Lebensart Mensch Moser

Mensch Moser

Interview mit Achill und Aaron Moser

Jeder Mensch hat einen Vater, aber nicht jeder ist mit ihm aufgewachsen. Achill Moser hat seinen Vater Harry erst im Alter von 28 Jahren kennengelernt. Aus ihrem Traum, einmal gemeinsam auf den Kilimandscharo zu steigen, wurde nichts. Harry ist verstorben, und Achill holte die Reise erst jetzt mit seinem Sohn Aaron nach. Der ist heute 28, Filmemacher, und hat ihre Erlebnisse in dem bewegenden Film „Mein Vater, mein Sohn und der Kilimandscharo“ festgehalten. Chapeau-Redakteur Michael Eckert sprach mit Vater und Sohn Moser nach der Kinopremiere in Hamburg.

InfoAchill Moser ist seit seinem 17. Lebensjahr Weltreisender, Abenteurer, Wüstenwanderer. Über seine Expeditionen verfasste der heute 65-Jährige zahlreiche Bücher und Reportagen, die in Magazinen wie Merian, Stern oder Geo veröffentlicht wurden. Seine Vortragsreisen sind in ganz Deutschland und im deutschsprachigen Ausland begehrte Veranstaltungen. Seit 12 Jahren reist er mit seinem Sohn Aaron, und zusammen begaben sie sich zuletzt in Tansania auf die Spuren von Achills Vater Harry. Aaron und sein Co-Kameramann Rainer Blank haben die Reise in dem Film „Mein Vater, mein Sohn und der Kilimandscharo“ dokumentiert, der jetzt durch die Kinos tourt.
 
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Foto: Pino Petrillo

CHAPEAU: Achill, auf deinen Wanderungen hast du in 40 Jahren rund 40.000 Kilometer zurückgelegt. Weißt du, wie viele Länder du bereist hast?

Achill ― Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Aber es sind eine Menge.

„Einsamkeit ist zur Glückseligkeit geworden, und ich muss sagen, dass ich dieses Gefühl auch immer wieder brauchte.“

Und wie viele Wüsten hast du durchwandert?

Achill ― Das weiß ich genauer. 28 Wüsten der Welt habe ich oder haben wir mittlerweile erwandert. Nicht um nicht eine bestimmte Anzahl zu erreichen, sondern weil ich Lust auf die Welt und auf Begegnungen habe. Das ist mein Antrieb.

Früher bist du allein gewandert, und seit 12 Jahren bist du nun zusammen mit Aaron unterwegs. Träumst du gelegentlich davon, mal wieder allein loszuziehen?

Achill ― Anfangs bin ich sehr viel allein gereist. In den achtziger Jahren war manchmal ein Fotograf dabei, der vorrangig die ersten Etappen fotografierte. Danach bin ich dann allein weitergezogen, und wenn ein Ziel definiert war, hat er mich dort wieder erwartet. Ich habe es bewusst so gemacht, um das Gefühl der Einsamkeit kennenzulernen. Meine Großeltern hatten große Probleme mit Einsamkeit. Sie saßen immer am Fenster und fühlten sich allein. Ich wollte ausprobieren, wie sich das für mich anfühlt. Das hat mir einige Probleme bereitet, gerade in der Wüste Gobi. 700 Kilometer in 15 Tagen. Da habe ich relativ viel Gewicht verloren und konnte das Alleinsein nicht mehr aushalten. Ich habe geweint und mir die Frage gestellt, was mache ich eigentlich hier? Über die Jahre hat sich das dann gedreht, weil ich wusste, das gibt mir etwas. Einsamkeit ist zur Glückseligkeit geworden, und ich muss sagen, dass ich dieses Gefühl auch immer wieder brauchte. Dann war ich zusammen mit Beduinen unterwegs, und jetzt seit 12 Jahren mit meinem Sohn Aaron. Auch weil ich nach dieser Zeit von der Einsamkeit genug hatte. Ich meinte, alles erlebt zu haben, was man dort draußen erfahren kann. Das Reisen mit Aaron war wie ein ganz neuer Einstieg, weil er einen anderen Blick hatte. Für ihn war alles neu. Vom Sandsturm bis zu Skorpionen, das Essen von Datteln und Fladenbrot. Für mich war das normal, aber zusammen mit ihm wurde es zu einem neuen Erlebnis. Natürlich musste ich mich etwas zurücknehmen, um ihn nicht mit meinem Erfahrungsschatz zu überwältigen – ich hoffe, das habe ich nicht getan (schmunzelt). Zu erleben, wie so etwas auf einen anderen, jungen Menschen wirkt, hat auch mich wieder verändert. Durch seine Augen habe ich sehr viel mehr gesehen. Familiär ist eine solche Reise natürlich auch ein Geschenk, es schafft viel Nähe. Man erlebt zusammen, tauscht sich intensiv aus, und alles kommt in den Rucksack der gemeinsamen Erfahrungen.

Diesmal hattet ihr ein Kamerateam dabei. War das auch eine neue Erfahrung, ständig unter Bobachtung zu stehen?

<strong>Achill ―</strong> Ja, schon. Alle, die mit waren, sind sehr liebe nette Menschen und Freunde. Dennoch stand die Arbeit im Mittelpunkt, und ehrlicherweise muss ich sagen, dass es mir doch manchmal zu viel wurde und ich mich dem auch mal entzogen habe. Es war eben keine Reise, wo es nur darum ging, etwas zu schreiben oder es einfach zu genießen. Du sitzt auf einem Hügel, schaust in die Ferne, und plötzlich kommen zwei Leute und geben dir Anweisungen. Dreh dich mal etwas, wir könnten dich jetzt gut filmen, kannst du uns etwas über das Erlebnis erzählen…? Ohne es den Menschen schwer machen zu wollen, habe ich mich dem oft verweigert und bin dann auch beiseite gegangen. Es hat tatsächlich ein paar Wochen gedauert, bis sich Aaron und sein Mitstreiter Rainer Blank fragten, wie sie es hinbekommen, dass der Achill nicht viel sprechen muss und sie ihn trotzdem filmen können. Es fing damit an, dass ich mal allein in der Landschaft saß, oder in einer kleinen Lodge am Tisch beim Schreiben gefilmt wurde. Unterwegs zu sitzen und zu schreiben, ist eben auch ein Teil meines Lebens. Das hatte den Vorteil, dass ich die Texte nicht gleich in die Kamera sprechen musste, sondern erst im Nachgang aus dem Off eingesprochen habe. Vor Ort, als die Bilder entstanden, habe ich nur sehr wenig geredet.

Eines deiner Bücher heißt „Zu Fuß hält die Seele Schritt“. Da habe ich ein Bild vor Augen, wie du horizontal durch die Wüste gehst und sinnierst. Jetzt aber ging es bergauf in die Vertikale. Hält die Seele noch mit der Physis mit, wenn man in brutaler Hitze oder in bitterer Kälte auf einen 6.000 Meter hohen Berg steigen muss?

<strong>Achill ―</strong> Wir sitzen hier am Tisch, und ich bin ein Mensch der Tischplatte. Ich brauche die Horizontale. Andere Menschen mögen die Wälder oder das Meer, ich mag die Wüste. Natürlich habe ich im Laufe meines Lebens auch ein paar Berge bestiegen. Zum Beispiel den Ararat an der Grenze zwischen Türkei und Iran, über 6.000 Meter hoch, dann den Moses-Berg, das Hoggar-Gebirge in der Sahara. Aber je höher es geht, desto mehr setzt mein mentales Gedankengut aus. Es ist eine wahnsinnige Kraftanstrengung. Mehr als in der Wüste frage ich mich, was mache ich eigentlich hier? Die Kilimandscharo-Besteigung ist nur in Gedenken an meinen Vater entstanden und aus dem Wunsch, das mit Aaron zu erleben. Das war eine familiäre Motivation. Aber aus reiner Lust und Begeisterung, wie ich andere Reisen angehe, werde ich wahrscheinlich keinen größeren Berg mehr angehen wollen.

Foto: Pino Petrillo

War der Kilimandscharo auch im übertragenen Sinne ein Höhepunkt deiner Wander-Historie?

Achill ― Ja. Ich durfte jetzt über 40 Jahre unterwegs sein, hatte das Glück, dass meine Gesundheit das mitmachte. Da frage ich mich zuweilen auch: Was hat dir das jetzt alles gebracht, hat es über das pure Erleben hinaus einen Sinn gemacht? Als wir endlich den Gipfel des Kilimandscharo erreicht hatten, habe ich sofort gespürt, dass ich jetzt irgendwie angekommen bin. Dabei war Ankommen gar nicht unser Ziel gewesen. Ich wollte mit Aaron die Reise meines Vaters nachvollziehen. Jetzt im Nachhinein habe ich das Gefühl, der Gipfel des Kilimandscharo war ein Punkt, den sich irgendjemand für mich ausgedacht hat. Ich sollte dorthin kommen. Seitdem bin ich innerlich wirklich befreit. Ich bin auf der inneren Suche nach mir selbst angekommen, muss weder mir noch anderen etwas beweisen.
Ich reise natürlich weiter, solange ich gesund bin. Aber es gibt mir ein schönes Gefühl, das ich trotz der vielen Reisen noch nie so empfunden habe.

Euer Film erzählt eine sehr persönliche Geschichte. Du hast deinen Vater erst mit 28 kennengelernt und die Phase in der Pubertät, in der man sich von seinen Eltern gefühlsmäßig löst, in der Beziehung zu ihm übersprungen. Was macht das mit einem?

Achill ― Tatsächlich hat mir da etwas gefehlt. Das Auskommen mit meinem Stiefvater war alles andere als gut. Ich kann mich noch gut an den Moment der ersten Begegnung mit meinem Vater erinnern. Es war gepaart mit großer Aufregung und Neugier und der Angst, dass es möglicherweise auch eine Enttäuschung geben könnte. Aber wir haben uns relativ rasch sympathisch gefunden. Auf beiden Seiten war eine große Neugier und auch Freude. Meine Eltern hatten sich getrennt, als ich klein war, und mein Vater hatte mich zuletzt mit eineinhalb Jahren gesehen. Für ihn war es ein spätes Wiedersehen, für mich eine gänzlich neue Begegnung. Wir haben viel gesprochen, und daraus ist für beide eine große Bereicherung des Lebens entstanden. Fragen wurden beantwortet. Woher kommt meine Sehnsucht nach der Ferne, warum bricht man auf? Das hatte ich mich immer wieder gefragt, und in den vielen Gesprächen habe ich relativ schnell gemerkt, dass diese Faszination durch meinen Vater ganz tief in mir verwurzelt ist.

Für deinen Vater Harry war die Begehung des Kilimandscharos ein Lebenstraum, und ihr wolltet diese Reise eigentlich zusammen machen. Das ist an einer Verletzung gescheitert, die du dir kurz vor Reiseantritt zugezogen hast. War dieses Scheitern eine Leerstelle für dich, die du ausfüllen musstest?

<strong>Achill ―</strong> Ja, da war eine Leere. Da war Traurigkeit, Wehmut. Vor allem, als mein Vater verstorben ist und wir das nicht mehr zusammen nachholen konnten. Ich hatte ja gesehen, wie glücklich und beseelt er vom Kilimandscharo zurückgekehrt war. Für mich und Aaron hat es eine große Bedeutung, das jetzt gemeinsam erreicht zu haben. Ein ganz besonderer Moment im Leben, den ich auch gern mit meinem Vater erlebt hätte. Den Verlust habe ich über zehn Jahre mit mir herumgeschleppt. Insofern habe ich meinen Vater in Afrika mehr gefunden als hier im Alltag in Hamburg.

„Mein Vater, mein Sohn und der Kilimandscharo“
 
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Welche Idee war zuerst da, die zu der Reise oder die für den Film?

Achill ― Die Reise. Mein Vater hat seine Erlebnisse auf ein Tonband gesprochen, und als Aaron und ich zusammen die Cassette anhörten, kam die Frage auf, ob wir uns vorstellen könnten, die Reise gemeinsam zu machen. Ja klar! Erst dann haben wir mit der Planung angefangen und überlegt, was wir daraus machen wollen. Ein Buch schreiben, vielleicht weitere Projekte… Dann kam Aaron auf die Idee, einen Film zu drehen, natürlich auch durch seine Tätigkeit als Kameramann. Er betreibt ein Handwerk, das mir völlig fremd ist. Natürlich schaue ich sehr gern Filme und fand die Idee großartig, aber die Umsetzung konnte ich mir gar nicht vorstellen. Er aber war davon so richtig beseelt.

Aaron ― Wenn ich da mal dazwischen gehen kann: Hoffentlich merkt man beim Sehen, dass der Film nicht so geplant war. Dadurch haben wir es geschafft, Momente einzufangen, die wir mit einem vorher verfassten Drehbuch nicht hätten. Im Nachhinein hat Papa mir gesagt, Mensch, ich habe diesen ganzen Mist nur mitgemacht, weil ich davon ausgegangen war, dass es eh nichts wird, und dann waren auf einmal diese vielen Leute da. Tatsächlich haben wir einfach losgedreht. Dass sich das Ganze so entwickelt hat, dass wir eine Kinopremiere hier in Hamburg feiern konnten und jetzt mit dem Film auf Tour gehen, erscheint mir immer noch etwas irreal.

In dem Film ist zu sehen, dass ihr oft in das Tonband von deinem Opa reinhört. Wusstest du, welche Bedeutung diese Geschichte für deinen Vater hatte?

Aaron ― Ich wusste, dass es für ihn sehr wichtig war. Für mich auch, aber ich glaube, dass dieses Erlebnis Papa noch näher geht als mir. Viele Dinge haben wir auch erst auf der Reise besprochen und erfahren. Im Alltag ist nicht immer der Platz oder die richtige Zeit, um Themen anzusprechen, die sich auf die Beziehung zwischen Vater und Sohn beziehen. Auch deshalb machen wir diese Reisen sehr gern. Egal wie oft wir schon zusammen gereist sind, wir lernen uns immer wieder neu kennen. Speziell auf dieser Reise haben wir, wie ich glaube, einen großen Schritt gemacht. Wir haben uns beide und meinen Opa auf eine andere Art und Weise kennengelernt, obwohl der nicht dabei war. Mir sind viele Geschichten zu Opa eingefallen, die Papa nicht kannte, und er hat mir viele Geschichten erzählt, die ich nicht kannte. So wurden wir auf der Reise zum Dreiergespann, und ich habe gemerkt, welche Bedeutung es für Papa hatte und wie persönlich es für uns wird. Das war beim Dreh auch die größte Schwierigkeit, viel schwerer als das Besteigen des Kilimandscharo (lacht). Es ist schön, so etwas zu teilen, aber andererseits auch gefährlich, weil wir uns angreifbar machen. Man sieht uns in Situationen, die man normalerweise nicht jedem zeigt – und das hat nichts mit Eitelkeit zu tun. Es war ein langer und schwieriger Weg.

Was macht das mit euch, wenn diese intime Geschichte plötzlich so überlebensgroß auf eine Leinwand projiziert und zum Allgemeingut wird?

Achill ― Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Was Aaron und Rainer da gemacht haben, finde ich wirklich wunderbar und kann damit gut leben. Meine Frau Rita sagt: Mein Gott, ist das groß, der Kopf ist riesig. Das finde ich gar nicht, weil das Bild authentisch ist. So bin ich. Ich musste mich nicht verstellen, es ist keine Schauspielerei. Ich stehe dazu. Wir alle haben positive Seiten, wir haben Schwächen. Wir lachen, wir sind traurig. Mit dem Film geben wir ein Stück Ehrlichkeit weiter. Es ist mein Leben. Was macht Reisen mit uns? Der Veränderungsprozess hat mich immer wahnsinnig interessiert. Der Film zeigt mich wie ich eben bin. Wir haben die Geschichte unserer Familie im Gepäck, die hin und wieder berührt. Dazu gehören auch die spannungs- und begegnungsreichen Momente.

Foto: Pino Petrillo

„Ich wollte ausprobieren, wie sich Einsamkeit für mich anfühlt.“

Aaron, im Gegensatz zu Achill hast du deinen Vater ja schon als Kind kennengelernt. Aber er war oft über Monate unterwegs. Hast ihn anders wahrgenommen, wenn er dann zurück kam? Du hattest dich in der Zwischenzeit ja auch verändert.

Aaron ― Klar, gerade wenn man kleiner ist, verlaufen Veränderungen immer schnell in Wachstumsschüben. Wenn Papa nach einem halben Jahr zurück war, kam von ihm natürlich der typische Spruch, den man sonst vielleicht von Großeltern zu hören bekommt: Mensch, du bist aber groß geworden! Aber ich hatte nie das Gefühl, dass mir Papa gefehlt hat. Für mich war er immer da. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es damit je Probleme gab. Mama hat sich ganz toll gekümmert, und wenn Papa das andere halbe Jahr hier war, war er eben auch 24 Stunden da. Er hat hier an seinem Schreibtisch geschrieben und mich dann vom Kindergarten abgeholt oder mich zur Schule gebracht. Hinten im Garten haben wir Fußball gespielt. In der Zeit, in der er hier war, habe ich vermutlich viel mehr mit meinem Vater gemacht als viele andere Söhne mit ihren Eltern im ganzen Jahr. Natürlich gab es Veränderungen, aber ich habe die Fotos gesehen, die er mitgebracht hat, speziell Kenia, Tansania. Erste Reisen, die er früher gemacht hat. Die fand ich toll und dachte immer: Das ist cool, da willst du auch mal hin. Auch die Geschichten, die er mitbrachte, hörten sich großartig an. Und als ich dann selbst auf Reisen ging, hatte ich das Glück, jemanden mit viel Erfahrung an der Seite zu haben, der von Begeisterung und Leidenschaft getrieben ist und mich langsam herangeführt hat. Wir sind einfach gern zusammen unterwegs.

Welches Verhältnis hattest du zu deinem Großvater?

Aaron ― Das hat sich jetzt noch mal sehr verändert. Ich war fünfzehn, sechzehn, als Harry gestorben ist, und mir ist leider erst dann aufgefallen, wie wenig ich über ihn wusste. Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, dass er beruflich Deiche vermessen hatte. Ich hatte zu ihm ein klassisches Opa-Verhältnis. Am Wochenende sind wir zu ihm hingefahren, haben Fußball gespielt und Wettrennen gemacht, sind zusammen zum Bäcker gegangen. Er war der Opa, der mir spannende Geschichten erzählt, aber ich habe ihn nie als den Menschen Harry wahrgenommen. Ich kann mich gut daran erinnern, dass in seinem Wohnzimmer ein riesiges Gemälde vom Kilimandscharo hing,aber die Bedeutung habe ich erst jetzt bei dieser Reise realisiert. Ich kannte damals den Berg noch gar nicht, aber das Bild hat sich in meinem Gedächtnisspeicher eingebrannt. Erst jetzt ist mir klar, wie wichtig der Kilimandscharo für meinen Opa war, und manchmal bereue ich, dass ich nicht mal zu ihm gegangen bin und gefragt habe: Hey, was ist das für ein Bild, was ist das für ein Berg? Wir haben da nie drüber gesprochen.

Wie schwer war es für dich, den Film zu produzieren?

Aaron ― Das ist ja eine sehr kleine Produktion. Von der Reise bis zum fertigen Film, der auf der Leinwand gezeigt wird, waren wir nur neun Leute, und alle waren auch gestern bei der Kinopremiere dabei. Jeder, der sich mit solchen Projekten auskennt, weiß, dass es eigentlich Irrsinn ist, so etwas mit so wenigen Leuten zu machen. Inhaltlich hat Rainer Blank sehr viel mitgearbeitet, aber mit Kamera, Schnitt, Regie, Produktion, Vertrieb kommt unheimlich viel zusammen. Gerade weil es eine so persönliche Geschichte ist, war es für mich wahnsinnig schwer. Aber wenn jetzt Leute aus dem Kino zu unserem Büchertisch kommen und sagen: Mensch, dein Opa muss ja ein spannender Typ gewesen sein, dann freue ich mich. Mein Ziel war ja auch, den Film für Opa Harry zu machen. Gestern habe ich zu ein paar Leuten gesagt, wenn er jetzt noch leben und hier sitzen würde, hätte ihm der Film bestimmt gefallen. Wenn sich vermittelt, das wir auf unserer Reise neben den ganzen Begegnungen noch einen Begleiter im Hintergrund dabei hatten, ist das toll. Das war das Ziel, und ich glaube und hoffe, dass wir das geschafft haben. Aber darüber soll sich jeder sein eigenes Urteil machen und ins Kino gehen.

Hast du für den Film einen Verleih gesucht?

Aaron ― Das war ein ziemliches Kuddelmuddel. Wir haben gefilmt, und dann saßen wir hier in Hamburg mit Rainer Blank am Schneidetisch, haben zunächst einzelne Kapitel grob geschnitten und gemerkt, da gibt es ein paar gestochen scharfe Bilder und viele schöne Landschaften – daraus lässt sich etwas machen. Aber wir wussten noch nicht, was das Ganze eigentlich werden soll, haben uns immer weiter in die Arbeit vertieft, und der Film ist immer länger geworden. Andere Filmemacher haben uns von Möglichkeiten erzählt, den Film ins Kino zu bringen, und darüber haben wir Kontakt zu Verleihern bekommen. Die vermarkten den Film, stellen den Kontakt zu den Kinos her, und das Thema kam wohl auch ganz gut an. Aber nicht alle, die wir kennenlernen durften, waren glücklich darüber, dass die Geschichte so persönlich ist. Da wurde dann weniger über den Inhalt des Films gesprochen als viel mehr über seine Vermarktung. Wir sind beim Dreh ja auch in der Serengeti unterwegs gewesen. Das ist ein Name, den viele Leute kennen. Es wurde darüber diskutiert, wie groß dieses Thema gemacht werden soll und ob es auf das Kinoplakat kommen soll. Papa, Rainer und ich fühlten uns damit überhaupt nicht wohl. Wir hatten ja selbst noch so viele Fragen – etwa, wie wir das Thema Harry behandeln und wie uns selbst. Fühlen wir uns überhaupt wohl dabei? Vieles hatten wir unter uns emotional noch gar nicht geklärt, aber andere gaben schon die Steps vor. Natürlich wollten wir auch, dass der Film gut ankommt, und ich würde mich freuen, wenn er lange in möglichst vielen Kinos läuft. Aber es war nicht das Ziel, einen Film zu machen, der so und so viele Zuschauer bekommt oder eine bestimmte Summe Geld einbringt. Unser ganzes Team besteht aus Freunden. Wir fanden die Geschichte einfach toll und haben unsere Arbeitszeit ohne Bezahlung da hineingesteckt. Deshalb übernehme ich jetzt selbst den Verleih und habe den Kontakt zu Kinos gesucht. Im Januar und Februar machen wir kleine Premieren-Touren durch einige Kinos und sind möglichst selbst mit vor Ort. Wir versuchen, bei vielen Veranstaltungen dabei zu sein, weil wir auch den Kontakt zu den Leuten wollen.

Achill ― Je mehr du mit Verleihern sprichst, desto mehr mischen sie sich ein und versuchen auch, die Dramaturgie mitzubestimmen. Plakat, Titel, all solche Dinge. Aaron wollte aber von Anfang an seinen Film machen. Wir haben auch mit dem Fernsehen gesprochen, aber da gibt es feste Formate, die man erfüllen muss. Das wollte Aron nicht. Der Film wäre nicht so geworden, wie er und Rainer ihn gemacht haben. Da muss ich sagen Respekt, das finde ich klasse.

Foto: Pino Petrillo

Wo hast du dein Handwerk gelernt, Aaron?

Aaron ― Bei der Fotografie habe ich viel von Papa mitbekommen. Wir sind mal auf einer Reise von München nach Italien gewandert, da fing das mit dem Filmen an. Von meinem gesparten Taschengeld, 250 Euro, habe ich mir einen kleinen Camcorder gekauft und ganz viel gefilmt. Im Nachhinein hat Papa mir erzählt, dass er das zwar mitgetragen aber sich gefragt hat, was der Junge da für einen Mist macht, das kann man alles ja nicht gebrauchen. Es wurde auch nichts draus, aber ich habe einfach Spaß daran gefunden. Über den Spaß habe ich dann auch den Kontakt zum NDR bekommen und dort meine Ausbildung zum Mediengestalter und Kameramann gemacht. Durch meinen Film habe ich unglaublich viel Neues über das Filmemachen gelernt, aber die Grundlagen, wo ist der Knopf zum An- und Ausmachen, das hat mir der NDR beigebracht.

Achill hat ja eben von den festen Formaten beim Fernsehen gesprochen. Wie lange ein Film dauern darf, was wann und wie lange darin vorkommen muss. Das hast du bestimmt auch in der NDR-Ausbildung gelernt. Was mir aber besonders gut an dem Film gefällt, ist seine Offenheit. Dass er eben nicht zeigen will, wie die Serengeti aussieht oder wie man sich als Tourist am Kilimandscharo bewegt, sondern dass er euren ganz persönlichen Weg dokumentiert. Was mir aber auch aufgefallen ist, ist die Abwesenheit von Frauen.

Aaron ― (lacht) Das hat du schön gesagt. Aber das war nicht beabsichtigt, sondern hat sich so ergeben.

Da ist so viel von Vätern die Rede, aber es gibt in eurem Leben ja auch Mütter, Freundin und Ehefrau. Vielleicht wollt ihr dazu jetzt noch etwas sagen?

Aaron ― Der Abspann des Films ist voll mit Danksagungen an viele Leute, Freunde, die mir immer zur Seite gestanden haben, wenn mir Zweifel kamen. Es ist ja nicht einfach, wenn man so etwas zum ersten Mal auf die Beine stellen möchte und Leute sagen, das passt nicht, das muss so und so aussehen. Wenn man es dann trotzdem anders machen möchte, kann einem das schon Sorgen und Ängste bereiten. Wenn es darum ging, offen zu sprechen, war meine Freundin Elena eine tolle Wegbegleiterin. Wir kennen uns auch schon eine Weile, und sie ist die erste, die sich wünscht, dass der Film ganz lange im Kino läuft. Aber irgendwann sagte sie auch mal: Weißt du, Aaron, ich bin auch froh, wenn das Thema irgendwann einmal durch ist. Es nimmt die komplette Zeit ein, vom morgens Aufstehen bis abends zu Bett gehen – und manchmal auch noch die Träume. Zuhause gibt es tatsächlich nur noch wenige andere Themen, und das hat sie nicht nur mitgetragen, sondern auch in wunderbarster Weise unterstützt. Aber zu meiner Mama kann Papa auf ganz andere Art und Weise etwas sagen.

Achill ― Ja gut, ich bin jetzt seit 36 Jahren mit meiner Frau Rita zusammen und muss sagen, das ich ohne sie mein Leben, dieses Pendeln zwischen den Welten, so nicht hinbekommen hätte. Wir alle brauchen, wie man so sagt, ein Heim, wohin man gern zurückkommt und sich wohl fühlt. Aber auch die Arbeiten im Vorfeld einer Reise, die Logistik, die Vorbereitungen finden bei uns in der Familie statt. Rita ist am dichtesten dran und eine unglaubliche Unterstützung. Da wir vorhin von einem Berg sprachen, nutze ich das mal als Beispiel: Wenn du einen Berg erklimmst, bereitest du dich in einem Basislager gut vor, und erst dann machst du den Aufstieg. Wenn man das als Metapher versteht, ist Rita ein wunderbares Basislager, in dem ich mich geborgen fühle. Auch wenn ich vor der kritischen Frage stehe, ob ich etwas machen soll oder nicht. Ohne ihre Unterstützung wären viele Dinge in meinem Leben und manche Reisen überhaupt nicht zustande gekommen.

Foto: Pino Petrillo

„Wenn der Film vermittelt, dass wir auf der Reise noch einen Begleiter im Hintergrund dabei hatten, ist das toll.“

Was ist mit deiner Mutter?

Achill ― Das Verhältnis zu meiner Mutter war schon toll. Mit Liebe und Zuneigung hat sie sehr viel möglich gemacht und immer versucht, das Fehlen des leiblichen Vaters auszugleichen. Mit 17 Jahren habe ich angefangen zu reisen. Ein Alter, in dem sich Mütter ja auch zwangsläufig Sorgen machen. Ich habe das Geld für meine ersten Reisen mit Gabelstapler fahren und Zeitungen austragen selber verdient. Aber 1977, als ich auf meiner ersten großen Expedition in Afrika den Nil befahren habe, fehlten mir noch 3.000 DM. Da hat meine Mutter das Geld als Kredit bei der Bank aufgenommen und mir die Reise ermöglicht. Das war eine unermesslich große Geste. Ich kannte ja ihre Angst, dass mir dort etwas passieren könnte. Aber sie hat meine große Sehnsucht gesehen und wollte mein Glück unterstützen.

Mit eurem Film könnt ihr jedenfalls sehr glücklich sein, denn es ist eine tolle Geschichte geworden. Könnt ihr überhaupt schon an etwas Neues denken, oder seid ihr mit den Vorführungen ausgelastet?

Achill ― Arbeitsmäßig sind wir noch sehr ausgelastet, aber ich habe in den letzten Monaten schon wieder an eine neue Sache gedacht. Nach so einer tief sitzenden Vater-Sohn-Geschichte will ich auch mal wieder den Kopf frei bekommen und mich mit neuen Dingen beschäftigen. In andere Regionen, in eine Wüste in Afrika oder in Südamerika eintauchen und sich vorstellen: Wie wär es, dort jetzt unterwegs zu sein. Das bereitet mir innerlich eine große Freude.

Habt ihr wie Opa Harry noch den einen großen Traum und ein besonderes Ziel vor Augen?

Achill ― Ich möchte gern noch einmal eine große Wüste durchwandern, solange die Gelenke noch mitmachen. Das reduzierte Nomaden-Dasein noch einmal genießen. Zum anderen ist Südamerika mit seiner Kultur und Geschichte noch ein großes Sehnsuchtsziel. Die Inkas, die tollen Landschaften, Berge, Wüsten, Urwälder. Das ist eine Region, die ich gern einmal erleben würde.

Mit Filmkamera, oder ohne?

Achill ― Das muss dann Aaron entscheiden.

Danke für das schöne Gespräch.

Foto: Pino Petrillo

Kategorie: Lebensart
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