Kultur FASZINATION NEPAL TEIL 1
FASZINATION NEPAL TEIL 1
Durchhalten, Demut, Dankbarkeit: Faszination Nepal
Teil 1: Ein Erlebnisbericht von Friederike und John Nielsen
Die Buchungen dieser Reise erfolgten großenteils über AT-Reisen in Leipzig (at-reisen.de). Allerdings kann das Reisebüro nicht für den reibungslosen Ablauf der Reise garantieren. Den Umständen im Lande geschuldet, kann es während der Reise immer wieder zu Verzögerungen, Routenänderungen und organisatorischen Problemen kommen. Die Tagesetappen und Übernachtungen in Lodges dienen nur als Richtwert. Die Reiseleiter und die nepalesischen Guides können die im Programm angegebenen Lodges jederzeit ändern und den aktuellen Weg- und Wetterverhältnissen oder dem Zustand der Reisegruppe anpassen. Abenteuerlust und die Bereitschaft, auf Komfort zu verzichten, Toleranz und Geduld zu üben, sind für diese Reisen Voraussetzung. Eine Reisekosten-Rücktrittsversicherung mit Reiseabbruch-Versicherung oder das AT-Reisen Reiseschutzpaket sind ebenfalls unverzichtbar. Eine Gelbfieberimpfung ist vorgeschrieben, eine Auffrischung der Standardimpfungen dringend empfohlen. Die intensive Sonneneinstrahlung sorgt tagsüber für Wärme, aber nachts sinken die Temperaturen bis zum Gefrierpunkt, in größeren Höhen sogar bis -10 Grad Celsius..
Fotos: Friederike und John Nielsen
Ein Reiseabenteuer, das ein ganzes Leben auf den Kopf stellen und in völlig neue Bahnen lenken kann – mindestens aber unvergesslich bleibt: Im März diesen Jahres waren das Oldenburger Ehepaar Friederike von Krosigk und John B. Nielsen im Himalaya unterwegs. Ihr Reisetagebuch ist ein Dokument gigantischer Eindrücke und großer Gefühle. CHAPEAU veröffentlicht ihre Story in zwei Teilen.
Ausgangspunkt unserer Tour ist Nepals pulsierende Hauptstadt Kathmandu – ein Ort der Widersprüche. Beim Anflug mit dem Flugzeug vermitteln uns die farbenfroh angestrichenen Häuser den Eindruck einer richtig bunten Stadt. Aber erst einmal gelandet, sehen wir die dicke Staubschicht auf den Straßen, die zumeist nur unzureichend befestigt sind. Aber auch auf den sandigen Wegen herrscht reger Verkehr. Unmengen an Menschen sind unterwegs, meist zu Fuß, auf Motorrädern oder in vollkommen überfüllten Mini- und Omnibussen. Offenbar sind es zu viele Passagiere, um den Busfahrer mit dieser Menge an Leuten allein zu lassen. Jeder Bus hat einen gesonderten Einweiser, der dem Fahrer durch Schläge an die Buswand alle möglichen Signale übermittelt – zum Beispiel, dass alle Mitfahrenden ihren Platz gefunden haben, dass er rückwärts freie Fahrt hat oder auch, dass gerade eine Kuh im Weg liegt.
Uns bleiben sowohl die Verkehrsregeln wie auch die Orientierung in dieser Stadt ein Rätsel. Es gibt weder Straßennamen noch sonstige Hilfen, um sich zurechtzufinden. Dafür spüren wir sehr schnell, wie sich der Staub auf unsere Atemwege legt. Eine Atemmaske ist hier dringend empfohlen. Dafür genießen wir anschließend die Übernachtung im Hyatt, dem besten Hotel der Stadt. Wir nutzen sämtliche Annehmlichkeiten, denn wir wissen ja, dass es die letzte komfortable Nacht für eine längere Zeit sein wird. Tatsächlich geht es am folgenden Morgen, den 5. März, bereits um fünf Uhr auf die Fahrt in den knapp 130 Kilometer entfernten Ort Aarughat. Die Fahrt ist abenteuerlich, denn die Straße ist über weite Strecken noch im Bau, und der Zustand der restlichen Straße erbärmlich. Es geht durch unbefestigte, 30 bis 40 Zentimeter tiefe Rinnen. Dennoch zeigt sich trotz allen Improvisierens mit Geräten und Maschinen, dass man hier nicht weniger präzise arbeitet als in der Schweiz. Um die Wege vor dem Geröll aus den Abhängen zu schützen, stellt man Hangbefestigungen in Handarbeit her: Aus Draht werden Quader in einer Größe von etwa einem Kubikmeter gedreht und geflochten, diese füllt man mit großen Steinen. Die so entstandenen Steinschlag-Bollwerke werden akkurat nebeneinander am Hang positioniert.
Der Manaslu Trek führt von Aarugath über das Manaslu Base Camp (4.750 m) und den Larke Passes (5.206 m) bis runter nach Bhulbule.
Die Fahrt vermittelt uns viele, wenn auch flüchtige Einblicke in das nepalesische Alltagsleben. Wir fahren vorbei an abenteuerlich aussehenden Strommasten, an Fahrrädern, die mit hochgestapelten Kisten und Körben beladen sind, an bunten Trucks mit Aufklebern wie „Road King“ oder an Straßenständen mit völlig ungekühlten Obst-und Fleischauslagen. Viele Menschen sind zu Fuß unterwegs, stehen in Gruppen zusammen und sind immer miteinander in Gespräche vertieft. Uns fallen die intensiv farbigen Kleider der Frauen auf – überwiegend in Rot- und Orangetönen. Wunderschön. Dann fängt es zu regnen an, aber zum Glück erst gegen Ende der Fahrt. Wäre die Straße aufgeweicht, hätten wir sicher öfter mal aussteigen und das Auto durch den Schlamm schieben müssen. Die Reifen jedenfalls haben kaum noch Profil. Der 6. und der 7. März bescheren uns die ersten Wandertage. Es geht von Aarughat nach Macha Khola. Drei bis vier Stunden am Tag auf etwa 700 Höhenmetern. Angesichts der noch bevorstehenden Strapazen in schwindelerregenden Höhen ist das hier ein lockeres Einwandern. Das Dorfleben kommt uns recht ursprünglich vor, aber verglichen mit späteren Eindrücken ist es sogar recht modern. Wir treffen kleinere Grüppchen von Schulkindern. Darunter sind auch Vier- bis Fünfjährige, die sich ohne Begleitung der Eltern zusammen auf den teils zwei Stunden langen Schulweg machen. Die Schulpflicht in Nepal gilt von sechs bis 16 Jahren, aber auf dem Land gehen wohl trotzdem nicht alle Kinder zur Schule. Immerhin empfindet keiner der Schüler, mit denen wir gesprochen haben, die Schulpflicht als Bürde, sondern als Privileg. Für sie ist Bildung ist der Schlüssel zum möglichen Wohlstand.
Überhaupt sind die Kinder in Nepal schon sehr früh selbstständig. In den Bergregionen sehen wir später noch Zwei- bis Dreijährige allein an steilen Abhängen spielen, ohne dass ein Erwachsener aufpasst. Die Kleinen wissen offenbar schon, dass Toben keine gute Idee ist, wenn es gleich nebenan 400 Meter steil den Abhang runter geht….
Danach geht es auf die dreitägige Etappe bis Lho. Und, okay, jetzt wird es echt anstrengend, teilweise auch nicht ungefährlich. Die Tagesstrecken werden deutlich länger. Schon im normalen Gelände sind 24 Kilometer Fußmarsch nicht ohne. Jetzt müssen wir dazu auch noch deutlich über 1000 Höhenmeter überwinden – und kommen mehrfach kräftig ins Schwitzen. Wir wandern auf und ab über schmale Pfade und steigen unglaublich viele, äußerst unregelmäßig gesetzte Steintreppen hoch und runter. Da ist Trittsicherheit gefragt. Erschwerend kommen die Maultierkarawanen hinzu, denen wir an den engen Stellen der unbefestigten Strecke immer wieder ausweichen müssen. Maultiere sind das einzige Transportmittel in dieser Region, und sie sehen in der Begegnung mit Menschen nicht unbedingt einen Grund, anzuhalten oder beiseite zu treten. Man tut gut daran, sie passieren zu lassen, indem man sich mit dem Rücken an den Berg stellt – bitte nie auf die Abhangseite hinstellen! Besser, man schaut noch mal, ob Maultiere im Anmarsch sind, bevor man an eine der vielen Engpässe am Weg kommt. Die Maultiere werden fast ausnahmslos von drahtigen, verwegen aussehenden Männer getrieben. Die spornen die Tiere mit einem charakteristischen Pfeifen an, und wenn das nicht ausreicht, behelfen sie sich mit Steinen, die sie am Straßenrand aufgesammelt haben. Die befördern sie mit einem gut gezielten Wurf auf das Leittier auf der Gruppe.
Nach rund 400 erklommenen Höhenmetern in praller Sonne wird uns richtig mulmig zumute. Der Weg führt plötzlich über eine 60 Meter lange Steinschlagstelle. In dieser Geröllwand ist der Pfad gerade einmal 30 Zentimeter breit – definitiv keine Stelle, an der man mit Maultieren zusammentreffen will. Wir wandern mit unserer guten Ausrüstung über teilweise rutschige Steilwände, müssen aber demütig zur Kenntnis nehmen, dass wir immer wieder von älteren Frauen und Männern in Flipflops oder Latschen locker überholt werden. Die tragen auch noch Körbe mit 30 oder 40 Kilogramm Inhalt und halten das Gewicht über ein Band an der Stirn. Besonders ein paar alte Frauen werden uns im Gedächtnis bleiben, die in den Körben frischgeschlagenes Holz mitschleppen. Oder die beiden alten Männer, die in Drahtkörben rund ein Dutzend lebende Hühner über drei Tage zum nächstgelegenen Markt tragen. Und der alte Mann, der über zehn Stunden lang Körbe voller Ziegelsteine zu einer Baustelle schleppt. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Menschen seit Geburt an die Höhe gewöhnt sind und schon im Kindesalter gelernt haben, schwere Lasten zu tragen, bleibt ihre Leistung bis ins hohe Alter überaus beeindruckend.
Man sagt, dass überall Frieden herrsche, wo die typischen tibetischen Gebetsfahnen hängen.
Die Manaslu-Region ist erst vor 15 Jahren für den Tourismus freigegeben worden, und wir sind froh, sie noch so ursprünglich zu erleben. Wir kommen durch viele Ortschaften, die sich für den erwarteten Touristenansturm rüsten. Vielerorts werden Lodges gebaut, und wir sind sicher, dass viel von der Authentizität verloren gehen wird, wenn die geplante Straße erst einmal fertig gestellt ist – so wie es in der Region Annapurna teilweise schon der Fall ist.
Verübeln kann man den Menschen den Wunsch nach Fortschritt nicht. Das Leben in den Ortschaften ist hart und anstrengend, das Wort vom leicht verdienten Geld trifft auf Nepal definitiv nicht zu. Gepflügt wird mit einem Ochsengespann, Frauen sitzen auf einem Baum und schlagen mit einer Axt Holz, das sie dann einsammeln und in Körben nach Hause tragen. Stahlstäbe für den Bau werden per Hand mithilfe von Hämmern gebogen; Ziegel werden in Handarbeit geformt, gebrannt und in den obligatorischen Körben transportiert; Wolle wird mit Spindeln gesponnen und auf hölzernen Webstühlen verarbeitet; Fleisch wird in der Sonne getrocknet. In den Bergregionen gibt es nur eine Wasserstelle pro Dorf. Dort erledigt man die Körperpflege, die Wäsche und den Abwasch, aber auch das Vieh wird hier versorgt. Die Wasserstelle ist der zentrale Punkt eines jeden Dorfes. Hier wird kommuniziert, gelacht und gemeinsam erlebt. Überall sehen wir lachende Kinder, treffen auf warmherzige Erwachsene und genießen ihre unglaubliche Gastfreundschaft. Auf dem weiteren Weg kommen uns Wanderer entgegen, die umkehren mussten, weil der Larke Pass und die Gegend um Lho aufgrund von Schneefall gesperrt wurden. Wir entschließen uns dennoch, weiter zu gehen – zumindest so weit es geht. Die grandiose Landschaft mit ihren Ausblicken auf die Sieben- und Achttausender sind uns jeden Schritt wert. Kurz vor Lho treffen wir am 12. März tatsächlich auf die ersten Schneefelder, und in Lho ist dann endgültig Endstation. Die eigentlich geplante Route hätte über den zirka 5100 Meter hohen Larke Pass geführt und wäre rund 210 Kilometer lang gewesen.
Das Dorf Lho im Distrikt Gorkha liegt 3.180 Meter hoch und hat etwas mehr als 700 Einwohner. Der Ort bezaubert uns auf Anhieb. Von hier genießen wir den atemberaubenden Ausblick auf den Manaslu, achthöchster Berg der Welt und mit 8.163 Metern einer der 14 Achttausender im Himalaya. Im Sonnenlicht erstrahlt er im Weiß des Schnees, und am Nachmittag spielt er Verstecken mit den Wolken. Wenn man früh genug aufsteht und Glück hat, erlebt man hier eines der schönsten Naturschauspiele der Welt: den Sonnenaufgang über Manaslu, Larke Peak und Naike Peak. Wir haben Glück, alles passt. Der Sonnenaufgang ist atemberaubend schön, es sieht aus, als fließe pures Gold den Berg hinab. Für eine halbe Stunde steht hier die Welt still, und wir bewundern einfach nur ihre majestätische Schönheit. Aber auch das Dorfleben in Lho ist faszinierend. Hier kennt jeder jeden, und der Alltag in der kleinen Gemeinschaft lässt daran denken, wie es wohl auch bei uns vor 150 Jahren zugegangen sein könnte. Generationen leben auf engstem Raum zusammen, und so weit wir es beurteilen können, helfen sich alle gegenseitig. Ehepaare können nicht lange streiten, da sie alle Arbeiten gemeinsam verrichten – vom Bearbeiten des Feldes über Holzsammeln bis zum Spinnen. Alles muss bei Tageslicht erledigt werden, und wenn sie nicht harmonieren, haben sie im Winter kein Holz und keine Vorräte.
Die Kinder sind ungewaschen, spielen aber den ganzen Tag unter freiem Himmel ausgelassen mit dem, was die Natur ihnen bietet. Die Frauen durchforsten gegenseitig ihre Kopfhaare nach Läusen – oder sie wandern mit ihren schnurlosen Telefonen im Dorf herum und suchen nach einer Stelle für den besten Empfang. Männer tragen frisch geschlachtetes Vieh zur Weiterverarbeitung, und über allem wehen die typischen tibetischen Gebetsfahnen. Man sagt, dass überall Frieden herrsche, wo diese Fahnen hängen. Vielleicht sollten wir alle davon welche aufhängen? Wir jedenfalls erleben diese Momente inneren Friedens mit Dankbarkeit. Bei der Erkundung des Dorfes und seiner Umgebung stoßen wir auf eine große und sehr schöne Ansammlung von Mani-Mauern. An diesen Gebetsmauern werden gravierte Schiefertafeln zum Gedenken an Verstorbene aufgeschichtet. Man hat die Tafeln nicht in Reihe aufgestellt, sondern ungeordnet aneinander gelehnt in Gedenken an die Menschen, wie sie als Lebende miteinander verwoben waren.Es ist der 13. März – Zeit für den Rückweg nach Aarghurat. Bereits bei unserer Ankunft in Lho hatten wir sehr hoch fliegende Helikopter gesehen und beobachtet, wie ein Transporthubschrauber oberhalb des Dorfes gelandet ist. Da wir wenig Lust haben, den ganzen Weg mit seinen gefährlichen Stellen wieder herunterzulaufen, haben wir angefragt, wohin dieser Hubschrauber fliegt – und siehe da: Es stellte sich heraus, dass sein Ziel ganz in der Nähe von Aarghurat liegt. 160 Euro kosten die vier Plätze für uns, unseren Guide und den Träger. Auf dem Flug sitzen wir im Frachtraum auf leeren Kanistern und erfahren, dass unser Pilot nicht nur ein cooler Typ, sondern in Tibet eine Legende ist. Er hat die höchste Bergrettung am Mount Everest mit einem Helikopter geflogen – ein absoluter Profi! Die Strecke, für die wir auf dem Hinweg sechs schweißtreibende Tage benötigt haben, schafft der Heli in 40 Minuten. Wir bewundern das atemberaubende Panorama, und nach der Landung gehen wir noch eine knappe Stunde zu Fuß nach Aarghurat.
Auf ihrer zweiten Wanderung begeben sich Friederike von Krosigk und John B. Nielsen auf den Poon Hill Trek. Den Bericht drucken wir in der nächsten CHAPEAU-Ausgabe.
Schwierigkeitsgrad – Anspruchsvoll
Tagesetappen – bis 9 Stunden (reines Wandern)
Höhenmeter am Tag – bis max. 1400 m
Anforderung – Trittsicherheit und schwindelfrei absolut notwendig.