Im Gespräch Profimusiker zu sein, Ist kein Vergnügen, es ist Wahnsinnsarbeit

Profimusiker zu sein, Ist kein Vergnügen, es ist Wahnsinnsarbeit

Interview mit Elena Nogaeva

INFO
Elena Nogaeva: Konzertpianistin mit klassischer Ausbildung am renommierten Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium.
Sie gastierte in den großen Konzerthäusern Europas.
Seit 1992 lebt sie in Oldenburg, wo 1997 das Musikfestival Oldenburger Promenade begründete und dessen künstlerische Leitung sie innehat.

Arash Farahani: Was zeichnet gute Musik für dich aus? Durch den Künstler? Das Stück? Den Ort? Den Moment?

Elena Nogaeva: Die Definition „gute“ und „schlechte“ Musik ist ein Streitpunkt seit vielen Jahrhunderten, für alle … Ich versuche dabei immer zwei Begriffe zu unterscheiden. Wenn es um genial komponierte Musikstücke oder große Werke geht, dann haben sie für mich ihren Eigenwert – unabhängig von der Zeit, in der sie entstanden sind und von der Musikrichtung. Die andere, schwierigere Frage ist, ob ein „schlechter“ Musiker ein geniales Musikstück zur „schlechten“ Musik machen kann, und umgekehrt ein begnadeter Künstler das an sich Wertlose zum Erlebnis werden lässt. Hört sich seltsam an, oder? Kommt aber nicht selten vor.
Im letzten Fall hängt für mich die Definition gute/schlechte Musik von sehr vielen Aspekten ab: Entsprachen die Fähigkeiten des Musikers den Interessen des Publikums? Waren Spielort und Zeit für diese Art Musik geeignet? Und so weiter … Alles Mögliche kommt dann auf die Goldwaage um Gut von Schlecht zu unterscheiden. Sogar die allgemeine Stimmung im Land kann einen Musikabend positiv oder negativ beeinflussen, völlig losgelöst von der reinen Qualität der Kompositionen und der Darbietung. Ich habe solche Phänomene viele Male erlebt und staune jedes Mal …

Yundi Li, Lang Lang, Zhang Haiou: chinesische Weltstars am Flügel. Stimmt die Aussage, dass die Technik brillant ist, aber die Seele fehlt, weil die asiatische Kultur so anders ist als die unsere?

Genau genommen kann diese Behauptung nicht stimmen, eine Seele ist ja jedem Menschen gegeben. Abgesehen davon sind die Asiaten als Künstler in ihrer Emotionalität genauso vielfältig wie die Europäer. Sie alle als „andere Kultur“ zu bezeichnen, klingt pauschal herabwürdigend und ist wie „alle Mädchen sind doof“ … populär, dennoch dämlich.
Unterschiedlich ist immer die Ausstrahlung jedes einzelnen Musikers, wenn er sie bewusst einsetzt, um sein Publikum zu beeindrucken. Dieser Wunsch, zu beeindrucken kann auch dezent oder eben anders rüberkommen und hängt mehr von der Persönlichkeit des Musikers und seiner Ausbildung, sprich Schule ab. Mit Nationalität oder Herkunft der Person hat es, glaube ich, weniger zu tun. Musiker der gleichen Nationalität sind im Vermitteln eigener Emotionen so unterschiedlich, dass nur von einem gewissen Stil gesprochen werden kann und nicht von Ja oder Nein. Als Beispiel: Lang Lang und Jo-Jo Ma.

 

„Die Stadt ist durch die Oldenburger Promenade für mich zu einer zweiten Heimat geworden.“

Statisch?

Für mich überhaupt nicht, eher interessant: Wie und was wirkt eigentlich auf die Zuhörer? Vielleicht will der Musiker diese andere Art von Wirkung erreichen. Auf mich wirkt Lang Lang einfach dadurch, dass er staunen lässt und sich mit Emotionen nicht aufdrängt. Wenn man das nicht annimmt oder seine Seele dabei nicht spürt, heißt es noch nicht, dass der Musiker nicht vollwertig ist. Vielleicht ist ja die eigene Seele dem irgendwie verschlossen? Oder spielen unsere Gewohnheiten im Konzertsaal eine größere Rolle als die Konzentration auf sein Klavierspiel?

Bei den größten Klavierherstellern, von Bechstein über Yamaha bis Steinway & Sons, ist ein Unterschied tatsächlich zu hören?

Na klar! Wer würde sagen, dass es beim Fahren zwischen Mercedes Benz und Rolls-Royce keinen Unterschied gibt? Zum einen legen die großen Hersteller auf bestimmte Eigenschaften ihrer Instrumente besonderen Wert und geben ihnen eine ziemlich konkrete Klang- und Spielrichtung.
Als konzertierender Pianist kennt man diese Unterschiede. Aber das Interessantere kommt erst: die erste Begegnung, in der Probe vor dem Konzert, den eigenen Charakter des konkreten Instrumentes zu erkennen. Wenn man das noch vor dem Konzertabend schafft, läuft das Konzert meistens gut, sonst grübelt man die ganze Nacht danach … Vereinfacht zwei Beispiele: Ein guter Steinway ist mit seinem tiefen Anschlag und einem symphonischen Klangvolumen ein gewaltiges Instrument, das geschultes Zähmen verlangt. Mit einem Schumann-Brahms Programm ist man beim Steinway gut aufgehoben. Ein gepflegter Bechstein ist oft ein feineres Instrument, das für Kammermusik und sich zum Beispiel für Mozart, Haydn oder französische Musik als Glücksfall darstellen kann. Der Klangunterschied fürs Publikum liegt aber meistens nicht in der jeweiligen Firma, sondern darin, ob der Pianist die Stärken des Instrumentes zu nutzen versteht und die Schwächen elegant umgeht.

International renommierte Konzerthäuser von Russland bis in die USA bestimmen deinen Karriereweg. Du spieltest und spielst mit weltbekannten Solisten und Künstlern. Was hat dich nach Oldenburg verschlagen? War es eine Art Entschleunigung? Oder doch eher ein Rückzug?

Es glaubt einem keiner, aber Musiker und vor allem Musikerinnen sind irgendwie auch normale Menschen. Es kommt sogar vor, dass die sich verlieben. Und das mehrfach im Leben … Nach Oldenburg hat mich eindeutig eine Liebe verschlagen. Ich habe mir auch nicht vorgestellt, als ich 1995 hierher gezogen bin, dass das für immer und ewig sein wird. Dann hat sich das berufliche Leben von hier aus so gut entwickelt, dass ich wie selbstverständlich geblieben bin. Das war kein Rückzug, und auch keine Entschleunigung. Alles wirklich Anstrengende, aber auch alles Wunderbare hat ja von Oldenburg aus begonnen. Die Stadt ist durch die Oldenburger Promenade für mich zu einer zweiten Heimat geworden. Sehr wichtig war auch, dass ich über das Musikfestival glücklicherweise einen neuen Bekannten- und Freundeskreis gewonnen habe. Erst viel später war ich dann froh, hier eine Art Rückzugsinsel zu finden, was zwischen Konzerttourneen und anderweitigen Veranstaltungsreihen sehr angenehm war.

„Angst habe ich in Wirklichkeit vor ganz banalen Sachen. Dass zum Beispiel vor dem Verlassen dieser Welt irgendetwas nicht erledigt ist oder im Chaos hinterlassen wird.“

Durch deine internationalen Kontakte hast du Oldenburg mit deinem hochkarätig besetzten Festival belebt und begeistert. Was ist dein Antrieb?

Der Antrieb war einfach – mit Gleichgesinnten in Kontakt zu bleiben. Das komplexe Organisieren eines Festivals habe ich am Anfang nicht wirklich beherrscht, geschweige gemocht, und musste mir erst mal klarmachen, wofür ich das als Musikerin auf mich nehme. Aber sobald die ersten Ergebnisse kamen, wusste ich, dass meine eigene Entwicklung und der eigene Horizont dadurch unheimlich erweitert wurde. Dieser Antrieb ist immer noch da und erklärt vielleicht, warum ich mit Veranstalten nicht aufhören kann …

Du hast dich der Musik gewidmet. Fühlt sich diese Leidenschaft einfach wunderbar an? Oder ist es auch ein Stück Zwang?

Genau – es ist ein natürlicher wunderbarer Zwang! Inzwischen bezeichne ich es allerdings stilvoller – als Bedürfnis. Das Bedürfnis zur Weiterbildung, zum Verstehen der Geschichte und zur Bereicherung meines Lebens. Das Wort „Zwang“ scheue ich nicht wirklich. Musik ist Wahnsinnsarbeit, die man 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr lebt. Das wird dir jeder Musiker sagen und einen gewissen Zwang zu diesem Leben gestehen.

Ehrgeiz …

Ehrgeiz ist auch da, er war immer schon da. Von kleinauf, als man ihn noch gar nicht empfand. Ich habe ja auch, wie alle, mit fünf angefangen. Aber trotzdem kann ich nicht sagen, dass ich mein ganzes Leben nur der Musik gewidmet habe. Mein Leben besteht eigentlich mehr aus meinen Mitmenschen, angefangen bei der Familie, Freunden, natürlich auch denjenigen, denen man auch Freude und Halt geben kann. Das würde ich doch eher als Mittelpunkt des Lebens betrachten. Die Musik ist das, womit mein Leben intellektuell gefüllt ist. Aber ich habe noch so viele andere Leidenschaften! … Wirklich gutes Essen zum Beispiel.

Was ist für dich Freiheit?

Freiheit ist, morgens aufzuwachen und zu wissen: Ich habe heute nicht einen einzigen Termin! Ich mache heute nur, was ich will. Oder gar nichts. Gut, diese Freiheit würde ich vielleicht nicht jeden, aber jeden zehnten Tag genießen. Natürlich kann man sich die Freiheit herausnehmen, aber dann ist der Verzicht auf die vorher erwähnten „Zwänge“ wieder da … Ich muss gestehen, nach mehreren „Freiheitstagen“ hintereinander kommt mir die „Unfreiheit“ gar nicht mehr so schlimm und eigentlich gewollt vor.

Was bedeutet das für deine Musik? Deine Freiheit?

Krieg. Für die Musik wäre es der pure Krieg. Das geht gar nicht. Denn Musik, Musik als Pianistin, als Veranstalterin, ist tagtäglich eben Arbeit. Training. Üben. Organisation. Kalender. Wenn ich die einen Konzerte plane, andere Konzert selber spiele oder beides läuft gleichzeitig, kann ich nicht sagen, ich mache mich jetzt mal frei. Und verschiebe alles auf übermorgen.

Fühlst du Klänge, Töne? Oder wie „greifst“ du sie?

Das kann ich nicht genau beschreiben … Ich höre die Tonarten in bestimmten Farben, und so unterscheide ich sie oft. Die Farbe von c-moll (weiß oder schwarz) höre ich in allen Werken und auf allen Instrumenten gleich. Einige Farben haben sich im Laufe der Zeit etwas verändert: G-Dur, das ich als Hellblau empfunden habe, hat sich ein helles Gelb gewandelt.

 

Was macht dir Angst?

Dass meine Ansammlung von Aufnahmen, Musikbüchern, Noten auf dem Müll landet – aus der Sammlung der kleinen Ängste ist das so eine. Angst habe ich in Wirklichkeit vor ganz banalen Sachen. Dass zum Beispiel vor dem Verlassen dieser Welt irgendetwas nicht erledigt ist oder im Chaos hinterlassen wird.

 

Was erfüllt dich? Wie regenerierst du deine Kräfte?

Ich habe schon vor sehr, sehr langer Zeit das „Kräfte-Wiederherstellen“ beigebracht bekommen: als Kind mit meinem Vater, in der Natur, beim Angeln, beim Spaziergang, auf der Jagd. Beim Essen. Durch den Genuss des Kochens und Essens. Und dann stelle ich nicht nur Kräfte wieder her, sondern entdecke neue, von denen ich keine Ahnung hatte. Da ist unser kleiner Enkelsohn. Was sich an seelischen Kräften, an Lebenslust, an Lebenskraft öffnet mit einem neun Monate alten Kind, das kann ich nur als ein großes Geschenk Gottes für mich empfinden. Eine ganz neue Quelle.

Wie geht es in deinen Projekten weiter? Worauf dürfen wir gespannt sein?

Wir werden uns im Verein KlassikFreunde e.V. und mit der Albert Dietrich Gesellschaft in der nächsten Zeit damit beschäftigen, was sich in den letzten Jahren als Kern aller Veranstaltungen kristallisiert hat: die junge Generation der professionellen Musiker. Diese ist international und sehr breit gefächert, was Musikrichtungen und -stile angeht. Der Fokus liegt auf denen, die wirklich eine Unterstützung brauchen, da sie von keiner Agentur betreut werden. Ich versuche möglichst viele Sponsoren und Helfer davon zu überzeugen, dass wir in Oldenburg quasi ein Zentrum für junge Musiker schaffen sollten. Einige haben sich schon für dieses Jahr entschieden. Besonders erfreulich ist die Unterstützung des Kulturdezernates der Stadt Oldenburg. Die erste Präsentation dieser neuen Veranstaltung wird bereits in diesem Jahr vom 1. bis 7. Oktober stattfinden. Die Oldenburger Musiktage 2017 beinhalten zwei Konzertabende, das Eröffnungskonzert und die Abschlussgala im Kulturzentrum PFL. Dieser Veranstaltungsort für die kommenden Programme mit seiner großen Bühne, mit bester Sicht und geeigneter Akustik wunderbar passend. Ich möchte gerne diesen Konzertort für besondere Ereignisse wiederaufnehmen und im Oktober 2017 mit neugierigem Publikum füllen …

Dazu viel Erfolg und Danke für das Gespräch.

Kategorie: Im Gespräch
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