Kultur Das Omo-Valley
Das Omo-Valley
Äthiopiens Abenteuerland
Äthiopien ist eines der ärmsten Ländern der Welt, verfügt aber aufgrund der vielfältigen Topographie über eine reichhaltige Tier- und Pflanzenwelt, in der rund 120 verschiedene Ethnien leben. Alp Usar hat für uns den Süden des Landes bereist und berichtet für Chapeau von skurrilen Landschaften und wilden Stämmen.
Äthiopien im Nordosten Afrikas ist neben Lesatho das höchstgelegene Land auf dem Schwarzen Kontinent. Man nennt es daher auch das „Dach Afrikas“ – aber auch „die Wiege der Menschheit“. Schon vor 3,2 Mio Jahren war die Gegend besiedelt, und der Vielvölkerstaat verfügt über eine mehr als 3000 Jahre alte Kultur. Äthiopien ist ein reines Binnenland am Horn von Afrika, grenzt im Osten und Südosten an Somalia, im Süden an Kenia, im Westen an den Sudan, im Norden an Eritrea und Djibouti. Mein Ziel ist der Süden des Landes. Der Flug von der Hauptstadt Addis Abeba nach Arba Minch dauert 80 Minuten. Arba Minch ist die größte Stadt im Süden und liegt zwischen den Seen Abaya und Chamo und den gegenüber liegenden grünen Bergen des Nechisar Nationalparks. Nechisar ist berühmt für die Quellwasser, die den dichten Wald mit Grundwasser bereichern. Auf den Bergen des National Parks sind die Dorze-Stämme beheimatet. Einst jagten sie Bergleoparden, doch die gibt es nur noch in sehr begrenzter Anzahl. So sind einige der rund 28.000 Dorzes nach Addis Abeba abgewandert, die verbliebenen leben vom Baumwollweben und dem Fertigen von Ton-Skulpturen.
Etwas außerhalb des Nationalparks, erreichen wir unsere Unterkunft, die Paradise Lodge. Überall schwirren bunte Arten von Schmetterlingen um uns herum, und auf dem Weg zu unseren Zimmern treffen wir auf Wildschweine, die uns aber in Ruhe lassen. Noch während wir den imposanten Blick auf den Afrikanischen Graben genießen, fällt eine Affenbande über die Lodge her. Kein Zweifel: Es gibt hier zwar einen Pool und ein eigenes Restaurant, aber wir sind mitten in der Wildnis.
Von der Paradise Lodge aus brechen wir zu einer mehrstündigen Bootsfahrt auf dem Azo Chamo See auf, ein unvergesslicher Ausflug. Wir errreichen eine Insel, die „Krokodil Markt“ genannt wird. Überall sehen wir Krokodile, die träge am Seeufer liegen, dazu Pelikane und Flusspferde. Wir fühlen uns wie aus der Zeit gefallen – und das ist kein Wunder. Die Zeitrechnung in Äthiopien richtet sich nach einer Variante des koptischen Kalenders, und der hängt unserer Zeitrechnung um sieben Jahre und rund acht Monate hinterher.
Erst paar Wochen zuvor haben Mursi zwei Männer bei Straßenbau-Arbeiten getötet.
Nach einem afrikanischen Frühstück geht es mit einem Geländewagen nach Jinka, dem Tor zum Mago Nationalpark. Die Reifen unseres Fourwheelers sind sichtbar abgelaufen, und die Straßen sind mit Schlaglöchern übersät – was sich in unseren Mägen markant bemerkbar macht. Unterwegs gibt es einen Zwischenstopp im Dorf Kanso, wo der beste Kaffee des Landes geerntet wird.
Rund 120 verschiedene Ethnien und Stämme gibt in Äthiopien, und im Gebiet des Flusses Omo, der in den Turkana See mündet, leben zahlreiche indigene Völker mit sehr einfacher Lebensweise. In Jinka begegnen wir Menschen von den Stämmen Ari, Benna und Tsemay.
Weiter geht’s nach Turmi, wo die Hamar-Stämme in einer der wohl schönsten Omo-Regionen beheimatet sind. Die Hamar sind hauptsächlich Hirten und leben von den Rinder- und Ziegenherden, die sie mit Fleisch und Milch versorgen. Darüber hinaus betreiben die Männer des Stammes auch Landwirtschaft, bauen vor allem Hirse an.
Die Straßen sind mit Schlaglöchern übersät – was sich in unseren Mägen markant bemerkbar macht.
Die ausgeprägte Haartracht der Hamar ist eine Augenweide. Die Frauen tragen dünn geflochtene Zöpfe, die Haare der Männer werden mit Ton oder Lehm eingerieben und dann zum Teil mit eingesteckten Federn geschmückt. Als Schönheitsideal gelten auch die Schmucknarben, die man den Männern in mehrstündigen Ritualen in die Haut ritzt.
Ihre Waren bieten die Hamar wie auch die Kano-Stämme auf dem großen Markt in Dimeka zum Kauf oder zum Tausch an. Hier gibt es Gemüse, Obst, Tonartikel, Souvenirs – aber auch Artikel für den täglichen Gebrauch.
Am späten Nachmittag werden wir noch Zeugen einer Hochzeitszeremonie. Es wird getanzt und gesprungen, die Braut wird dabei angepriesen, und der Bräutigam demonstriert Härte und Männlichkeit. Dazu wird selbst gebrautes Bier gereicht, das ich aber lieber nicht probiere.
Unsere Nachtruhe finden wir in der Biska Lodge, die zwar ab 22 Uhr keinen Strom mehr hat, dafür aber heftig von Mücken geplagt ist.
Der dritte Tag beginnt mit einem Englischen Frühstück. Mit Toast und Butter gestärkt geht es nonstop sieben Stunden lang zu den Mursi. Dieser Stamm ist der wildeste und unberechenbarste von allen und meidet die Zivilisation. Erst paar Wochen zuvor haben Mursi zwei Männer bei Straßenbau-Arbeiten getötet, weil sie ihre Lebensräume schützen wollten. Rund 4000 Mitglieder zählt der Volksstamm der Mursi. Sie leben von Viehzucht und Ackerbau. Um ihr Einkommen aufzubessern, lassen sie sich auch von Touristen fotografieren und dafür bezahlen. Die Mursi Frauen sind bekannt durch ihre geweiteten Unterlippen, in die sie Keramikteile einsetzen. Wer will, kann diese Einsätze auch käuflich erwerben, aber sie sind keine reine Folklore. Der Legende nach ließen sich die Mursi ursprünglich entstellen, um arabischen Sklavenhändlern zu entgehen. Die waren nämlich auf der Suche nach schönen und makellosen Menschen. Mit tiefen Narben, geweiteten Lippen und Ohrläppchen machten sich die jungen Frauen und Männer des Stammes für die Sklavenjäger unattraktiv, und im Lauf der Zeit wurden die Verunstaltungen fester Bestandteil der dortigen Lebensweise.
Fotosessions mit Mursi machen Spaß. Doch wenn die nicht das Geld bekommen, das sie sich vorstellen, bedrängen sie die Touristen und werden auch aufdringlich. Um Konflikte zu vermeiden, sollte man nur über einen lokalen Führer an sie herantreten.
Nach vielen tollen Erfahrungen und Eindrücken gelangen wir schließlich zum Flughafen in Jinka. Hier endet unsere Abenteuerreise mit dem Rückflug nach Addis Abeba.
Der Festball im Ballsaal offenbart meine Begleiter als gefragte, geschmeidige und geschickte Tänzer. Leichtfüßig und wendig führen sie die eine wie die andere Schöne der Nacht über das glänzende Parkett. Der Morgen graut bereits, als wir uns auf die Zimmer zurückziehen. Wie auf Kanarienfedern schlafe ich die Nacht. Als der Tag ruft, erwarten mich im Frühstücksraum der gewohnte Liter Kefir, die große Kanne Kaffee und die Frankfurter Sonntagszeitung. Dem Grandhotel sieht man die Versehrungen der Nacht nicht mehr an, alles ist „wie immer“. Nur die freundlichen Mitarbeiter schauen aus kleineren Augen auf das Ende ihrer 48-Stunden-Schicht.