Menschen Weg von den Klischees

Weg von den Klischees

Interview mit Thelma Buabeng

Interview mit Thelma Buabeng

Text: Arash Farahani / Fotos: Contentley Media

Das Wort „Migrationshintergrund“ mag sie nicht. Schauspielerin und Moderatorin Thelma Buabeng spricht lieber von „BIPoCs“, wenn sie deutsche Bürgerinnen und Bürger mit anderen Wurzeln meint. Ob dieses Kürzel für „Black Indigenes People of Color“ jemals Eingang ins Behördendeutsch finden wird, sei dahingestellt. Aber im Umfeld von „Woke“ – also Rücksicht nehmend auf die Rechte von Minderheiten – ist die Bezeichnung angesagt. Wir trafen eine kämpferische Thelma zum Fotoshooting in Berlin. 

Info – Thelma Buabeng ist 1981 in Ghana geboren, kam im vierten Lebensjahr mit ihrer Familie nach Deutschland und wuchs im rheinländischen Meckenheim auf. Ihre Schauspielausbildung begann sie im Kölner „Theater der Keller“ und schloss sie 2009 an der Filmschauspielschule Berlin ab. Seither tritt sie in zahlreichen TV- und Kinoproduktionen auf, auf YouTube hat sie ihre eigene Comedy-Show „Tell Me Nothing from the Horse“, und sie co-moderiert die vom SWR produzierte Talkshow „Five Souls“. Seit 2019 ist Thelma Ensemble-Mitglied vom Schauspielhaus Zürich, und dort dreht sie mit der Regisseurin Wu TsanG derzeit auch „Moby Dick“ in Form eines Stummfilms. 

CHAPEAU — Welche besonderen beruflichen Hürden hattest du als schwarze Schauspielerin in Deutschland zu bewältigen?

THELMA BUABENG – Fakt ist, dass ich in den ersten Jahren hauptsächlich Sklavinnen, Prostituierte, Refugees, Dienstmädchen und Putzfrauen gespielt habe. Ausschließlich Klischees. Rollen ohne deutschen Text oder nur in gebrochenem Deutsch. Mit wenigen Drehtagen, gern irgendwo im Hintergrund mal durchs Bild laufen, Teller abräumen, Leute bedienen oder Betten beziehen. Die deutsche Film- und Fernsehlandschaft hatte da noch keine Fantasie. Dass ich als Afrodeutsche, die Deutsch spricht, hier aufgewachsen ist, Teil dieser Gesellschaft bin, wurde dort nicht gesehen. Die wollten immer nur ein Klischee abbilden. Seit 2015, 2016 läuft es bei mir schon besser, und ich habe mittlerweile ein anderes Standing. Wahrscheinlich habe ich so viel Alarm gemacht und in Interviews immer wieder gesagt, dass es so nicht geht. Dass diese Praxis diskriminierend rassistisch ist und dass die Filmbranche in dieser Hinsicht noch nicht weit genug ist. Deswegen passiert mir das nicht mehr so oft. 

Wolltest du denn immer schon Schauspielerin werden?

Seit ich denken kann. Und mit 16 oder 17 las ich in Bonn einen Aushang der Theatertruppe Junge Bühne Brotfabrik. Die suchten junge Leute, die Bock darauf hatten, selbst ein Stück zusammenzustellen. Ich habe bei dem Wochenend-Workshop mitgemacht und dort das erste Mal begriffen, was Schauspielerei bedeutet. Was die genau treiben, welche Übung man macht. Durch den Raum gehen, sich begegnen, auf dem Boden herumkriechen und so weiter. Ich dachte wow, that’s the thing! Ich war hooked. Das war das erste Mal, dass ich so richtig in die Schauspielerei eingetaucht bin. Ich hab dann mit dem Theater gespielt, wir waren mit dem Stück auch beim Jugendtheater-Treffen in Berlin eingeladen. Aber bis ich dann die Ausbildung an der Schauspielschule begonnen habe, hat noch viele Jahre gedauert. Meine erste TV-Rolle habe ich 2003 in der „Lindenstraße“ gespielt. Das waren meine First Steps in die Schauspielerei. 

Haben dich deine Eltern in deinem Berufswunsch unterstützt?

Absolut. Natürlich auch mit Ängsten. Der Wunsch meiner Eltern wäre wahrscheinlich gewesen, dass ich Ärztin, Ingenieurin oder Anwältin werde. Irgendwas Vernünftiges. Das kann ich auch verstehen. Meine Mutter hat immer gesagt, wenn sie den Fernseher anmacht, sieht sie niemanden, der so aussieht wie ich. Was ich denn da machen will? Eine berechtigte Angst. Wenn ich damals Kataloge und Magazine sah, Werbung und Filme guckte, gab es höchstens mal eine mixed person, also eine light skin person, die mal durchs Bild huschte oder die Geliebte vom Hauptdarsteller spielte. Aber sie selbst bekam keine großen Rollen. Trotzdem wollte ich nie etwas anderes werden und habe mich durchgebissen. Es war ein langer harter Kampf. So etwas wie vom Tellerwäscher zum Millionär. Keine Kohle haben, auf der Straße stehen, Flyer verteilen, Babysitten, putzen, kellnern, auf Messen arbeiten, Strom abgestellt. Meine Familie steht hundertprozentig hinter mir, natürlich umso mehr, seitdem es läuft. Die freuen sich und informieren die ganze Familie in Ghana, sammeln und fotografieren alles und teilen es auf Social Media. Die sind total süß und mega stolz, dass „The Dark Skin Black Woman“ in Deutschland mittlerweile bekannt ist, moderiert, erkannt wird, in Zeitungen vorkommt – bis hin zu heute, da ich auf der Titelseite von CHAPEAU bin. Es ist voll schön. Ich freue mich. 

Hattest du Vorbilder?

Als ich jünger war, gab es wenige bis gar keine PoCs im Fernsehen. Irgendwann der Schauspielerkollege Pierre Sanoussi-Bliss, dann Liz Baffoe in der „Lindenstraße“. Die beiden fallen mir spontan ein, weil ich weiß, dass sie schon früher präsent waren. Als ich dann „Die Farbe Lila“ gesehen habe, waren Whoopi Goldberg und Oprah Winfrey meine Vorbilder. Ein Film mit so vielen schwarzen Frauen als Protagonistinnen! Es war richtig inspirierend, dass es einen Film um schwarze Frauen gab, deren Geschichten ausführlich zu Ende erzählt wurden. Mir ist ein Licht aufgegangen, und ich habe geheult. Ich fand das so schön und habe den Film ganz oft gesehen. Es ist einer meiner liebsten Filme, wenn nicht sogar der Lieblingsfilm. Und dann noch Diana Ross. Wenn meine Mutter mir die Haare geflochten hat, waren das immer mehrstündige Sessions. Wir haben uns dazu immer die VHS-Kassette von dem Konzert reingezogen, das Diana Ross ’83 oder ’84 im Central Park gegeben hat. Mit Bonusmaterial geht das drei Stunden lang. Diana Ross war mein Vorbild. Eine schwarze wunderschöne Frau mit ihren krassen Kleidern, die so viele Menschen begeistern kann, eine Ikone ist und damals schon eine Queen war. Auch meine Eltern waren Vorbilder, vor allem meine Mutter. Als starke Löwin, die uns durchgeboxt und für uns Kinder gekämpft hat wie ein Tier. 

Wie alt warst du, als du mit deiner Familie nach Deutschland gekommen bist?

Ich bin seit meinem vierten Lebensjahr in Deutschland. Zuerst in Meckenheim, einer Stadt bei Bonn. Auch meine Erinnerung beginnt mit vier. Als ich dann in den Kindergarten gekommen bin, konnte ich noch kein Wort Deutsch, aber ich bin in Meckenheim groß geworden und habe dort auch bis zum Abi gelebt. Danach bis ich für sechs Jahre nach Köln gezogen, und seit 2007 bin ich in Berlin. 

Du bist aber auch seit 2019 Ensemblemitglied im Schauspielhaus Zürich. Dürft ihr dort nach der Corona-Zwangspause schon wieder spielen?

Tatsächlich ist das Theater in Zürich seit ein paar Wochen wieder „geöffnet“. Man darf vor 50 Leuten spielen, davor ging das lange nicht. Ich hätte im Januar mit einem Stück Premiere gehabt, die wird jetzt im September nachgeholt. Zumindest sind die Theater wieder offen. Man darf wieder in einem großen Saal spielen, wenn auch nur vor wenigen Leuten. Aber es geht jetzt langsam wieder los. Gott sei Dank. 

Welche Rolle hast du dort zuletzt gespielt?

Das war im letzten Jahr das Stück „Der Streik“ von Ayn Rand. Das Buch ist ein mehrere hundert Seiten dicker Schinken, und wir haben daraus Musical gemacht. In dem Stück geht es um reiche Menschen, die keinen Bock haben, Steuern zu zahlen. Ayn Rand war aus Russland in die USA eingewandert, und ihr Buch ist immer noch die Bibel für die ganzen Republikaner im Silicon Valley. Sagen wir, rechts angehaucht. „Right wing“-Typen, Tea-Party und so – die ganzen Sophisticated, die nichts von ihrer vielen Kohle abgeben wollen. Mit dem Musical haben wir versucht, das Ganze ein wenig „ins Lächerliche“ zu ziehen. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen. Und ich habe da tatsächlich gesungen. Ich kann Töne treffen, aber ich bin keine Sängerin. Deswegen war das eine coole Erfahrung. 

Und das Stück, das für den Januar geplant war und jetzt im September Premiere feiern soll…

…heißt „Orpheus“. Dafür arbeite ich mit der Performancekünstlerin Wu Tsang zusammen. Die macht performative Geschichten, und das wird visuell ganz toll. Mit einer Bühne, die nach oben fährt, mit verschiedenen Ebenen, mit Performer-innen. Ich bin die Schauspielerin, habe auch Monolog, aber wir machen auch ganz viel mit Bewegung, haben Tänzer-innen auf der Bühne. Und mit Wu Tsang mache ich jetzt gerade noch ein weiteres Projekt, wir drehen „Moby Dick“ als Stummfilm. 

„Die fünf Ladies, die ich spiele, bilden einen Querschnitt durch die Gesellschaft.“

Wer auf YouTube unterwegs ist, kennt dich aus deiner Comedy-Serie „Tell Me Nothing from the Horse“. Was möchtest du uns dort vermitteln?

Ich habe „Tell Me Nothing from the Horse“ gestartet, als ich feststellte, dass mich die deutsche Filmbranche offenbar in eine bestimmte Schublade packen will. Ich habe mir gedacht hey, ich bin so facettenreich, ich kann so viel und ich möchte das auch zeigen. Wenn ihr mir nicht die Chance und die Plattform gebt, das zu zeigen, mich nicht einmal Hochdeutsch sprechen lasst, dann zeige ich euch, was ich kann. Aber vor allem geht es mir darum, Comedy zu machen. Satire, die hoffentlich etwas mit unserer Gesellschaft zu tun hat, die politisch und sozialkritisch ist. Ich spiele diese fünf Ladies, die einen Querschnitt durch die Gesellschaft bilden. Die sind in diesem Fall nun mal alle schwarz, aber ich glaube, man erkennt sie trotzdem. Die Vivian ist so eine Tussi, die nur auf Social Media abhängt und berühmt werden will. Dann gibt es da Gladys, eine Preaching Woman, die den ganzen Tag betet, aber eigentlich ein Teufel ist. In den letzten Jahren hat sie sich auch ein wenig in Richtung Woke entwickelt und ist mit einem weißen Mann zusammen, den sie ein bisschen tyrannisiert. Naomi ist eine Freedom Fighterin. Die hasst alle weißen Menschen und hat die Plattform whitedevil.com gegründet. Egal worum es geht, bei ihr sind immer die weißen Menschen schuld. Dann haben wir Mary-Jo, die ist so ein bisschen mein Sprachrohr. Das ist die Coole, Gechillte, kifft den ganzen Tag. Sie nimmt Geflüchtete auf, ist lesbisch, Künstlerin, und auch wenn sie nicht mehr ganz dicht ist, hat sie letztlich doch den besten Weitblick. Weil sie entspannt ins Leben sieht und denkt, mach was du willst, jeder soll sich frei fühlen und es machen, wie er denkt. Peace, love and harmony. Und zuletzt hätten wir noch Annemie. Das ist die Kölsche, meine Nazi-Braut sozusagen. Die konkurriert mit der AfD mit einer eigenen Gruppe ANNEMIE-KANN-NIT-MIH. Sie hat keinen Bock mehr auf das „ganze Ausländer-Gesocks, das hier reinkommt“ – obwohl sie selbst schwarz ist. Die plappert das nach, was „man heutzutage ja alles nicht mehr sagen darf“. Wie gesagt, Satire, Humor. Die Leute sollen lachen, andererseits bleibt ihnen das Lachen hoffentlich auch im Halse stecken. Weil sie auch mit vielen krassen Wahrheiten konfrontiert werden und bestimmte Situationen oder Menschen aus ihrer Umgebung wiedererkennen. Tatsächlich rufen mich regelmäßig Leute an und sagen, Gladys oder Annemie seien original wie ihre Tante. Mein Ziel ist, dass man jede Figur wiedererkennt. Ich hoffe, das kommt auch so an. 

Hat dich der Corona-Lockdown in der Arbeit behindert oder deine Karriere ins Stocken gebracht?

Ich muss sagen, überhaupt nicht. Für mich gab es mehr oder weniger keine Pandemie. So fucking blessed. Ich habe noch nie so viel gearbeitet wie seit dem letzten Jahr. Leider hat das auch mit dem Tod von George Floyd zu tun. Der „Black Lives Matter“-Trend ist jetzt in Deutschland angekommen. Ich hatte einfach Glück, weil meine Jobs gerade in diese Zeit fielen, und definitiv das Glück, dass dadurch noch weitere Engagements dazukommen sind. Ich war viel unterwegs, in München, in Berlin, in Paris, in Zürich, in Bonn, in Köln. Hey, ich habe an all diesen Orten gedreht und gearbeitet, Synchron-Jobs gehabt, war ganz lange am Theater in Zürich und bin dort nun auch wieder. Diese Zeit werde ich auch deshalb nicht vergessen, weil ich so viel gearbeitet habe wie noch nie. Das gilt auch für viele meiner schwarzen Kolleg-innen, die vorher jahrelang auf Jobs warten mussten. Unabhängig von meinen Engagements fragt mich die Branche ständig, ob ich einen schwarzen Akrobaten kenne, einen schwarzen Sänger, schwarze Autoren, schwarze Tänzer oder einen schwarzen Schauspieler. Das ging im letzten Jahr so ab mit Anfragen für unsere Community, dass ich auch eine Agentur für Schwarze hätte aufmachen können. Das ist einerseits natürlich schön, andererseits auch ganz schön krass. 

Zu den Opfern der Pandemie zählt aber sicher der Kinofilm „Berlin Alexanderplatz“, in dem du mitgespielt hast. Der Film erhielt glänzende Kritiken und viele Auszeichnungen, aber dann waren die meisten Kinos wegen Corona geschlossen oder konnten nur wenige Plätze anbieten.

Ja, das ist für den Film total schade. Ich bin sehr froh, dass er trotzdem die verdiente Anerkennung bekommen hat. Ich finde den Film großartig, und es hat total Spaß gemacht. Aber ich will mich da gar nicht so groß in den Vordergrund spielen. Ich habe darin nur eine ganz kurze Szene. Die Kollegen sind toll. Ich finde es super schön, dass es schwarze Protagonisten gibt. Welket Bungué, aber auch Annabelle Mandeng. Sie ist eine sehr gute Freundin von mir und war ja auch schon auf der Titelseite einer früheren Ausgabe von CHAPEAU. Ich freue mich sehr darüber, dass es Hauptrollen gibt, die mit BIPoCs besetzt sind. Und in diesem Fall war es auch ein BIPoC-Regisseur. Es ist ganz wichtig, dass BIPoCs unsere Geschichten erzählen – und nicht immer weiße Menschen. 

„Es ist Zeit, dass wir BIPoCs unsere eigenen Geschichten erzählen. This is the one for me!!!“

Im letzten Jahr hast du auch einen Film mit dem Titel „Wunderschön“ gedreht. Was ist die Amira, die du spielst, für ein Charakter?

Ja, das ist sehr schön, es geht viel um Liebe und Body Positivity. Aber leider spiele ich da auch nur einen dieser Sidekicks, von denen ich hoffe, dass ich sie irgendwann einmal hinter mir haben werde. In diesem Fall spiele ich die Kollegin und Freundin von Nora Tschirner, die in diesen Typen verliebt ist. Ich bin wie sie Lehrerin und rede mit ihr über den Typen, den sie am Ende natürlich auch kriegt. Wir haben eine kleine Interaktion, und die Rolle ist auch wichtig für den Film, aber nicht so ausgebaut, dass ich von einem Charakter reden kann, der sich entwickelt. Ich habe einen schönen Gastauftritt, aber für meine Schauspielkarriere wünsche ich mir, dass ich irgendwann mit diesen kleinen Rollen mit zwei oder drei Drehtagen aufhören kann. 

Die Regie führte deine Schauspielkollegin Karoline Herfurth. Wie war sie als Regisseurin?

Ganz toll. Das muss ich wirklich sagen. Unglaublich, wie viel Zeit sie sich für einen nimmt. Das macht sie wahrscheinlich, weil sie selber Schauspielerin ist und weiß, was man braucht. Wie nervös man vor der Kamera ist – auch wenn man länger schon dabei ist. Ihr merkt man an, dass sie weiß was sie macht. Sie hat ein ganz krasses Tempo, ihre eigene Handschrift. Sie ist ganz toll. Super lieb zu dem Team. Und sie hat eine hammercoole Crew. Beim Nachsynchronisieren meiner Szenen hatten wir noch ein bisschen Zeit zusammen. Da habe ich nochmal gemerkt, dass sie einfach richtig herzlich ist. Sie hört zu, nimmt sich Zeit und will, dass es perfekt wird. Und sie macht es auch so lange, bis es perfekt ist. Eine tolle Schauspielerin und Regisseurin. Sie hat ja selbst auch mitgespielt. 

Wie ist sie die Doppelfunktion als Schauspielerin und Regisseurin angegangen?

Auch das großartig. Das ist sehr viel Arbeit, da kommen ja noch das Schneiden und die Postproduktion hinzu. Das kann nicht jeder, aber auch das hat sie super gemacht. Wahrscheinlich hat sie drei Kreuze geschlagen, als sie damit durch war. Meine Rolle ist ja nicht sehr groß, deswegen habe ich nicht alles mitbekommen. Aber ich habe sie am Set erlebt und dann beim Abschlussfest. Ich habe den Film noch nicht ganz gesehen, aber ich bin hundertprozentig sicher, das ist mit den super Kolleg:innen wirklich toll geworden. 

Kannst du einen grundsätzlichen Unterschied in der Arbeit mit weiblichen und männlichen Regisseuren erkennen?

Da ich größtenteils mit Männern gearbeitet habe, ist es für mich tatsächlich immer etwas Besonderes, wenn ich mit Frauen arbeite. Wie Karoline. Und im letzten Jahr habe ich in Köln mit der Regisseurin Suki Rössel, dann auch mit Kerstin Polte. Auch das war toll. Tatsächlich hatte ich erst eine einzige Begegnung mit einer Frau, die überhaupt nicht cool war. Das hat mich echt ein bisschen traumatisiert. Das gibt es also auch. Aber ich bin Feministin und sehne mich danach, dass mehr Frauen in der Branche Fuß fassen. Also nicht nur in der Regie, sondern auch bei Kamera, Licht und so weiter. Die ganze Crew. Die Filmbranche ist immer noch eine krasse Männerdomäne. Ich würde sagen im Verhältnis 70 zu 30, wenn nicht sogar 80 zu 20. Zuletzt habe ich allerdings auch Sets mit vielen Frauen und wenig Männern gesehen. Das macht total Spaß und gibt mir auch ein gutes Gefühl. Aber das heißt natürlich nicht, dass alle gute Regisseurinnen sind, nur weil sie Frauen sind. 

Könntest du dir vorstellen, selbst einmal Regie zu führen?

Unbedingt. Es ist Zeit, dass wir BIPoCs unsere eigenen Geschichten erzählen und sie nicht „White Savior“-mäßig von weißen Menschen erzählen lassen müssen. Es wichtig, aus unserer Perspektive zu erzählen. Das würde ich gerne angehen. Wie wahrscheinlich viele Schauspieler habe ich auch immer mal wieder Ideen und tatsächlich schon mal etwas niedergeschrieben. Ich will jetzt nicht jinksen, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, Regie zu führen – und wie Karoline vielleicht sogar noch selber mitzuspielen. Das ist ein Traum von mir. 

Welche Themen würden dich reizen?

Als Regisseurin würden mich natürlich die Geschichten von schwarzen Frauen interessieren. Als ich jung war, war ich wie so viele Frauen auf dieser Welt ein totaler Fan von „Sex and the City“. Das ist ja auch alles ganz schön und für Frauen empowernd. Aber da wird alles aus einer weißen, privilegierten, übertrieben sophisticated Perspektive gesehen. Die paar Schwarzen, die in all den Jahren in der Serie vorkommen, bedienen nur die Klischees. Ein „Black Sex and the City“ aus einer schwarzen Perspektive fände ich nicht schlecht. Es gibt aber viele Geschichten, die schon mal aus einer „White saviorism“-Perspektive erzählt wurden. Eigentlich müsste man jetzt mal unsere Erfahrungen und Perspektiven auf das Leben in Deutschland von uns kommend erzählen – und nicht mehr so, wie deutsche Autoren meinen, dass wir denken und leben. Das wäre ein Schwerpunkt für mich. 

Für den SWR moderierst du auf YouTube die wöchentliche Talkshow „Five Souls“. Welche Themen behandelt ihr dort, wer sind eure Gäste?

„Five Souls“ ist gerade mein allerliebster Lieblings-Job. Das macht riesigen Spaß. Es gibt drei Hosts, Natasha Kimberley, Hadnet Tesfai und mich. Wir wechseln uns mit der Moderation zu den jeweiligen Themen ab. Dazu werden zwei weitere Gäste eingeladen, deswegen „Five Souls“. Wir sind alle BIPoCs, Black Indigenes People of Color. Also Deutsche mit – ich hasse das Wort – „Migrationshintergrund“. Wir reden aber nicht über Rassismus und Politik, sondern über Themen wie toxische Beziehungen, Ex-Freundinnen, Schwiegereltern, soll der Mann immer noch der Versorger sein, Religion, kulturelle, interkulturelle Beziehungen und so weiter. Über alle möglichen Dinge aus unserer Perspektive. Und weil wir alle hier in Deutschland großgeworden und sozialisiert worden sind, ist das natürlich auch eine deutsche Perspektive. Allerdings ist es eine andere Sicht, weil wir mit unserem Background und Familiengeschichten, unseren Eltern, die oft aus anderen Ländern kommen oder auch dort aufgewachsen sind, natürlich nochmal andere Geschichten kennen als Biodeutsche, die rein deutsche Eltern haben. Das macht total Spaß. Und weil es von der Firma Kanakfilm gemeinsam mit dem SWR produziert wird, haben wir unter den Gästen immer jemanden aus dem Sendegebiet des SWR, also Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Männer wie Frauen. Man hat das Gefühl, man sitzt mit Freunden im Wohnzimmer und unterhält sich einfach über Dinge. Ich habe mich selber schon dabei ertappt, dass ich nach der Sendung dachte, was habe ich da schon wieder erzählt – will ich überhaupt, dass das an die Öffentlichkeit gerät? Aber es herrscht dort eine solch intime Atmosphäre, als würde man mit Freunden chillen. Super. 

Five Souls ist gerade mein allerliebster Lieblings-Job.“

Welchen Rat würdest du schwarzen Schülerinnen und Schülern geben, die vielleicht später einmal Schauspieler werden wollen?

Tja, Schauspielerei ist kein einfacher Beruf. Definitiv nicht. Für jeden ist es schwierig, in diesen Job überhaupt reinzukommen, dann auch noch erfolgreich zu sein und davon zu leben. Für BIPoCs ist es nochmal schwieriger. Jetzt endlich findet da eine Entwicklung statt, aber in dieser Phase haben wir es auch mit viel „Tokenism“ zu tun – also einem übertriebenen Feigenblatt-Aktionismus. Auf einmal sehen wir in jeder Werbung, auf jedem Plakat Schwarze. Der Trend zieht sich durch die gesamte Film- und Medienbranche. Das ist jetzt der Zeitgeist, und im nächsten Moment kommt dann wieder ein neuer Trend ohne Schwarze. Es wird lange dauern, bis die Leute begriffen haben, dass wir ein strukturelles und institutionelles Problem haben. Dass es nicht damit getan ist, Plakate mit Schwarzen aufzuhängen und Parship-Werbung zu machen. BIPoCs-Leuten, die Lust auf den Schauspielberuf haben, würde ich sagen: Fleiß, Fleiß, Fleiß, das ist immer gut. Ich selbst bin erst mit Mitte zwanzig auf eine private Schauspielschule gegangen, eigentlich viel zu spät. Es hat aber geklappt. Also bin ich der lebende Beweis, dass es auch über den Weg geht. Besser ist, wenn man auf eine schöne staatliche Schule geht. Die kostet nichts, und man findet auch vom Status her eine größere Anerkennung. Wenn man eine staatliche Schauspielschule absolviert hat, erwischt man man schon mal einen besseren Start. Ich sehe, dass immer mehr BIPoCs an den staatlichen Schulen den Abschluss machen. Aber nach wie vor werden in den meisten Filmen mit einer schwarzen Person keine zweite besetzt. So wird man in dieser Branche zur Konkurrenz erzogen. Ich hoffe, dass sich das in den nächsten Jahren legt und dass ich und viele andere Kolleg-innen Vorbilder für die sein können, die nachkommen. Wer konkrete Fragen hat, kann sich definitiv auch an uns wenden. Das passiert immer mal wieder, und darüber freue ich mich sehr. Aber wie bei jedem anderen Beruf muss man sich durchbeißen. Man muss es wirklich wollen und wissen, dass es hart und für niemanden leicht ist. Nicht umsonst redet man in der Branche von einem Haifischbecken. 

Wie war es in deiner Schulzeit, hast du dich mit anderen schwarzen Kindern ausgetauscht?

In meiner Schulzeit gab es keinen Raum für Empowerment. In Bonn Bad Godesberg gab es noch die ganzen Botschaften, auch eine Ghanian Community. Ich bin schon unter Ghanaern groß geworden. Aber es waren keine Empowerment-Zusammentreffen, wie man sie heute kennt. Wo es um Begriffe geht wie „Self Love“, „Black Lives Matter“ und „Black is beautiful“. Das gab es damals leider nicht. 

Hast du unter Diskriminierung gelitten oder musst du das immer noch?

Na klar! Eine solche Frage beantworte ich eigentlich gar nicht mehr. Nach all dem, was hier in Deutschland passiert. Wie kann man eine BIBoC überhaupt noch fragen, ob sie sich mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert sieht? Na klar! Und nicht nur als Schauspielerin, die sämtliche Rollenklischees bedienen musste. Auch im Alltag. Leider bin ich am Berliner Ostkreuz auch schon von einer Gruppe von fünf Männern angegriffen worden. Die haben mich getreten, geschubst und angespuckt. Das ist der Alltagsrassismus im Leben von vermutlich vielen BIBoCs. Nach Hanau, nach NSU, nach all den Dingen, die man in diesem Land schon erlebt hat. Da kann man die Frage, ob man Diskriminierung erfährt oder nicht, schon fast als Beleidigung auffassen. Mach mal die Augen auf. Menschen werden sehr unterschiedlich behandelt. Es gibt Menschen mit Privilegien und andere, die in Moria in Zelten leben und von Ratten gefressen werden. Das ist die Realität unseres Lebens. Wir sind eben nicht alle gleich. Klar habe ich Diskriminierung erfahren. In meinem Leben, in meinem Beruf, in meinem Alltag, und es wird wahrscheinlich immer so weitergehen. Gott sei Dank bin ich stark genug und überlebe das. Gott sei Dank bin ich in einem familiären Umkreis und habe mir einen Freundeskreis aufgebaut, wo ich weiß, dass ich geschützt bin. Ich habe eine Gruppe mit dem Namen Black WOMXN Matter gegründet. Allein in der Berliner Gruppe sind da schon über 300 Frauen, dazu gibt es noch eine Kölner Gruppe und eine in Frankfurt. Wir bauen gewissermaßen geschützte Räume auf, die total notwendig sind, wenn man in diesem Land als BIPoC aufwächst. Also ja, ich habe unter Diskriminierung gelitten und leide immer noch darunter. Wie die meisten, wenn nicht sogar alle BIPoCs. 

Was verbindet dich noch mit dem Land, in dem du geboren bist?

Everything. Je älter ich werde, umso mehr merke ich das. Ich bin Deutsche. Afrodeutsche, sage ich sage immer. Ich bin hier aufgewachsen, und die Sprache, die ich am besten spreche, ist Deutsch. Ich bin, wie gesagt, in der Ghanian Community großgeworden, spreche Gott sei Dank die Sprache noch. Ich kann ghanaisch kochen, habe viele ghanaische Freunde und bin immer noch von vielen Ghanaern umgeben. Meine Freunde sind eh international, auch aus vielen anderen afrikanischen Ländern. Vor zwei Jahren war ich das letzte Mal in Ghana, davor viele Jahre nicht. Als ich dort aus dem Flughafen herauskam und mit meinen Füßen ghanaischen Boden betrat, ging ein Wusch durch meinen Körper. Ihr könnt mich auslachen – aber es war, als würde das Land mich willkommen heißen und sagen „Thelma, you’re back home“. Es ist so wunderschön. Die Sonne scheint, das Essen ist lecker, und die Leute sind cool drauf. Gefühlt habe ich dort einen Monat lang nur gedanced und gegessen. Ich hatte Spaß, habe Familie, Tanten, Onkel und so weiter getroffen. Ich war nur einen Monat da, aber es war seit langem die beste Zeit meines Lebens. Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl, in einem Land zu sein, wo du nicht die Minderheit bist und nicht angeguckt wirst. Wo du umgeben bist von vielen schwarzen Menschen. Ich liebe Ghana, und mein Wunsch ist, dass ich in den nächsten Jahren mehr Zeit dort verbringen kann. Vielleicht halb und halb, oder dass ich auch gern mal da arbeiten kann. Mal gucken. 

Dann wünschen wir dir weiterhin viel Erfolg und vielen Dank für das spannende Gespräch.

Kategorie: Menschen
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