Top Was wird aus der Gastronomie in unserer Region?

Was wird aus der Gastronomie in unserer Region?

Unter den Branchen, die von der Corona-Krise wirtschaftlich bis ins Markt getroffen sind, stehen die Gastronomie und die Hotellerie mit ihren zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit an vorderster Front. Leere Häuser und Tische, verunsicherte Gäste, die nicht mehr kommen dürfen, und Gastgeber, die von laufenden Kosten erdrückt zu werden drohen. Unter dem Eindruck der allgemeinen Existenzängste haben sich 30 der besten Gastronomen Nordwestdeutschlands noch vor Inkraftreten der verschärften Versammlungsbestimmungen im Oldenburger Restaurant „Glut und Wasser“ getroffen. Ihr Brandbrief an die Politik fasst die brenzlige Situation des Gewerbes zusammen und fordert dringlich zu sofortiger Hilfe auf. Als Magazin, das sich dem kultivierten Lebensstil in unserer Region widmet und sich deshalb auch der Qualitäts-Gastronomie verbunden fühlt, haben wir am 20. März mit Michael Niebuhr vom Nordenholzer Hof in Hude und mit Michael Schmitz von der Schmitz Brasserie in Oldenburg gesprochen.

CHAPEAU ― Anfang dieser Woche hast du dich mit anderen Gastronomen aus ganz Nordwestdeutschland getroffen und die Lage beraten. Wie war die Stimmung auf der Versammlung?

Michael Schmitz ― Sehr düster, aber in der ganzen Betroffenheit war sie auch sehr gemeinschaftlich.

Welche Erwartungen habt ihr an die Politik?

Wir brauchen schnell einen Notstandsfond für Gastronomen und Hotellerie. Mit Krediten ist uns nicht geholfen. Die Einnahmen, die uns jetzt verloren gehen, lassen sich nicht ersetzen. Wenn wir irgendwann wieder öffnen, können wir die Tische unseren Gästen ja nicht in doppelter oder dreifacher Anzahl anbieten.

Ein Ende der Einschränkungen ist ja noch gar nicht abzusehen…

Und selbst dann ist ja fraglich, ob die Nachfrage gleich wieder anzieht. Es macht sich ja eine gewisse Angst breit. Wie schwierig die Situation ist, wird sich erst gegen Ende des Monats zeigen, wenn das Geld weniger ist und die ganzen Kosten auflaufen.

 

Wie hast du persönlich denn auf die Situation reagiert?

Ich habe die Brasserie erst einmal komplett zugemacht, Es kommt ja niemand. Auch das Hotel für zwei Gäste offen zu halten, macht keinen Sinn.

Finanzminister Olaf Scholz hat gestern angekündigt, die Gastronomie vor allem bei den Personalkosten, Steuervorauszahlungen und bei Mietzahlungen zu entlasten. Reicht das?

Das wird man sehen. Wichtig ist, dass die Politik klare Ansagen macht und dieses Wischiwaschi beendet. Ich gehe davon aus, dass wir Anfang der Woche eine komplette Ausgangssperre bekommen. Das ist für uns sogar besser, weil wir dann jedenfalls auch juristisch abgesichert sind.

Wie reagieren eure Gäste?

Die haben totales Verständnis für die Situation. Auch die Mitarbeiter bemühen sich rührend und bieten ihre Hilfe an.

Hast du mal an die Einrichtung eines Liefer- oder Abholservices gedacht?

Einige Kollegen machen das bereits sehr gut. Aber wenn sich da jetzt weitere zwanzig Gastronomen anschließen, machen wir uns gegenseitig nur Konkurrenz. Das gibt die Nachfrage nicht her.

Was machst du denn jetzt – sitzt du zuhause und drehst Däumchen?

Nein, wirklich nicht. Es gibt im Büro enorm viel zu tun. Es laufen viele Gespräche und Verhandlungen mit Lieferanten, Steuerberater und Vermieter. Das muss ja auch alles vor- bereitet werden.

CHAPEAU ― In der gestrigen ZDF-Sendung „Markus Lanz“ hat der Hamburger Gastronom Tim Mälzer die Situation der Branche drastisch geschildert, und der ebenfalls zugeschaltete Finanzminister Olaf Scholz hat die Hilfszusagen der Politik zumindest ansatzweise konkretisiert. Neben Krediten soll es auch Unterstützung bei den Personalkosten und bei den Mietzahlungen geben soll. Würde euch das helfen?

Michael Niebuhr ― Ja, wenn das zunächst einmal für sechs Monate gewährleistet wäre, würde das den größten Druck herausnehmen.

Wenn die Hilfe nicht zügig kommt, wird es ja einige Kollegen die Existenz kosten…

Ja, das geht rasend schnell. Individual-Gastro- nomen wie wir können vielleicht einen oder zwei Monate überstehen. Wer ein etwas größeres Polster besitzt, übersteht vielleicht auch drei Monate. Aber dann geht uns allen die Luft aus.

Habt ihr die Hoffnung, dass alle Gäste zurückkommen, wenn diese Krise irgendwann einmal vorüber ist?

Erst einmal sind jetzt alle zuhause. Jeder Einzelne kann sich mal zurücknehmen und darauf besinnen, was das Wichtigste im Leben ist. Und auf die Werte, die wir vergessen haben. Auch auf die Umwelt, unser Klima. Zuletzt musste ja alles immer schneller höher und weiter gehen. Die Rolex, der Porsche – wo sollte das alles noch hinführen? Im Moment passiert sehr viel Gutes mit der Natur. In Venedig gibt es bald wieder klares Wasser, und die Delphine kehren zurück. Es wird dann ein bisschen dauern, bis auch die Gäste wieder kommen. Aber die Menschen werden hungrig sein auf Kontakte, auf Geselligkeit, auf Emotionen. Nach und nach werden sie auch wieder in die Gastronomie kommen.

Lebensmittellieferungen aus Italien, Gurken, Salat und so weiter sind komplett eingestampft. Auch für die Winzer dort ist es nicht gerade einfach.

Heißt das für die Branche insgesamt, dass sie sich auch ein Stück von diesem massenhaften Verpflegen wegbewegen muss, und dass ein neues Qualitätsbewusstsein entstehen könnte?

Ja bestimmt. Viele Gäste waren ja nur noch auf Filet fixiert. Rinderfilet, Hähnchenbrust- filet, Rinderrücken – nur das Feinste vom Feinen. Es gab schon Ansätze, auch wieder das ganze Tier zu verarbeiten, aber bei den Bestellungen sollten es dann doch immer nur die Edelstücke sein. Dorade wurde ausschließlich zu Fischfilet verarbeitet, aber nicht das ganze Tier. Ich denke, wenn wir das hier durchhalten und irgendwann wieder aufmachen, werden wir zur Basis zurückkehren. Einmal alles auf Null stellen und auch klassische Gerichte wieder neu interpretieren. Ganze Tiere verarbeiten und nicht immer nur Trüffelchen, Schäumchen und Sößchen. Was nützt dir jetzt ein Sterne- Restaurant, wer braucht Gault-Millau-Punkte oder irgendwelche Küchenauszeichnungen? Die wird es vielleicht immer geben, aber sie bezahlen nicht die Löhne und die Mieten.

Ihr regionalen Gastronomen habt euch noch Anfang der Woche im „Glut und Wasser“ versammelt. Was war das für ein Gefühl, die Situation mit den vielen Kollegen besprechen zu können?

Ja, die Idee zu dem Treffen ist entstanden, weil man sich vorher nur vereinzelt zu- sammentelefoniert hatte. Bassam Faour hat dann sein Restaurant „Glut und Wasser“ für die Versammlung zur Verfügung gestellt. Er ist einer super Kollege und einer der besten Köche Oldenburgs. Wir haben uns dort mit 30 Gastronomen und mit einer Anwältin zusammengesetzt, die für uns die aktuellen Rechte und Verpflichtungen zusammen- gefasst hat. Es fühlte sich schon ein bisschen komisch an, dass wir alle um 17 Uhr Zeit hatten, um dort zusammenzukommen. Viele Fragen und auch Ängste haben sich dort offenbart, aber nach der Sitzung sind die Meisten von uns mit einer leichten Hoffnung wieder nach Hause gegangen.

Jetzt sind solche Treffen ja nicht mehr erlaubt, und ihr müsst über WhatsApp und Co. Kontakt halten. Kann man da feststellen, ob die Unsicherheit wieder angestiegen ist?

Es gibt enorme Stimmungsschwankungen von himmelhochjauchzend bis dahin, dass gestandene Köche anfangen zu weinen, weil sie nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll. Da kann ich mich durchaus einbeziehen. Wir leben von Emotionen, sind mit unseren Gästen sehr eng verbunden, und dabei geht es nicht nur um Speisen und Getränke. Auch für unsere Mitarbeiter tragen wir eine riesengroße Verantwortung. Die haben die Familie, haben Kinder.

Wie lange werdet ihr wohl durchhalten müssen?

Ich bin kein Hellseher, aber ich gehe von sechs Monaten aus.

Wie werdet ihr die Zeit nutzen? Ihr werdet ja nicht nur Trübsal blasen wollen…

Nein, wir haben ganz viele Telefonate auf der wirtschaftlichen und politischen Ebene zu führen. Die wirtschaftliche Seite steht jetzt an erster Stelle. Dafür muss jeder einzelne Gastronom Zahlen, Daten, Fakten zusammenbringen, eine Vorschau mit den Fixkosten erstellen und ausrechen, wie lange man bei ausbleibenden Einnahmen noch atmen kann. Dann muss man mit den Banken und über Förderprogramme sprechen. Auch die Mitarbeiter müssen wir auf dem Laufenden halten, selbst wenn es hart wird. Aber Reden hilft. Auch der Spruch „Wer schreibt, der bleibt“ ist in dieser Phase richtig. Wir haben diesen Brief geschrieben, um auf unsere Situation aufmerksam zu machen. Und wenn wir dann hoffentlich finanziell etwas abgesichert sind, müssen wir die praktischen Dinge angehen: Schleifen wir die Außenterrasse ab, warten wir auf schönes Wetter, was machen wir zum Winter- und zum Silvestergeschäft?

Gibt es Ideen, um Stammgäste bei der Stange zu halten?

Unsere Stammgäste halten wir ständig über Instagram und Facebook über unsere Aktivitäten auf dem Laufenden. Wir erhalten sehr viele aufmunternde Mitteilungen. Einige Beiträge sind so rührend, dass ich schon Gänsehaut habe und mir fast die Tränen herunterlaufen. Dieser Zuspruch ist wirklich einmalig, und da spreche ich wohl auch für meine ganzen Kollegen.

 

Müsst Ihr noch Lieferantenverträge erfüllen?

Wir brauchen ja momentan keine Ware. Und wenn wir welche bräuchten, würden die Italiener gar nicht bis Österreich kommen. Lebensmittellieferungen aus Italien, Gurken, Salat und so weiter sind komplett eingestampft. Auch für die Winzer dort ist es nicht gerade einfach. Wir dürfen auch nicht vergessen, was bald hier in der Spargelsaison passieren wird. Was machen die Spargel- bauern? Wir nehmen keinen Spargel ab, weil wir den nicht auf den Tisch bekommen. Auch werden keine polnischen Erntehelfer kommen können. Was da alles dran hängt, ist unvorstellbar.

Was wird aus euren geplanten Veranstaltungen wie der Küchenparty?

Die stehen alle auf der Kippe. Ich bin gerade heute den Stand mit meiner Mitarbeiterin durchgegangen. In den nächsten drei Monaten wird sich der wirtschaftliche Schaden wohl auf 300.000 Euro summieren. Aber egal wie groß die Zahlen bei jedem Einzelnen sind, sie sind nicht mehr zu bedienen. Und die heutigen Verluste werden auch durch zukünftige Einnahmen nicht zu kompensieren sein. Wir können dann ja nicht doppelt so viele Gäste annehmen. Was uns jetzt fehlt, können wir nie wieder aufholen.

Dann drücken wir dir und deinen Kollegen ganz fest den Daumen, dass alles gut verläuft und bald wieder ein Stück Normalität einkehrt. Toi, toi, toi.

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