Gesundheit Im Netz der Faszien – Schmerz, Teil 2

Im Netz der Faszien – Schmerz, Teil 2

Faszien

Der Oldenburger Heilpraktiker, Sportosteopath und Physiotherapeut Renato Dirks behandelt u.a. FDM® (Faszientherapie nach Typaldos) und Schmerzen nach Liebscher und Bracht. Die Methode setzt darauf auf, dass der Mensch in der modernen Arbeits- und Bürowelt nur einen kleinen Prozentsatz seiner Muskel- und Gelenksysteme nutzt und die meisten unserer Muskeln und Fasern durch Nichtbenutzung unnachgiebiger werden. Sie „rosten“. Bei ungewohnten Bewegungen baut der Körper Gegenspannungen auf, durch den Druck entsteht Verschleiß an Bandscheiben, Knorpeln und Knochen, und das Gehirn reagiert mit Schmerzmeldungen. Wie sich das auf Körper im Einzelnen auswirkt, berichtet Renato Dirks in einer dreiteiligen Chapeau-Serie aus seiner Praxis.

Info – Renato Dirks, 54, ist Schmerztherapeut nach Liebscher und Bracht, Heilpraktiker, Sportosteopath und bereits seit 1994 Physiotherapeut. Er ist auf Norderney geboren, spielte Handball in der zweiten Bundesliga und nahm vier Mal an den Ironman-Weltmeisterschaften auf Hawaii teil. Die Privat-Praxis für ganzheitliche Physiotherapie in Oldenburg betreibt Renato Dirks gemeinsam mit seiner Frau Silvia.

Infos unter
www.bewegung-im-ganzen.de
www.einfach-einfach.eu

In der zweiten Folge seines dreiteiligen Diskurses zum Thema Schmerz beschäftigt sich der Oldenburger Heilpraktiker, Sportosteopath und Physiotherapeut Renato Dirks mit einem Aspekt, der bei Schmerzen meist übersehen wird, der aber für unsere Körperfunktionen eine ganz zentrale Rolle einnimmt: dem Gewebenetz der Faszien.

Wohl kaum einer denkt bei Rückenschmerzen daran, dass sie aufgrund zu großer Spannungen im Bindegewebe des Bauches entstanden sein könnten. Das Bindegewebe ist ein Wunder- beziehungsweise Netzwerk unseres Körpers. Allerdings ist der Begriff „Bindegewebe“, den wir noch aus dem Biologieunterricht kennen, mittlerweile veraltet. Heute sprechen wir von Faszien. Bildlich kann man sich die Faszien wie die weiße Haut von Zitrusfrüchten oder auch Fleisch vorstellen. So ähnlich sieht unser Fasziennetz aus.

Lange Zeit konnte sich die Wissenschaft nicht einmal auf einen Namen für die Faszie einigen — geschweige denn auf eine Definition. Das Wort ist vom lateinischen „fascia“ für Band oder Bandage abgeleitet. Seit 2007 gelten Faszien nun als „die Weichgewebeanteile des den menschlichen Körper durchziehenden Binde- und Stützgewebeapparats“. Mit anderen Worten: Die Faszie hält uns im wahrsten Sinne des Wortes zusammen. Die Körperfaszie des Menschen ist ein sich über unseren gesamten Körper erstreckendes Gewebenetz. Wenn jemand also von Faszien spricht, ist eigentlich nur eine Faszie gemeint, da alle Stränge und Fasern dieses Hüllgewebes verbunden sind. Als Schutzhülle umgibt es unsere Muskeln und Organe wie Leber und Nieren und bewahrt sie vor Schäden. Gleichzeitig gewähren uns Faszien dank ihrer biomechanischen Struktur innerhalb des Körpers — vor allem im Bereich der Muskulatur — Stabilität und Beweglichkeit. Sie ähneln einem Spinnennetz, welches alle wichtigen Teile an seinem Platz hält. Ohne sie würden wir jeglichen Halt verlieren.

Dies ist allerdings nicht alles, was die Faszie zu bieten hat! Ebenso gilt sie als eines der größten und wichtigsten Sinnesorgane des menschlichen Organismus. Zuständig ist dieses Organ für die körpereigene Wahrnehmung von Bewegungsabläufen und der Lage im Raum. Eine große Rolle hierbei spielen Propriorezeptoren, da sie für ebenjenes Eigenempfinden verantwortlich sind. Faszien beinhalten außerdem Dehnungs- sowie Schmerz- und Thermorezeptoren. Letztere sind für das Temperaturempfinden verantwortlich. Rund 100 Millionen dieser mechanischen Reiz-Rezeptoren verteilen sich über das gesamte Fasziennetz. Dazu laufen zahlreiche schmerzempfindliche Nerven in den Faszien entlang.

Angesichts der Komplexität dieses Gewebenetzwerks ist es nicht überraschend, dass es auch bei der Schmerzentstehung eine wichtige Rolle spielt. Aber noch immer wird die Ursache für viele Krankheiten oft fern der Faszien gesucht, oder sie wird als unerklärlich befunden. Da alle Faszien miteinander verbunden sind, wandert der Schmerz vom Ursprung zu anderen Stellen und erschwert somit eine genaue Ortung der Schmerzquelle. Wenn beispielsweise aufgrund einer Fußfehlstellung ein Beckenschiefstand entsteht, versucht die Wirbelsäule das auszugleichen. Dadurch überspannen die Faszien, und der entstehende Schmerz zieht in den Nacken. Ähnlich verhält es sich bei Verletzungen an den Füßen. Hier hat eine Überlastung Schmerzen in den Beinen zur Folge. Ein weiterer Auslöser für fasziale Schmerzen ist psychosomatischer Natur. Auch Stress kann Verspannungen in den Faszien verursachen, da in Stresssituationen Botenstoffe an den Sympathikus des Gehirns geschickt werden. Dieser wiederum sendet Signale an die Nerven der Faszie, was beispielsweise Rückenschmerzen auslöst.

Faszien werden durch Dauer- und Verspannungen unflexibler und binden schwerer Wasser. In der Folge verkleben sie regelrecht, Flexibilität und Elastizität der Bindegewebsschichten nehmen ab und ihre Verschiebefähigkeit verringert sich. Der Körper, beziehungsweise die Muskulatur, wird steif und unbeweglich, da die Muskeln verhärten. Dies wiederum führt zu Beschwerden bei Bewegungsversuchen: Auf die Nervenenden an den Faszien wird Druck ausgeübt, was sie reizt. Ihre Schmerzrezeptoren enden Alarmsignale ans Gehirn, um weiterem Verschleiß vorzubeugen. Wer diesen Warnungen Folge leistet, nimmt schlimmstenfalls eine Schonhaltung ein, um weitere Schmerzen zu vermeiden.

Kein Wunder also, dass Faszien an der Schmerzentstehung beteiligt sind, besteht unser Körper doch überwiegend aus einem zusammenhängenden Fasziengewebe. Die Ursachen für Rücken-, Nacken- oder Schultergelenkschmerzen über Sodbrennen bis hin zur Migräne lassen sich meist faszial erklären. Selbst bei Entzündungen der Gelenke und Sehnen ist dies der Fall.

Darauf haben verschiedene Faktoren Einfluss:

― Emotionale und psychische Belastungen sowie Stress13)
― Bewegungsmangel und einseitige Bewegungen, verschlimmert durch angewöhnte Schonhaltungen
― Haltungsfehler und Überlastung
― ungesunde Ernährung
― Alter
― Fetteinlagerungen

Die Faszie selbst besteht größtenteils aus Wasser und den Strukturproteinen Kollagen und Elastin. Kollagen wird oft in der Kosmetik verwendet, wo es bei der Faltenbildung durch Glättung und Straffung der Hautzellen Abhilfe schafft. Aber auch in der Lebensmittelindustrie kommt der Eiweißstoff in Gestalt von Gelatine vor, um beispielsweise Gummibärchen in Form zu halten. Das glycin- und prolinreiche Protein ist hygroskopisch, das heißt, es zieht Wasser an und bindet es. Elastin hingegen ist ein Eiweiß, das zwar auch Struktur verleiht, allerdings viel elastischer als Kollagen ist. Beide zusammen sorgen dafür, dass das Gewebe nicht nur reißfest, sondern auch dehnbar bleibt — sofern die Faszien in Schuss sind. Die Stabilität und Flexibilität machen das Fasziengewebe zu einer Alleskönner-Struktur. Verantwortlich für den Bau des Fasziengitters sind spezielle Bindegewebszellen, die Fibroblasten. Sie bestehen aus wasserbindendem Kollagen und haben die Fähigkeit, sich bis zu 200 Prozent zu erweitern. Sie sind wie kleine Spinnentierchen, die Faser für Faser erschaffen. Den Bauplan für dieses Netz bestimmen unsere Bewegungsmuster. Von Tag zu Tag werden die Faszien neu angelegt, um den wechselnden Ansprüchen des Körpers gerecht zu werden.

Neben der Absorption von Stößen, dem Schutz vor Schäden und Traumata, dem Druckausgleich und der Strukturgebung, sorgen Faszien auch für die Übertragung von physischer Energie. Diese verteilen die Faszienbänder anschließend auf zusammenwirkende und gegenspielende Muskeln. Ebenso gewährleisten speziell die Faszientaschen, dass Muskeln beweglich und verschiebbar bleiben. Dies wird dank einer „Schmierung“ durch ein Gleitmittel aus Hyaluronsäure in Kombination mit der äußeren Gewebeschicht eines Muskels (Epimysium) erreicht. Das macht die Muskelfasern innerhalb der Faszien gleitfähig. Außerdem speichern Faszien Fett in Form von Fettgewebe und binden Wasser. Gerade die Bindung von Wasser, Kollagen, Elastin und Zellen durch die Grundsubstanz ist enorm wichtig für den Organismus. Dadurch wird das Bindegewebe stabilisiert und Kräfte absorbiert. Gleichzeitig filtert diese Grundsubstanz auch Bakterien sowie eindringende großmolekulare Stoffe.

Ohne Faszien ist Bewegung für uns undenkbar. Unsere Muskeln würden so in Mitleidenschaft gezogen werden, dass nach ein paar sportlichen Aktivitäten Ende im Gelände wäre. Die Belastung und der dazugehörige Verschleiß wären einfach zu groß. Umgekehrt ist auch die Bewegung sehr wichtig für das Fasziengewebe: damit es nicht verklebt und weil sich dadurch die Kollagenfaser-Produktion steigert. Das Fasziengewebe ist ein sensibles Übertragungsnetzwerk von Signalen. Speziell bei Bewegungsabläufen spielen hier die Propriozeptoren eine große Rolle bei der räumlichen Wahrnehmung der Körperhaltung und -bewegung: Diese Mechanorezeptoren werden durch Druck, Kompression oder Dehnung eingeschaltet und leiten dann Informationen weiter bis ins Gehirn.

Zu faszialen Mechanorezeptoren gehören im Bereich der Muskeln die Golgi-Sehnenorgane und bei Gelenken die Pacini– und Ruffini-Rezeptoren. Die mechanischen Prozesse innerhalb der Faszie tragen zur Koordination des motorischen Systems bei und gewährleisten die anatomische Integrität der Organe.
Der Raum zwischen den Zellen und dem Bindegewebe nennt sich Zwischenzellraum. Er dient als Durchgangs- und Speicherplatz für Sauerstoff, Nährstoffe und Schlacken. Transportiert werden diese in der interstitiellen Flüssigkeit, der Zwischenzellflüssigkeit. Sie hat gewisse Ähnlichkeiten zu Meerwasser und ist dementsprechend im Normalzustand eher basisch. Nur etwa 75 Prozent des Volumens der Zwischenzellflüssigkeit fließt wieder zurück in den Körperkreislauf. Die restlichen 25 Prozent formen den Flüssigkeitsspeicher im Zwischenzellraum.

Der Raum zwischen den Zellen und dem Bindegewebe nennt sich Zwischenzellraum. Er dient als Durchgangs- und Speicherplatz für Sauerstoff, Nährstoffe und Schlacken. Transportiert werden diese in der interstitiellen Flüssigkeit, der Zwischenzellflüssigkeit. Sie hat gewisse Ähnlichkeiten zu Meerwasser und ist dementsprechend im Normalzustand eher basisch. Nur etwa 75 Prozent des Volumens der Zwischenzellflüssigkeit fließt wieder zurück in den Körperkreislauf. Die restlichen 25 Prozent formen den Flüssigkeitsspeicher im Zwischenzellraum.

„Fasziengesundheit ist wichtig, also nimm sie nicht auf die leichte Schulter!“

Bei der sportlichen Ertüchtigung geht es nicht nur um Übungen, die deine Muskelgruppen trainieren, sondern auch deinen Faszien zugutekommen. Deshalb bieten sich hier vor allem das Faszientraining, die Faszien-Rollmassage oder auch das Faszienyoga, an. Genauso wichtig wie Sport ist eine gesunde und ausgewogene Ernährung.

Das Faszientraining hat verschiedene positive Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden der Faszien. Es fördert das Körpergefühl, stärkt das Fasziengewebe und diverse Muskelgruppen, macht dich flexibler und regt den Stoffwechsel an. Wer Hilfsmittel wie Faszienrollen und -kugeln verwendet, kann besonders effizient trainieren. Das Ziel der Faszien-Rollmassage ist es, verhärtete und verklebte Faszien wieder geschmeidig zu machen, indem Verklebungen gelöst werden. Mithilfe von Hilfsmitteln wie Rollen und Kugeln wird das Fasziengewebe zum Stamm hin (also dem Herzen) „ausgerollt“. Dadurch entsteht ein Druck, der dafür sorgt, dass frisches Wasser aus den Kapillaren den „Bindegewebeschwamm“ beziehungsweise den Wasserspeicher wieder auffüllt. Durch das intensive und langsame Rollen in eine Richtung wird dafür gesorgt, dass sich die Flimmerhärchen der Fibroblasten bewegen. Das führt zum Abbau von Kollagen, was wiederum Verklebungen löst. Ebenso wird die übersäuerte Zwischenzellflüssigkeit basischer. Die Faszienschichten gleiten somit wieder besser.

Aber Achtung – Augen auf beim Faszienrollen-Kauf! Faszienrollen gibt es zwar wie Sand am Meer, doch nicht alle sind für die Faszien-Rollmassage geeignet. Manche der herkömmlichen Rollen richten mehr Schaden an als dass sie helfen. Die meisten dieser Rollen wurden nämlich nicht gezielt für Schmerzpatienten entwickelt. Sie haben unergonomische Formen oder nutzen Materialien, die entweder zu hart oder zu weich für die Massage sind. So fehlt zum Beispiel bei vielen großen Rollen eine umlaufende Rille. Wer eine Rolle ohne diese Einkerbung benutzt, kann seine Wirbelsäule schädigen, da er mit voller Wucht auf die einzelnen Wirbel drückt. Im schlimmsten Fall kannst man sich dadurch dauerhafte Verletzungen zuziehen!
Deshalb: Vorsicht ist geboten. Für die richtigen Hilfsmittel ist die Qualität wichtiger als der Preis. Es geht schließlich um die Gesundheit der Faszien. Empfehlenswert sind zum Beispiel professionelle Faszienrollen von Liebscher und Bracht. Sie wurden nicht nur speziell für das Faszientraining entwickelt, sondern sind dank der umlaufenden Rille auch optimal auf den Körper abgestimmt. Außerdem weisen die Rollen eine spezielle Materialzusammensetzung vor: Sie sind außen weich und innen härter, um besonders effektiv zu sein und Verletzungen zu vermeiden. Die Wirbelsäule und die Faszien werden es danken.

Neben der Faszien-Rollmassage gibt es auch noch das Faszienyoga. Es sorgt für mehr Bewegung als beim regulären Hatha-Yoga oder auch beim Pilates. Das Ziel ist unter anderem das Dehnen der Faszien sowie der Stressabbau. Dies wird durch Dehnen und Schwingen sowie generell fließenderen und federnden Bewegungen erreicht. Vorteile des Faszienyogas? Die Durchblutung und damit die angemessene Versorgung der Faszien werden gefördert, und nebenbei werden wir auch noch ein paar Kalorien los. Es lohnt sich also allemal!

„Mehr Infos zum Thema
Faszienyoga erfährst du bei uns in der Praxis oder unter www.FAYO.de“

Bleibt die Frage, inwieweit Wärme- oder Kälteanwendungen den Faszien helfen können. Das hängt von der Situation ab. Wärme wirkt aktivierend, da es die Blut- und Nährstoffversorgung und deren Abtransport kurzzeitig verbessert. Kälte hingegen verlangsamt physiologische Abläufe. Das schafft zwar schnell eine Schmerzlinderung, aber meist nur für eine kurze Dauer. Insgesamt sind also Wärmeanwendungen förderlicher, aber auch sie haben keine Langzeitwirkung.

Dieser Artikel vermittelt einen Eindruck davon, wie umfassend und beeindruckend die Welt der Faszien. Auch die Faszienpflege mit ihren vielen Optionen ist ein breit gefächertes Thema. Um die Übersicht zu behalten, lohnt es sich, immer mal wieder hineinzulesen. Beim nächsten Mal fallen vielleicht auch Dinge auf, die beim vorigen Lesen untergegangen sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Faszien enorm wichtig für unseren Körper sind. Ohne sie hätten wir weder Halt noch Schutz. Gerade für die Bewegung sind sie unerlässlich, beugen sie doch Verschleiß vor. Deshalb ist es wichtig, einem Bewegungsmangel und Spannungen vorzubeugen, die Faszien gut in Schuss zu halten und zu verhindern, dass sie durch Fibrin verkleben. Das ist durch regelmäßiges Training, Rollmassagen und Dehnübungen zu vermeiden. Das verhindert Unbeweglichkeit und Schmerzen. Des Weiteren ist eine angemessene Nährstoffversorgung unentbehrlich.

Kategorie: Gesundheit
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