Reisen Normandie

Normandie

Wo der Wind so rau und die Landschaft so umwerfend ist

Wo der Wind so rau und die Landschaft so umwerfend ist

Text: Torsten Könekamp

Beim Wort Normandie denken viele an Kreidefelsen, an Le Mont-Saint-Michel oder an den „D-Day“ und die Landung der Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Doch die Region am Ärmelkanal gehört mit ihrer langen Küstenlinie zu den abwechslungsreichsten Gegenden Frankreichs. 

Info – Die Region Normandie im Norden Frankreichs ist etwa 30.150 km2 groß. Das historische Herzogtum Normandie entstand 911 n. Chr. als Staat aus einem Vertrag zwischen dem west- französischen Kaiser Karl III. mit dem Wikingerhäuptling Rollo. Die Wikinger hatten das Gebiet seit 820 mehrfach überfallen und Siedlungen gegründet. In Folge der normannischen Eroberung Englands 1066 waren die Herzöge der Normandie bis 1204 auch die Könige von England. Während des Hundertjährigen Krieges kam die Normandie unter französische Herrschaft. Infolge der Französischen Revolution wurde die Region geteilt und erst 2016 wiedervereinigt. 

Die Alabasterküste

Wer Frankreich mag, wird die Normandie lieben. Beeindruckende Landschaften wechseln sich ab mit geschichtsträchtigen Monumenten. Malerische Strände und wundervolle Dörfer laden zum Verweilen ein. Die Region teilt sich in die Haute-Normandie nördlich von Paris und die Basse-Normandie etwas weiter westlich. Wer für eine kleine Rundreise über Paris anreist, beginnt am besten in der Haute-Normandie mit der malerisch schönen Alabasterküste. 

„Die Alabasterküste: ein Zauber aus Kreide und Feuerstein.“

Die Alabasterküste mit ihren bis zu 100 Metern steil abfallenden Kreidefelsen erstreckt sich im Osten der Normandie von Le Tréport bis Le Havre. Weiß, gold-gelb oder in sanftem Orange leuchten die Kreidefelsen im sich ständig verändernden Licht. Für Kontraste im Gestein sorgen wechselnde Schichten aus schwarzem Feuerstein und weißer Kreide. Motive dieses besonderen Küstenabschnitts begeisterten die Maler des Impressionismus immer wieder. Die Küste unterliegt einem ständigem Wandel, die Kreidefelsen ringen mit Wind, Wellen und der Kraft der Gezeiten um jeden Zentimeter Land. Verborgene Schluchten, „Valleuses“ genannt, sind die Geheimtipps der Alabasterküste. Wo sich vor Jahrmillionen Flussläufe in das Kreideplateau Pays de Caux gruben, führen heute versteckte Pfade zu malerischen Buchten oder kleinen Fischerdörfern. Die „Valleuse de Vasterival“ oder die „Valleuse des Moutiers“ in Varenge- ville-sur-Mer zählen zu den schönsten. Ihre wilden Strände stehen im klaren Kontrast mit dem tiefen Blau des Meeres. Die Höhenunterschiede jedoch sind eine Herausforderung. Die „Valleuses“ sind nur über Treppen oder einen steilen Abstieg zu erreichen. Bequemer geht es mit der Seilbahn in Le Tréport. Von den Felskippen aus kann man aus 100 Metern Höhe das atemberaubende Panorama genießen und dann zum hübschen Fischereihafen an der Spitze der Normandie herunterfahren. 

Wer die ganze Schönheit der Alabasterküste erfassen will, muss sie erwandern. Der 190 Kilometer langen Küsten-Wanderweg GR21 bietet grandiose Ausblicke und viele Überraschungen. Die Fischer von Quiberville-sur-Mer fahren noch wie im 19. Jahrhundert mit flachen Booten zum Schollenfang hinaus. In Veules-les-Roses genießen Reisende die normannische Auster „La Veulaise“. Seebäder wie Saint-Valéry-en-Caux, das berühmte Étretat oder die größte Hortensiensammlung der Welt in Varengeville-sur-Mer schaffen unvergessliche Urlaubsmomente.

Die historische Altstadt von Rouen

Von April 2021 bis Juni 2022 feiert die Normandie den 200. Geburtstag des Schriftstellers Gustave Flaubert, der am 12. Dezember 1821 in Rouen geboren wurde. Flaubert lebte bis zu seinem Tod 1880 auf einem Anwesen in der bei Rouen gelegenen Stadt Canteleu, und im Pavillon mit Blick auf die Seine schrieb er Weltliteratur. Im Roman „Madame Bovary“ verarbeitete Flaubert 1856 die tragische Geschichte der Arztgattin Delphine Delamare, die sich im Dorf Ry vergiftete. Ein Literarischer Rundwanderweg führt auf den Spuren von „Madame Bovary“ über 12 Kilometer durch das Pays de Caux. Für die Verfilmung des Klassikers wählte Regisseur Claude Chabrol 1991 das Dorf Lyons-la-Forêt mit seinem großen Buchenwald. 

Die normannische Blumenküste war ab Mitte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebendiger Treffpunkt für modernen Zeitgeist. Vertreterinnen und Vertreter aus Kunst, Musik, Literatur und Mode ließen sich von der besonderen Atmosphäre inspirieren und hielten sie in ihren Werken fest. Von Honfleur bis Cabourg entstanden schicke Seebäder wie Deauville; ehemals unbekannte Fischerdörfer wie Trouville verwandelten sich in Sehnsuchtsorte des Pariser Bürgertums. Die Küste und das besondere Licht an der Mündung der Seine boten Künstlern neue Motive. Boudin, auch „König der Himmel“ genannt, malte den Strand und das Meer von Deauville und Trouville, Daubigny den Alltag der Fischerfamilien in Villerville. Ihnen folgten Impressionisten wie Caillebotte oder Monet, die die normannische Atmosphäre an der Küste in schnellen Pinselstrichen festhielten. Und 1913 revolutionierte Coco Chanel mit ihrem ersten Modegeschäft an der Küste in Deauville die Bademode. Man bevölkerte die Strände mit breitkrempigen Hüten, Matrosenhemden aus Jersey und geringelten Badeanzügen. Bis heute weht der Wind der Sommerfrische entlang der Strandpromenaden von Trouville, Deauville, Houlgate oder Cabourg.

Vom Zauber der Blumenküste angezogen, eröffneten Alexandra und Grégory Guinard in einem Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert im Oktober 2019 das Hotel „Jardins de Coppélia“ : 20 Zimmer, drei Suiten, das Gourmet-Restaurant „Le Capucine“ und Frankreichs erstes Spa der Marke Garancia. Das Hotel ist eine Liebeserklärung an die Natur und die Architektur der Normandie. Aus Produkten in Bioqualität oder aus nachhaltiger Landwirtschaft zaubert das Team um Damien Frémont moderne und kreative Gerichte.

Eine Zeitreise in die Belle-Époque bietet das im April neu eröffnete Proust-Museum „Villa du temps retrouvé“ in Cabourg. Der Schriftsteller Marcel Proust verbrachte von 1907 bis 1914 jeden Sommer in Cabourg und schrieb hier seinen epochalen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. 

Westlich von Cabourg beginnt die Perlmuttküste mit der Bucht von Sallenelles. Mit ihren Dünen, der großen Sandbank und dem Fluss Orne bildet die Bucht ein Naturparadies im Rhythmus der Gezeiten. Am 6. Juni 1944 landeten hier britische D-Day-Truppen, heute ist die Bucht ein Paradies für Zugvögel. Krick-, Spieß-, Löffel- und Pfeifenten machen schnatternd Rast und profitieren vom reichen Speiseplan der Gezeitenbucht. In Ouistreham, dem Badeort von Caen mit seinem roten Leuchtturm, startet der Fernradweg „Vélofrancette“. Auf insgesamt 630 Kilometern führt er vom Ärmelkanal in der Normandie bis an die Atlantikküste nach La Rochelle. Von Ouistreham radelt man bequem am Orne-Kanal nur 15 Kilometer bis ins Stadtzentrum von Caen. 

Im Cotentin gestalten Wind, Meer, raue Klippen und weite Sandstrände eine Kulisse für den perfekten Outdoor-Urlaub. An der Westküste am Kap de la Hague türmen sich die Wellen hinter dem Leuchtturm von Goury auf und donnern an die Landspitze Nez de Jobourg. Im Osten des Cotentin bietet der 75 Meter hohe Granit-Leuchtturm von Gatteville Fischern und Seeleuten Orientierung. Wer seine über 300 Stufen hinaufsteigt, wird mit einem atemberaubenden Panoramablick über den Ärmelkanal und auf die Perlmuttküste belohnt. Etwas weiter südlich liegen die Fischerdörfer Barfleur und Saint-Vaast-la-Hougue mit der Insel Tatihou. Wilde Jakobsmuscheln, Austern und Miesmuscheln sind die gastronomischen Highlights. Im Norden der Halbinsel liegt die Hafenstadt Cherbourg-en-Cotentin. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts begannen eine halbe Million Auswanderer im Art-déco-Transatlantikhafen ihre Reise in die „Neue Welt“. Heute lädt das Museum Cité de la Mer an dieser Stelle ein zu einem Trip in die geheimnisvolle Welt der Tiefsee. Die Normandie ist neben der Bretagne Frankreichs wichtigste Region für die Herstellung für Cidre. Die Produktion des aus Äpfeln gewonnenen „Schaumweins“ wurde den Normannen schon von Karl dem Großen per Landgüterverordnung gestattet. Aber es macht einen Unterschied, ob man „Cidre Pays d’Auge“, 

Kulinarisches Highlight: Cidre und Camembert

„Cidre du Perche“ oder „Cidre Cotentin“ trinkt. Das Mikroklima, die Landschaft, die Apfelsorten und das traditionelle Handwerk bestimmen den Charakter. Im Cotentin stellen neun Produzenten den kernigen „Cidre Cotentin AOC“ her. Das maritime Klima der Halbinsel, die frische Meeresluft und die besonders lange Gärung geben dem Cidre einen kräftigen Charakter. So kräftig, dass er als einziger Cidre Frankreichs die Bezeichnung „extra brut“ trägt. Wo andere Cidre bereits in Flaschen abgefüllt werden, geben die Normannen im Cotentin dem Cidre im Frühjahr noch etwas Zeit, damit der Gärprozess noch mehr Zucker in Alkohol umwandelt. Extra trocken, herb und mit feinen Tanninen hat er viele Liebhaber gefunden. 

„Aktivurlaub: Wander- und Radparadies zwischen Land und Meer.“

446 Kilometer lang ist der Fernwanderweg GR223 an der Westküste der Normandie. Auf einstigen Zöllner- und Schmuggelpfaden malen Heide, Ginster und das Meer eine unberührte, wild-romantische Szenerie. Charmante Seebäder wie Barneville-Carteret oder Granville, die rauen Klippen am Kap de la Hague und die weiten Sandstrände an der Côte des Iles oder der Côte des Havres sind nur einige Highlights des „Alten Zöllnerpfads“. Den krönenden Abschluss bildet die Bucht des Mont-Saint-Michel mit den stärksten Gezeiten Europas. Wilde Meeresströmungen, frische Austern und atemberaubende Küstenpanoramen sind garantiert. 

Le Mont-Saint-Michel

Die Region Perche und der gleichnamige Naturpark sind der Geheimtipp unter Normandie-Fans. Sanfte Hügel, alte Wälder, grüne Täler, Herrenhäuser und mittelalterliche Städtchen und Dörfer bilden ein verwunschenes Ensemble. Der Name „Perche“ kommt vom Lateinischen „quercus“ („Eiche“), und tatsächlich gehören die Eichenbestände im Perche zu den wertvollsten in Frankreich. Der Laubwald verzaubert vor allem im Herbst mit seinen bunten Farben und ist mit über 1.000 Arten ein Paradies für Pilzsammler. Die „chemins creux“, typische Hohlwege, die von Hecken umgeben sind, sind ideal fürs entschleunigte Radfahren oder Wandern unterm Blätterdach. Wenn man die „grünen Tunnel“ wieder verlässt, fällt der Blick nicht selten auf ein ockerfarbenes Herrenhaus, einen malerischen Bauernhof oder eine blühende Obstwiese. Von den 500 Herrenhäusern, die während der Renaissance in diesem Teil der Normandie entstanden, sind heute noch ca. 100 erhalten. 

Das Label „Petites cités de caractère“ kennzeichnet kleine Städte mit einem außergewöhnlichen Architekturerbe und einer malerischen Landschaft. Im Süden der Normandie gibt es neun dieser Städtchen, davon vier im Naturpark Perche: Bellême, eines der historischen Zentren der Grafschaft Perche, ist das Antiquitäten- Paradies der Normandie und verzaubert mit seinen kleinen Straßen und den edlen Bourgeoisie-Häusern aus dem 19. Jahrhundert. La Perrière ist gallischen Ursprungs und für seine Perlen-Stickerei im 19. und 20. Jahrhundert bekannt. Die Highlights von Longny-au-Perche bilden neben der Renaissance-Kirche die Mühlen. Die inoffizielle Hauptstadt des Perche ist Mortagne-au-Perche. Gebäude mit Fassaden in Ocker-, Sand- oder Rosé-Tönen schmücken die Straßen, typische mittelalterliche Gärten zieren die Stadt und die Befestigungsmauern laden zum Spazieren ein. 

Les Jardins de Claude Monet in Giverny

CHAPEAUS BELOVED PLACES

Hotel „Les Jardins de Coppélia“
478 route du Bois du Breuil – RD 62
14600 Pennedepie
jardins-coppelia.com

 

Fischmarkt von Trouville
Boulevard Fernand Moureaux
14360 Trouville-Sur-Mer

 

Die Bucht des Mont-Saint-Michel
mit den stärksten Gezeiten Europas

 

Calvados-Verkostung beim Hersteller: Calvados Christian Drouin
N°1895 route de Trouville
14130 Pont-L’eveque
calvados-drouin.com

 

Die Bucht „Valleuse de Vasterival“
in Varengeville-sur-Mer 

Kategorie: Reisen
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