Genuss Wein ist dein Tamagotchi. Den musst du hegen und pflegen.

Wein ist dein Tamagotchi. Den musst du hegen und pflegen.

Interview mit Winzerin Victoria Lergenmüller vom Weingut St. Annaberg

Victoria Lergenmüller stammt aus einer Winzerfamile, die seit 1538 in der Pfalz besteht.  Von ihrem Großvater hat sie die Profession auf dem Weinberg und von ihrem Vater jene im Weinkeller mitgegeben bekommen. Sie hat internationale Weinwirtschaft studiert und absolviert ihren Master in Bordeaux. Für sie war früh klar, dass sie dem Thema Wein verfallen ist. Wir haben im Rahmen einer Weinverkostung im Altera Oldenburg mit ihr gesprochen.

CHAPEAU: Victoria, mit 26 hast du bereits eine beeindruckende Laufbahn hingelegt und bist eine erfolgreiche Winzerin. Woher stammen dieser Ehrgeiz und der Tatendrang? 

Viktoria Lergenmüller: Wenn man als Mädchen in einer Winzerfamilie aufwächst und das noch ohne Bruder, dann ist der Weg schon recht klar. Dennoch wurde ich nie gedrängt, stattdessen hatten wir immer die Freiheit, das zu tun, worauf wir Lust haben. In gewisser Hinsicht war ich wohl ein wenig der Junge bei uns in der Familie und wurde schon mit 12 Jahren mit in den Weinkeller genommen.  Ich liebe Wein, und ich habe einfach tolle Eltern und Großeltern, die nach wie vor im Betrieb arbeiten. Mein Opa ist 75 und nach wie vor Herrscher der Weinberge. Das lässt er sich auch nicht nehmen. Von ihm habe ich extrem viel mit auf den Weg bekommen – vor allem Courage und Mut. Er pachtete sich damals einen Weinberg und mietete sich Maschinen. Damit fing es an. Und mein Vater brachte mir dann alles über Wein bei. Wenn man so wie ich mit 21 ein Weingut mit den Worten „Spring mal ins kalte Wasser“ in die Hand gelegt bekommt, denkt man am Anfang: Oh Gott. Und im Nachhinein: Unfassbar, wieviel Vertrauen mir mit so einer Entscheidung geschenkt wurde. Ich wüsste selbst nicht, ob ich meine Tochter so etwas machen lassen würde …(lacht)

Und nach dieser Entscheidung bist du in die Aufgabe einfach reingewachsen? Wie viel ist bei deren Erfüllung Pflichtempfinden und wie viel Liebe und Leidenschaft?

Ich bin da schon sehr reingewachsen, genaugenommen war ich auch schon mittendrin. Wir haben ja auch ein Restaurant, und da war es seit jeher so: Wetter schön, alle fahren zum Baggersee, und ich bin hinter dem Tresen … Als Pflicht sehe ich es nicht, aber ich bin mir bewusst, ich wäre auch diejenige, die die Familientradition zerschreddern würde. Wir haben so viele Jahre etwas bewegt und überlebt, da sage ich nicht: Nein, das mache ich nicht und hänge es an den Nagel. Das könnte ich nicht. Ich würde mich wie ein Versager fühlen. 

Also war doch schon ein Funken Pflichtempfinden dabei? 

Ja, etwas schon. Herz und Leidenschaft überwiegen dennoch. 

Letztes Jahr wurdest du als „Newcomerin des Jahres“ bei den Fallstaff Awards ausgezeichnet. Wie hat es sich angefühlt? 

Es war saucool! Und es war gut, zu wissen, du hast doch nicht alles falsch gemacht. Auf der Produktionsseite begleitet mich mein Vater hinter den Kulissen, aber dass ich dann von außen die Bestätigung bekomme, dass es Leute gibt, denen schmeckt, was ich mache, das war richtig gut und auch wichtig für mich. Ich bin ja noch eine Anfängerin. Da hat man schon manchmal extreme Zweifel: Was mache ich hier? Lohnt sich das Ganze überhaupt? Ein solches Feedback tut dem Herzen gut. 

Was bedeuten für dich Tradition und Werte? 

Nicht stehen zu bleiben! Tradition und Werte sind sehr wichtig für mich. Ich habe keine Lust auf Trends! Wenn du da nicht mitschwimmst, bist du out, dann gibt es tausend andere Winzer, die trendy sind, aber du bist out. Doch wenn ich zu meinen Kunden fahre, die sich einfach für meine Weine entschieden haben, dann ist das so toll, dass ich erst recht keine Lust auf den neumodischen Kram habe. Meine Kunden sagen: Ich trinke dich jedes Jahr!  Dass es denen gefällt, ist mir wichtig. Und ich bin froh, dass ich sie habe. 

Wodurch zeichnen sich deine Weine aus? 

Ich stelle Wein nicht für Sommeliers, sondern für Weinliebhaber her. Für Menschen, die abends einfach Bock auf ein Glas Riesling haben. Einfach, ungezwungen, lecker. Einfach gut. Und die Sommeliers haben trotzdem Spaß an den Weinen! 

Du agierst auf einem relativ hohem Niveau und mit hohem Anspruch, besonders beim Thema Bio. Wieviel Risiko gehst du damit ein?

Ich arbeite zwar bio, aber wir sind nicht bio-zertifiziert. Wir hatten vor, letztes Jahr umzustellen, dann machte uns das Wetter leider einen Strich durch die Rechnung. Es regnete ununterbrochen, so dass selbst die Biowinzer in Schwierigkeiten gerieten. Wir waren gezwungen, weiterhin konventionell zu arbeiten.
Nach diesem Jahr zweifelten auch andere Biowinzer, weiterhin diesen Aufwand zu betreiben, der mit noch höheren Auflagen verbunden ist. Man ist mehr mit Formalien und im Büro beschäftigt, als auf dem Weinberg zu sein. Die Relation passt leider einfach nicht.  Es gibt so Dinge, die sind doch klar. Warum sollte ich zum Beispiel Kupfer als Pflanzenschutz im Weinberg spritzen? Das macht man doch einfach nicht. Es ist Metall. Von daher arbeite ich zwar konventionell, bin nicht bio-zertifiziert, das heißt aber auch nicht, dass irgendwas Schädliches eingesetzt wird. 

In der Machart schlägst du durchaus auch „riskante Wege“ ein, die in die Hose gehen könnten. Wie zeichnet sich das aus? 

Ja, das stimmt. Es fängt zum Beispiel schon bei der Vergärung an. Ich mache alles mit wilden Hefen. Natürlich könnte ich auch Reinzuchthefe zufügen und „normal“ arbeiten. Aber es sind diese kleine Feinheiten, die den Wein so besonders machen – mich aber auch den letzten Nerv kosten könnten. Wenn die Trauben geerntet, die Fässer im Keller voll sind, und nach ein, zwei Wochen denkst du: Tut sich jetzt etwas? Oder kippt mit mir Saft? Und nach zwei weiteren Wochen, denkt man: Das war’s, alles für die Katz, und ist kurz vor dem mentalen Zusammenbruch. Und dann kommt auf einmal der erste Blubb. Diese Erleichterung ist unbeschreiblich. Dieses Unvorhergesehene ist wiederum auch das Spannende, es eben nicht genau zu wissen, wohin die Reise geht. Natürlich sagt mein Vater auch: Was für ein Risiko! Wir haben eh nicht die großen Mengen, warum also machst du das? Dann sage ich, so bekommen sie halt Charakter, und ziehe einfach mein Programm durch. 

Ist schon mal was schiefgelaufen? 

Ja, der Wein ist schon manchmal kompliziert. Der will gepäppelt werden, dann ist zu warm, dann wieder zu kalt, dann braucht er wieder Futter. Der Wein ist wie ein Tamagotchi. Den musst du füttern, pflegen und hegen … 

Wie viel Konzept und wie viel Persönlichkeit stecken in deinen Weinen? 

Ich habe für jeden Wein einen gewissen Charakter, und den versuche ich jedes Jahr ungefähr wieder hinzubekommen. Das heißt aber nicht, dass es auch klappt. Es ist kein Massenprodukt, das jedes Jahr reproduziert wird, sondern es ist immer eine Variable dabei. Ich schaue, dass die Produktion so abläuft, dass sie mir schmeckt, und ich versuche, dass der gewünschte Charakter bei den einzelnen Weinen durchkommt. Am Ende hoffe ich, dass es so ist. Das versuche ich zu kontrollieren, und da steckt natürlich auch meine Persönlichkeit drin. 

Wie sehen deine Zukunftspläne aus? Bist du so zufrieden?

Klar! Zufrieden ja, aber, wenn man irgendwann so zufrieden ist, dann wird es, denke ich, langweilig. Ich habe meinen Bachelor gemacht, habe weiterhin zu Hause gearbeitet. Mit 23 dachte ich: Das soll es jetzt gewesen sein? Irgendwie kommt jetzt kein großer Input oder keine Veränderung mehr, wenn ich nur noch zwischen Büro, Keller und Weinberg rumhänge, und deswegen habe ich eine Masterstudiengang in Bordeaux angefangen, der dieses Jahr ausläuft. Danach geht es nach Neuseeland. Ich war auch in Südafrika. Einfach, um zu schauen, nicht allein wegen Sauvignon Blanc, sondern wegen Pinot Noir, Riesling. Die sind richtig im Kommen – was geht da gerade ab, was machen die anders? Warum wächst es bei denen, warum hat es eine ähnliche Charakteristik wie bei uns? Das finde ich absolut spannend. St. Annaberg mache ich, seit ich 12 bin, und ich könnte es auch niemandem in Hände geben oder einfach weggehen. Es war so viel Arbeit, ich habe so viel gekämpft, um an diesen Punkt zu kommen – auch gegen meine Familie. Ich bin hingefallen, aufgestanden, habe Klinken geputzt, wurde abgewiesen, habe wieder von vorne angefangen. Deshalb: einfach ab durch die Mitte. 
Kategorie: Genuss
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