Kolumne Vinyl ist das neue Bio

Vinyl ist das neue Bio

Text von Klaus von Due

Der Hipster ist im Mainstream angekommen:

Vollbart ist das neue Beige und das Fixie der Rollator der Generation, die Organic Food instagramt und die dafür sorgt, dass der Unterschied zwischen Sein und Schein verschwindet.

Und Mainstream:

Das sind wir, das bin ich. Friseur, Fahrrad, Essen und Trinken – unser, mein Alltag. Ist man dann auch noch ein so geselliges Kerlchen wie ich, geht einem rasch der Gesprächssto aus. Seemanns-Tattoo, Undercut, Super Food – unter Lehramtsstudentinnen, Spätgebärenden, Baristas und Craft- Beer-Machern alte Hüte. Also riet mir ein guter Freund (Early Adopter, der ich bin, natürlich ein Berliner. Den „hat man“ heute), das Thema „Vinyl“ aufzu- greifen. Die gute alte Schallplatte also. Erschien mir schon deshalb plausibel, weil sie bisher weder bei Le ers noch irgendwo in der Gast- oder Haaren- straße liegt …

Noch bevor…

…ich mit den Ergebnissen meiner Recherche im Kreise lieber BWLer, Sozialarbeiter, Türsteher, Pop- up Store-Betreiber und Designer reüssieren konnte, aß ich mit einem lieben Freund (und Physiker) zu Abend und lernte en passant, dass der Mensch nun einmal „analog höre“ und deshalb analoge Musik von der Schallplatte, dem Tonband unserer Lebenswirklichkeit entspräche. Und, unabhängig von Messbarem, einfach am besten klinge.

Und dann…

…werden in Großbritannien mit einem Male mehr Schallplatten als Downloads verkauft, bringen Sony und Panasonic (unter dem längst eingeschläferten Label „Technics“) wieder Plattenspieler heraus. Die großen Major-Label veröffentlichen neue Alben auf Vinyl (mit Download-Code; das Angenehme soll das Nützliche nicht ausschließen), und ich selbst schieße binnen drei Wochen von Null auf 245 (Schallplatten).

Ja:

Meine Freunde haben Keller, Kinderzimmer und Dachbö- den geplündert, wissen zwischen „Master“ und „Release“ zu unterscheiden, werfen lässig „180 Gramm“ in die Runde und betrachten mich, mit meinem neuen Wissen, so mitleidig wie eh und je. Mein zweiter Frühling.

Und doch schreibe ich…

…der mit der CD groß geworden und mit iTunes erwachsen geworden ist, begeistert von der Schallplatte. Die mich im 20-Minuten-Takt zwingt, aufzustehen, umzudrehen, zu suchen (mit großer Lupe, der winzigen Rückenbeschriftung wegen), zu reinigen – und zuzuhören. Bewusst. Außerdem – mal ehrlich: Was ist verwer ich daran, alle 20 Minuten vom Sofa aufzustehen, wenn die Menschen, deren Kunst und Können ich lausche, ihr ganzes Leben eben diesen gewidmet haben? Nichts. Darüber hinaus ist das Gefühl, dass ein Album zehn Jahre älter ist als ich und besser aussieht als meine Mutter, einfach unbeschreiblich.

Was haben Sie, liebe Leser, nun von meinen Erkenntnissen?

Nun: Zum einen entpuppte sich meine neue Leidenschaft als zwecklos – kein Hipster weitete ob dieser Erkenntnis die Augen. Die (geklaute) These der Über- schrift „Vinyl ist das neue Bio“ ist so gehaltvoll wie „Sitzen ist das neue Rauchen“ oder „Afrika ist das neue Asien“. Macht sich immer gut, wenn es gilt, das eigene Halbwissen zu kaschieren.

Aber zum anderen…

…erwies sich meine neue Leidenschaft nicht als sinnlos. Immerhin macht das Teilen von (Halb-) Wissen Freude. Machen Sie es mir doch nach! Kaufen Sie bei „Scheibenkleister“ für einstellige Eurobeträge Schallplatten, tragen Sie sie nach Hause. Reanimieren Sie den alten Plattenspieler oder kaufen Sie sich einen neuen. Den gibt’s in nahezu jeder Preislage, von zwei- bis sechsstellig. Genießen Sie, was Sie hören. Am besten bei unkomplizierten Dingen wie Wein oder Bier. Und den so schäbig klingenden Vorwurf des „Nachmachens“ vergessen wir; immerhin sind wir hier in Oldenburg und nicht in Berlin-Mitte (dem Epizentrum kritikloser Trendadaption).

Kategorie: Kolumne
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