Menschen Vom Einfachen immer das Beste
Vom Einfachen immer das Beste
Interview mit Ali Güngörmüs
Interview mit Ali Güngörmüş
Text: Arash Farahani / Fotos: Contentley Media
CHAPEAU besuchte den begnadeten Koch und begeisterten Gastronomen Ali Güngörmüş in seinem Münchner Spitzenrestaurant „Pageou“ und lernte dort nicht nur viel über den Menschen, sondern erfuhr vor allem etwas von seiner Haltung – zum Kochen wie auch zum Leben.
CHAPEAU — Was ist für dich das Wichtigste an gutem Essen?
ALI GÜNGÖRMÜŞ – In erster Linie zählt der Geschmack. Dann folgen Kriterien wie Aussehen oder Kreativität. Aber ein tolles Kunstwerk auf dem Teller bringt mir gar nichts, wenn der Geschmack fehlt.
Welche Philosophie verfolgst du mit deiner Küche?
Als ich mich in Hamburg selbstständig gemacht hatte, habe ich zunächst frankophil gekocht. Irgendwann haben mich die Gäste nach Aromen der orientalischen Küche gefragt, also nach den Geschmäckern, die ich aus dem Zuhause meiner Kindheit kenne. Anfangs habe ich mich lange dagegen gewehrt, auch weil ich dieses Kochen nie gelernt habe. Meine Ausbildung hatte ich in München mit eher bayerischer Küche absolviert, danach kam die klassische französische Küche. Aber die Nachfrage hat mich natürlich beschäftigt, und irgendwann fing ich an, mich auch mit mir selbst auseinanderzusetzen. Wer bist du, wo kommst du her? Welche Geschmäcker hast du in deiner Kindheit mitbekommen? So habe ich mich da herangetastet und getüftelt. Mittlerweile betreiben wir hier im „Pageou“ in München hauptsächlich die levantinische Küche. Wir kochen mediorientalisch, mediterran mit orientalischen, mit exotischen Einflüssen – aber zu 90 Prozent levantinisch. Das beginnt im Süden Griechenlands, geht dann über die Türkei, Libanon, Syrien, Israel und so weiter… Das ist die Küche, die momentan den Zeitgeist trifft. Sie ist leicht, überaus bekömmlich und reich an Aromen. Als Koch lässt sich mit den Produkten und mit den Gewürzen sehr kreativ arbeiten.
Du hast also für dich die Tradition deines Geburtslandes Türkei entdeckt?
Definitiv. Das hat sich erst spät entwickelt, und es hat auch mit dem Älterwerden zu tun. Je älter du wirst, desto mehr wächst dein Selbstbewusstsein. Dann hast du auch den Mut, etwas Neues auszuprobieren. Aber es ist auch wichtig, sich selbst treu zu bleiben. Meine Küchen-Philosophie ist: vom Einfachen immer das Beste. Das Produkt steht im Vordergrund, das bringen wir unseren Gästen auf den Tisch. Jedes Produkt hat das Recht auf seinen eigenen Geschmack. Wenn ich eine Karotte bestelle, tue ich das, weil mir eine Karotte schmeckt. Wenn sie aber nur noch in pürierter Form oder als Gelee auf den Teller kommt, ist das ist nicht mehr meins. So setzen wir uns mit der Küche im „Pageou“ von anderen ab, machen uns vielleicht auch einzigartig. Das heißt nicht, dass wir besser sind, aber wir sind auch nicht schlechter. Einfach anders. Wir treffen den Zeitgeist, sind damit erfolgreich, und die Gäste sind glücklich.
Du hast dein Restaurant „Pageou“ in München nach deinem Geburtsort in der Türkei benannt. Was verbindet dich noch mit dem Land?
Ich habe zwei Heimatorte – die Türkei und Deutschland. In Pageou bin ich geboren, habe in der Türkei meine Kindheit verbracht. Ich komme aus ganz einfachen Verhältnissen, und das prägt. Die Art, wie wir in München und generell in Deutschland leben, ist Luxus. Das hatte ich vorher nicht. Es ist mir wichtig, nicht zu vergessen, wo ich herkomme. Ich blicke in Demut dorthin zurück, und das bringt mich immer auf den Boden zurück. Manche Menschen werden im Erfolg schon mal überheblich, aber man sollte nie vergessen, wo man herkommt. Ich komme aus Pageou, habe dort gelebt, und das erdet mich ungemein.
Du betreibst das Restaurant seit 2014. Bist du dem Stil seither treu geblieben oder hast du ihn im Lauf der Jahre verändert?
Die Küche, das Essen entwickelt sich ja immer weiter. Nicht nur du selbst, dein Geschmack und dein Stil. Auch die Zeit ändert sich, und mit ihr die Anforderungen der Gäste. Du musst ein Gefühl dafür haben, was sie wollen. Das Schlimmste für ein Restaurant wäre, wenn du am Gast vorbeikochst. Du kannst dich abrackern, aber wenn der Gast den Geschmack nicht teilt, kommt er nicht und empfiehlt dich auch nicht weiter. Die Entwicklung ist ein Marathon. Es hat nie ein Ende, du kommst nie ans Ziel, es gibt ständig etwas zu tun. Aber du kannst immer kreativ sein. Heute machst du aus der Tomate ein tolles Essen, nächste Woche zauberst du aus der Tomate wieder ein ganz anderes Gericht. Das macht Spaß, gleichzeitig bedeutet es auch einen permanenten Druck. Es kostet Energie. Du musst einen Weg finden, um damit sportlich umzugehen, auch damit du dich selbst nicht verlierst und immer noch Spaß am Weiterkommen hast.
Woher beziehst du die Energie, was ist dein Geheimnis, dass du so tiefenentspannt wirkst?
Ja, Entspanntheit ist wichtig. Ich stelle keine Menschen über andere. Wir sind alle gleich. Das wurde mir von zu Hause mitgegeben, die Eltern haben es mir bei der Erziehung immer wieder gesagt (lächelt). Und nur weil ich jetzt im Fernsehen koche und vielleicht so etwas wie ein Z-Promi bin, fühle ich mich nicht als etwas Besonderes. Ich bin Koch, der Ali aus dem „Pageou“, fertig! Aber ich habe mit meiner Partnerin Rebecca seit Jahren eine Freundin, die mir Kraft, Freude und Energie gibt. Das bedeutet mir sehr viel. Ja, ich habe ein gutes Restaurant, habe Menschen um mich herum, die meine Nähe suchen und vielleicht auch davon profitieren. Das ist mir schon bewusst. Aber vor allem will ich so bleiben wie ich bin. Sich selbst treu zu bleiben, ist auch ein Erfolg. Das schafft nicht jeder.
„Ich bin der Ali aus dem „Pageou“. Fertig.“
Ist alles bisher so gelaufen, wie du es dir vorgestellt hast, oder hast du auch Rückschläge hinnehmen müssen?
Natürlich, es gibt immer eine Kehrseite der Medaille. Wenn du viel arbeitest, Zeit und Energie in etwas reinsteckt, fehlen dir woanders Dinge. Die Zeit, die ich mit Menschen verbringe, die mir wichtig sind, kommt sicher zu kurz. Mit Hingabe, Ehrgeiz und Disziplin mache ich Menschen im Restaurant glücklich. Andererseits, wenn mein Sohn anruft und sagt, Papa, kannst du mich heute ins Bett bringen, muss ich leider sagen, dass ich es wegen des Restaurants nicht schaffe. Das tut schon weh.
Was hat dich persönlich an deine Grenzen gebracht?
Ich habe es in der Vergangenheit immer mal wieder erlebt und erlebe auch jetzt noch Situationen, in denen ich körperlich oder psychisch an Grenzen stoße. Dagegen darf man sich nicht immer wehren. Ich fahre dann nach Hause und versuche das Problem für mich zu analysieren. Meistens erkenne ich die Ursachen und unternehme etwas dagegen. Ich gehe vermehrt zum Sport oder nehme mal eine kurze Auszeit. Wenn du sehr viel Energie investierst, musst du irgendwann auch wieder etwas Kraft tanken. Ich treffe mich mit Leuten, gehe zur Familie, bin bei Menschen, die mir guttun und mir positive Energie geben. Wenn ich mit ihnen Zeit verbringe, geht es wieder. Meistens ist das Problem nach einigen Tagen wieder weg. Wenn du selbstständig bist, gibt es solche Tage immer mal wieder.
Dein Heimatland ist die Türkei, aber du sprichst perfekt Bayerisch. Schlagen zwei Herzen in deiner Brust?
Ja, das ist wirklich so. Ich bin Deutschland sehr dankbar. Ob ich in der Türkei eine ähnliche Karriere hingelegt hätte, weiß ich nicht. Ich wurde nie gefragt, ob ich nach Deutschland kommen will. Das hat sich einfach ergeben. Mein Vater ist 1965 oder 66 nach Deutschland gegangen, ich bin dann später mit der Mama nachgezogen. Man ist in einem fremden Land, spricht die Sprache nicht und hat natürlich mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen. Trotzdem musst du aus dem Leben etwas machen. Irgendwo rumzulungern, war für mich nie eine Alternative. Ich hatte auch Glück. Mit 14 habe ich angefangen zu lernen, ging dann in die Ausbildung. Das hat mir gleich so viel Spaß gemacht, dass ich mich komplett darauf fokussiert habe. Ich habe meine Passion gefunden, arbeite in der Woche 70 bis 80 Stunden. Natürlich gibt es Tage, an denen ich müde und schlecht gelaunt bin. Nächte, in denen ich schlecht schlafe und trotzdem tagsüber fit sein muss. Das ist eigentlich Wahnsinn, aber ich sehe das nie als Arbeit. Es ist wie ein Hobby. Ich liebe Menschen, mache sie gern glücklich. Es kommen tolle Leute hierher, die wirklich auch interessante Sachen machen. Ich bin neugierig und frage nach, wenn ich etwas nicht verstehe. Auf diese Weise entwickele ich mich selbst ein bisschen weiter, aber im Grunde bin ich sehr glücklich mit dem, was ich tue. Solange ich Spaß habe, bin ich auch glücklich. Wenn das irgendwann mal nicht mehr der Fall sein sollte, werde ich aufhören.
Deine Familie konnte sich anfangs gar nicht vorstellen, weshalb du als Mann in der Küche stehen wolltest. Ist Kochen im türkischen Verständnis bis heute Frauensache, oder sorgst du auch durch dein Vorbild mittlerweile für einen Wandel?
Wir kommen aus Migrantenfamilien, und dort sind die klassischen Männerberufe Automechaniker, Elektriker, Lackierer oder Maler. Das findet in der Community viel mehr Akzeptanz. Als ich gesagt habe, dass ich Koch werden will, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Man hat versucht, mir das auszureden. Aber dann hat mein Vater gesagt, du musst es wissen. Du musst davon leben, und irgendwann muss deine Familie davon leben. Das war ihm wichtig. Wenn wir Verwandte besucht haben oder Besuch aus der Türkei hatten und ich dann sagte, dass ich Koch bin, kamen schon verwunderte Reaktionen. Gerade in Deutschland, einem Industrieland und Land der Ingenieure… „Koch hättest du auch hier in Istanbul werden können.“, „Es kochen doch die Frauen, nicht die Männer.“ Ich habe geantwortet, in der Profiküche kochen mehr Männer, aber das war schon recht schwierig. Wenn das Thema aufkam, bin ich in einigen Situationen rausgegangen, habe abgeschaltet. Aber jetzt (lacht) sind sie alle froh!
„Unsere levantinische Küche trifft den Zeitgeist.“
Du bist ein sehr zielstrebiger Typ. War es dein Ziel, Sternekoch zu werden, oder war es dir immer schon wichtiger, irgendwann ein eigenes Restaurant zu haben?
Anfangs wollte ich eigentlich nur die Ausbildung machen. Der Ehrgeiz hat sich dann langsam herauskristallisiert, als ich in der Presse oder in Fachzeitschriften über andere Köche gelesen und sie im Fernsehen gesehen habe. Fernseh-Kochen war damals noch nicht so verbreitet wie heute, aber hin und wieder gab es schon mal kulinarische Sendungen. Warum kriegen die einen Stern, werden interviewt – und wir nicht? Ich habe verstanden, was wir kochen ist die Basis, aber es geht noch eine Stufe höher. Ich habe zu recherchieren angefangen und eines Tages die Zeitungsannonce eines Sterne-Restaurants gelesen, in der man einen Jungkoch suchte. Ich habe mich beworben ohne damit zu rechnen, dass die mich tatsächlich nehmen. So bin ich reingerutscht und habe dann in verschiedenen Ein- und Zweisterne-Restaurants gearbeitet. Es war immer schon ein Ziel von mir, mich selbstständig zu machen, aber einen Stern zu haben, war nicht meine Intention. Ich habe immer gewusst, als Selbstständige müssen wir lange arbeiten, damit wir wirtschaftlich überleben. Es bringt nichts, ein Restaurant eröffnen zu wollen, um Sternekoch zu werden. Lass uns erst mal anständig arbeiten und die Basis stabilisieren. Dahinter steht natürlich die Angst, dass es nicht funktioniert. Ich komme aus keiner reichen Familie, habe kein Hotel hinter mir oder einen Investor, der mir das Geld zuschiebt. Wir haben dort in Hamburg davon gelebt, was wir erarbeitet haben, und das lief auch ganz gut. Als nach eineinhalb Jahren der Stern dazu kam, war das für uns schon ein Segen. Danach ist alles noch besser gelaufen.
Du wurdest immerhin als „kulinarischer Sohn“ des Sternekochs Karl Ederer bezeichnet. Er hatte dich als jungen Koch ins Sternerestaurant „Glockenbach“ geholt, dann ins „Tantris“ gebracht. Verbindet dich heute noch etwas mit ihm?
Sehr viel. Er war mein Chef, ich hatte großen Respekt vor ihm, und ich bewundere nach wie vor seine Leistung, seinen Stil. Jetzt sind wir befreundet und helfen uns, wo es geht. Auch mental tut er mir gut. Er kennt mich schon sehr lange und ist der Richtige, wenn ich mal Rat brauche. Er hört mir zu, gibt mir Tipps, und das tut wirklich gut. Es geht nicht ums Kochen, darüber reden wir nicht. Wir sind schon weiter. Es ist die menschliche Komponente, die zählt.
Das „Pageou“ gehört mittlerweile zu den renommiertesten Häusern Deutschlands. Ein internationales Publikum geht ein und aus. Wie fühlt sich das an – Fluch oder Segen?
Natürlich ist das ein Segen. Es ehrt doch, wenn Gäste aus Europa, aus Istanbul, der Ukraine, aus Russland zu uns zum Essen kommen. Oder Menschen aus Übersee, die in der New York Times etwas über uns gelesen haben. Eine bessere Anerkennung gibt es nicht. Den Anforderungen müssen wir uns natürlich stellen. Wenn das nicht funktioniert, bringt es dir gar nichts, im Fernsehen aufzutreten oder in Magazinen oder der Tagespresse zu stehen. Öffentliches Auftreten erzeugt nicht nur dir selbst Druck. Auch das Personal steht unter permanentem Leistungsdruck. Wir müssen immer zu 100, 120 Prozent abliefern. Ein gemischter Salat muss bei uns ganz anders aussehen, ganz besonders schmecken. Die Gäste erwarten das zu Recht von uns. Wir sind kein Low Budget Restaurant. Da müssen wir schon dafür sorgen, dass die Qualität nicht nur gut ist, sondern auch über Jahre gut bleibt. Die Herausforderung ist nicht, heute gut zu kochen. Man muss auch morgen, übermorgen, nächsten Monat, nächstes Jahr gut kochen.
Gibt es eine schlimme Situation mit Gästen, die du nicht vergessen hast?
Klar, gibt es. Ich mag es nicht, wenn sich jemand für etwas Besseres hält. Mit konstruktiver Kritik kann ich wunderbar umgehen. Wenn der Gast Recht hat und du ehrlich zu dir selbst bist, musst du einen Fehler zugeben. Aber wenn ein Gast herablassend wird oder mein Personal angreift, gehe ich dazwischen. Das akzeptiere ich nicht. Wir sind Menschen und machen auch Fehler. Wenn wir auf Augenhöhe darüber reden, macht uns das noch menschlicher. Auch Kritik kann dich weiterbringen.
Was machst du mit einem Gast, der sich partout nicht angemessen verhalten will?
Bislang habe ich erst einmal einen Gast oder einen ganzen Tisch gebeten, zu gehen. Bis es soweit kommt, versuche ich alles, um zu vermitteln. Aber da hat es einfach nicht funktioniert. Wenn der Kopf schon ausgeschaltet ist, kannst du machen, was du willst, dann kommen wir an dem Tag nicht zusammen. Das kann in vier Wochen wieder anders sein. Für manche Gäste ist man aber auch Blitzableiter. Die hatten einen schlechten Tag. Dann kommen sie und wollen abladen. Wir versuchen trotzdem, unseren Job sehr gut zu machen. Zu 99 Prozent klappt das auch ganz gut.
Was macht dich besonders stolz?
Eigentlich müssen andere beurteilen, was ich bin. Natürlich bin ich in gewisser Hinsicht auch stolz auf mich. Ich bin stolz, dass ich so weit gekommen bin. Ich bin stolz, dass ich die Chance in Deutschland genutzt habe. Ich bin auch stolz, dass ich eine gesunde Familie habe, dass es Menschen um mich herum gibt, die mich lieben, die ich liebe. Ich bin auch stolz, dass mich Jugendliche aus Migrantenfamilien als Vorbild sehen. Das ehrt mich, und das ist schon schön.
Du spürst also noch eine gewisse Unzufriedenheit oder Rastlosigkeit – den Drang, noch etwas erreichen zu müssen?
Klar. Es geht immer darum, weiterzukommen und sich weiter zu entwickeln. Als nächstes werde ich eine Mezze Bar in München eröffnen. Da werde ich dann nicht stehen bleiben, aber ich will mich auch selbst nicht vergessen. Aufpassen, dass man nicht abhebt, das ist die Kunst. Ich habe ein gutes Leben, mir geht es gut. Mir ist wichtig, dass ich gesund bin, dass meine Arbeit Spaß macht, dass das Restaurant funktioniert. Das ist nicht nur für mich wichtig, sondern auch für meine mittlerweile 18 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ihnen und ihren Kindern gegenüber habe ich eine soziale Verantwortung. Dass die Jobs erhalten bleiben, damit die Menschen sich und ihre Familie ernähren können. Ich habe ja auch selbst Kinder, und wenn du die Partner, die Kinder und alle einrechnest, leben von unserem kleinen Restaurant 30 bis 40 Menschen. Das sage ich auch immer wieder meinen Mitarbeitern. Alles was ich tue, mache ich gerne. Ich fasse kein Projekt an, hinter dem ich nicht stehe. Und wenn ich hinter jedem meiner Projekte stehe, bin ich glücklich und zufrieden.
Wir haben schon mit vielen renommierten Köchen gesprochen, und in einigen Küchen herrscht ein knallharter Umgangston. Wie läuft es bei dir?
In jedem Betrieb muss es klare Strukturen und Anforderungen geben. Disziplin muss da sein. Aber wenn du anfängst, deine Mannschaft mit Beleidigungen und Rumschreien zu führen, bist du auf dem falschen Weg. In der Presse steht, dass der Ton in der Küche unmenschlich ist. Es gibt sicher Betriebe, in denen das so ist. Ich habe das in meiner Ausbildung auch erlebt. Ich wurde angeschrien, manchmal habe ich Watschen, also Ohrfeigen, bekommen. Das war früher so, aber ich könnte mir das jetzt gar nicht vorstellen. Auch wenn ich mit Kollegen rede, höre ich, dass sich das Klima komplett verändert hat. Es stehen auch gar nicht so viele Köche und Köchinnen oder Servicekräfte zur Auswahl, dass wir uns erlauben können, mit denen so umzugehen. Wenn einer weggeht, steht keinesfalls schon der nächste in der Tür. Schon deswegen funktioniert das nicht. Hast du ein gesundes Selbstvertrauen, musst du auch niemanden anschreien, um aus ihm das Maximale herauszuholen. Ich kritisiere auch. Ich ziehe die Person zur Seite und berede die Sache mit ihr ganz höflich bei einer Tasse Kaffee. Zunächst versuche ich, den Menschen zu verstehen. Wo liegt das Problem, warum kann er nicht abliefern, was gefordert ist? Nicht alle haben eine starke Persönlichkeit, aber auch die muss man mitnehmen, sie unterstützen. Nicht alle sechs oder acht Leute in der Küche oder im Service sind top. Jeder Mensch hat Defizite, ich auch. Es ist wichtig, dass du das erkennst und die Person unterstützt. Längerfristig hast du so viel mehr von ihr, als wenn du sie nur rund machst und auch noch beleidigst. Sie könnte an dem Druck ja zerbrechen. Ich bin ein sozialer Arbeitgeber, mein Personal ist mir wichtig. Die Leute sind ebenso wie ich Teil des Restaurants, ohne sie kann ich das nicht machen. Sie brauchen aber einen Kopf, der ein Ziel vorgibt. So ergänzen wir uns, und damit bin ich immer gut gefahren. Einige Mitarbeiter waren schon vor 10 Jahren in Hamburg bei mir und sind es jetzt wieder. Ich sehe das als gutes Zeichen. Natürlich triffst du zwischendurch Menschen, die mit der Philosophie nicht einverstanden sind, aber das merkst du schon in der Probezeit. Das ist Gefühlssache, und Kochen hat viel mit Charakter zu tun. Das Thema rauer Umgangston sollte gar nicht mehr in die Köpfe kommen, denn die rüden Zeiten sind vorbei. Ich weiß von niemanden, der in der Küche cholerisch herumtobt. Und das ist auch gut so.
Manche sagen über die Sterne-Gastronomie, dass viele Betriebe ohne die Unterstützung Dritter betriebswirtschaftlich nicht auf eigenen Beinen stehen könnten. Wie siehst du das?
Ich denke schon, dass man ein Sternerestaurant wirtschaftlich betreiben und Geld verdienen kann. Es kommt immer darauf an, wie du selbst dastehst. Ich hatte mit dem „La Canard“ in Hamburg damals meinen ersten Stern, und wir haben trotzdem wirtschaftlich gut gearbeitet. Das bedeutet natürlich viel mehr Arbeit. Wenn du einen Investor, ein Hotel oder einen reichen Mäzen hinter dir hast, gehst du mit dem Betrieb möglicherweise anders um. Das birgt aber ein Risiko. Wenn der Investor irgendwann keine Lust mehr hat, bist du weg.
„In unserem Team ist es ein bisschen wie in einer Familie.“
Es gibt einen bekannten Sternekoch, der mehr als neun Häuser betreibt, darunter ein Sternerestaurant als Aushängeschild. Das Geld verdient er aber mit den anderen Häusern …
Ja, das gibt es auch. In Paris oder in London beispielsweise ist es gang und gäbe. Da gibt es tolle Kollegen, erfolgreiche Köche mit einem Flagship-Restaurant mit zwei oder drei Sternen. Meist besitzen sie noch Ketten oder andere Konzepte, wo sie Geld verdienen. Ich habe nur das eine Restaurant. Wir haben jetzt keinen Stern, aber vorher in Hamburg habe ich mich auch auf das eine Restaurant fokussiert, und es hat gereicht. Wichtig ist, dass du Spaß hast. Wirtschaftlich muss es funktionieren, und Millionär wirst du damit nicht. Aber du kannst gut davon leben.
Letztendlich ein schmaler Grat zwischen Existenz und in Schönheit sterben?
Wenn du am Geschmack der Leute vorbeikochst, kannst du wirklich in Schönheit sterben. Wenn du dich mit dem administrativen Zeug nicht auseinandersetzen willst, dir die Zahlen nicht immer wieder anschaust und analysierst oder beim Einkaufen nicht aufpasst, dann kann der Schuss nach hinten losgehen. Wir wollen nicht in Schönheit sterben. Schön sind wir schon genug (grinst).
„Jedes Produkt hat das Recht auf seinen eigenen Geschmack.“
Die Systemgastronomie erlebt ihren Höhepunkt. Wird der Gast in seinem Geschmack versaut?
Na ja, klar. Die Burger-Ketten und die Systemgastronomie florieren. Auf der anderen Seite ist auch die Nachfrage nach einem guten, gesunden, nachhaltigen Essen gestiegen. Der Gast ist viel aufgeklärter als früher. Während der Pandemie haben viele zu Hause gekocht und versucht, sich gesund zu ernähren, frisch zu kochen. Dann haben sie selbst gesehen, dass gute Produkte teuer sind und dass hochwertige Restaurants nicht zufällig mehr kosten. Ich finde die Entwicklung unserer Gastronomie eigentlich sehr positiv. Auch jungen Leuten wird vieles bewusst. Sie wollen sich gesund ernähren, nachhaltig einkaufen und versuchen, ihren Alltag umweltfreundlicher zu gestalten. Das andere wird es immer geben, und das ist ganz in Ordnung. Wenn ein Student mittags einen Teller Pasta oder Pizza isst, statt ins Restaurant zu gehen, ist das nichts Verwerfliches. Ich erwarte nicht, dass jeder immer in einem Qualitätsrestaurant speist, das mache ich auch nicht. Aber deshalb gehe ich nicht gleich ins Systemgastronomie-Restaurant.
Das würdest du nicht machen?
Nein. Ich gehe schon mal in einen Dönerladen in der Nachbarschaft und esse dort Reis mit Salat. Fleisch esse ich sowieso nur maximal ein- bis zweimal die Woche. Lieber vegetarisch. Viel Reis, Bulgur.
Du hast mal bei Stefan Raab im Fernsehen einen richtig leckeren Döner zubereitet. Denkst du manchmal über eine eigene kleine Kette nach?
Ja, darüber habe ich tatsächlich mal nachgedacht. Nach meinen eigenen Vorstellungen, mit richtig guten und nachhaltigen Produkten. Aber das ist nicht so einfach. Ich versuche lieber, mit meiner Mezze Bar mit Lahmacun etwas Innovatives auf die Beine zu stellen. Das Konzept passt viel besser zu mir. Es ist bekömmlicher, besser. Pizza oder so etwas esse ich nur noch selten. Das war früher ganz anders. In den Pausen habe ich Nudeln gegessen, das hat mich sehr müde gemacht, denn es hat mir viel mehr Energie rausgezogen als gegeben. Jetzt bin ich entspannt, wenn ich einfach Gemüse mit Reis, Salat mit Reis oder manchmal einfach nur eine Scheibe schönes Brot und Käse drauf esse.
Inwiefern achtest du auf die Herkunft der Lebensmittel und Zutaten?
Wo es geht, versuchen wir regional einzukaufen. Nachhaltigkeit ist mir wichtig. Bei Fleisch sind wir sehr lokal. Bei Fisch ist das etwas anders, da müssen wir allein wegen der mangelnden Möglichkeiten nehmen, was im Angebot ist. Das gilt auch für Gemüse. Wir bemühen uns sehr, umweltfreundlich einzukaufen, aber es lässt sich nicht immer vermeiden, dass wir auch mal Sachen aus der Türkei kaufen. Im Winter kommt auch mal Mango aus Thailand, aber zu etwa 70, 80 Prozent nutzen wir heimische Produkte. Wenn wir dieser Philosophie treu bleiben, haben wir schon viel erreicht.
Wie bist du bisher mit der Pandemie umgegangen?
Die Pandemie ist natürlich eine riesige Anstrengung, und sie ist ja auch noch nicht weg. Aber ich bin nicht nur Koch, und als Unternehmer muss ich solche Situationen meistern können. Ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann mal ein Essen zum Mitnehmen anbiete, aber Not macht erfinderisch. Wenn du stehen bleibst, bist du irgendwann weg. Es hat uns gutgetan, dass wir schnell reagieren konnten. Wir haben sofort mit einer Marketingagentur geredet und uns um Verpackungen für die Außer-Haus-Gerichte gekümmert. Es war eine außergewöhnliche Zeit, kein Mensch hatte damit gerechnet. Das Gute daran war, dass wir trotzdem so flexibel, intelligent und auch so mutig darauf reagiert haben. Immer noch rufen Gäste an und sagen, ihr hattet doch damals die To-go-Karte, macht ihr das noch? Das zeigt uns, dass wir es wirklich gut gemacht haben. Für uns war das auch ein Lernprozess. Dass wir Geld damit verdient haben, glaube ich nicht. Zumindest waren wir beschäftigt und haben Präsenz gezeigt. Das ist auch wichtig. Mit dem To-go-Essen haben wir in der Zeit Menschen glücklich gemacht, und auch darauf bin ich stolz. Vor allem auf meine Mannschaft, die das mit mir durchgezogen hat. Anfangs war ich eigentlich der Skeptiker, aber die Mitarbeiter waren so mutig, haben auf mich eingeredet – und das war gut. Wir sind ein Team. Es ist ein bisschen wie eine Familie. Wir halten zusammen und schauen, dass wir gemeinsam vorankommen.
Eine Situation, in der man den Atem anhält und trotzdem neue Dinge entstehen?
Ja, aus der Pandemie ist auch die Idee zu der Mezze Bar in München entstanden. Wenn alles gut geht, eröffnen wir die im Januar. Das ist doch toll. Du musst den Mut haben, etwas Neues zu machen.
„Sich selbst treu zu bleiben, ist auch ein Erfolg. Das schafft nicht jeder.“
Was macht deine Mezze Bar so besonders?
Ich möchte die levantinische Küche oder die orientalische Küche servieren. Es wird ein Laden sein, aus dem sich Gäste etwas mit nach Hause nehmen können, oder sie können sich dort hinsetzen, etwas essen, sich unterhalten. Alles entspannt und locker. Das wird gut.
Hast du noch eine Verbindung in den Norden, etwa zum „Le Canard“?
Das „Le Canard Nouveau“ habe ich 2017 abgegeben, seitdem konzentriere mich hier auf das „Pageou“. Damit habe ich genug zu tun. Anfangs hatte ich gedacht, ich hätte weniger zu tun, wenn ich eines der beiden Restaurants abgebe. Aber das ist nicht der Fall. Ich habe das Gefühl, ich habe genauso viel Arbeit wie vorher mit zwei Restaurants.
Stimmt es, dass bis heute deine Mama die einzige Frau in deinem Leben ist, die für dich kochen darf?
Ja, aber das kommt nicht mehr so häufig vor wie früher, als ich jeden Sonntag bei meinen Eltern war. Dann kocht die Mama, und das genieße ich. Vor allem sind es die Geschmäcker meiner Kindheit. Wenn sie die klassische türkische Linsensuppe mit Minze kocht, hat das schon vor 20, 30 Jahren so geschmeckt. Jetzt schmeckt es immer noch, und ich mische mich da auch nicht ein. Ab und zu kommt Mama auch ins Restaurant und macht Köfte oder Sarma. Das schreibe ich dann auf die Karte.
Ist sie ein Vorbild für dich, ähnlich wie dein „kulinarischer Vater“ Karl Ederer?
Die wichtigsten Menschen im Leben sind natürlich immer zuerst die Eltern. Mein Vater hat immer gearbeitet und ist sehr fleißig gewesen, meine Mutter genauso. Was die Karriere angeht, haben mich auch meine Chefs, die Lehrmeister und so weiter geprägt. Ich habe viel von ihnen gelernt. Aber jetzt bin ich 45 und werde selbst als Vorbild gesehen. Das soll nicht arrogant klingen. Wenn ich aber in der Presse von meinen früheren Angestellten lese, die mittlerweile selber Küchenchef und selbstständig sind, jetzt vom „heiligen Güngörmüş“ schreiben, er sei ihr großes Vorbild gewesen, bedeutet das für mich eine große Anerkennung. Ich bin meinen eigenen Weg gegangen, und mit 45 muss ich mir niemanden mehr als Vorbild nehmen. Ich habe Respekt vor Kollegen, die tagtäglich diesen Job machen. Egal ob in der Küche, an der Spüle oder im Service. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die fleißig sind, nach vorne kommen wollen und auch die Disziplin dazu haben. Aber nicht als Vorbild. Ich habe eine eigene Linie. Der bleibe ich treu, und das ist das Wichtigste.
„Das Schlimmste für ein Restaurant ist, wenn du am Gast vorbeikochst.“
Was gibt es klassischerweise bei dir zur winterlichen Jahreszeit?
Kohl, Wurzelgemüse. Winter ist ja die Zeit von November bis März/ April. Ich mag die südländische Küche sehr, Paprika, Aubergine. Da sind jetzt die Qualität und der Eigengeschmack der Produkte auf dem Markt nicht sehr groß. Deswegen gibt es bei uns ab November keine Tomaten mehr. Das geht erst ab Mai wieder los. Dafür gibt es jetzt andere Produkte wie Wurzelgemüse, rote Beete, Sellerie. Als kreativer Koch musst du auch daraus etwas machen, selbst wenn du zuhause immer Auberginen gegessen hast – sogar im Winter. Wieso im Winter? Weil wir die Auberginen im Sommer angebaut, getrocknet und im Winter dann ein tolles Gericht daraus gemacht haben. Aber alles schmeckt zu seiner Jahreszeit am besten. Wenn wir jetzt Petersilie, Wurzeln oder Topinambur anbieten, schmeckt es ganz anders, als wenn wir es im Sommer auf der Karte hätten. Wir können daraus auch ein bisschen Verzicht lernen. Wir verbrauchen alles viel zu schnell. Rhabarber zum Beispiel ist schon ab Mitte Februar auf dem Markt, aber eigentlich müssten wir noch warten. Kauf den Rhabarber ab April/Mai, dann schmeckt er super. Erdbeeren genauso. Wir müssen auf unsere Ressourcen aufpassen. Lieber zur passenden Jahreszeit umso mehr genießen.
Vielen Dank für das tolle und ehrliche Gespräch.
Lesetipp
ALI GÜNGÖRMÜŞ,
Schau in die Sonne, schau in den Tag – Der Geschmack meines Lebens
Rowohlt, 208 Seiten
20€
TATORT
Pageou Restaurant
Kardinal-Faulhaber-Straße 10
80333 München
T: 089 24 23 13 10
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