ präsentiert.
Info – Marc Peschke ist 1970 in Offenbach geboren. Er studierte Kunstgeschichte, Komparatistik und Ethnologie in Mainz und veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu kulturellen Themen, Musik und Ausstellungen in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Bis 2002 war Peschke Kurator und Mitinhaber der Galerie „kunstadapter“ in Wiesbaden und Frankfurt am Main, und seit 2016 ist er Kurator des Atelier Schwab in Wertheim am Main. Als Fotokünstler macht er seit 2008 auf sich aufmerksam, darunter mit Ausstellungen wie THE CUBES, LOVE oder SHOW YOUR DARLING. Seine aktuelle Ausstellung INNENRÄUME (zusammen mit dem Maler Hans Peter Stark) läuft im Rahmen der Sonderausstellung „Private Interieurs“ noch bis zum 5. Juli im Schlösschen im Hofgarten in Wertheim an der Mosel.
CHAPEAU: Du bist Künstler, Kunsthistoriker und Kulturjournalist – wie gehen Theorie und Praxis bei dir zusammen?
Marc Peschke ― Von der Ausbildung her bin ich Kunsthistoriker: Ich habe in Mainz Kunstgeschichte studiert und mich schon damals intensiv mit der Geschichte der Fotografie und mit Fotokunst befasst. Nach dem Studium habe ich mit zwei Kommilitonen die erste Fotokunstgalerie in Wiesbaden gegründet – dann einige Jahre als Galerist und Kurator gearbeitet, aber auch für Künstler, Museen, Galerien, Zeitungen und Magazine über Fotografie geschrieben. Ab dem Jahr 2008 kamen dann meine eigenen Ausstellungen dazu. Dieses Miteinander – Ausstellungen machen, Schreiben, wissenschaftliche und künstlerische Arbeit – gehört seitdem zusammen.
„Ich finde Fotografie dann spannend, wenn sie Malerei nicht imitiert, sondern sich auf ihr Wesentliches konzentriert: die Wirklichkeit.“
Wie beurteilt der Journalist, wie der Historiker Marc Peschke den Künstler Marc Peschke?
Kritisch, aber doch wohlwollend.
Wann wird Fotografie für dich zur Kunst?
Dann, wenn eine eigene Bildsprache hinzukommt, die originell ist. Originalität, Einzigartigkeit, ein eigener, besonderer Blick – das ist für mich das entscheidende Kriterium. Kunst soll überraschend und nicht redundant sein. Ein bisschen Wow-Effekt gehört für mich auch dazu. Dennoch muss ich sagen: Der Kunstbegriff ist inzwischen reichlich überstrapaziert in Zeiten, wo sich Nagel-Designer und Cappuccino-Schäumer „Künstler“ nennen und ständig die „Revolution der Kunst“ ausgerufen wird. Insofern kann man auf den Begriff vielleicht auch gerne verzichten und sagen: Ich mache Bilder.
Man sagt, dass die künstlerische Fotografie der Malerei über lange Zeit den Rang abgelaufen hat. Wo liegen für dich die entscheidenden Unterschiede, aber auch Parallelen in den Gestaltungsmöglichkeiten?
Der große Unterschied ist der: Fotografie geht immer von der Wirklichkeit, von der Realität aus – ganz egal, wie man sie bearbeitet und verfremdet. Das ist das Besondere! Ich finde Fotografie dann spannend, wenn sie Malerei nicht imitiert, sondern sich auf ihr Wesentliches konzentriert: die Wirklichkeit. Das, was vor der Kamera war, das gibt es ja tatsächlich. Das muss man nicht erfinden. Aber die Wirklichkeit verändern, sie zu einem neuen Ausgangspunkt, daraus etwas Neues machen – das kann man. Bei der Malerei ist es anders: Da schafft man alles selbst, aus sich heraus. Das ist eine Stärke, aber auch ein Nachteil. Zu meiner Art, die Welt zu sehen, passt die Fotografie besser.
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung der Fotografie auf die Arbeit des Fotokünstlers – oder anders gefragt: Hast du beim Entstehen der Aufnahme bereits das endgültige Werk vor Augen, oder entsteht das erst bei der Bearbeitung?
Der Prozess der Bearbeitung ist wichtig – ich bin aber alles andere als ein Technik-Freak. Ich mag es nicht sehr, wenn die Bearbeitung visuell im Vordergrund steht, wenn es nach digitalem Rumgefummel aussieht. Bei meiner neuen Serie THE COLOURS etwa ist fast nichts bearbeitet – die Ausschnitte auch nicht.
Wie siehst du die Beziehung von Inhalt und Form in deiner Kunst?
Das ist bei den verschiedenen Serien etwas unterschiedlich. Bei den illusionistischen, sechseckigen Fotoobjekten von THE CUBES etwa sind Inhalt und Form sehr eng miteinander verzahnt. Grundlegend ist Präsentation, die ist absolut wichtig – bestimmte Bilder benötigen eine bestimmte Präsentation.
Möchtest du mit deinen Bildern Geschichten erzählen, oder geht es eher um Impressionen, Variationen von Wahrnehmungen?
Beides. Kleine Geschichten sind aber schon gut. Bei THE CUBES, AFTER THIS DARKNESS THERE IS ANOTHER oder MASCHERA etwa gibt es zu manchen Bildern wirklich gute Geschichten.
Für die Ausstellung „Über die Schmerzgrenze“ in den Hamburger Deichtorhallen mit Kriegsfotografien von Paolo Pellegrini und anderen Kriegsfotografen hast du den Begleittext geschrieben. Was verbindet deine Kunst mit Kriegsfotografie?
Begleittext ist nicht ganz richtig. Ich arbeite auch für die Deichtorhallen – schreibe dort als freier Autor für das Online-Magazin HALLE 4, das ich sehr empfehlen kann. Dabei beschäftige ich mich regelmäßig mit den aktuellen Ausstellungen in den Deichtorhallen. Meine eigene Fotografie hat mit Kriegsfotografie nichts zu tun. Stattdessen geht es oft um Geschichte – beziehungsweise das Konservieren und Erhalten von den Dingen, die uns umgeben. Meine Themen sind Architektur, Urbanität, Typografie, Alltagsdesign. Ich bin auf der Suche nach einer gewissen Exotik und Schönheit. Manche meiner Bilder erzählen aber auch von einer doppelten Identität der Bilder, von einem Janusbild, das jeder Darstellung innewohnt. Vom Unsichtbaren, Ungesehenen, vom Optisch-Unbewussten, das auf geheimnisvolle Weise zum Vorschein kommt. Andere verstehe ich als subjektives, fragmentarisches Tagebuch, in dem es mir um Verunklärung und Verschlüsselung des Vorgefundenen geht.
Bilder aus deiner Serie THE COLOURS werden aktuell in Wertheim am Main ausgestellt. Welche Bedeutung haben Farben für dich und deine Wahrnehmung der Welt?
Mir hat die Idee gefallen, eine fotografische Serie einfach ganz schlicht THE COLOURS zu nennen. Farbe und Form – damit gestaltet man Fotografie. Insofern sind Farben wichtig. Diese neue Serie soll mit ganz wenig auskommen. Kein Bild ist inszeniert, keines gestellt. In Wertheim werden nun erstmals einige Arbeiten daraus zu sehen sein – abgesehen von einer Präsentation in einem Hamburger Studio für Interior-Design in der Hafencity, dem Studio Uwe Gärtner, wo auch schon Arbeiten aus THE COLOURS hängen. Es sind Werke an der Grenze zwischen Reisefotografie und Kunstbild – zwischen Dokument, Abbild und Fantasie.
Die COLOURS-Serie wird im Rahmen einer „Private Interieurs“-Gemäldeausstellung im Wertheimer Schlösschen im Hofgarten präsentiert. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Maler Hans-Peter Stark?
Hans-Peter Starks Arbeiten kenne und schätze ich schon lange – aus Mainz. Ich habe ihn dem Museum in Wertheim vorgeschlagen – als aktuelle Erweiterung der Ausstellung mit historischen Gemälden. Ich bin selbst sehr gespannt, wie das in Wertheim funktionieren wird.
Du lebst in Wertheim und in Hamburg. Wo liegt dein Lebenmittelpunkt?
Ich lebe inzwischen wieder in Wertheim am Main, wo ich zur Schule gegangen bin, und in Hamburg. Ich verbringe aber auch sehr viel Zeit in Wiesbaden, wo ich nach dem Studium viele Jahre gelebt habe – und auf längeren Reisen, vor allem durch das südliche Europa. Weil meine Frau und ich auch von unterwegs aus arbeiten können, leben wir ein sehr freies Leben, das stark durch Reisen, Unterwegssein und Ortswechsel geprägt ist.
Sind die verschiedenen Orte auch mit unterschiedlichen Stimmungslagen und Inspirationen für deine Kunst verbunden?
Meistens entstehen meine Bilder auf Reisen – eher seltener in den Städten, in denen ich lebe. Aber tatsächlich ist der häufige Wechsel zwischen verschiedenen, sehr unterschiedlichen Orten inspirierend für mich.
Du hast in Wertheim und in Hamburg jeweils einen festen Wohnsitz. Welche Rolle spielt Kunst bei der Einrichtung eurer privaten Räume?
Ja, wir haben an beiden Orten einen festen Wohnsitz. Es sind zwei kleinere, recht ähnlich, eher minimalistisch gestaltete Wohnungen, in denen wir uns sehr wohlfühlen. An den Wänden hängt ehrlich gesagt vor allem Malerei – kaum eigene Werke.
Wäre eine Ausstellung in Oldenburg für dich vorstellbar, und welche Räumlichkeiten würdest du dir dafür wünschen?
Mich würde eine Ausstellung in Oldenburg absolut interessieren – und ich freue mich auf charmante Angebote!
Hast du dich während des Studiums intensiv mit Pop Art beschäftigt?
Silky ― Ja. Ich komme väterlicherseits aus einer akademischen Familie, bin aber in der Kunst sehr intuitiv und war dann sehr froh, als ich während des Kunststudiums Claes Oldenburg entdeckt habe. Dass Kunst eine solche Leichtigkeit haben kann, hat mich sehr erleichtert. Diese Ironie und Verspieltheit – eben Pop Art. Als junger Mensch hatte ich auch schon von Andy Warhols Factory gehört und fand diesen Fabrik-Gedanken total klasse. Erst einmal wusste ich gar nicht so genau was das ist, aber da wollte ich irgendwie hinkommen. Diese Dinge haben mich sehr geprägt, und weil ich Familie in Amerika habe, war ich immer mit Popart konfrontiert. Ich kam in den 70er Jahren in die USA, da war alles groß in riesiger Schrift. Aus einem Bild ragte eine Zigarette heraus, dahinter dampfte es vielleicht noch… Das hat mich als junger Mensch schon sehr beeinflusst.