Gesundheit Was uns und
 dem Planeten guttut

Was uns und
 dem Planeten guttut

Interview mit Dr. Eckart von Hirschhausen

Was uns und
 dem Planeten guttut

Text: Michael Eckert / Interview: Kim Fuchss / Fotos: Dominik Butzmann

In seinem Buch „Mensch Erde! Wir könnten es so schön haben“ beschreibt der Arzt und TV-Moderator Eckart von Hirschhausen auf leicht nachvollziehbare Art, dass Klimaschutz vor allem auch als Selbstschutz unserer eigenen Existenz unabdingbar ist. Im Interview stellt er aber auch klar, dass die Politik jetzt neue Spielregeln vorgeben muss. 

Dr. Eckart von Hirschhausen: Mediziner, TV-Moderator, Bühnenkünstler, Autor. Eckart von Hirschhausen, Jahrgang 1967, ist dafür bekannt, dass er auch substantielle Themen allgemein-verständlich und mit einem kleinen Schmunzeln über menschliche Schwächen vermitteln kann. Seine Samstagabendshow „Hirschhausens Quiz des Menschen“ läuft seit 2010 im Ersten, und mit Büchern wie „Die Leber wächst mit ihren Aufgaben“ oder „Glück kommt selten allein“ etablierte er sich als einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren Deutschlands. Im neuen Buch „Mensch Erde! Wir könnten es so schön haben“ (dtv, 24 Euro) widmet sich Dr. von Hirschhausen der Frage, warum wir dabei sind, unsere eigene Existenzgrundlage zu zerstören. 

CHAPEAU — Für wen haben Sie das Buch geschrieben?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN – Viele Menschen spüren, dass etwas nicht mehr stimmt mit der Welt, wie wir sie kannten: Die Pandemie, der kaputte Wald, der Verlust an Tieren oder auch das Extremwetter. Ich zeige, wie eng diese Krisen unserer Zeit miteinander verbunden sind. Und wie jeder von uns mit seiner Gesundheit in Mitleidenschaft gezogen wird. Heute schon und erst recht in Zukunft. Positiv formuliert ist das ein Buch für jeden, der gerne lebt. Und es gibt wie in allen meinen Büchern tolle Grafiken, Fotos und auch etwas zum Schmunzeln und Lachen. Denn wir könnten es wirklich schöner haben. Und gesünder. 

In Ihren bisherigen Büchern haben Sie sich mit den Themen Liebe, Glück und Gesundheit auseinandergesetzt. Wie sind Sie nun zum Klimaschutz gekommen?

Auch auf die Gefahr hin pathetisch zu klingen, es gab wirklich eine Art „Erweckungsmoment“ – ein Interview mit Jane Goodall. Mit 26 Jahren wurde sie für ihren kühnen Plan, Schimpansen in freier Wildbahn aus der Nähe zu erleben, weltberühmt und gleichzeitig angefeindet. Mit inzwischen 85 Jahren ist sie immer noch unermüdlich unterwegs in ihrer Herzensangelegenheit: das Überleben von Menschen und Tieren zu sichern. Bei unserem Interview drehte sie die Rollen um, schaute mich länger an und fragte mich sehr direkt: „Wie kann es sein, dass die schlaueste Kreatur, die jemals auf diesem Planeten gewandelt ist, dabei ist, ihr eigenes Zuhause zu zerstören?“ Ich musste dreimal schlucken bei dieser großen und zentralen Frage und wusste keine gute Antwort. Das war der Startschuss für meine Reise, und „Mensch, Erde!“ ist so etwas wie das Fahrtenbuch. 

Als Arzt haben Sie ja schon einige Diagnosen gestellt. Zu welchen Schlüssen kommen Sie für den Patienten Erde – und für die Menschen, die ihn bewohnen?

Unser aller Mutter liegt auf der Intensivstation. Mutter Erde hat Fieber und das Fieber steigt weiter. Sie hat sogar Multi-Organversagen. Das ist das Schlimmste, was man auf Intensiv haben kann. Mehrere Systeme funktionieren nicht mehr richtig, Atmung, Kreislauf, Entgiftung in den Nieren, Stoffwechsel. Bei Mutter Erde ist das der Jetstream, der eigentlich dafür sorgt, dass sich Wetterlagen ändern und eine Region nach einer Hitzeperiode wieder aufatmen kann. Dem Kreislauf entspricht der Wasserkreislauf, der durch die zusätzliche Wärmeenergie zu Extremen neigt, zu Starkregen, Wirbelstürmen und massiver Dürre und Trockenheit. Die Entgiftung funktioniert nicht, weil Dreck, Feinstaub und Mikroplastik in der Luft und im Wasser sich nicht abbauen lassen. Eins ist klar: es geht ums Überleben. Und viel Zeit ist nicht mehr, an diesem kritischen Zustand etwas zu ändern. 

Die Klimakrise als Symptom eines medizinischen Notfalls?

Nein, die Klimakrise ist DER medizinische Notfall! Und um bei dem Bild von der Erde als unserer Mutter zu bleiben: Stellen Sie sich vor, Sie erfahren, dass Ihre eigene Mutter auf der Intensivstation liegt. Was würden Sie tun, in dem Moment, wo Sie von ihrem kritischen Zustand erfahren? Sie würden alles stehen und liegen lassen und sich genau um diese Situation kümmern. Das hätte Vorrang vor allen anderen Aktivitäten. Das würde auch jeder akzeptieren. Sie könnten aus jedem Meeting sofort heraus mit dem Satz: Ich habe soeben erfahren, dass ein naher Angehöriger ins Krankenhaus musste, deshalb haben Sie bitte Verständnis. Hat dann auch jede und jeder. Mit guten Wünschen verabschiedet darf man sich auf den Weg machen. Das hat Priorität, persönlich und politisch. Und das brauchen wir jetzt: keine Panik, aber oberste Priorität zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen. 

„Die Erde hat Fieber“, sagen Sie. 42 Grad ist eine Zahl, die einem im wahrsten Sinne unter die Haut geht. Was hat es mit dieser Zahl genau auf sich?


Warum endet jedes Fieberthermometer bei 41 Grad? Weil wir mehr schlichtweg nicht aushalten an Körpertemperatur. Die Eiweißstoffe im Hirn gehen kaputt. Das weiß jeder, der schon mal ein Ei gekocht hat. Proteine, die einmal ihre Form durch Überhitzung verändert haben, sind nicht mehr in die ursprüngliche Form zu bringen. Wir haben übersehen, wie sehr wir auch als Menschen biologische Wesen sind, mit einem sehr anfälligen und verletzlichen Körper. Und das habe ich als Ausgangspunkt für mein Buch gewählt, weil ich mich mit dem Körper auskenne – und jede Leserin, jeder Leser ja auch selber einen hat. 

Welche Rollen spielen Bildung und Wissen, wenn es um die Gesundheit von Mensch und Erde geht?

Eine sehr wichtige! Mein Freund Harald Lesch, der tolle Filme und Vorträge zu dem Thema macht und sich nicht scheut, auch die AfD-Positionen wissenschaftlich zu prüfen und in die Tonne zu treten, sagt: „Naturgesetze sind nicht verhandelbar!“ Das ist der Punkt. Das hätte einer Physikerin an der Spitze der Regierung auch klar sein müssen. Es ist verantwortungslos, wie gerade eine historische Chance im Klein-Klein vertan wird. Und ich kann nur jeden Politiker ermutigen, mutiger zu sein und auf die Wissenschaft zu hören. Menschen gewöhnen sich sehr schnell an neue Spielregeln für alle. Als das Rauchen in Kneipen verboten wurde, gab es wahnsinnigen Protest – nach ein paar Wochen war aber klar: Das ist eine gute Sache. Wir haben das erste Waldsterben verhindert, nicht indem wir an jeden Einzelnen appelliert haben, sondern durch visionäre Ordnungspolitik. Die braucht es auch jetzt. Wir können noch so viel Kraft auf die Vermeidung von Plastiktüten legen, wenn die Flüge weiterhin in Deutschland billiger sind als Bahnfahrten und Straßen wichtiger sind als Radwege, bekommen wir keine relevante Verhaltensänderung. Wenn wir unsere krankmachenden Konsummuster unterbrechen, geht es nicht um Mangel oder Verzicht, sondern um das einzig sinnvolle und langfristige: um einen Zugewinn an Lebensqualität. Die Idee einer „Planetary Health Diet“ verbindet das, was dem Körper guttut, mit dem, was dem Planeten guttut. Und das ist vor allem weniger Fleisch, weniger Zucker und Milchprodukte, mehr Nüsse, Hülsenfrüchte und buntes Gemüse. Wir müssen viel mehr betonen, welche Vorteile wir selber haben, wenn wir für den Klimaschutz handeln. 

Ist Nachhaltigkeit die beste Medizin, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen?

Eine der besten… Es klingt immer so, als wäre Nachhaltigkeit eine Erfindung oder Bewegung der Neuzeit, dabei sind viele ältere Menschen völlig selbstverständlich und oft auch unbewusst nachhaltig. Mein Vater zum Beispiel ist der nachhaltigste in unserer Familie. Er ist noch nie in seinem Leben auf die Malediven oder Kanaren geflogen, weil es ihn nicht wegzieht. Und während sich gerade Turnschuhhersteller loben, dass sie jetzt Plastik recyceln, hat er immer noch sein eines Paar „Adidas Rekord“, die plötzlich wieder voll angesagt sind. 

„Das erste Waldsterben wurde nicht durch Appelle verhindert, sondern durch eine visionäre Ordnungspolitik.“

Was kann der einzelne Mensch im Kampf gegen den Klimawandel tun?

Die persönlichen Hebel sind: weniger fliegen, weniger Fleisch und weniger Zeug kaufen und wegwerfen. Aber das reicht nicht. Sich schlau machen, sich verbünden und auf politische Veränderungen drängen. Das ist das Allerwichtigste. Jeder kennt irgendwen, der etwas verändern kann, im Kleinen oder Großen. Das alles ist ein Gewinn an Lebensqualität und Enkeltauglichkeit. 

Umweltsoziologen sprechen vom „langen Weg zwischen Kopf und Hand“. Das heißt, wir wissen Vieles, handeln aber nicht entsprechend unserem Wissen. Gibt es auch eine Therapie gegen dieses Problem?

Karl Valentin drückt das sehr schön aus: „Der Mensch ist gut, nur die Leut‘ sind schlecht.“ Wir sehen nicht, was wir in Summe anrichten, weil jeder seinen eigenen Beitrag für klein und unbedeutend hält. Wenn das aber acht Milliarden so sehen, haben wir ein Problem. Sehr menschlich ist auch, auf andere zu zeigen, aber auch das ist wenig hilfreich. Menschen sind nicht gut oder schlecht, sondern in hohem Maße Gewohnheitstiere und soziale Wesen. Wir tun, was wir für „normal“ halten. Und deshalb ist es so wichtig, gute Regeln für alle zu finden: Wer die Luft verdreckt, soll dafür zahlen. Wenn wir ehrliche Preise hätten für die Dinge, wäre auch allen klar: „Bio“ ist nicht teuer, sondern das Billigfleisch wegen der Milliarden an Subventionen zu billig, und für den Futterbedarf zerstört es den Regenwald – durch die „Abgase“ der Kühe die Atmosphäre und durch die Gülle die Böden und Gewässer. All das sieht man aber als Städter am Kühlregal nicht. Deshalb muss das sichtbar gemacht werden. Wie wäre es, wenn man für jedes Kilo Billigfleisch ab sofort an der Supermarktkasse einen 20-Liter-Eimer Gülle mit ausgehändigt bekommt? Viel mehr Menschen würden automatisch weniger Fleisch essen. 

Kategorie: Gesundheit
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