Menschen Von Spaghetti, Reiterhosen und unnötigen OPs…

Von Spaghetti, Reiterhosen und unnötigen OPs…

Interview mit Dr. Michael Wrobel

Was genau macht ein Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie, wie geht er mit den Wünschen seiner Patienten und wie definiert er Ästhetik? Darüber sprach CHAPEAU mit Dr. Michael Wrobel.

CHAPEAU ― Herr Dr. Wrobel, Sie sind Schönheitschirurg, genauer gesagt: Plastischer Chirurg. Fühlen Sie sich dem Arzt immer noch näher als dem Bildhauer?

Dr. Wrobel ― Unbedingt! Ich bin von Grund auf Arzt. Das habe ich gelernt, das habe ich studiert.

Welches Studium haben Sie absolviert? Welche Art von Facharzt sind Sie?

Man studiert zunächst einmal Medizin – und ist dann Arzt. Danach macht man im Krankenhaus seine Facharztausbildung. Ich ging also in eine Fachabteilung und begann dort meine sechsjährige Ausbildung zum Facharzt für Ästhetische und Plastische Chirurgie. Zudem habe ich mich zum Facharzt für Handchirurgie ausbilden lassen.

Man hört oft, dass die Handchirurgie die Königsklasse der Chirurgie sei, weil sie sich mit dem Filigransten befasst.

Da ist etwas dran. Wir selbst bezeichnen uns als die Uhrmacher unter den chirurgischen Handwerkern. Bei Operationen benutze ich sehr feine Instrumente. Ich operiere viel unter dem Mikroskop. Es gibt Strukturen, die so fein sind, dass sie mit dem bloßen Auge zwar zu erkennen, aber nicht mehr zu operieren sind. Beispielsweise die Fäden, mit denen ich Nervenbahnen verbinde. Meine Hände sind während der Operation in einer Art Schale aufgelegt, so dass ich nur aus den Fingern heraus operiere. Stünden sie frei, wäre die Armmuskulatur viel zu grob, so feine Arbeiten verrichten zu können. Muss ich jemandem einen abgetrennten Finger wieder annähen, gilt es, die Arterie und die Vene, die den Finger mit Blut ver- und entsorgen, zusammenzunähen. Stellen Sie sich vor, ich füge zwei Teile eines Rohres zusammen, das so dünn ist wie ein Viertel einer Spaghetti und freien Durchfluss gewähren muss. Das verdeutlicht, wie filigran die Arbeit ist. So zu arbeiten, darauf muss man vor allen Dingen Lust haben. Aber die hatte ich schon immer.

Und wenn sie fehlt?

Dann kann man trotzdem ein hervorragender Arzt werden, aber eher Orthopäde oder Unfallchirurg. Die setzten ja richtig schweres Gerät ein: große Hammer, große Meißel, richtige Sägen. Dieses Werkzeug braucht man, um etwa Oberschenkel richtig zu behandeln. Das kann ich gar nicht gut, mache es auch nicht, zumal ich es nicht gelernt habe.

Verliere ich einen Finger, komme ich in die nächste geeignete Notaufnahme, vielleicht also zu Ihnen. Möchte ich meine Oberlider straffen lassen, treffe ich eine freie Entscheidung – und kann mich bewusst für Sie entscheiden. Können Sie grob beziffern, welchen Anteil sozusagen die Pflicht und welchen die Kür haben?

Das ist nicht ganz einfach zu greifen. Ich mache schon sehr viele Handoperationen. Beim Karpaltunnelsyndrom zum Beispiel ist ein Nerv eingeklemmt, der unter lokaler Betäubung in knapp zehn Minuten wieder befreit wird. An einem Vormittag schaffe ich zehn bis 15 derartige Eingriffe. Das sieht bei einer Oberlidstraffung anders aus. Nicht nur, dass die Operation länger dauert, die Beratung ist auch viel aufwändiger. Vielleicht kann man es dritteln: ein Drittel Handoperationen, ein Drittel plastisch-rekonstruktiv, ein Drittel ästhetische Operationen, also sogenannte Schönheitsoperationen. Darum hat mich Ihre erste Frage etwas gestört. Ich habe kein grundsätzliches Problem mit dem Begriff, bin aber eben nicht nur ein Schönheitschirurg. Ich mache nicht nur schön, sondern heile ganz klassisch als Arzt. Und das genauso gerne.

Sind die Patienten anders?

Nein, sie ähneln sich sogar. Viele Menschen glauben, wer zum Schönheitschirurgen geht, ist etwas eigenartig, oberflächlich. Das transportieren auch bestimmte Fernsehsendungen. Aber dem ist nicht so. Normale Menschen sehen ein Problem an sich – und suchen bei mir eine Lösung. Zudem sind die Grenzen fließend. Korrigiere ich in einem Gesicht eine große, auffällige Narbe, ist die Frage, ob ich gerade ästhetisch oder eher rekonstruktiv arbeite. Oder eine Oberlid-OP: Da geht es nicht immer um Ästhetik, häufig ist das Sehvermögen beeinträchtigt. Viele Männer sind betroffen, die wollen einfach wieder gut sehen können. Aber natürlich ist der Eingriff derselbe wie bei einer Frau, die ein weniger müdes Erscheinungsbild haben möchte.

Stellen Sie fest, dass die Schönheitschirurgie in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen ein Distinktionsmerkmal ist? Also notwendig, um dazu zu gehören?

Nein. Bei uns definitiv nicht. Ich bemerke wohl, dass der Trend zur Schönheitsoperation zunimmt. Die gab es vor 20 Jahren sehr viel weniger. Ich erkläre mir das aber mit einem allgemeinen Trend: Kaufe ich mir einen Computer, soll der besonders schön sein. Meine Küche auch, mein Auto, mein Sofa. Die Lust auf Schönes ist generell größer geworden. Die Anspruchshaltung ist eine veränderte, höhere. Auch an uns selbst, den eigenen Körper. Quer durch alle Gesellschaftsschichten.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der signifikant gestiegenen Lebenserwartung und Ihrem Tun im Bereich der Ästhetischen Chirurgie?

Auf jeden Fall! Wir werden älter, fühlen uns aber jünger. Sehe ich heute 65 Jahre alte Menschen, denke ich an meine Großeltern vor 30 Jahren: Das waren Oma und Opa! Und heute? 65 Jahre alte Menschen stehen mitten im Leben, sind topfit, gut ernährt, sportlich. Mit 65 endet heute nichts mehr. Im Gegenteil, Neues beginnt. Man muss nicht mehr arbeiten, kann reisen, etwas aufbauen, beginnen. Vor diesem Hintergrund heißt es dann oft: Ich fühle mich nicht so alt, wie ich aussehe. Das Problem entsteht beim Blick in den Spiegel. Da wird offensichtlich, das bin ja nicht ich. So fühle ich mich nicht.

Sind Sie Dienstleister?

Wie sehr machen Sie das, was Ihnen der Patient sagt? Lassen Sie mich so antworten: 50 Prozent aller Patienten schicke ich unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Weil ich im Beratungsgespräch davon überzeugen konnte, dass jemand eine falsche Wahrnehmung von sich selbst hat, also eine Operation nicht nötig oder nicht möglich ist. So kommen oft schwer übergewichtige Menschen zu mir und wollen Fett absaugen lassen. Aber ich kann durch eine Operation einen übergewichtigen Menschen nicht in einen schlanken verwandeln. Da muss sich vor allem im Verhalten etwas ändern. Hinzukommt, dass die Fettabsaugung eine große Operation ist, mit vielen Gefahren. Da kann richtig was passieren! Missverstehen Sie mich nicht: Ich sauge durchaus Fett ab, zum Beispiel bei eher schlanken Menschen, die sogenannte Reiterhosen haben oder Fettpolster im Taillenbereich. Ein anderes Beispiel betrifft relativ junge Frauen, die ihre Nase zu groß finden. Sehe ich das anders, muss ich versuchen, ihnen das zu verdeutlichen. Dabei stelle ich oft fest, dass die Probleme ganz andere sind.

Es geht also gar nicht um die Nase …

Genau, sie ist quasi Stellvertreter. Da kommen wir zu etwas, das mir sehr wichtig ist: Alle Probleme im Vorfeld der Ästhetischen Chirurgie muss ich zunächst objektivieren. Danach kann ich sagen: Stimmt, Sie haben ein Problem. Und das kann ich lösen, mit meinen handwerklichen Mitteln. Ich spreche das nicht unbedingt bei jedem Patienten aus, aber: Mein Anspruch dabei ist – in Schulnoten gesprochen – zwei Noten besser zu werden, also aus einer Vier eine Zwei zu machen. Dann muss ich sehen, ob der Aufwand im Verhältnis steht. Bei Oberlideroperationen ist natürlich die Gefahr einer Komplikation relativ gering, da kann ich schon eher dem Wunsch des Patienten entsprechen und – in Ihren Worten gesprochen – zum Dienstleister werden. Bei Brustoperationen hingegen liegen die Risiken in einem ganz anderen Bereich. Da werde ich nur als Arzt beraten und arbeiten, keinesfalls als Dienstleister.

Möchte jemand mit 75 wie 55 aussehen, lautet Ihr Rat dann, sich mit 40 Jahren das erste Mal sanft glätten zu lassen und dann alle zehn Jahre wieder, damit es niemand bemerkt?

Nein. Oft kommen Menschen zu mir und bitten mich, ihre Zornesfalte mit Botox wegzuspritzen. Ich sage dann: Sie haben gar keine Zornesfalte! Und höre dann: Nein, aber die kommt ja vielleicht noch, man kann doch vorbeugend etwas machen. Das halte ich überhaupt nicht für sinnvoll. Wenn ich den Wunsch habe, mit 75 wie 55 auszusehen, darf ich eines nicht vergessen: Das wahrgenommene Alter beruht auf vielen Faktoren. Ohne das Gesicht zu sehen kann ich aus 300 Meter Entfernung grob erkennen, ob da ein junger oder alter Mensch geht und steht – an der Körperspannung, der Haltung, dem Gang. Und komme ich einem Menschen näher, verrät mir auch die Stimme einiges über das mutmaßliche Alter. Die Kunst bei der Glättung eines Gesichts besteht darin, das, was nicht zum Körper passt, passend zu machen. Wer aber insgesamt den Eindruck eines alten Menschen macht, dem ist nicht geholfen, wenn er danach die Gesichtskontur eines 40-Jährigen hat.

Ich nehme an, Sie arbeiten nicht allein, sondern mit einer Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen?

Zusammen mit meinem Schulfreund Andreas Raßloff habe ich die Juventus-Tagesklinik gegründet. Er ist Zahnarzt, ich bin Ästhetischer Gesichtschirurg. Da lag der Gedanke nahe, diese beiden mitunter ja auch ästhetischen Fachrichtungen zusammen zu bringen. Ein gutes Jahr später gründete ich mit meinem Kollegen Dr. Reimer Hoffmann, auch Handchirurg, die HPC Oldenburg, Hand- und Plastische Chirurgie. Dort machen wir Handchirurgie, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie. Inzwischen sind wir mit sechs Ärzten in einer Praxisstruktur tätig, die nicht nur hier in Oldenburg tätig ist. Wir arbeiten im Bundeswehrkrankenhaus Westerstede, in einer Praxis in Wilhelmshaven, sind als Rekonstruktive Chirurgen tätig in der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses Varel, zur Brustwiederherstellung nach Brustkrebs, und sind in der Allgemeinen Chirurgie in Varel, wo wir massiv übergewichtigen Patienten nach erfolgreicher Gewichtsabnahme Hautlappen entfernen. Rein rekonstruktiv.

Schönheitschirurgen lassen an sich selbst nichts machen, stimmt das?

Keine Ahnung. Ich habe an mir auf jeden Fall noch nichts machen lassen – und muss natürlich aushalten, dass Patienten mitunter sagen: Gucken Sie sich mal selber an! Sie haben auch Falten oder leichte Schlupflieder.

Angesichts all der Arbeit, die Sie leisten: Unterhalte ich mich in zwei Jahren mit dem Ruheständler Dr. Wrobel?

Auf keinen Fall! Ich verspüre zwar dann und wann Lust, etwas weniger zu arbeiten und mehr Zeit für meine Frau und meine beiden Söhne zu haben. Die sind jetzt 13 und 15 Jahre alt und brauchen schon mal den Papa im Haus. Und ich benötige auch Zeit für mich. Ich treibe unheimlich gerne Sport, laufe viel und oft auch ganz für mich allein, genieße die Natur. Stundenlang.

Das hört sich an, als hätten Sie von Anfang an alles richtig gemacht: den richtigen Beruf gewählt, die richtigen Mitarbeiter gefunden …

Kann ich auch so sehen, muss aber der Wahrheit Rechnung tragen: Ich habe vor dem Medizinstudium eine normale Berufsausbildung gemacht und in diesem Beruf auch einige Jahre gearbeitet. So toll war mein Abitur nämlich nicht. Durch Zufall stieß ich dann auf die Möglichkeit, durch einen Leistungstest den Numerus Clausus auszuhebeln und etliche 100 Positionen der Warteliste zu überspringen. Die besten Zehn Prozent bekamen direkt einen Studienplatz. Und ich war einer davon! Meine Eltern waren allerdings weniger begeistert. Nachdem ich schon gearbeitet und Geld verdient hatte, ging ich nach Hannover. Um das Studium zu finanzieren habe ich vom ersten Tag an als Kellner gearbeitet, sehr gerne übrigens. Und damit aufgehört habe ich erst, als ich meine erste Stelle im Krankenhaus bekam.

Herr Dr. Wrobel, vielen Dank für das Gespräch.

Kategorie: Menschen
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