Kultur Zurück zum kreativen Antrieb mit Paul Freud
Zurück zum kreativen Antrieb mit Paul Freud
Interview mit Paul Freud
Der britische Maler Paul Freud ist derzeit in Oldenburg, um mit seinem Freund Ralf Lake eine Ausstellung seiner Werke in dessen Galerie vorzubereiten. CHAPEAU-Reporter Lars Görg bat den Künstler zum Gespräch über Malerei, Familie und die Gefühle von Freude und Verlust.
Info ― Der Maler Paul Freudwurde 1959 in London als Sohn von Lucian Freud, eben- falls Maler, und der Modede- signerin Katherine Margarete McAdam geboren. Sein Ur- großvater war der berühmte Begründer der Psychoanaly- se, Sigmund Freud, der wegen seiner jüdischen Herkunft mit seiner Familie 1938 vor den Nazis aus Wien nach England fliehen musste. Paul Freud studierte Malerei am Conder- well College of Art und am Goldsmiths in London. Er fer- tigte überwiegend Ölgemälde von Menschen, Personen oder figurative Malerei, seit 2005 arbeitet er aber auch vermehrt mit Zeichnungen.
Rückblickend war mein Familienname eher Fluch als Segen.
© Zoltan Alexander Courtesy of ZOLTAN+ London
CHAPEAU ― Ist das Ihr erstes Mal in Deutschland, Herr Freud?
Paul Freud ― Nein, ich war schon öfters in Deutschland. Ich hatte eine Ausstellung in Hanau bei Frankfurt am Main. Ein Freund von mir, Professor Paul Brand, schlug eine gemeinsame Ausstellung vor. Die war sehr erfolgreich. Kürzlich war ich hier, um die Ausstellung meiner Freundin Sara Rossberg in Darmstadt zu sehen.
Was für Gefühle verbinden Sie mit Deutschland?Ihr Urgroßvater, der weltberühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud, floh aus Wien vor den Nazis. Seine Eltern und seine Geschwister wurden in Konzentrationslagern ermordet. Ist das etwas, an das Sie heute noch denken? Oder ist das alles ferne Vergangenheit?
Das ist sehr weit weg, aber keinesfalls verschwunden. Sigmund floh 1938 nach Eng- land, wo er als Flüchtling unterkam. Das wird nie wirklich verschwinden. Es wurde kürzlich entdeckt, dass Familientraumata einer sol- chen Größenordnung über Generationen hinweg in der DNA verbleiben.
Freud ist immer noch einer der berühmtesten Familiennamen der Welt. Fragen die Leute Sie nach ihrem Urgroßvater Sigmund, wenn sie den Namen hören, oder nach Ihrem Vater, dem berühmten Maler Lucian Freud?
Das hängt davon ab, wer mich fragt.
Sie sind ein erfolgreicher Maler. Ist ihr Name für Ihre Arbeit mehr ein Segen oder ein Fluch?
Vor meiner Eheschließung benutzte ich zwei Jahre lang ausschließlich den Mädchennamen meiner Mutter. Dann nahm sie den Namen Freud an, und den Namen nicht zu benutzen, wäre kontraproduktiv für meine Familie gewesen. Früher fühlte ich mich aber tatsächlich nicht sehr wohl mit dem Namen. Ich musste ja mein eigenes Leben führen und meine eigene Karriere aufbauen. Ich wollte mich als Maler international etablieren. Natürlich glaube ich, dass mein Erfolg vor allem auf meine persönliche Initiative und auf harte Arbeit zurückgeht. In der Rückschau war der Name dabei wohl mehr Fluch als Segen. Jeder nahm an, dass ich durch den Namen Freud irgendwelche Vorteile haben müsste. Aber das stimmte nicht, und ständig hatte ich mit dieser Fehl- einschätzungen meiner Person zu kämp- fen. Aber das ist lange her, und hier bin ich jetzt. Quicklebendig.
Glauben Sie, dass Ihr Talent als Maler auch auf genetischen Vorzügen beruht, oder kommt alles aus Ihnen selbst heraus – aus dem Drang, sich selbst auszudrücken, und als Resultat harter Arbeit?
Es ist heute eine akzep- tierte Meinung, dass sich Talent aus geneti- schen und sozialen Fak- toren zusammensetzt. Meine Mutter Katherine Margaret McAdam war eine überaus talentierte
Modedesignerin, und zum Teil kommt es von meinem Vater. Ein bisschen hat es auch mit Religion zu tun, mit meinen jü- dischen Vorfahren. Meine Mutter aber ist katholisch erzogen worden. Generell wird ja angenommen, dass die Zufriedenheit, die vom kreativen Prozess herrührt, wiede- rum zu einer Quelle der Kreativität wird. Ich beobachte immer wieder den Prozess als eine wachsende Distanz zu dem, was man malt. Das macht wohl meine Identität als Künstler aus. Aber harte Arbeit ist absolut essenziell. Ich habe einmal das schnellste Bild der westlichen Welt in 17 Sekunden gemalt. Das war das Ergebnis von drei Mo- naten Übung und hunderten Versuche. Das Bild wurde im Zeichenmuseum in Laholm in Schweden gezeigt, und dort war ich der einzige nicht-skandinavische Aussteller. Der Antrieb und die Fähigkeit, kreativ zu sein, ist sicher genetisch. Aber das Arbeitsethos geht auf soziale Faktoren zurück.
Empfinden Sie Malen als Arbeit? Sie sind sehr erfolgreich und können von Ihrer Kunst leben. Aber macht das Malen nach all den Jahren immer noch Spaß?
Naja, als es aufhörte Spaß zu machen, da hab ich aufgehört, international auszustellen. Aber dann begann ich mehr zu sehen, was Leben und Realität ist. Ich musste nochmal umlernen. Heute glaube ich, dass das Eigent- liche der Weg ist; weniger das Endresultat. Im Augenblick arbeite ich an Zeichnungen, die mich an die Quelle zurückführen, zurück zu meinem kreativen Antrieb. Ich muss da gar nicht weit gehen, denn da komme ich ja her. Das ziehe ich jetzt durch. Ich bin heute morgen um 5.30 Uhr aufgewacht und habe in Ralfs Garten gezeichnet. Der Spaß ist defi- nitiv wieder zurück.
Ist das hier eine Art Comeback für Sie?
Dieser Ausdruck ist nicht wirklich auf mich anzuwenden. Es wäre vielleicht ein Come- back, wenn ich mich als Teil des Galerie- systems sehen würde. Aber das war ich nie. Ich entscheide sehr spontan, wo und welchen Teil meiner Arbeit ich als nächstes ausstelle. Und wie viel emotionale Wirkung ich erreichen will.
Ist die Fähigkeit zum intensiven Empfinden von Freude und Traurigkeit notwendig für einen Künstler?
Ich hatte mal eine Freundin, die Gedichte schrieb. Aber sie konnte nur arbeiten, wenn sie total unglücklich war. Ich habe für mich realisiert, dass extreme Langeweile tatsächich sehr wertvoll sein kann. Aber es reicht nicht, nur Wein zu trinken und darüber zu re- den. Man braucht dann etwas, um das Malen auszu- lösen. Da muss irgend eine Inspiration her. Melancholie kann beispielsweise in Sentimentalität umschlagen. In so einem Fall ist Langeweile natürlich eine bessere Form der Inspiration.
Besteht Ihr Freundeskreis nur aus Künstlern, oder fühlen Sie sich eher unter „normalen“ Menschen wohl?
Nein, nein. Das wäre ja ein Urteil! Ich sehe da überhaupt keine Trennung. Jeder, der mir ge- genüber sitzt, ist genauso wichtig wie ich. Speziell wenn ich male. Ich mache über- haupt keinen Unterschied zwischen einem Überflieger-Intellektuellen mit Doktortiteln, einem Schüler oder einem Bettler auf der Straße. Zu denken, das was ich tue, wäre wichtiger als das, was jemand anders tut, wäre Arroganz. Klar, es wird gesagt, dass viele Künstler so um sich selber kreisen, dass sie Probleme mit anderen Menschen bekommen. Und tatsächlich muss ein Künstler auch ein bisschen egozentrisch sein – vielleicht auch ein bisschen narziss- tisch. So lange man sich nicht total in sich selbst verliebt, ist das okay.
Wenn man vom Kontinent aus nach England schaut, dann sieht das Leben in der Oberschicht immer ein bisschen überdimensioniert aus. Mit höherer Freude, tieferer Trauer und so weiter. Existieren diese Klassenunterschiede dort eigentlich noch?
Das kann ich nicht sagen. Immerhin aber festigen die Schichten durch die Erziehung ihre soziale Position. Aber sie sind doch Teil der Oberschicht! Ich sehe mich nicht so. Klar, ich wurde sehr privilegiert geboren, kam mit neun Jahren aufs Internat in das ehemalige Haus von Lord Berner. Aber dann lebte ich auch im sozialen Wohnungsbau bei meiner katholi- schen Mutter, wo ein Buddha auf der Ablage stand. Um ein Künstler zu sein, muss man sich mit dem beschäftigen, was gerade los ist. Meine Freunde sind ein Mix von allem, Leute aus allen sozialen, ökonomischen und sonstigen Schichten. Jeder weiß, das Klassensystem ist überholt speziell in England.
Sie sind hier in Oldenburg aus Freundschaft zu Ralf Lake?
Ja, unser gemeinsamer Freund Jens Gemmel hat uns bekannt gemacht und eine Zusammenarbeit angeregt. Jetzt wird eine Ausstellung kommen, am 24. August ist Eröffnung. Und dann haben wir noch eine weitere Ausstellung konzipiert. Thema wird der komplette Verlust meiner Bilder am 14. Februar 1999 sein. Damals war ich gerade von einem Club in den Tunneln unter der London Bridge zurückgekehrt, hatte mich aufs Bett gelegt und das Radio angemacht. Dort hörte ich von einem Feuer. Das war von einem Papierlager ausgegangen, in dem früher Hartley’s Marmeladenfabrik gewesen war. Unter meinem Atelier gab es eine Schweißerei, und die hat acht Stunden lang gebrannt. Ich verlor alles. 20 Jahre Arbeit, einfach weg! Komplett zerstört, nichts! Dann tauchte irgendwann ein russischer Fotograf auf. Der hatte einige meiner Arbeiten fotografiert, die von dem Feuer zerstört worden waren. Mein Freund Adam Lawson von Factum Arte hat eine CD mit diesen Fotos. Jetzt kann ich nach 20 Jahren also meine Bilder wiedersehen. Obwohl es ja nicht die eigentlichen Bilder sind, sehen die für mich realer aus als die Originale, die ich verloren habe. Ich werde noch an dieser Ausstellung arbeiten bis zum letzten Moment, bevor sie eröffnet wird. Das muss ich einfach tun, um die Ereignisse zu reflektieren. Die verlorenen Arbeiten sind ja niemals ausgestellt und besprochen worden. Diese Ausstellung wird meine Vergangenheit in irgendeiner Form zusammenfassen und mir erlauben, mich jetzt endlich als Maler fertig zu entwickeln. Vieles ist nie gezeigt worden. Damals hatte ich keine Lust, irgendetwas zu verkaufen. Das Feuer war in gewisser Weise eine Erleuchtung. Nicht al- les, was ich gemalt habe, war automatisch ein Meisterwerk. Aber alles zu verlieren, hat etwas mit mir gemacht. Das hat mir gehol- fen, die Dinge wirklich ernst zu nehmen…
Harte Arbeit ist absolut essenziell.
Das hört sich tragisch an…
Ja ich habe hunderte von Bildern verloren.
Jetzt verstehe ich, wie albern meine Frage nach Ihrem Comeback war. Als würde man eine Mutter, die ein Kind ver- loren hat und wieder schwanger ist, fragen, ob das eine Art von Comeback darstellt…
In meinem Fall ist es eine Erkenntnis. Nach all dieser Zeit hat der Verlust eine Art Romantik oder Sentimentalität in meine Arbeit gebracht. Für mich ist es erstaunlich, dass ich immer noch arbeiten kann und das mir Mögliche in die Arbeit hineinzulegen. Nach dem Brand war ich wirklich am Boden. Innerlich hat paradoxerweise jedes Werk noch ein- mal auf Wiedersehen gesagt. (Übrigens, nebenbei bemerkt: Ich liebe das Arbeiten mit Holzkohle.) Aber als das letzte Bild von mir Abschied nahm, war ich endlich frei. Wir Men- schen sind frei, aber wir tendieren dazu, uns unser eigenes Gefängnis zu bauen. Vielleicht ist es das, was Ralf gesehen hat, als er mich in meinem Atelier besuchte. Das hat mich in- spiriert. Auch dieses Jahr war ein schlechtes Jahr. Meine Mutter, meine Großmutter und Ilsa Noach, eine befreundete Analytikerin aus Wien, alle sind dieses Jahr gestorben. Aber das prägt meine Zukunft – mit Akzeptanz und dem Verständnis für Verlust. Jetzt habe ich endlich wieder die emotionale Distanz, um meinen Bildern gegenüber zu treten.
Wie möchten Sie schließen?
Die Hälfte der Arbeiten, die ich geplant habe, ist schon fertig. Ich bin nicht mehr so impulsiv, wie ich mal war. Ich bin jetzt hier. Ich weiß nicht, ob ich morgen noch hier sein werde. Ich bringe nicht die Arroganz auf zu sagen, „Ich weiß“. Ich weiß nicht einmal, wie ich an die Ausstel- lung herangehen wer- de, was ich aussuchen werde und wie ich an dem Tag drauf bin. Aber ich freue mich sehr. Die Arbeit mit Ralf ist kom- plett reibungslos. Ein- fach pure Freude.
Und es war eine Freude mit Ihnen zu sprechen, Sir, vielen Dank.