Kunst (Design) Vergänglichkeit ist immer ein Thema
Vergänglichkeit ist immer ein Thema
Interview mit Jared Bartz
CHAPEAU ― Jared, Du bearbeitest Holz mit der Kettensäge. Ausschließlich?
Jared Bartz ― Fast ausschließlich. Ich habe viele Jahre mit Stein gearbeitet, mit Beton, mit Bronze. Vor einigen Jahren habe ich mich dem Material Holz zugewandt. Mit der Kettensäge arbeite ich sowohl die rauen Oberflächen als auch die Details heraus.
Wie stark hast Du Dich in Deinem künstlerischen Werdegang beeinflussen lassen?
Es gibt natürlich Vorbilder. Marino Marini, ein Porträtist aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, ist einer davon. Oder der Maler und Bildhauer Alberto Giacometti.
Was macht Holz zu Deinem bevorzugten Medium? Warum nicht Bronze, Stahl oder Aluminium?
Generell bin ich auf kein Material festgelegt. Was mich an Holz begeistert, ist die Bearbeitung mit der Kettensäge. Die Spuren, die dieses Werkzeug hinterlässt. Es entsteht ein kraftvoller Ausdruck und auch wenn man nah an die Skulptur herangeht bekommt die Oberfläche eine haptische Aussage. Das zieht mich total in den Bann.
Verzeiht Holz mehr als die anderen Materialien?
Nein, im Gegenteil. Wenn man zum Beispiel mit Ton oder mit Gips modelliert, kann man immer neu auftragen. Macht man einen Fehler, kann man ihn korrigieren. Bei Holz aber, fehlt dann gleich etwas. Und selbst wenn man dann die ganze Skulptur ein bisschen kleiner macht, stimmen die Proportionen nicht mehr. Zum Glück ist mir das bei Auftragsarbeiten bisher nicht passiert.
Spielt die potentielle Vergänglichkeit, die Kompostier- oder Brennbarkeit des Holzes, für dich eine Rolle?
Die Vergänglichkeit ist für mich immer ein Thema. Je nach Holzart werden die Objekte rissig, dagegen kann man nichts machen. Die Energie, die in dem Mate- rial steckt, ist einfach da. Zudem stehen viele Objekte draußen, sie werden grau – auch etwas, was eine ganz eigene Kraft hat. Es entspricht dem natürlichen Alterungsprozess des Lebens. Ich liebe meine Skulpturen, die ein paar Jahre alt sind und bei denen dieser Veränderungs- prozess ablesbar ist.
Könnten Deine Arbeiten dauerhaft auf öffentlichen Plätzen stehen, etwa wie die Schweine in der Sögestraße in Bremen? Oder das Pferd in der Langen Straße in Oldenburg?
Je nach Holzbeschaffenheit halten die Skulpturen ungeschützt über viele Jahrzehnte. Mit konstruktivem Schutz sogar über Jahrhunderte. Also warum nicht? Trotzdem bleiben es vergängliche Objekte.
Wie kann ich mir deine Arbeit vorstellen? Ist viel Routine dabei?
Es gibt Objekte, bei denen ich schon bei der Auftragserteilung die fertige Skulptur vor mir sehe. Und es gibt andere, in die ich mich erst hineinarbeiten muss – auch weil Holz immer wieder Überraschungen in sich birgt. Es ist eben Natur.
Wie teilst du die Zeit ein, wenn du an einem Objekt arbeitest?
Ich habe einen sehr geregelten Alltag, stehe früh auf, bin im Büro, kümmere mich um Organisation, Konzepte, Logistik und Materialbeschaffung. Danach fahre ich in die Werkstatt und arbeite meistens an drei oder vier Skulpturen gleichzeitig. Gerade die ersten, noch groben Schnitte sind sehr kraftraubend. Für die Endphase einer Arbeit brauche ich unglaublich viel Ruhe. Ich sehe mir dann alles sehr genau an und verändere lediglich Nuancen.
Themenwechsel: Gibt es so etwas wie Konkurrenz unter Künstlern? So wie unter Verlegern oder Händlern, Herstellern?
Natürlich gibt es Konkurrenz, natürlich gibt es andere Künstler. Aber mir ist keiner bekannt, der Porträts in dieser Detail- genauigkeit einzig mit der Kettensäge herstellt.
Siehst du dich eher als Handwerker oder Künstler?
Solche Diskussionen habe ich oft in meinem Freundeskreis. Sicherlich bin ich Künstler. Aber im akademischen Diskurs sehe mich absolut als Handwerker.
Nimmst Du Auftragsarbeiten an?
Oh ja, das ist mein überwiegendes Geschäft. Ich mache Portraits im Auftrag.
Wie beobachtest du Dinge oder Personen? Gibt es ein Regelwerk?
Wenn ich Porträts mache, bin ich ja darauf angewiesen, den Ausdruck eines Menschen einzufangen. Der interessiert mich besonders, deswegen beobachte ich Menschen sehr intensiv. Manchmal passiert es mir, dass ich im Cafè oder Zug sitze und mein Augenmerk richtet sich auf eine Person. Dann hole ich sofort mein Skizzenbuch raus.
Wie finden Deine Kunden ggf. das Ergebnis? Eigenartig fremd, im Sinne von „so sehe ich doch nicht aus“, oder berührt von einer frappierenden Ähnlichkeit?
Wenn sich ein Kunde in meiner Skulptur absolut nicht sehen würde, würden wir es so lange bearbeiten, bis sich eine Person darin erkennt. Natürlich ist es bei jedem Menschen so, dass diese Darstellung erst einmal befremdlich wirkt: So sehe ich aus? Aber ich versuche immer, mit dem Kunden zu dem Punkt zu kommen, an dem er sagt: Du hast mich getroffen.
Ist das für dich wichtig?
Ja, das ist mir wichtig. Ich muss genau sehen, wie weit ich mit der Bearbeitung gehen darf und wann ich aufhören sollte. Das ist ein Spagat. Andererseits bin ich durch die Kettensäge auch eingeschränkt, ich kann nicht bis in jedes Detail rein. Es ist konstruktiv nicht möglich, deshalb muss ich andere Möglichkeiten, eine andere Sprache finden. Ich arbeite oft mit Übersteigerungen. Ich vergleiche das gern mit einem Text, den jemand in einer fremden Sprache geschrieben hat. Der benutzt dann andere Vokabeln. Und manchmal wird es sogar deutlicher, was gemeint ist, als wenn der Autor sich in seiner Muttersprache ausdrücken würde. Das hat Charme.
Welche Art Kunst begeistert Dich selbst?
Wie gesagt: Marino Marini mit seiner mi- nimalistischen Aussage ist für mich seit Jahren ein Vorbild. Dann auch Wilhelm Lehmbruck, der zeitlebens die Spannung zwischen Naturalismus und Expressionis- mus für sich gesucht hat. In den letzten Jahren interessiere ich mich für Georg Baselitz, der jetzt gerade 80 Jahre alt ge- worden ist. Er prägte die figurative Kunst beispielsweise mit den „auf dem Kopf“ stehenden Bildern. Außerdem beeindruckt er mich als Mensch; er entwickelt sich im Alter immer noch weiter und sucht weiter- hin in seiner Kunst etwas Neues.
Findest du, Kunst muss man besitzen?
Selbstverständlich. Das muss ich ja müssen, sonst stimmen die Zahlen am Ende des Monats nicht bei mir ...
Du siehst das also eher betriebswirtschaftlich …
[lacht] Ich frage mich, ob man Kunst per Definition wirklich besitzen kann. Aber ich verstehe, wenn man Kunst besitzen will. Ich habe zum Beispiel bei mir zu Hause einige Werke, die ich über Jahre immer gern ansehe und die mich wieder und wieder tief berühren. Vielleicht geht es manchmal auch nur um Besitz auf Zeit und nach ein paar Jahren oder Jahrzehnten kann das Kunstwerk weiter ziehen. Auch das ist möglich.
Wann ist eine Arbeit „Geld wert“? Wegen ihrer Perfektion? Ihrer Einzigartigkeit? Oder weil man lange daran gearbeitet hat?
Kommt drauf an, das sind alles Aspekte und jeder Fall ist anders. Auch eine schnelle Arbeit kann perfekt sein und hat ihre Berechtigung in ihrer starken Aussage.
Etwas anderes: Wenn Du wieder Schüler wärst und dich entscheiden müsstest, würdest Du denselben Weg erneut einschlagen?
Definitiv. In diesem Job kann ich all meine Begabungen am besten nutzen, das Künstlerische, das Handwerkliche, das Organisatorische. Das macht Spaß, ich kann mir nichts Besseres vorstellen.
Woher stammt denn eigentlich die Inspiration, diesen künstlerischen Weg zu gehen?
Für mich ist die Arbeit eines Bildhauers auch die eines Regisseurs. Er versucht viele Aspekte, Faktoren und Einflüsse zu arrangieren, zu inszenieren. Da ist es gut, wenn man sich vielseitig inspirieren lässt. Mein Großvater war Maler und hat Privatpersonen und Unternehmer porträtiert, sehr naturalistisch. Er hat mir beigebracht, wie man sehen lernt. Ich kann mich an Situationen erinnern, in denen wir Landschaften gemalt haben. Er sagte dann: Schau genau hin. Was siehst du da und was ist auf deinem Papier. Mein Onkel ist ebenfalls Künstler. Er hat ein ausgezeichnetes Gespür für Ästhetik und teilt mit mir die Liebe fürs Material. Manchmal denke ich: Krass, ich führe ein ähnliches Leben wie mein Großvater. Nur das er damals mit dem Pinsel gemalt hat und ich mache die Portraits mit der Kettensäge.