Lebensart Filme sind Abbilder der menschlichen Natur

Filme sind Abbilder der menschlichen Natur

Interview mit Michael Mailer

Nein, nicht Hollywood, sondern New York ist die Heimat des Filmproduzenten Michael Mailer. Chapeau-Reporter Lars Görg traf ihn am Rande des Oldenburg Filmfestivals, wo Michael seinen von James Toback inszenierten Film „The Private Life of a Woman“ vorstellte. Es entspann sich ein intensives Gespräch übers Filmgeschäft, in dem auch Michaels berühmter Vater, der Schriftsteller Norman Mailer, eine wichtige Rolle einnahm.

Info ― Michael Mailer ist 1964 als Sohn des ameri­kanischen Schriftstellers und Pulitzerpreisträgers Norman Mailer („Die Nackten und die Toten“) in New York geboren. Er ist Filmproduzent und Regisseur von Spiel- wie Dokumentarfilmen. In Deutschland ist Michael Mailer unter anderem für die von ihm produzierten Filme „Letzte Ausfahrt Hollywood“ (2000) oder „The Lodger – Der Untermieter“ (2009) bekannt. Regie führte er 2017 bei „Blind“ mit Alec Baldwin und Demi Moore, der Film „Cutman“ mit Jaime King und RayLiotta ist in Vorbereitung. Künftig will er auch literarische Vorlagen seines 2007 verstorbenen Vaters verfilmen.

CHAPEAU ― Michael, du hattest einen sehr berühmten Vater, den hochgelobten Autor Norman Mailer. War das eine Belastung, als du deine Filmproduktion gegründet hast?

Michael Mailer ― In mancher Hinsicht, ja. Die Messlatte für den Erfolg lag damit sehr hoch. Vor allem als Kind war es als Sohn eines Autors von diesem Kaliber schwer, dem Anspruch zu genügen. Auf der anderen Seite brachte das aber auch große Chancen mit sich. So ist es weniger eine Belastung als vielmehr eine besondere Art der Inspiration.

Du hast schon fast 40 Filme produziert. Ich habe gelesen, dass jetzt drei Kinofilme in der Pipeline sind, die auf Büchern deines Vaters basieren. Hast du diese elf Jahre seit seinem Tode gebraucht, um über den Verlust hinweg zu kommen?

Eine gute Frage! Ja, ich habe seine Arbeiten lange Jahre nicht angefasst – und jetzt greife ich gleich drei Mal hintereinander zu. All die Jahre davor hatte ich davor zurückgeschreckt, weil es mir so billig vorkam. Als würden die Leute sagen: Na, der hat’s ja gut, wenn mein Vater mir das hinterlassen hätte, wäre ich auch Produzent. Aber das ist natürlich Blödsinn. Mein Vater hat seine Werke ja nicht mir und meinen Geschwistern hinterlassen, sondern der ganzen Welt. Mit den Jahren hat sich meine Sorge um die Art der Wahrnehmung geändert. Irgendwann waren seine Werke für mich nicht mehr bloß beeindruckend oder gar einschüchternd, sondern großartiger Stoff, und ich nahm mir vor, nacheinander an bestimmte Bücher und Erzählungen ranzugehen. Elf Jahre habe ich vermieden, das zu tun, was Leute vielleicht erwartet haben. Heute ist der Wunsch, mit den Werken zu arbeiten, größer als die Sorge um die Meinung anderer Leute. Die Bücher sind einfach phantastische Quellen für die Art Film, die ich gern mache.

Gestern hatte ich ein Gespräch mit Thomas Stiller, der unter anderem als Regisseur tätig ist. Und der erklärte mir die Rolle des Regisseurs: nicht nur den Film so zu machen, wie er ihn sich vorstellt, sondern auch die Besetzung mit den Schauspielern festzulegen. Was ist die Rolle des Produzenten?

Oh, ich habe auch schon als Regisseur gearbeitet! Zuletzt vor zwei Jahren bei dem von mir produzierten Film „Blind“. Da habe ich Alec Baldwin und Demi Moore besetzt. Zu der Zeit war ich mehr Regisseur als Produzent. Aber natürlich mache ich beides.

Zu produzieren bedeutet, das benötigte Geld aufzutreiben?

Das und eine ganze Menge mehr. Ich bin unabhängiger Filmproduzent. Das bedeutet, dass ich alles mache. Ich finde und entwickle das Material, ich suche die Schauspieler und finde den Regisseur. Ich besorge das Geld, überwache die Produktion. Und zum guten Schluss muss ich den fertigen Film auch noch verkaufen, ihn in den Verleih bringen. Mit hoffentlich hinreichend Profit, damit ich weitermachen kann. Geht man auf eine höhere Ebene, Richtung Hollywood, werden die Budgets größer, und die Arbeit der Produzenten wird etwas einfacher. Aber da bin ich nicht. Insofern muss ich wirklich alles, was anfällt, selbst machen.

Das klingt nicht besonders glamourös und aufregend, sondern nach einem harten Job.

[lacht]. Nein, besonders glamourös ist das nicht. Die Zeiten mag es gegeben haben, aber die sind vorbei. Die Mühen dankt einem niemand, dafür bekommt man die gesamte Schuld aufgehalst, wenn etwas schiefgeht. Aber aufregend ist das Produzieren schon. Ich mache das ja schon einige Jahre – und immer noch gern. Wenn ich über meinen Job spreche, dann wirklich mit Respekt.

Wie schwierig war es oder ist es, solche Top-Leute zu bekommen wie Alec Baldwin?

Mein erster Film mit Alec Baldwin war „Seduced and Abandoned“, eine Quasi-Dokumentation über die Festspiele in Cannes und die Hindernisse des Filmbusiness. Über die Arbeit an diesem ersten Film wurden wir Freunde. Als ich dann beschloss „Blind“ zu drehen, war Alec meine erste Wahl, und er sagte dankenswerterweise zu. Das Drehbuch gefiel ihm, und wir legten los. Ich weiß aber: Ohne den direkten und persönlichen Kontakt zu den großen Schauspielern wird es schwierig oder aussichtslos.

Thomas Stiller erzählte mir das Gleiche. Er war mal an einem Film über das Leben des Stummfilmstars Anita Berber dran und dachte für die Hauptrolle an einen ganz bestimmten US-Star. Aber er bekam auf seine Anfrage noch nicht einmal eine Antwort…

Ja, zumindest in den USA ist das Filmgeschäft ein geschlossenes System. Dort hinein zu kommen, ist extrem schwierig. Da brauchst du jemanden, der dir den Weg ebnet – oder extrem viel Geld. Als unabhängiger Produzent habe ich beides nicht. Ich kann ja nur einen Bruchteil davon bezahlen, was die großen Stars normalerweise verdienen. Entsprechend zurückhaltend sind die Agenturen, ihre Stars in Independent-Filme zu bringen. Der Agent bekommt nämlich einen festen Prozentsatz vom Einkommen seines Klienten. Erfolg bei der Verpflichtung eines großen Stars hast du nur, wenn dein Skript so stark ist, dass sich die angesprochenen Schauspieler dem nicht entziehen können. Mit Geld kann ich da nichts erreichen.

In den USA ist das Filmgeschäft ein geschlossenes System.
Dort hinein zu kommen, ist extrem schwierig.

Ich bin unabhängiger Filmproduzent. Das bedeutet, dass ich alles mache.

Was ist dein Motiv, einen Film nach dem anderen zu drehen? Ist es der Traum, irgendwann den Film zu machen, der buchstäblich durch die Decke geht, oder treibt dich etwas anderes an?

Ich glaube schon, dass jeder Filmemacher von dem einen ganz großen Erfolg träumt. Sicherlich auch von den Oscars oder zumindest von einer Nominierung. Mir jedenfalls geht es so. Aber genauso aufrichtig geht es mir darum, gute Filme zu machen, die unsere Zuschauer zum Nachdenken bringen und sie inspirieren. Auch der wirtschaftliche Erfolg muss stimmen, schließlich heißt das Ganze nicht umsonst „Film-Geschäft“! Wenigstens die Investitionen wieder hereinzuholen, ist schon eine große Motivation. Ich schiele also schon in Richtung bedeutender Preise, achte auch auf die wirtschaftlichen Aspekte. Vor allem aber will ich einen guten Film machen.

Wolltest du immer schon Filme produzieren?

Bereits als Teenager war ich gerade zu besessen von Filmen. Mir war klar: Das will ich später einmal machen! Als ich aus dem College kam, hatten mein bester Freund und ich ein Skript in der Hand. Wir losten aus, wer es produzieren und wer es inszenieren würde. Er wurde der Regisseur – mir blieb die Rolle des Produzenten. Sandra Bullock spielte die weibliche Hauptrolle bevor sie danach zum Superstar wurde. Das hat dann auch mir sehr geholfen.

Gemeint ist der Film „Love Speed“ von 1989, Regie: Daniel Adams

Deine Eltern waren berühmt für Ihre Dinner-Partys. Stars aus Film, Musik und Theater, Politiker, Sportler, Literaten, Milliardäre – alles war bei euch zu Gast. Wann wurde Dir bewusst, dass solche Abende durchaus nichts Alltägliches sind?

Ja, das ist wahr. Die Abendgesellschaften meines Vaters und die Gäste waren durchaus interessant. Aber seine Helden waren weniger die Sportler oder Schauspieler, sondern die Schriftsteller. Für ein Kind ist das nichts Besonderes – es kommen halt Freunde deiner Eltern zu Besuch. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, als ich bemerkte, dass es ganz besondere Menschen waren.

Berühmt war dein Vater für seine Bücher, seine dezidierten politischen Ansichten und auch für seine Streitigkeiten mit anderen Schriftstellern. Er hat aber auch ein paar Filme gedreht. Was hältst du von denen?

In den sechziger Jahren hat er drei Underground-Filme mit talentierten Kameraleuten gedreht. Revolutionäre Leute! Mein Vater steuerte teilweise abenteuerliche Ideen bei. Beim letzten dieser drei Filme, „Maidstone“, habe ich als Vierjähriger mitgespielt. Durchaus verstörend. In der letzten Szene versucht Rip Torn meinen Vater mit einem Hammer umzubringen, und ich bin der kleine schreiende Junge vor der Kamera. Seither habe ich Schwierigkeiten, den Film zu sehen. Viele Jahre später drehte mein Vater einen Film namens „Tough Guys Don’t Dance“ *), eine Adaption eines seiner eigenen Bücher. Mit Ryan O’Neal, Isabella Rossellini. Schon etwas Mainstream – und seiner Zeit weit voraus im Tarantino-Stil – lange Zeit bevor es Quentin Tarantino gab. Leider war das Publikum darauf nicht vorbereitet, so dass der große Erfolg ausblieb. Es hat schon seinen Grund, dass mein Vater für sein Schreiben und nicht für sein Filmen berühmt geworden ist [lacht].

*) 1988, deutscher Titel:
„Harte Männer tanzen nicht“.

Keith Carradine erzählte mir dieser Tage, dass die Kunst des Schauspielers darin liege, „Dinge glaubhaft zu machen“, also: „to make things believe“. Siehst Du das genauso?

Das hängt vom Film ab. Wenn man einen Film auf der Suche nach dem Unglaublichen, nicht Realen anschaut, entzieht man sich der Wirkung des Films – und bringt sich um das Erlebnis. Lässt man die Arbeit guter Schauspieler auf sich wirken, ohne nach den Fehlern im Film zu suchen, ja, dann lässt dich deren Arbeit manches glauben. Ich habe inzwischen ein geschultes Auge und schaue immer: Wie wurde die Szene beleuchtet, wo waren die entscheidenden Schnitte? Aber wenn der Film wirklich gut ist, kann auch ich den Profi-Blick abstellen und mich ganz dem Film hingeben. Man ist dann Teil der Story. Phantastisch!…

Wie wichtig ist dir die Musik eines Films?

Extrem wichtig! Eine gute, perfekt passende Musik kann den ganzen Film noch einmal entscheidend nach vorn bringen. Umgekehrt kann schlechte Musik den Film beschädigen, ihn vielleicht sogar zerstören. Musik kann bestimmte Szenen in einem Film unvergesslich machen, sie kann Schwächen in der Erzählung überdecken, aber sie kann auch zu dominant sein und stören. Die Auswahl der richtigen Musik in der richtigen Dosierung ist wirklich schwierig, ja, sogar kritisch.

Bevorzugst du bestehende Musik von Klassik bis Pop – oder ist es dir wichtig, dass ein Soundtrack extra für den Film geschrieben wird?

Es ist etwas ganz Besonderes, wenn Menschen für deinen Film einen eigenen Soundtrack schreiben. Andereseits gibt es wunderbare Stücke, Titel oder Songs, die auf den Punkt die Stimmung beschreiben, die ich gerade darstelle oder beim Betrachter erzeugen will. Ist der Titel perfekt und kann ich ihn mir leisten, kaufe ich die Lizenz – und freue mich.

Politik interessiert mich persönlich sehr, sie ist in meinem Geschäft aber nicht die treibende Kraft.

Schaue ich bestimmte Netflix-Filme, erfreue ich mich immer an Songtiteln aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern. Treffen die dann auch noch exakt meine Stimmung, greife ich nach dem passenden Drink – Wodka Stinger hier, Horseneck da – und bin hin und weg…

Natürlich! Die großen Popsongs transportieren Gefühle, erzählen Geschichten und wecken Erinnerungen. Verschmilzt all das mit der Erzählung des Films, nun, dann ist das einfach perfekt! Insbesondere Filme, die in einer bestimmten Zeit spielen, können davon profitieren. Zeitgenössische Filme auch, allerdings eher durch den entstehenden Kontrast. Wie gesagt: die Kunst ist, die richtige Wahl zu treffen. Verallgemeinern kann ich da nichts, außer dass Musik unglaublich wichtig für einen Film ist.

Wie wichtig ist dir die Authentizität der Drehorte? Du hast mir vor dem Interview von einem Filmprojekt im Iran erzählt. Musst oder wirst Du diesen Film im Iran drehen?

In diesem speziellen Fall geht es ausschließlich um den Iran. Ich habe noch zu Zeiten Obamas die Erlaubnis erhalten, im Iran zu arbeiten, deshalb werde ich diesen Film auch an Original-Schauplätzen im Iran drehen. Im kommenden Jahr verfällt diese Erlaubnis, und unter der Trump-Administration wird es keine weiteren Lizenzen dieser Art geben. Für mich ist dieser Film die Möglichkeit, das amerikanische Publikum in den Iran zu bringen. Ein Land voller Farben und Lebensfreude. Ich fürchte, dass die meisten Amerikaner eine vollkommen andere Vorstellung von
diesem kulturell so reichen Land haben. Du hattest sie ja auch, bevor du dort warst.

Stimmt. Ich hatte eine Vorstellung, als müsste ich mich in das Warschau des Jahres 1984 begeben. Alles grau in grau und schwer depressiv…

Idealerweise wird dieser Film eine tolle Geschichte erzählen und Erfolg haben, aber auch als eine Art Brücke zwischen der amerikanischen und der iranischen Kultur funktionieren.

Dein Vater war ein sehr politisch denkender und handelnder Mann. Bist du wie er der Meinung, dass alles, was man tut, politisch ist oder es wenigstens sein sollte?

Zumindest bin ich sehr an Politik interessiert, ganz besonders in Zeiten wie diesen. Stoße ich irgendwann einmal auf einen überzeugenden Stoff für einen politischen Film, werde ich nicht zögern, den auch zu machen. Daran merkst du, dass Politik mich persönlich sehr interessiert, sie in meinem Geschäft aber nicht die treibende Kraft ist. Filme sind für mich in erster Linie Charakterstudien und Abbilder der menschlichen Natur.

Würdest du auch erwägen, Politiker zu werden? Dein Vater trat zweimal als Bürgermeisterkandidat für die Stadt New York an…

Stimmt, und das werde ich niemals tun [lacht]!

Der Verlust hat mir geholfen, die Dinge wirklich ernst zu nehmen.

Du hast acht Geschwister…

Mein Vater war sechsmal verheiratet und wir sind neun Geschwister. Somit sind die meisten meiner Geschwister Halb-Geschwister, und die Familie ist unglaublich groß.

Und jeder von euch ist in irgendeiner Weise Künstler geworden?

Unglücklicherweise, ja. Kein Banker, kein Anwalt, kein Arzt – niemand, den man gebrauchen könnte [lacht]. Gut, meine älteste Schwester ist Wissenschaftlerin geworden. Aber der ganze Rest schreibt und spielt.

Der Kontakt untereinander ist gut?

Wir leben alle mehr oder weniger in New York, und dort läufst du dir permanent über den Weg. Darüber hinaus habe ich aber ein wirklich gutes Verhältnis zu all meinen Schwestern und Brüdern.

Viele Menschen, die in New York leben, scheinen daraus eine Art Glaubensbekenntnis zu machen. Warum ist das so?

New York ist wirklich ein ganz besonderer Platz auf dieser Erde. Und wenn du dort geboren oder aufgewachsen bist, kannst du dir einfach keinen besseren Ort vorstellen. Ich war eine Zeit lang hin und hergerissen zwischen Los Angeles und New York. Los Angeles ist nicht nur meiner Arbeit wegen wunderbar, aber New York ist einfach besser. Als dort Geborener trägst du New York auch immer irgendwie in dir.

Denke ich an Riesenstädte wie New York, bin ich mir nicht sicher, ob die Masse Mensch mich anonym macht oder besonders inspiriert. Was ist New York für Dich?

In erster Linie ist diese Stadt einfach mein Zuhause – und dann eine Art Energiespender. Die Energie dieser Stadt ist einfach unglaublich! Mitunter wird mir das einfach zu viel, ich muss etwas allein sein und fahre weg. Komme ich dann zurück, ist es so, als stecke man einen Stecker in die Wand: Das passt einfach! Aber ich kann mir vorstellen, dass diese Stadt für Besucher überwältigend im Wortsinne sein kann. Natürlich hat sich die Stadt seit meiner Kindheit gewaltig verändert. Es gibt keine Straßenkriminalität mehr, keine gefährlichen Ecken, schon gar keine Ghettos. Heute ist alles gentrifiziert und unglaublich teuer. Das macht die Stadt besser – und in vielerlei Hinsicht sehr viel schlechter. Als ich meine Laufbahn begann, sollten Teile eines Films in Brooklyn gedreht werden. Da hieß es: Mein Gott, du kannst unmöglich in Brooklyn drehen! Bevor du auch nur ein Bein aus dem Taxi gesetzt hast, bist du ausgeraubt und ernstlich verletzt. Aber niemandem ist etwas passiert. Der Teil von Brooklyn, in dem wir damals drehten, war schlicht und einfach ein Slum. Neulich war ich wieder da – und habe es nicht wiedererkannt. Restaurants, Cafés, Bioläden, Barber Shops, Mütter mit Lastenrädern und riesigen Kinderwagen: Hipster-Disneyland! In meinen wildesten Träumen hätte ich mir das vor 40 Jahren nicht vorstellen können.

Wenn du nun drei Filme nach Büchern deines Vaters drehst – wäre es auch vorstellbar, einen Film nach einem Buch von Gore Vidal zu drehen? Der ewige Streit zwischen Deinem Vater und Vidal ist legendär…

Ich hätte damit kein Problem. Alle sprechen immer von dem berühmten Streit, der Schlägerei, den Gerichtsprozessen. Kaum einer weiß, dass die beiden am Ende eine enge Freundschaft verband. Mein Vater besaß ein Haus auf Cape Cod, und Gore war häufig für ein paar Tage da. Menschliche Kraftwerke wie Vidal und Mailer hassen und lieben mit Inbrunst, manchmal ein und dieselbe Person. Ich denke, dass es so zwischen den beiden gewesen ist, immer schon. Eines möchte ich zum Schluss noch loswerden: Ich habe ja erzählt, wie ich als Vierjähriger zum Film gekommen bin. Zu Tode erschrocken, weil Rip meinen Vater töten wollte. Diesen Kreis habe ich geschlossen und einen Film mit ihm gedreht.

Ist dein Leben glücklich?

Absolut. Ein Leben mit Höhen und Tiefen, aber ein glückliches. Das Filmgeschäft wird nicht einfacher, Netflix sei Dank, aber ich komme zurecht. Auch Regie zu führen, hat mir gut getan. Ein wenig so, als hätte ich mich neu erfunden. Ich weiß nicht, ob ich am Ende meiner Entwicklung stehe, jeder Tag ist anders. Nicht jeder Tag ist gut, aber wenigstens sind die meisten Tage nicht schlecht.

Wie wichtig ist das Filmfest in Oldenburg für Leute wie dich?

Sehr wichtig! In den USA nennen wir es das europäische Sundance-Festival*). Vor allen Dingen ist es wichtig, dass immer wieder für Film, für Kino geworben und gearbeitet werden wird. Das macht Torsten Neumann in einzigartiger Weise. Und dafür kann man ihm nicht genug danken.

Ich danke dir für das Gespräch.

*) Das jährliche Sundance Film Festival in Park City im amerikanischen Bundesstaat Utah wurde 1978 unter maßgeblicher Mitwirkung von Robert Redford gegründet und ist mittlerweile eine der wichtigsten Plattform für unabhängige Produktionen.

Kategorie: Lebensart
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