Stadt Welcome to PAULDINGBURG
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Interview mit Oldenburger Basketball-Profi Rickey Paulding
CHAPEAU: Rickey, als du damals in den USA Basketball gespielt hast, hast du bewusst eine Karriere begonnen, also etwas, das „wohin“ führen sollte, oder war es ein Hobby sprich „dein“ Sport?
Rickey Paulding: Sport. Einfach Sport. Ich konnte mit meinen Freunden zusammen sein, konnte etwas tun, statt einfach nur abzuhängen. Es dauerte eine ganze Weile, bis mir bewusst wurde: Daraus kann mehr werden.
Daraus wurde ja wesentlich mehr. Dieses Bewusstsein: War das deine innere Stimme, oder bist du regelrecht entdeckt worden?
Ich hatte Glück mit einigen meiner Trainer. Einer der ersten sah mich nicht nur in der Schule, sondern draußen, mit meinen Freun- den. Er meinte, etwas Besonderes zu sehen, und er integrierte mich in die Schülermannschaft – mit dem Ergebnis, dass mich von da an auch andere Trainer sahen. Dann setzte aber auch schon „die innere Stimme“ ein. Wir erreichten als Mannschaft immer höhere Ziele, und ich sagte mir, andere Spieler haben es bis hier- und dorthin geschafft – das kannst du auch!
Wenn du von heute zurückschaust, ist dir dann bewusst, dass deine Karriere eine besondere ist, oder ist es einfach der Lauf der Dinge, der Lauf deiner Dinge?
Mir wird schon immer mehr bewusst, dass mein Weg ein besonderer ist. Vor allem jetzt, da ich älter werde und mich dem Ende meiner Karriere nähere. Ich sehe die eine oder andere Entwicklung als Glück, aber einiges auch als meine Leistung an. Alles in allem spüre ich, wie glücklich ich bin und wie mich das, was mir widerfahren ist, geradezu bereichert.
Du sprichst das Ende deiner Karriere an: Geht es dann zurück in die Staaten, „nach Hause“? Oder ist zu Hause inzwischen doch hier, in Oldenburg?
Ehrlich gesagt: Zu Hause, das ist in den Staaten. Meine Frau und ich haben unsere Familien dort – eine ganze Menge Familie. Für uns ist Familie alles, was zählt. Seit wir hier sind und wann immer wir hier sind, vermissen wir unsere Familien. Jeden Sommer kriegen wir es hin, rüberzufliegen und zu Hause zu sein. Aber wir kommen bisher immer wieder zurück – das macht es nicht besser. Und deshalb lautet der Plan: Wenn‘s hier vorbei ist, wann auch immer, dann geht‘s nach Hause, in die Staaten.
Heißt das, dein Zuhause ist immer noch in den Staaten?
Das ist meine Heimat. Meine Frau und ich haben uns aber hier von Anfang an sehr wohlgefühlt! Und für unsere Kinder ist „zu Hause“ hier in Oldenburg. Wo die Schule, der Sportverein, die Freunde sind. Für die Kinder sind die USA: Großeltern, Tanten, Onkel, Ferien. Aber mein gefühltes Zuhause ist dort, wo meine drei Geschwister und meine Mum leben und die Familie meiner Frau.
Gab es Momente, in denen du dich in Deutschland nicht willkommen gefühlt hast, weil dir anzusehen ist, dass du möglicherweise anderswo herkommst?
Persönlich habe ich nie etwas bemerkt. Ich weiß aber, dass ich durch meine Situation sehr privilegiert bin. Die Oldenburger haben mich darüber hinaus geholt und zu dem gemacht, was ich heute bin. Da habe ich nie etwas anderes als Herzlichkeit, willkommen sein und Hilfsbereitschaft erlebt. Höflichkeit. Aber ich weiß, dass das nicht jeder berichten kann, der warum auch immer in ein zunächst fremdes Land zieht. Und ich weiß deshalb, dass Oldenburg sehr speziell, sehr besonders ist.
Bist du in Oldenburg das, was man einen Prominenten nennt? Zeigt man auf dich, fotografiert man sich mit dir und bittet um Autogramme?
Ich werde erkannt [lacht]. Meistens – das bemerken meine Frau und ich schon, wenn wir abends ausgehen. Aber dann heißt es nur „hallo“ oder „tolles Spiel“. Das freut mich! Und wenn mal Kinder – und es sind meist Kinder – nach einem Selfie oder Autogramm fragen, dann bekommen sie das, und das ist auch okay. Aber in „Promi-Klagen“ kann ich nicht einstimmen. Gar nicht. Ich kann zu jeder Zeit mit meiner Familie hingehen, wo ich will und die Zeit genießen. Damit habe ich nie ein Problem gehabt. Ich genieße es, respektiert und gemocht zu werden. Was soll mich daran nerven?
Noch einmal zum Ende deiner Karriere oder eher zu deinem Alter. Meinst du, in den Staaten wäre das Ende früher gekommen? Vor fünf Jahren vielleicht?
Ich glaube, ja. Spieler außerhalb der USA haben es einfach leichter. Weniger Spiele, vor allem. Hinzu kommt auch, dass es ungewöhn- lich ist, wie ich elf Jahre zu ein und demselben Verein zu gehören. Was für mich unheimlich wichtig war und ist. Ich beziehe meine mentale Stärke aus der permanenten Nähe zu meiner Familie. In den Staaten wäre ich wahrscheinlich nicht bei einem Verein, in einer Stadt geblieben – meine Frau und die Kinder, wegen der Schule allein, aber schon. Nein, nein, auch so gesehen habe ich viel Glück.
Sagt dir jemand von außen: „Rickey, es ist vorbei“, oder kommt das von innen? Merkst du selbst das Älterwerden?
Alles zusammen. Um ehrlich zu sein: Ich nehme meinen Körper anders wahr als vor fünf, sechs Jahren. Nach einem Spiel fühle ich mich erschöpfter, meine Beine sind schwerer und länger schwer, das tägliche Training fällt mir weniger leicht. Auch mental merke ich, langsam ans Ende zu gelangen. Verstehe mich aber bitte nicht falsch: Ich liebe den Basketball, das Spiel. Und ich glaube heute, wenn das Ende kommt, dann, weil ich es so will und selbst bestimme. Hier will mich niemand „draußen“ haben, bestimmt nicht.
Gibt es schon Pläne für die Zeit danach? Wirst du Trainer? Spieler-Scout – oder Versicherungsvertreter, Immobilienmakler?
[Lacht] Ich will beim Basketball bleiben. Lehrend, trainierend, spielend ... Ich verdanke dem Basketball so viel und will et- was zurückgeben. Wenn mich niemand entdeckt hätte, wer weiß, was aus mir geworden wäre? Ich will auch da sein, wenn jemand gut spielt, will es sehen und will Chancen geben. Das ist mein Ziel. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dieses Ziel erreiche. Wann auch immer.
Bist du in den Staaten in Basketball-Kreisen bekannt? Oder eher ein „Nobody“?
Nicht so bekannt wie hier in Oldenburg [lacht]. Mit Sicherheit nicht ... Glücklicherweise lebe ich dort aber in einer Stadt, in der es genug Menschen gibt, die wissen, dass ich Basketballer bin. Und ich habe keine Schwierigkeiten, als ehemaliger Spieler an die Highschools und Unis zu gehen, um die neuen Trainer und jungen Spieler kennenzulernen.
Treiben deine Kinder Sport, spielen sie Basketball? Und trainierst du sie?
Ja, die beiden Jungs – unsere Tochter ist noch zu klein –, aber ich lass sie einfach laufen. Im Moment lieben sie Basketball! Und natürlich freuen sie sich, wenn ich dabei bin, zuschaue und mit Tipps helfen kann. Das versuche ich auch, aber alles ohne Druck, ohne Erwartung. Sie spielen einfach mit Kindern aus der Nachbarschaft. Das ist auch gut und richtig so.
Wie alt sind die beiden?
Zehn und sieben.
Meinst du, der Umzug in die Staaten wird für sie ein Problem?
Leider schon. Besonders für den Großen. Seine Freunde sind hier, hier spielt er Basketball und Fußball. Er hat ein richtiges, eigenes Leben in Oldenburg. Und USA heißt für beide Ferien. Meine Frau hat Urlaub, ich habe Urlaub, nichts zu tun, wir sind immer da. Dort zu leben, in eine neue Schule zu kommen, Mutter und Vater im Job, nicht zu Hause zu wissen – das ist etwas vollkommen anderes. Aber es wird hoffentlich gutgehen.
Kommen deine Frau und du aus derselben Stadt, demselben Staat? Ist die „große Familie“ mehr oder minder an einem Ort?
Nein. Ich stamme aus Detroit, Michigan, und meine Frau aus Kansas City. Wo wir auch leben werden. Also werden sie meine Seite der Familie seltener sehen. Aber wir holen meine Mutter oft und gerne nach Kansas City und fahren
genauso gerne nach Detroit. Das ist nicht so dramatisch, denn in den USA kennen die Menschen ganz andere Strecken und reisen genauso viel, vielleicht sogar mehr als hier.
Wenn ich Detroit höre, muss ich an Autos denken: Als ich klein war, liebten die Menschen große Cadillacs, Lincoln, kleine Mustang und starke Corvettes. Seit ich groß bin, ist Detroit verlassen, verfallen, pleite. Ich lese ständig vom Comeback, dem großen „Wiederaufbau“, aber ebenso ständig vom Zerfall. Liebst du deine Heimatstadt?
Irgendwie schon. Du hast zwar mit allem recht, aber wenn ich da bin und es sehe – dann ist es vertraut. Ich bin dort geboren und groß geworden! Manches ist schäbig, macht traurig, aber ist ja nicht neu oder überraschend. Mein Leben lang kenne ich das. Aber Detroit kommt wieder, ganz sicher. Die Automobil-Industrie hat an Bedeutung verloren, ja. Aber die ganzen Sport-Teams! Die machen eine Menge Geld und pumpen eine Menge Geld in die Stadt. Für den Aufbau, den Wiederaufbau. Beginnend mit Downtown, aber auch den Vororten, den Schulen, den Parks.
Du sprichst über die soziale Funktion des Sports, die losgelöst ist von deiner persönlichen Begeisterung für den Wettkampf, das Miteinander. In Detroit etwa als Wirtschaftsfaktor, der stabilisiert, aufbaut.
Wobei mir die „kleinere Dimension“ genauso wichtig, vielleicht auch näher ist: Durch den Sport bzw. Plätze für den Sport werden Kinder davon abgehalten, rumzuhängen und dummes Zeug zu machen. Ich weiß, wovon ich rede ... Als ich Kind war, war Detroit kein ganz ungefährlicher Ort. Was meine Mutter wusste. Unglücklicherweise fehlte es aber an Geld, mit mei- ner Schwester und mir umzuziehen ... Sie musste immer sehen, dass ich beschäftigt war. Mit den richtigen Leuten ... Meine ältere Schwester unterstützte sie dabei, ich spielte mit den anderen Kids Basketball – alles gut. Mir ist nie etwas passiert, ich war nie Anlass für größere Sorgen.
Die EWE Baskets hatten ja auch eine Crowdfunding-Initiative gestartet, um hier öffentliche Basketball-Plätze zu betreiben. Mit dem Ziel, Flüchtlinge, Oldenburger, Amateure und Profis spielerisch zusammenzubringen. Auch eine soziale Dimension … Ist sie aber vergleichbar mit dem, was du aus Detroit kennst?
Ich nehme das sehr ernst und stehe voll dahinter! Die EWE Baskets sind cool; das zeigen mir die Fans bei jeder Gelegenheit. Und cool ist es, Basketball zu spielen. Es gibt viele wunderbare Programme zur Integration, zur Teilhabe; aber ich bin nicht sicher, ob jeder die „cool“ findet. Unser Projekt ist cool. Und wird viel bewirken, ganz sicher. Damals in Detroit war ich kein Flüchtling. Basketball hat mich davon abgehalten, in Schwierigkeiten zu geraten. Die Plätze der EWE Baskets sind auch für alle da. Und alle werden sie annehmen, das ist das Wunderbare. Ein tolles Projekt!
Können wir uns schon auf ein Datum einstellen, wo es Abschiednehmen heißt?
Zum Glück noch nicht. Ein Jahr bleibe ich noch auf jeden Fall. Und dann werde ich weitersehen. Ich kann nicht in die Zukunft sehen, aber das Jahr ist sicher.
Unter uns: Gehst du als reicher Mann, oder musst du weiterarbeiten?
In Not werde ich dann nicht sein. In all den Jahren haben wir uns ein Haus gekauft, ein Auto und dergleichen mehr. Also, die großen Ausgaben liegen hinter uns. Alles bezahlt. Insofern muss ich nicht arbeiten, will es aber. Und das Einkommen dann trägt auch zum Lebensunterhalt bei, ganz klar. Ich bin kein Millionär. Sicherlich aber wohlhabend, ja.
Du hast hier ein Haus?
Nein. Hätte ich in all den Jahren eigentlich haben können ... [lacht], steht aber in Kansas City.